Regionale Sicherheitsarchitektur im Nahen und Mittleren Osten

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

herzlichen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr hier einige einleitende Bemerkungen machen zu dürfen.

Bevor ein Architekt ein Haus baut, wendet er sich an unterschiedliche Akteure: An das Bauamt, den Statiker, den Arbeitsschutz und vor allem die Nachbarn. Genauso gilt es bei der Bauzeichnung einer regionalen Sicherheitsarchitektur für den Nahen und Mittleren Osten zu beachten, dass indirekte und direkte Akteure hieran mitbauen müssen.

Nach Jahrzehnten weitgehender Stagnation ist der Nahe und Mittlere Osten heute eine Region im Wandel. Es ist unstrittig, dass der Nahe und Mittlere Osten mit ca. 65 Prozent der weltweiten Ölreserven und 45 Prozent der weltweiten Gasreserven eine Region von herausragender Bedeutung für die sicherheits- und energiepolitische Zukunft des Westens ist.

Wenn wir von einer Sicherheitsarchitektur für den Nahen und Mittleren Osten sprechen sind verschiedene Szenarien denkbar:

Ein Worst-Case-Szenario: Eine Region mit mehreren Atommächten: Israel, Iran, Saudi-Arabien, Türkei und Ägypten. Im Unterschied zum Kalten Krieg würde es sich dabei jedoch nicht um ein relativ stabiles ?Gleichgewicht des Schreckens? handeln, sondern um eine höchst gefährliche und instabile Lage, die jederzeit eskalieren könnte.

Demgegenüber das Best-Case-Szenario: Ein regionales Sicherheitssystem, eine atomwaffenfreie Zone Naher und Mittlerer Osten und eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten.

Dabei gilt grundsätzlich: Vorsicht vor Gleichnissen: Denn die Unterschiede sind offensichtlich:

-    Es handelt sich nicht um einen bipolaren, sondern multipolaren Konflikt.
-    Es gibt keinen territorialen Status quo, sondern viele ungeklärte Grenzfragen.
-    Es gibt zahlreiche machtpolitische Interessen.
-    Es ist gibt keine ausreichende regionale Zusammenarbeit.

Erwartungen, die sich an dem deutschen Wiederaufbau, am europäischen Integrationsprozess oder an der Transformation des ehemaligen Ostblocks nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion orientieren, werden mit Sicherheit enttäuscht werden. Nation- und Statebuilding im Broader Middle East umfasst Prozesse, für die nicht Jahre, sondern Jahrzehnte zu veranschlagen sind.

Kritische Punkte für eine regionale Sicherheitsarchitektur sind die Konkurrenz unterschiedlicher Regionalmächte (Iran, Israel, Ägypten, Türkei), ethnische und konfessionelle Unterschiede, eine Vielzahl externer Akteure sowie sehr unterschiedliche innergesellschaftliche Entwicklungen.

Perspektiven hängen entscheidend von der Entwicklung der ungelösten Konflikte ab: Diese Konflikte kann man nicht gleichzeitig und gemeinsam lösen. Aber alle müssen bearbeitet werden und hängen auch miteinander zusammen. Oder um im Bild zu bleiben: Der Broader Middle East ist weniger durch eine einheitliche Architektur als durch viele Baustellen gekennzeichnet. Bleiben diese Baustellen unvollendet bzw. diese Konflikte ungelöst, erhöhen sich für Europa - aber auch für die Vereinigten Staaten - die Gefahren für die eigene Sicherheit und Wohlstand.

Wir sollten deshalb alles daran setzen, das worst-case-Szenario zu verhindern. Hier wird es maßgeblich auf den Ausgang der iranischen Atomkrise ankommen.

Es geht darum einen umfassenden Nahostfriedensprozess in Gang zu bringen.  Die Wiederbelebung des Nahostquartetts stimmt hier hoffnungsvoll. Entscheidend ist, dass Russland, die USA, die Vereinten Nationen und die EU eine gemeinsame Strategie verfolgen und sich nicht auseinander dividieren lassen. Dies gilt sowohl für den Iran wie für den Broader Middle East insgesamt. Partnerschaft ist also nicht nur im Verhältnis des Westens zum Nahen und Mittleren Osten gefordert, sondern auch im Umgang der transatlantischen Partner untereinander.

Es wäre sinnvoll, die bislang meist nebeneinander laufenden Initiativen wie die Mittelmeerinitiative der WEU, den Mittelmeedialog der OSZE, den Barcelonaprozess der EU und den NATO-Mittelmeerdialog zu bündeln und zu harmonisieren.
 
Die wichtigsten Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen und die USA und die Europäische Union im Besonderen sind:

-    Der Konflikt zwischen Israel und Palästina.
-    Der Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten.
-    Der Bürgerkrieg im Irak.
-    Der Konflikt um das iranische Nuklearprogramm.
-    Die Zukunft des Libanon.
-    Der Umgang mit dem politischen Islam.
-    Der Stellenwert von Partizipation, Rechtssicherheit und Demokratisierung.

Dabei ist es m.E. wenig sinnvoll einzelne Staaten zu ächten. Ich nenne hier ausdrücklich Syrien. Bereits Henry Kissinger wird das Bonmot zugeschrieben, dass es im Nahen Osten ohne Ägypten keinen Krieg, ohne Syrien keinen Frieden geben könne. 

Die EU kann mit Sicherheit keine Alternative zum amerikanischen Sicherheitsschirm in der Region anbieten oder die Konflikte gar alleine lösen. Sie kann jedoch durch ihre guten Beziehungen zu allen relevanten Akteuren eine ergänzende Rolle spielen.

Der Ausgangspunkt für die Demokratisierung der Region muss ohne einfache Schablonen überdacht werden:
Der indirekte und stufenweise Ansatz der Europäer im Rahmen des Barcelona-Prozesses ist weitgehend ohne greifbare Ergebnisse geblieben.
Doch auch die unverblümte Rhetorik der von den USA geführten Broader Middle East-Initiative und der Versuch der Demokratisierung des Irak durch eine militärische Invasion hat nicht funktioniert.

Ein sinnvoller Ansatz müsste die Attraktivität des europäischen Engagements mit der amerikanischen Durchsetzungsfähigkeit mit Blick auf politische Reformen verbinden. Das erste Ziel sollte der Aufbau von Vertrauen sein. Das gelingt nur durch Dialog. Hierbei müssen alle Probleme angesprochen werden. Vor allem müssen Ängste und Bedrohungen angesprochen werden. Die Fundamente regionaler Gemeinschaften und Institutionen sind Vertrauensbildung und Empathie.

Dann kann der Bau einer regionalen Sicherheitsarchitektur gelingen.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Impulsreferat zum Vorbereitungstreffen der Globalen Atlantiker in Washington D.C., 19.04.2007
Thema: 
Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer regionalen Sicherheitsarchitektur in Broader Middle East