Trauerrede anlässlich der Trauerfeier im Gedenken an den verstorbenen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Thomas Oppermann

Liebe Frau Kirchhoff!

Liebe Familie von Thomas Oppermann!

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident!

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin!

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Lieber Herr Bundeskanzler!

Liebe Weggefährten!

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

 

Wenn wir vom Tod eines nahestehenden Menschen erfahren, fühlt es sich an, als würde die Zeit einfrieren. So erging es auch uns. Die Nachricht, dass Thomas Oppermann am Sonntagabend verstorben ist, war ein Schock. Mit ihm verlieren wir einen angesehenen Sozialdemokraten, einen leidenschaftlichen Abgeordneten und eine bedeutende politische Persönlichkeit.

Die vielen Reaktionen zeigen: Thomas Oppermann hatte eine Strahlkraft in ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen hinein. Er war ein Stratege, ein Gestalter, ein Energiebündel, ein feiner Kerl. Er wird uns fehlen.

30 Jahre lang war Thomas Oppermann Parlamentarier, niedersächsischer Landtagsabgeordneter und dann Wissenschaftsminister; seit 2005 Bundestagsabgeordneter, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, Fraktionsvorsitzender, Vizepräsident. Seinen Erfolg verdankte er nicht zuletzt seinen geschliffenen Formulierungen, einer professionellen Arbeitsweise und den analytischen Fähigkeiten des gelernten Juristen.

Oppermann war ein Generalist im besten Sinne, der zu fast allen politischen Themen fundiert sprechfähig war. Er beherrschte in der Tat die Abteilung „Klartext und Attacke“ genauso wie staatstragende Auftritte. Besonders eindrucksvoll war es, wie er das Amt des Ersten PGF neu definierte. Um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu zitieren: „Thomas Oppermann hat die Aufgaben des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers mit seiner Handschrift vorbildlich, ja beispielgebend geprägt.“

Es ist kein Geheimnis: Thomas Oppermann wäre gern Bundesminister geworden. Dieser unerfüllte Wunsch hielt ihn jedoch nicht davon ab, die Rolle des Abgeordneten mit Leib und Seele auszufüllen. Für ihn war der Bundestag eine selbstbewusste Institution mit einer ganz eigenen Bedeutung, und das sogenannte Struck‘sche Gesetz war für ihn in Stein gemeißelt: Kein Gesetzentwurf der Regierung verlässt dieses Haus so, wie er hineingekommen ist.

Er verstand es, unterschiedliche Meinungen zusammenzuführen und faire Kompromisse auszuhandeln. Der politische Einfluss war für ihn kein Selbstzweck. Sein Einsatz ergab sich vielmehr aus dem Gestaltungswillen, mehr Lebenschancen für mehr Menschen zu schaffen. Ein Leitmotiv war, dass sich soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Dynamik nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig bedingen und ergänzen.

Oppermann stritt für einen starken, vorsorgenden Sozialstaat, der die Menschen nach Möglichkeit nicht dauerhaft versorgt, sondern ihnen hilft, auf eigenen Füßen zu stehen. Zugleich hatte er immer ein offenes Ohr für die Wirtschaft. Schließlich sei die SPD auch von Handwerkern und kleinen Selbstständigen gegründet worden, sagte er. Und er machte Politik für die Leute, die hart arbeiten und sich an die Regeln halten. Als Sohn eines Molkereimeisters, der einen kleinen Betrieb führte, wusste er, wovon er sprach.

1976 ging Thomas Oppermann - Herr Bundestagspräsident, Sie haben es erwähnt - mit der Aktion Sühnezeichen für zwei Jahre in die USA. Wer die Gelegenheit hatte, darüber mit ihm zu sprechen, weiß, dass diese Arbeit einen tief gehenden Eindruck hinterlassen hatte. Er organisierte Proteste gegen Mieterhöhungen sowie Boykottaktionen der Landarbeitergewerkschaft, die sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehrte. Später schrieb er über diese Zeit: „Ich hatte gelernt, dass sich soziale Gerechtigkeit nicht von selbst einstellt, sondern immer das Ergebnis politischer Einmischung ist.“

Zurück in Deutschland, wechselte Oppermann das Fach und begann, Jura zu studieren. Er wollte sich auch bei uns in die Politik einbringen: für mehr Gerechtigkeit und die soziale Demokratie. Er engagierte sich in der Hochschulpolitik und bei der Mieterberatung, wurde Verwaltungsrichter und schließlich Abgeordneter.

Seine tiefe Verbundenheit zu den Vereinigten Staaten blieb bestehen. Thomas Oppermann war überzeugter Transatlantiker und reiste regelmäßig in die USA. Für ihn stand fest: Eine lebendige Demokratie braucht die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, aber auch ihr Vertrauen in die staatliche Handlungsfähigkeit. Um Freiheit und Demokratie zu erhalten, so Oppermann, sei es nötig, öffentliche wie soziale Sicherheit herzustellen und so das Vertrauen in den Staat und seine Schutzfunktion zu stärken. Das ist der Grund, weshalb Thomas Oppermann sich für das Thema „innere Sicherheit und Ordnung“ einsetzte und als Fraktionsvorsitzender mithalf, deutlich mehr Stellen bei der Bundespolizei zu schaffen. Den Entwurf eines modernen Einwanderungsgesetzes entwickelte er quasi im Alleingang.

Klare rechtsstaatliche Verfahren und Regeln: Dafür trat er auch als Vizepräsident ein. In einem Artikel über den ehemaligen Reichstagspräsidenten Paul Löbe formulierte er, im Parlament sei scharfe inhaltliche Kritik erlaubt, die Verachtung der parlamentarischen Arbeit dagegen nicht. Und weiter - Zitat -: „Deshalb war es beim Einzug der AfD in den Bundestag richtig, von Anfang an unmissverständlich auf die Einhaltung der Regeln zu pochen. Das heißt, jede Form der Obstruktion schon im Ansatz zu unterbinden, ohne die Chancen einer demokratisch gewählten Partei zu beeinträchtigen.“ - Wir sind es Thomas Oppermann schuldig, dass diese Sätze auch in Zukunft Gültigkeit besitzen.

Thomas Oppermann war ein großer Freund Israels. Ohne Wenn und Aber trat er für das Existenzrecht des Staates und die deutsch-israelische Aussöhnung ein. In einer Grundsatzrede sagte er: „Es gibt in der Beziehung zu Israel keine Normalität in dem Sinne, dass sie durch einen Schlussstrich unter die Vergangenheit begründet werden könnte. Die Vergangenheit hat Konsequenzen bis heute und auch in der Zukunft.

Thomas Oppermann hat sich um unser Land und unsere Demokratie verdient gemacht. Wer ihn näher kannte, weiß, dass Thomas Oppermann nicht nur ein herausragender Politiker war; er war auch ein vielseitiger und belesener Mensch, mit dem es nie langweilig wurde. Er diskutierte gern, er sprühte nur so vor Ideen und hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor. Er begeisterte sich für Kunst und Kultur. Und er liebte den Sport: Seine Wandergruppe war ihm wichtig, er spielte Fußball beim 1. FC Bundestag, und er war ein begeisterter Basketballfan.

Thomas Oppermann hatte vor zwei Monaten angekündigt, bei der nächsten Bundestagswahl nicht wieder zu kandidieren. Sein Plan war, in der ihm eigenen Art noch einmal etwas ganz Neues anzufangen. Dazu kommt es nun nicht mehr. Das schmerzt und stimmt uns unheimlich traurig. Klar ist aber auch: Wir werden ihn in sehr guter Erinnerung behalten. Was er angestoßen und aufgebaut hat, werden wir weiterführen. Er wird in unseren Herzen und Taten weiterleben.

Wir sind in unseren Gedanken bei seinen Angehörigen. Wir trauern mit ihnen und wünschen ihnen Kraft und Zuversicht. Gleichzeitig sind wir dankbar, dass wir einen Teil unseres Weges zusammen mit Thomas gehen durften, Seit’ an Seit’.

 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 28.10.2020