"Das Soziale muss in dieser Pandemie genauso im Mittelpunkt stehen wie die medizinischen Herausforderungen"
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte gerne mit zwei Momentaufnahmen aus meiner Heimatstadt beginnen. Dort setzt ein Fotograf Menschen ins Bild, die Positives in dieser Pandemie erlebt haben. Seit zwölf Monaten begleitet er diese Menschen mit der Haltung „Mut machen und Hoffnung geben“. Dort sagt zum Beispiel der Direktor der Kölner Feuerwehr: „Wie Menschen zusammen die Last der Krise stemmen wollen, das ist phänomenal.“ – Ich finde, wir müssen mit Respekt gegenüber vielen Menschen hier in Deutschland sagen: Recht haben die, die sagen: Wir wollen uns auch ganz persönlich gegen diese Pandemie stemmen. – Es ist beeindruckend, wie viele Menschen Außerordentliches geleistet haben. Auch auf sie kommt es in den nächsten Wochen an. Deswegen sage ich, meine Damen und Herren: Zuversicht geben ist neben dem Impfen die beste Medizin, und genau die hat unser Land verdient.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zum Zweiten. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut hat die Stadt Köln am Montag eine Untersuchung zum Infektionsgeschehen vorgelegt. Im vergangenen Jahr waren die Stadtteile auf der linksrheinischen Seite, die etwas besser situiert sind, stärker betroffen. Diejenigen, die das untersucht haben, sagen: Das waren die Ischgl-Heimkehrer. –
Heute ist die Pandemie in den ärmeren Stadtteilen im rechtsrheinischen Köln. Dort hat die Pandemie die sozialen Verwerfungen noch weiter vertieft. Deswegen sage ich: Die zweite Antwort auf diese Pandemie ist ein starker Sozialstaat. Wir können das in den nächsten Jahren stemmen. Gerade wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden das tun. Das Soziale muss in dieser Pandemie genauso im Mittelpunkt stehen wie die medizinischen Herausforderungen.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen danke ich auch dafür, dass das Bundeskabinett gestern die Dauer des erleichterten Zugangs zur Kurzarbeit um weitere drei Monate verlängert hat. Ich würde mich auch freuen, wenn das Betriebsrätestärkungsgesetz noch den Deutschen Bundestag erreicht.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja!)
Auf den ersten Blick hat es vielleicht nichts mit der Pandemie zu tun. Aber beim zweiten Blick wissen wir, dass genau die Unternehmen, in denen Mitbestimmung herrscht, sich dieser Pandemie am besten entgegenstemmen. Dort, wo die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut aufgehoben sind, unterstützen sie auch das Unternehmen. Da kann es auch gemeinsam gelingen, gegen die Pandemie zu arbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder Beschluss zur Eindämmung des Infektionsgeschehens ist nicht ohne Risiko und auch nicht ohne Widerspruch. Ich hoffe, es behauptet hier niemand, dass ein Einziger oder eine Einzige genau weiß, was das Richtige ist. Aber der Unterschied zu manch anderen Ländern der Welt ist doch: In einer Demokratie und insbesondere in einem Rechtsstaat muss man unterschiedliche Güter abwägen. Ja, das ist anstrengend, aber das ist genau das, was wir in diesem Jahr der Bekämpfung der Pandemie getan haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die einzige Aussicht auf die Beherrschung der Pandemie – das haben Sie gesagt, Frau Bundeskanzlerin – ist das Impfen. Ja, es gab zu viele Nachlässigkeiten in den letzten Monaten. Aber jetzt kommt es darauf an – da zähle ich auf das Wort, das Sie für das gesamte Kabinett gegeben haben –, dass alle Verantwortlichen in diesen Tagen dafür arbeiten, dass es in den nächsten Wochen reibungsloser läuft. Wenn es stimmt, dass das Testen eine Brücke sein kann – und das stimmt –, dann hätte ich mir – aber das kann ich nur persönlich sagen – mehr Mut von den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, aber auch von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, gewünscht, das Testen in den Unternehmen nicht erst ab 14. April per Verordnung zu verlangen; denn wenn es stimmt, dass Infektionen gerade auch in den Unternehmen so stark weitergegeben werden, hätte man dies auch schon jetzt verbindlich machen können.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
Aber ich sage auch mit aller Deutlichkeit und großem Respekt: Sie haben einen Fehler eingeräumt für andere, die die Verantwortung dafür mittragen. Ich finde das umso respektabler, weil einige das zwar ankündigen, aber sich nicht entschuldigen. Ich finde, das macht den Unterschied aus.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wir haben viel Häme und Besserwisserei in unserem Land erlebt, auch immer wieder hier in diesem Parlament. Manchmal überrascht mich, wer alles in diesem Saal zum Experten, zum Epidemiologen mutiert ist oder hier bestimmte Studien vorhält. Ich finde, das Entscheidende ist: Rechthaberei darf in diesem Hause nicht um sich greifen. Deswegen kann ich auch den Oppositionsparteien nur sagen: Ich wäre vorsichtig an Ihrer Stelle; denn wenn man vor vier Jahren vor der Verantwortung weggelaufen ist, sollte man viel bescheidener an dieser Stelle auftreten,
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wir lassen uns den Mund nicht verbieten! Dies ist das Haus der freien Rede!)
was man mit Rechthaberei eben nicht erreichen kann.
