Rede zum Jahresabrüstungsbericht 2003

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Rüstungskontrolle findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie ist eingebunden in die internationale Politik. Und diese organisiert sich  - seit dem Fall der Berliner Mauer vor fünfzehn Jahren - neu. Nicht mehr der Ost-West-Konflikt prägt das internationale System. Es ist vielmehr eine neue Struktur im Entstehen.

Verkürzt heißt das für die internationale Sicherheitspolitik: Die USA bleiben bis auf weiteres die unbestrittene Weltmacht. Das Land zwischen zwei Ozeanen kann in der Regel alleine Entscheidungen treffen. Die Folgen aber haben wir alle zu tragen. Weiterhin prägt der Zerfall von Staaten das weltweite Konfliktgeschehen und zahlreiche Regionalkonflikte sind bis heute ungelöst. Oft werden sie von ethnischen oder religiösen Gegensätzen überhöht. Auch die Ausgaben für Rüstungen und Streitkräfte steigen wieder. Eine Friedensdividende wurde nirgendwo eingefahren. Und vor allem: Der internationale Terrorismus bedroht die Menschheit. Er bringt grenzenlose Gewalt und begünstigt die Gewaltbereitschaft.

In diesem Umfeld bewegen sich Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nur selten ist hiervon die Rede. Ja man kann geradezu sagen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden sind.  Ich bin deshalb froh, dass wir heute über den Bericht der Bundesregierung und über den Antrag der Koalitionsfraktionen sprechen können.

Der Jahresabrüstungsbericht 2003 gibt erneut einen guten Überblick über die Herausforderungen und die möglichen Handlungsfelder. Unser Antrag konkretisiert und erweitert die Instrumente und die Anforderungen an eine umfassende Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. Wir begrüßen, dass sich die FDP-Fraktion unserem Antrag angeschlossen hat. Und ich danke auch ausdrücklich den Kollegen von der CDU und CSU für ihre Bemühungen zugunsten einer Beteiligung ihrer Fraktion. Leider hatten Sie zum Schluss keine ausreichende Unterstützung in Ihren Reihen. Dennoch: wir hatten gute und intensive Beratungen. Darauf lässt sich aufbauen.

Obwohl die Rüstungskontrolle vor allem während des Ost-West-Konflikts ihre Wirkung entfalten konnte, bleibt sie auch heute und in Zukunft ein geeignetes Mittel, um Vertrauen, Kooperation und Sicherheit zu schaffen.

Wir Sozialdemokraten wollen die rüstungskontrollpolitischen Instrumente stärken und ausbauen. Wir brauchen Rüstungskontrolle

  • um der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu begegnen,
  • um eine überprüfbare Rüstungsbegrenzung zwischen den Atommächten zu erreichen,
  • um neue Rüstungsschübe zu verhindern,
  • um technische Fortschritte zu kontrollieren und
  • um regionale Konflikte und Bürgerkriege zu befrieden.

Dabei wissen wir: Ohne die USA wird es bei der Rüstungskontrolle keine Fortschritte geben. Leider haben die Verantwortlichen in Washington derzeit offenbar das Interesse an solchen Regelwerken weitgehend verloren. Die Vereinigten Staaten haben sich aus wichtigen Verträgen zurückgezogen.

Mehr noch: zwischen Europa und den USA gibt es unterschiedliche Abrüstungsstrategien. Die USA sind sogar bereit Abrüstungskriege zu führen. Hierbei wird selbst der Einsatz von Nuklearwaffen nicht ausgeschlossen. Europa setzt dagegen in erster Linie auf Diplomatie und Kooperation. Nur als letzte Möglichkeit sind wir bereit auch  Zwangsmittel einzusetzen. Voraussetzung dafür bleibt jedoch ein entsprechendes Mandat der Vereinten Nationen.

Beide, die USA und Europa, können meiner Überzeugung nach auch über die Rüstungskontrolle wieder zueinander finden. Wir müssen dabei Grundsätze erörtern und in Erwägung ziehen, die die Bezeichnung robust verdienen. Denn wir wissen, dass ohne Verifikation und strenge Regeln Rüstungsbegrenzung nicht funktionieren kann. Die USA hingegen müssen endlich ihre Abneigung gegenüber völkerrechtlichen Verpflichtungen und Verträgen aufgeben. Internationale Politik muss wieder verlässlich und berechenbar werden.

Deshalb gehört Rüstungskontrolle ganz oben auf die transatlantische Tagesordnung. Die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in wenigen Monaten ist sowohl eine Bewährungsprobe als auch eine Chance für ein gemeinsames Vorgehen. Denn Rüstungskontrolle kann nur dann gelingen, wenn Europäer und Amerikaner eng zusammenarbeiten.

Die Herausforderungen, denen sich die Staatenwelt gegenübersieht sind offenkundig: Regionalkonflikte bekommen in wachsendem Maße eine nukleare Komponente. Nordkorea zündelt und auch der Iran begibt sich auf einen gefährlichen Weg. Wir müssen beide Länder aufhalten: mit friedlichen Mitteln und ernst gemeinten Angeboten, notfalls aber auch mit Sanktionen und durch glaubwürdige Abschreckung.

