Umbruch in der Arabischen Welt

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der Tat ist es angesichts der schrecklichen Bilder aus Japan schwer, sich heute im Parlament auf andere Themen zu konzentrieren. Wir müssen es tun, aber ich will an dieser Stelle sagen, dass wir gestern als Deutsch-Japanische Parlamentariergruppe auf Einladung des japanischen Botschafters in der japanischen Botschaft waren, um zu kondolieren und um noch einmal über die deutsch-japanischen Beziehungen in der Zukunft zu sprechen. Dabei ging es um Hilfsangebote und um die Frage, was der Deutsche Bundestag tun kann, aber auch um das, was wir vor einigen Wochen mit einem Antrag zu 150 Jahren deutsch-japanischen Beziehungen im Deutschen Bundestag beschlossen haben. Wir haben uns auf die Aktivitäten und die Arbeit in den nächsten Wochen und Monaten gefreut.

Ich wäre froh, wenn angesichts der Bilder aus Japan in der deutschen Debatte manchmal innegehalten würde, wenn wir leichtfertig den Begriff der Katastrophe für das eine oder andere bemühen, das uns in Deutschland möglicherweise belastet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

In der Tat ist das, was in der arabischen Welt, in Nordafrika und in unserer unmittelbaren Nachbarschaft passiert, ein wichtiges Thema. Ich glaube, wir müssen eines deutlich machen: Libyen ist nicht das Gesicht der Veränderung in Nordafrika oder in der arabischen Welt. Das sind vielmehr die jungen Menschen, die mutigen Frauen; es sind diejenigen, die auf dem Tahrir-Platz oder in Tunis demonstriert haben - einige haben ihr Leben gelassen oder sind verletzt worden - und Regime gestürzt haben.

Das ist das Bild, und das muss auch unser Bild der arabischen Welt insgesamt bleiben, weil das nach meinem Dafürhalten auch die Chancen deutlich macht. Diese Menschen wollen in ihren Gesellschaften leben. Sie wollen nicht fliehen. Sie wollen etwas aufbauen, das es ihnen möglich macht, mit Europa in einer wichtigen Region, in der Mittelmeerwelt, zusammen-zuleben, die in der Zukunft Prosperität und Kultur zeigen kann. Ich glaube, wir müssen den deutschen Bundesbürgern auch vermitteln, dass selbst angesichts der Bilder aus Libyen in dieser Entwicklung mehr Chancen als Risiken liegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch wenn an dieser Stelle nicht oft darüber gesprochen wird, sind natürlich Fehler gemacht worden, auch immer dann, wenn es um totalitäre Regime in unserer Nachbarschaft ging. Dennoch möchte ich Sie fragen, ob de scheinbar einfachen Antworten auf eine solche Frage wirklich zutreffen. Denn was wäre passiert, wenn wir in en 90er-Jahren nicht mit Gaddafi über den Verzicht auf Atomwaffen verhandelt und wenn wir nicht versucht hätten, das Gespräch über einen Verzicht zu suchen? Wir wären heute in einer Situation, die die Bearbeitung dieser internationalen Krise noch erschweren würde! Deswegen darf man nicht einfach diese Alternativen so aufbauen.

Ich bekenne mich dazu, dass Fehler bei einzelnen Dingen gemacht worden sind. Aber man darf das nicht nur schwarz-weiß darstellen. Deswegen gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine einfachen Lösungen, um mit der libyschen Krise umzugehen, was nach meinem Dafürhalten in erster Priorität zivil und friedlich geschehen sollte.

Für mich zählt dazu, dass insbesondere die internationale Gemeinschaft geeint bleibt. Denn das ist eines der wichtigsten Instrumente, um überhaupt Einfluss zu nehmen. Deswegen war es gut, dass es die Sicherheitsratsresolution 1970 gegeben hat. Das ist oft schnell zur Seite geschoben worden. Plötzlich haben auch einige Länder gesagt: - Wir sind für Sanktionen und sogar für das Instrument des Internationalen Strafgerichtshofes -, die das für sich selbst nicht wollen. Sie begreifen diesen Internationalen Strafgerichtshof als Fortschritt des Völkerrechts. Deshalb wollen sie ihn als Instrument einsetzen. Das sind wichtige Dinge, die nach meinem Dafürhalten in den letzten Wochen und Monaten vorangekommen sind. Herr Westerwelle, Sie haben auf die Sanktionen und auf andere Dinge hingewiesen.

Dennoch, Herr Bundesaußenminister: Die UN-Charta beinhaltet auch das Instrument der Flugverbotszone. Deswegen wäre es eine kluge Politik, wenn wir in der internationalen Gemeinschaft zusammenbleiben wollen, deutlich zu machen, dass wir alle Instrumente der UN-Charta wollen. Dann sollte man nicht schon im Vorgriff sagen, dass all diese Instrumente möglicherweise nicht wirken. Ich glaube, auch die Bundesregierung sollte etwas offener vorgehen; denn das gehört genauso wie damals zum Sanktionskatalog dazu, als die Resolution 1970 beschlossen worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber, Herr Außenminister, da gebe ich Ihnen recht: Man muss auch abwägen. Wir haben Erfahrungen im Irak, im Kosovo und an anderer Stelle gemacht. Wir machen auch die Erfahrung, dass es offensichtlich nicht nur die libysche Luftwaffe ist, sondern im Gegenteil: Wahrscheinlich macht es das, was auf dem Boden passiert, den Aufständischen so schwer, auch militärisch dem Druck von Gaddafi zu widerstehen. Auch diese Fragen müssen gestellt werden.

Aber dennoch: Innerhalb des Militärbündnisses müssen diese Optionen weiter auf dem Tisch bleiben, weiter geprüft werden, und unter Umständen, wenn es noch einen Beschluss im Sicherheitsrat geben sollte, muss auch hier erwogen werden, ob es notwendig ist, sie zu nutzen.

Herr Bundesaußenminister, ich habe einen großen Teil Ihrer Versuche unterstützt, innerhalb der internationalen Gemeinschaft für Weltsicherheitsratsresolutionen und für anderes mehr zu werben. Aber was ich von Ihnen in Bezug auf die innenpolitische Diskussion gehört habe, hat, finde ich, dem Fass den Boden ausgeschlagen. Sie haben in einem Interview im Morgenmagazin am 11. März 2011 gesagt:
Meine Aufgabe als Außenminister ist, dafür zu sorgen, dass wir als Deutsche nicht leichtfertig in einen Krieg hineingezogen werden, aus dem wir dann viele Jahre nicht hinauskommen können.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Ja!)

Das ist in der Tat richtig; das unterstütze ich auch. Aber unmittelbar danach sagten Sie folgenden Satz: Insoweit habe ich auch eine andere Vorstellung von Außenpolitik, als das vielleicht frühere Regierungen gehabt haben. Diesen Vorwurf finde ich schändlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es sind wir von Rot-Grün gewesen, die verhindert haben, dass wir als Deutsche im Irakkrieg mit interveniert haben. Neben Ihnen sitzt eine Bundeskanzlerin, die nach Washington geflogen ist und den damaligen Präsidenten ermutigt hat, dort zu intervenieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das ist die Wahrheit! ? Zuruf von CDU/CSU: Unsinn!)

Als Vertreter der SPD-Fraktion lasse ich es mir nicht bieten, dass Sie diese Verknüpfung herstellen. Das ist schäbig. Ich finde, das gehört zu einem Versuch, eine gemeinsame außenpolitische Position des Deutschen Bundestages zu halten, nicht dazu.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deswegen versuchen, diese innenpolitischen Debatten sein zu lassen.

Ich habe das in den vergangenen Tagen versucht. Aber wichtig ist, Sie daran zu erinnern, dass auch Sie als Mitglied der Bundesregierung hierbei in der Pflicht sind.

(Beifall bei der SPD)

Oft ist hier über die Arabische Liga gesprochen worden und darüber, dass sie uns auffordert, einer Flugverbotszone zuzustimmen. Heute Morgen haben wir darüber auch im Auswärtigen Ausschuss gesprochen. Es bietet sich ein sehr spannendes Bild. Auf der einen Seite fordert die Arabische Liga eine Flugverbotszone, auf der anderen Seite sagt sie, die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder sei nicht erlaubt. 24 Stunden später schickt ein wichtiges Land dieser Arabischen Liga, nämlich Saudi-Arabien, Truppen nach Bahrain und schafft damit möglicherweise eine zusätzliche Krisensituation. Dann erfahren wir, dass elf Außenminister bei der Sitzung der Arabischen Liga anwesend waren und zwei oder drei gegen diese Flugverbotszone gestimmt haben. Ich finde, zur Redlichkeit gegenüber diesem Instrument gehört - auch in der Berichterstattung -, über diese Entscheidungen hier zu informieren.

Herr Bundesaußenminister, Sie haben zum Schluss insbesondere über die Rolle der Europäischen Union gesprochen. Das haben auch wir in den vergangenen Wochen hier im Deutschen Bundestag getan. Ich unterstütze Ihre Aufforderung, zum Beispiel an Deutschland und andere europäische Staaten, im Bereich der Bildung etc. mehr zu tun. Das gilt aber genauso für die Agrarpolitik.

Bei dieser Aussage ist eben hier geklatscht worden. Darüber wird es nicht nur zum Schwur innerhalb der Europäischen Union kommen; es kommt auch zum Schwur innerhalb des Kabinetts. Mich würde interessieren, wie Sie möglicherweise die anderen Kabinettsmitglieder von der Freizügigkeit überzeugen, die Sie an dieser Stelle eingefordert haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, es kommt darauf an, dass wir auch in dieser schwierigen Situation eine Außenpolitik betreiben, bei der die Parteien des Deutschen Bundestages zusammenbleiben. Ich biete Ihnen, Herr Bundesaußenminister, und dem gesamten Kabinett das an. Ich bitte Sie deshalb, von dem einen oder anderen Reflex, den Sie möglicherweise noch aus alten Zeiten übernommen haben, in Ihrer Regierungstätigkeit abzusehen.

(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Und umgekehrt!)

Herzlichen Dank.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 16.03.2011
Thema: 
Plenarrede zur aktuellen Situation in Libyen