Gleichzeitig will ich auch daran erinnern, dass mindestens zwei Oppositionsparteien einen Ministerpräsidenten in die Ministerpräsidentenkonferenz entsenden. Ich gehe auch davon aus, dass sich zum Beispiel Ministerpräsident Laschet mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, der der FDP angehört, abstimmt.
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: In der Frage nicht!)
Von daher würde ich schon sagen: Wenn man immer wieder mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt dieser auch auf einen selbst zurück. Meine Damen und Herren, ein bisschen Zurückhaltung, ein bisschen mehr Respekt vor dem Handeln insbesondere auch derjenigen, die nicht nur im Bund, sondern auch im Land und in den Kommunen Verantwortung tragen, hätte ich mir auch von Ihnen gewünscht.
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Da klatschen nicht mal die eigenen Leute!)
Meine Damen und Herren, die Pandemie wird uns noch lange begleiten. Deswegen ist neben dem Impfen auch die finanzielle Verantwortung der Weg, wie sich dieses Land, dieser Staat, die Bundesrepublik Deutschland gegen die Pandemie stemmen kann. Deswegen bin ich dankbar, dass das Bundeskabinett gestern den Entwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2022 auf den Weg gebracht hat, einschließlich der mittelfristigen Finanzplanung. Ich sage auch an den Koalitionspartner: Das ist die Entscheidung des gesamten Kabinetts. Das ist die Entscheidung der Koalition und nicht allein die des Finanzministers. Ich finde, so müssen wir auch in den nächsten Wochen über diese großen finanziellen Lasten, die wir auf uns nehmen wollen, sprechen. Es ist eine Verantwortung des ganzen Landes. Wir müssen uns mit aller finanziellen Kraft der Pandemie entgegenstellen.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und liebe Frau Bundeskanzlerin: An Dogmen festzuhalten, bringt in dieser Krise nichts. Darum habe ich mich gefreut, als der Kanzleramtsminister – ich hatte gedacht, das sei mit Ihrem Einverständnis geschehen – Offenheit über die Schuldenbremse signalisiert hat. Dass gerade Ministerpräsident Laschet diesen Versuch, Dogmen zu überwinden, direkt wieder aufgehoben hat, hat mich dann doch überrascht. Wir sagen: In 20 Jahren wollen wir die Schulden getilgt haben. In dem Bundesland, das zusammen mit der FDP regiert wird, sollen es 50 Jahre sein. Es ist doch wohl ein großer Unterschied, wie man Verantwortung auf sich nimmt und wie man aus einer Oppositionsrolle auf der einen Seite und mit Regierungsverantwortung auf der anderen Seite handeln kann. Ich finde das nicht seriös. Deswegen danke ich dem Bundeskabinett sehr, dass es gestern so beschlossen hat.
(Beifall bei der SPD)
Ja, Frau Bundeskanzlerin, Europa ist unsere Lebensversicherung im Kampf gegen die Pandemie, aber insbesondere auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Erholung. Deswegen verspreche ich mir von ihren Gesprächen, dass dieser Zusammenhalt beim Impfen gestärkt wird, dass aber insbesondere auch über Fehler nachgedacht wird. Es ist in dieser Situation eine große Chance, glaube ich, dass Sie heute Abend mit dem amerikanischen Präsidenten darüber sprechen werden. Es ist etwas ganz Neues, dass zumindest in Washington Europa nicht mehr zwischen Alt und Neu eingeteilt wird, sondern dass Europa vonseiten der USA, vonseiten der US-Regierung eine Chance bekommt.
Zum Abschluss will ich sagen: Ja, Sie haben kritisiert, dass die Türkei aus der Istanbul-Konvention ausgetreten ist. Auch andere Länder wie zum Beispiel Polen oder Kroatien oder Ungarn wollen die Istanbul-Konvention möglicherweise verlassen. Ich finde, von diesem Rat muss das klare Zeichen ausgehen: Wir stehen zu dieser Istanbul-Konvention. Wir wollen uns dafür einsetzen. Wenn das ein Ergebnis neben der Bekämpfung der Pandemie und der wirtschaftlichen Erholung in Europa ist, dann wird das eine gute Konferenz.
Vielen Dank.