"Das Regime in Syrien international isolieren"
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie in vergleichbaren Fällen gibt es auch im Falle Syriens keine einfachen Antworten. Das gilt für die Vergangenheit und wird gerade in dieser Region wahrscheinlich leider auch für die Zukunft gelten. Jedes Land und jede Situation ist anders. Deshalb muss auch jede Reaktion von der internationalen Staatengemeinschaft wohlüberlegt und unter Umständen auch anders sein. Aber in jedem Fall muss die Gewalt vonseiten des Assad-Regimes beendet werden.
(Beifall im ganzen Hause)
Das steht für alle Fraktionen im Vordergrund der Forderungen gegenüber dem syrischen Regime. Ich bekenne mich persönlich: Wir sind parteiisch und nicht frei von Sympathien und Hoffnungen für die Demonstranten, die für Demokratie und Gerechtigkeit eintreten.
Aber ich fühle auch Scham und Hilflosigkeit, weil wir nicht in dem Maße reagieren können, wie es notwendig wäre, weil - das haben die Vorredner schon angeführt - die Rahmenbedingungen dafür nicht gegeben sind, weil es in dem Gremium, das nach dem Zweiten Weltkrieg für Frieden und Kooperation geschaffen worden ist, für weitergehende Handlungen keine Einigkeit gibt. Es ist nicht leicht, dass man nicht mehr tun kann. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu.
Syrien ist ein ethnisch und religiös gespaltener Staat, der von seiner Geschichte geformt ist. Aber ich will vor einer leichtfertigen Reaktion, wie man sie oft in der Berichterstattung sieht, warnen. Viele Menschen in Syrien - Kurden, Christen, Drusen und andere - wollen genauso Freiheit und Gerechtigkeit gegenüber dem Regime und unterstützen nicht vordergründig Assad. Sie haben ihre eigene Biografie mitgebracht. Ich denke, diesen Unterschied sollten wir beachten. Wir sollten nicht dem fatalen Irrtum anheimfallen, anzunehmen, dass ethnische oder religiöse Auseinandersetzungen immer machtpolitisch missbraucht werden. Wir haben in der eigenen europäischen Geschichte gesehen, wie ethnische und religiöse Konflikte - wie im ehemaligen Jugoslawien - für Machtpolitik missbraucht worden sind. Dieser
einfachen Logik dürfen wir in Syrien nicht folgen.
Deshalb habe ich allen Respekt vor jenen, die in Syrien gegen dieses Regime demonstrieren, egal welcher Ethnie oder Religion sie angehören.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Genauso differenziert müssen wir die Rolle der Arabischen Liga betrachten. Sie hat sich mit den Umbrüchen in der arabischen Welt verändert. Sie ist differenzierter und angemessener geworden. Sie handelt vielleicht noch nicht mutig genug; aber ich denke schon, dass wir die Arabische Liga und die Verantwortlichen heute stärker darin unterstützen sollten, das Regime in Syrien an den Pranger zu stellen. Die Suspendierung war richtig. Aber im Grunde muss sie nach dem morgen vorliegenden Bericht der Beobachtermission tätig werden und über die geschlossenen Kompromisse hinausgehen. Kollegin Müller hat es angesprochen: Der Leiter der Beobachtermission ist ein suspekter Akteur. Er wurde vom Assad-Regime in dieser Rolle gewünscht, und die Arabische Liga ist dem gefolgt. Das kann man nicht akzeptieren.
Ich finde, morgen sollte die Arabische Liga sehr deutlich machen, dass sie dies nicht mehr goutiert, dass sie in eine andere Richtung geht und gegenüber dem syrischen Regime viel deutlicher aktiv wird als in der Vergangenheit. Ansätze dafür sind vorhanden. Es waren mutige Beobachter in der Mission, die gesagt haben: Ich kann mein Amt nicht mehr ausführen. Ich habe so viel Gewalt und so viele Schandtaten erlebt, dass ich mich zurückziehe. - Es hat mutige Vertreter in der Beobachtermission gegeben, die sich den Machenschaften dieses Regimes ausgeliefert fühlten und von ihrem Amt zurückgetreten sind.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein weiterer Aspekt, der meines Erachtens für ein differenziertes Bild mit berücksichtigt werden muss, ist die Rolle des Westens gegenüber Syrien. Diese ist ebenso wie die Rolle des Westens gegenüber Russland - ich werde gleich noch kurz darauf eingehen - von den Erfahrungen geprägt, die Syrien machte, als es in der Vergangenheit zu Verwerfungen in den Nachbarländern gekommen ist. So hat Syrien zum Beispiel eine Menge Flüchtlinge aus dem Irak - wir kennen die Situation dort - und aus dem Libanon aufnehmen müssen. Die Syrer haben diese Bürgerkriege vor Augen und auch die sehr schwierigen Situationen, die damit in der Vergangenheit verbunden waren. Wenn es all diese Ereignisse in der unmittelbaren Nachbarschaft von Syrien in der Vergangenheit nicht gegeben hätte, wären heute möglicherweise noch mehr Syrer bereit, gegen ihr Regime auf die Straße zu gehen und zu kämpfen. Doch jetzt haben sie auch immer diese Bilder aus der Vergangenheit vor Augen.
Wenn wir, völlig zu Recht, Vorwürfe gegen andere Akteure im Sicherheitsrat erheben, müssen wir uns natürlich auch immer wieder die geschichtliche Verantwortung des Westens in der Vergangenheit in Erinnerung
rufen.
Dennoch: Die syrische Opposition bekommt von uns alle Sympathien und alle Unterstützung. Das sollte nicht nur verbal geschehen, sondern auch im Rahmen des zurzeit Möglichen. Damit komme ich zur Rolle der Türkei. Ich finde es beeindruckend, dass insbesondere Ministerpräsident Erdoğan seine Haltung gegenüber Syrien in einem wahrscheinlich schwierigen Umdenkprozess geändert hat und dass heute die Türkei eine andere Rolle einnimmt als in den vergangenen Wochen. Das hat auch der Opposition genützt. So konnten sich syrische Oppositionelle in der Türkei treffen. Vertreter des Deutschen Bundestages hatten Gelegenheit, dabei in der Türkei mit ihnen zu reden. Dass die Opposition auch von weiteren Nachbarländern so unterstützt wird, geht letztlich auf das Konto der Türkei. Deswegen sollte die Bundesregierung die Türkei bei ihrer Haltung jedwede Unterstützung zusagen, nicht nur bezüglich der Flüchtlinge, sondern insbesondere auch politisch.
Ich bedaure, dass die dritte Rede von Präsident Assad nicht den geringsten Anlass zur Hoffnung gegeben hat. Er hat weder signalisiert, dass er bereit wäre, auf Gewalt zu verzichten, noch gab es irgendein Anzeichen dafür, dass er der Opposition Angebote machen wird. Das ist nicht erträglich. Das müssen wir insbesondere auch Russland sagen. Russland muss klargemacht werden, dass es, wenn es schon meint, eine Schutzfunktion übernehmen zu müssen, auch auf eine Änderung des Verhaltens von Präsident Assad hinwirken muss.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES90/DIE GRÜNEN)
Diese Verantwortung hat Russland; sonst macht es sich auf internationaler politischer Bühne schuldig. Gezielte Sanktionen vonseiten der Europäischen Union oder auch von einzelnen Ländern sind richtig, wie das Einfrieren von Konten oder die gezielte Außerkraftsetzung einzelner Handlungsoptionen der Akteure des syrischen Regimes. Weiterhin aktuell ist für Deutschland aber auch - wir hatten ja im letzten Jahr fast zur selben Zeit einen entsprechenden Antrag gestellt - die Kündigung des Rückübernahmeabkommens, die Aussetzung von Abschiebungen. Wir sollten das nicht auf verschlungenen Pfaden umsetzen, sondern ein ganz deutliches Zeichen setzen, indem wir dieses Rückübernahmeabkommen kündigen und keine Abschiebungen mehr vornehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zum Schluss möchte ich der Bundesregierung noch eine Überlegung mit auf den Weg geben: Frau Staatsministerin, ich möchte Sie wirklich bitten, noch einmal zu überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, alle europäischen Botschafter, zumindest zu Konsultationen, zurückzuziehen. Ich glaube, damit würden wir der Opposition ein deutliches Signal geben. Das Argument, das bisher dagegen gesprochen hat, nämlich dass man sich so der einzigen Möglichkeit berauben würde, um mit der Opposition in Kontakt zu treten, trägt heute nicht mehr. Dieses Vorgehen wäre zumindest erwägenswert.
Vielen Dank.