Anfang des Jahres hat Pjöngjang offiziell erklärt, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten. Mit dem Ausstieg sieht sich Nordkorea von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) befreit. Der totalitäre Staat bekennt sich damit offen zu seinem Nuklearprogramm und droht sogar mit Krieg.  Es ist gut, dass wegen der Lage auf der koreanischen Halbinsel sechs Regierungen an einem Tisch sitzen. Dies darf nicht beendet werden.  Der Druck auf Nordkorea muss auf recht erhalten werden. Wir begrüßen, dass die VR China hierbei eine aktive Rolle übernommen hat. Multilaterales Handeln ist für Asien insgesamt ein Gewinn. Das die VR China hieran mitwirkt ist gut.

Mit Blick auf den Iran tut die Bundesregierung das allein Richtige: Dialog und Kooperation, multilaterales Vorgehen, Auflagen und Angebote bleiben eine angemessene Strategie, um Teheran zur Beendigung seines Programms zur Urananreicherung zu veranlassen. Wir wissen aber auch: solange der Iran die Kontrolle seiner Anlagen erlaubt, bewegt sich das Land innerhalb des Atomwaffensperrvertrags, der die friedliche Nutzung der Kernenergie ausdrücklich vorsieht.

Aber der Verdacht, dass der Iran angereichertes Uran für den Bau von Atombomben nutzen will, besteht weiter. So gibt es immer noch offene Fragen: Warum sind die nuklearen Aktivitäten so dimensioniert? Warum hat der Iran einzelne Entwicklungen verschleiert?  Warum braucht das Land Mittelstreckenraketen? Der Iran muss mit der Internationalen Atomenergiebehörde uneingeschränkt kooperieren und bis zur nächsten Sitzung des Gouverneursrats am 25. November alle Unklarheiten beseitigen.

Zur Vertrauensbildung gehört dann aber auch ein Handels- und Kooperationsabkommen und ein bedrohungsfreies Umfeld. Die Sicherheitsinteressen des Iran müssen ernst genommen werden. Darüber hinaus braucht die gesamte Region vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen. Wir brauchen auch und gerade dort Rüstungsbegrenzungen. Die Beteiligung an neuen Aufrüstungen ist deshalb das falsche Signal. Abrüstung und Rüstungskontrolle können trotz aller vorhandenen Schwierigkeiten auch im Nahen und Mittleren Osten dazu beitragen, Konflikte zu begrenzen.

Entgegen der allgemeinen Ansicht kann Rüstungskontrolle durchaus auch einen Beitrag bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus leisten. Terroristen bemühen sich um Massenvernichtungswaffen. Derartige Anstrengungen zu unterbinden, ist auch eine Aufgabe der Rüstungskontrolle. Zwar binden Verträge nur Staaten, aber sie sorgen doch für die Sicherheit sensibler Materialien und Technologien. Zusammen mit internationalen Agenturen können staatliche Instanzen den Zugang zu derartigen Mitteln verhindern oder erschweren. Die derzeit bestehenden Verträge müssen deshalb gestärkt und ergänzt werden und weitere Bemühungen in völkerrechtliche Regeln übertragen werden. Wir brauchen abgestimmte und nachvollziehbare Regime, um dem internationalen Terrorismus Rüstungsmittel vorzuenthalten.

Vertragliche Rüstungsbegrenzung kann weiterhin einen Beitrag zur Friedenskonsolidierung leisten. Im Abkommen von Dayton oder bei der Entwaffnung der Konfliktparteien in El Salvador waren Regelungen zur Abrüstung ein wichtiger Beitrag zum Spannungsabbau. Auch für andere Bürgerkriegsgebiete müssen derartige Rüstungsbegrenzungen entwickelt und umgesetzt werden.

Europa ist auf dem Weg zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dies ist ein weiterer Schritt zur Integration. Was aber bedeutet das für die regionale Rüstungskontrolle? Im Entwurf für eine europäische Verfassung wurden eine Rüstungsagentur und eine automatische Überprüfung nationaler Rüstungsanstrengungen verankert. Diese dürfen aber nicht zu neuen Rüstungsschüben in Europa führen. Im Gegenteil: wenn wir den europäischen Weg konsequent fortsetzen und multinationale Streitkräfte wollen, muss im Verlauf auch ein Abrüstungsprozess beginnen. Nicht alle Staaten brauchen alle Teilstreitkräfte. Weitere Abrüstungen in Europa sind möglich und wünschenswert.

Zuvor muss allerdings endlich der angepasste KSE-Vertrag in Kraft treten. Russland muss seine Verpflichtungen erfüllen. Aber auch die NATO muss eine verbindliche Erklärung zu den Stationierungsabsichten im baltischen Raum abgeben. Die Bundesregierung sollte überlegen, ob trotz dieser Blockierung nicht bereits jetzt eine Ratifikation des Vertrags im Bundestag möglich wäre: als Zeichen an alle Beteiligten ihre Haltung zu überdenken. Wir brauchen den Vertrag als Garant konventioneller Stabilität und als Eckpfeiler europäischer Sicherheit.

Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung bleiben notwendig. Kooperative Sicherheitspolitik, Transparenz und Verlässlichkeit sind heute genauso wichtig wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Ich danke deshalb der Bundesregierung für ihre Bemühungen auf diesem Gebiet. Auch in den kommenden Monaten werden kluge und entschlossene Schritte hierfür notwendig sein. Wir werden Sie dabei unterstützen und aufmerksam begleiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 21.10.2004
Thema: 
Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung