Die Zwei-Staaten-Perspektive für eine friedliche Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts retten

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zuerst möchte ich darauf hinweisen, dass es noch immer israelische Bürgerinnen und Bürger gibt, die auf der einen Seite eine Debatte über die Voraussetzung für eine Zwei-Staaten-Lösung in Israel selbst führen und auf der anderen Seite auch über die bisherigen Versäumnisse auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung sprechen.

Ich bin beeindruckt gewesen, dass zum Beispiel ehemalige israelische Soldaten mit einer wichtigen Fotoausstellung, die bis Ende September im Willy-Brandt-Haus hier in Berlin gezeigt wird, auf das Schicksal der Palästinenserinnen und Palästinenser aufmerksam machen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gehört zum Bau einer Friedensbrücke mit dazu, dass sich die Menschen mit wachen Augen begegnen, und dafür gilt mein Dank.

Die Rahmenbedingungen, zu einer Friedenslösung zwischen Palästina und Israel zu kommen, sind in den letzten Jahren in der Tat schwieriger geworden. Der amerikanische Präsident Obama hat zumindest am Anfang seiner Amtszeit versucht, im Rahmen seiner Möglichkeiten Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Gespräche wieder aufgenommen werden.

Die Spaltung der palästinensischen Bewegung ist ein Hindernis auf diesem Weg, aber es hat in den letzten Monaten nach meinem Dafürhalten durchaus den Versuch gegeben, insbesondere Präsident Abbas zu legitimieren, wieder Friedensverhandlungen zu führen.

Im Nahen und Mittleren Osten liegt der Fokus auf den Umbrüchen in der arabischen Welt und insbesondere auf der humanitären Katastrophe in Syrien. Dennoch hat es unter diesen schwierigen Bedingungen Chancen gegeben. Leider hat es die Bundesregierung versäumt, diese Chancen zu ergreifen. Ich will in diesem Zusammenhang auf drei Punkte aufmerksam machen.

Erster Punkt. Wir hatten die Chance einer Aufwertung der palästinensischen Vertretung hier in Deutschland. Ich unterstelle dem Außenminister durchaus guten Willen, aber ich glaube, er ist am Bundeskanzleramt und letztlich an der Bundeskanzlerin gescheitert. Es gehört zu einer ehrlichen Debatte mit dazu, zuzugeben, dass wir hier die große Chance verpasst haben, der deutschen Verantwortung zumindest durch eine leichte Aufwertung der Palästinenser gerecht zu werden und auf die Interessen beider Staaten einzugehen. Ich finde, Sie hätten dies tun können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zweiter Punkt. Hierüber hat es eine Debatte gegeben. Wir von der SPD haben dazu einen Antrag eingebracht. Es wäre gut gewesen, in den Unterorganisationen der Vereinten Nationen eine gemeinsame Haltung der Europäischen Union zum Status Palästinas zu erarbeiten. Das haben Sie nicht geschafft. Sie haben zum Beispiel auch dagegen gestimmt, dass Palästina eine wichtige Rolle in der UNESCO wahrnimmt. Dafür hat es aber eine Mehrheit gegeben, wir waren auf der Ebene der Vereinten Nationen erneut in der Minderheit. Auch hier ist eine große Chance aufseiten der Bundesregierung verpasst worden, sozusagen leichte, neue Stützpfeiler für die Friedensbrücke aufzubauen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Dritter Punkt. Nach dem Gaza-Krieg - dieser Meinung waren wir alle - gab es verschiedene Möglichkeiten, auch Möglichkeiten aufseiten der israelischen Re-gierung. Ich sage ganz bewusst: der israelischen Regierung, weil ich in Israel andere Menschen, viele Politiker, aber insbesondere eine lebhafte Zivilgesellschaft, kennengelernt habe. Das Upgrade des Assoziierungsabkommens mit der EU ist wegen der Blockade des Gaza-Streifens und wegen des fortgeführten Baus von Siedlungen ausgesetzt worden. Was haben wir im Sommer erlebt? Es wurden 60 Punkte für ein neues Upgrade beschlossen. Ich finde, Sie haben damit leichtfertig ein Instrument aus der Hand gegeben, mit dem Sie dafür hätten sorgen können, dass die israelische Regierung ihr Verhalten ändert;

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn die israelische Regierung braucht die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union.

In der Tat versperrt der Siedlungsbau alle Wege in Richtung Frieden. Ich glaube, dass sollte vom Deutschen Bundestag sehr deutlich gesagt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich gönne dem Außenminister das Lob des Generalsekretärs der Arabischen Liga, das er, glaube ich, gestern im Sicherheitsrat ausgesprochen hat. Ich habe überhaupt keine Bedenken bei diesem Lob, aber vielleicht sollte sich die Bundesregierung fragen, ob dies möglicherweise ein vergiftetes Lob war. Er hat nämlich Taten anstatt Worte gefordert, und genau daran mangelt es. Das wird deutlich, wenn man an diese Fragen erinnert. Ich glaube, der Bundesaußenminister sollte nicht immer nur gute Worte im Munde führen, sondern er sollte sich letztlich auch für Taten einsetzen. Daran mangelt es in der deutschen Politik, und daran wird gerade in diesem Zusammenhang Kritik geübt.

Wir alle wollen die Sicherheit Israels. Ich glaube, diesbezüglich gibt es über alle Fraktionsgrenzen hinweg überhaupt keine Differenz.

(Florian Toncar [FDP]: Es gibt Unterschiede!)

- In einem demokratischen Gemeinwesen müssen Sie Unterschiede anerkennen. - Dennoch besteht in einem demokratischen Parlament die Möglichkeit, dass wir bezogen auf einzelne Aspekte gemeinsame Anträge einbringen. So haben wir in den letzten Jahren hier einige Dinge gemeinsam beschlossen. Manchmal haben wir wortgleiche Anträge eingebracht, weil der eine oder andere nicht alle Fraktionen mit dabei haben wollte. Ich glaube, das war ein gutes Signal des Deutschen Bundestages, aber leider hat die Bundesregierung auch diese Chance nicht ergriffen.

Wenn wir wollen, dass die Menschen in Israel in Sicherheit leben, dann müssen wir die israelischen Partner und die israelische Regierung fragen, mit wem sie glaubt in Zukunft einen Frieden schließen zu können, wenn nicht mit diesem palästinensischen Präsidenten. Sie wird auf keinen anderen stoßen, der die Hand ausstreckt. Ich war erschüttert über seine Rede heute vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Daraus hat Frustration, daraus hat Hilflosigkeit und auch Resignation gesprochen. Wir werden uns noch wundern, was passiert, wenn dieser palästinensische Präsident Israel nicht mehr die Hand reichen kann, weil er nicht mehr die Kraft dazu hat und zurücktritt. Ich finde, die deutsche Bundesregierung täte gut daran, den Worten Taten folgen zu lassen, damit eine der letzten Chancen möglicherweise genutzt werden kann.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen möchte ich daran erinnern, dass die tatsächliche Entwicklung auf das Ende der Zwei-Staaten-Lösung hinausläuft. Schon 1999 hat der damalige und heutige Verteidigungsminister Barak geäußert, Israel könne weder als demokratischer noch als jüdischer Staat überleben, wenn die Zwei-Staaten-Lösung scheitert. Unklar ist mir, ob er heute noch so denkt; aber seine Mahnung ist nach wie vor angebracht und bleibt aktuell.

Vielen Dank.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 27.09.20.12
Thema: 
Plenarrede zum Antrag der Grünen