Rede auf dem "II. Shanghai Workshop on Global Governance", 22.06.2004 über "Möglichkeiten regionaler und interregionaler Konfliktprävention in Bezug auf Nordkorea und Afghanistan"
Thesenpapier zu Nordkorea:
- Die Sechsergespräche (mit Nordkorea, USA, China, Russland, Japan und Südkorea) sind als Etappenerfolg der amerikanischen Diplomatie zu werten, welche versucht hat, alle betroffenen Länder der Region einzubinden.
- Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit dem unberechenbaren Verhandlungspartner Nordkorea bilden diese Gespräche im günstigsten Fall den Auftakt zu einem zähen und langwierigen Verhandlungsprozess, dessen Erfolg vor allem von einer Annäherung zwischen den USA und Nordkorea abhängt.
- Es macht Hoffnung, dass Nordkorea mittlerweile seine unrealistische Position einer bilateralen Verhandlung -auf Augenhöhe- mit den USA aufgegeben hat und die Sechsergespräche als multilateralen Verhandlungsrahmen akzeptiert.
- Es ist nach wie vor unklar, ob Nordkorea bereits über Atomsprengköpfe verfügt: Zweifelsohne verfügt es über waffenfähiges Plutonium.
- Die nordkoreanische Verhandlungsstrategie sieht vor, für den Verzicht auf das Nuklearpotenzial im Gegenzug Sicherheitsgarantien zu fordern, wirtschaftliche und finanzielle Hilfen, und darüber hinaus die Unterzeichnung eines Nichtangriffspaktes und diplomatische Anerkennung durch die USA.
- Die USA sind hingegen zu jeglichen Zugeständnissen erst dann bereit, wenn Nordkorea sein Atomprogramm in vollständiger, verifizierbarer und irreversibler Form beendet. Einen Nichtangriffspakt lehnen die USA bisher ab.
- An der Eskalation der Krise trägt die Bush-Regierung mit Schuld, da sie Nordkorea seit 2002 zur "Achse des Bösen" zählt, gegen welche auch nukleare Präventivschläge erwogen werden. Dadurch fühlt sich Pjöngjang bedroht - nicht ganz zu unrecht. Erschwerend kommt hinzu, dass die jüngste Geschichte der koreanischen Halbinsel von Anfang an mit der nuklearen Option belastet gewesen ist.
- Die Nordkorea-Politik der USA ist nach wie vor unentschieden zwischen einer friedlichen Annäherung durch Verhandlungen und einem "Regimewechsel" nach irakischem Muster. In Peking hat sich die Bush-Regierung für eine friedliche Lösung ausgesprochen; gleichwohl glaubt sie nach wie vor an die Wirksamkeit einer ständigen militärischen Drohkulisse.
- Chinas Kooperation bei der Energie- und Getreideversorgung ist für Nordkorea überlebenswichtig. Was Südkorea angeht, kann man das von ausgehen, dass Seoul mit der Position Russlands und Chinas sympathisiert. Zudem agiert Südkorea in den letzten Jahren ganz offensichtlich unabhängiger von den USA.
- Der Ausgang der nordkoreanischen Krise ist entscheidend: Eskaliert sie, könnte das zu einem Militärschlag gegen Nordkorea führen, zu Instabilität in der Region, zu Atomwaffen für die japanischen Streitkräfte und damit zum endgültigen Scheitern des Atomwaffensperrvertrages. Für eine friedliche Lösung sind die Sechsergespräche eine einzigartige Chance.
- Es ist auch im deutschen und europäischen Interesse, eine solche Entwicklung zu verhindern. Die Bundesregierung und die Europäische Kommission sollten deshalb die multilateralen Gespräche konstruktiv begleiten und an einer vertraglichen Denuklearisierung der Region mitwirken.
Thesenpapier zu Afghanistan:
- Afghanistan hat kein prägendes Staatsvolk. Auf seiner Fläche lebt eine Zusammensetzung verschiedensprachiger und konkurrierender Völker und Stämme, deren Siedlungsgebiet vielfach durch die heutige (nachkoloniale) Grenzziehung zerschnitten wurde.
- Die Menschenrechtslage in Afghanistan gibt weiterhin Anlass zu Sorge. Es herrscht nach wie vor ein eklatanter Mangel an Sicherheits- und Polizeikräften. Hinzu kommt die Schwäche des Justizsystems und die nicht vorhandene Rechtsstaatlichkeit
- Es gibt weiterhin Widerstandsnester von Kräften der al-Qaida und Taliban. Kampfhandlungen zwischen der Koalition und bewaffneten Gruppen haben den Zugang humanitärer Organisationen in bestimmte Gebiete behindert. Der Aufbau von Provincial Reconstruction Teams zur Stärkung der Autorität der Zentralregierung in den Provinzen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Umsetzung verläuft bislang aber mehr als schleppend. Einige NATO-Staaten haben zudem ihre Zusagen bis heute nicht eingehalten.
- Wiederholt kommt es zu Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Kommandeuren, die um politische Macht und Ressourcen streiten. Die Kommandeure sind mit den wichtigsten Parteien verbunden. Die rivalisierenden Parteien im Norden widerspiegeln die ethnischen Gruppen der Hazara, Tadschiken, Usbeken. Im Süden stehen die Anhänger von dem Vizepräsidenten Mohammad Karim Khalili und die von Mohammad Akbari in Konkurrenz zueinander.
- Afghanistan ist weltweit das Land mit den meisten Minen und nicht detonierter Munition auf einer Fläche von 732 Quadratkilometern. Etwa 100 Quadratkilometer frühere Frontabschnitte sind vermint und etwa 500 Quadratkilometer Kampfgebiete durch Blindgänger nicht zugänglich. Weitere Gebiete mit nicht detonierter Munition der Koalition sind hinzugekommen.
- Seit der Vertreibung der Taliban haben die Tadschiken aus dem Panjshir-Tal ein politisches Übergewicht in der Zentralregierung. Ihre Truppen hatten Kabul erobert und damit vollendete Tatsachen geschaffen. Sie waren die führende Kraft in der Nord-Allianz, dem militärischen Verbündeten der USA im Kampf gegen al-Kaida und die Taliban. Dafür wurden sie auch belohnt. Die Paschtunen, die in Afghanistan die Mehrheit bilden, fühlen sich an den Rand gedrängt. Das Land bleibt politisch zersplittert. Die Autorität von Präsident Karzai und seiner Regierung reicht auch heute noch kaum über Kabul hinaus. In vielen Regionen herrschen die früheren Kriegsfürsten, die von einer Machtteilung im Rahmen des Staates nichts wissen wollen.
- Der Aufbau staatlicher Strukturen erweist sich in einer fragmentarisierten, von feudalen Traditionen geprägten Stammesgesellschaft als überaus schwierig. Es fehlt an den Voraussetzungen und an demokratischen Traditionen. Die Loyalität vieler Afghanen vor allem auf dem Lande gilt dem Clan, dem Stamm oder der Volksgruppe, nicht den staatlichen Institutionen.
- Auf Misstrauen stoßen auch in Afghanistan jene, die nach langem Exil im Westen nach dem Fall der Taliban zurückgekehrt sind. Der Graben, der die meist im Westen ausgebildeten Erneuerer mit ihren Vorstellungen von einem modernen und demokratischen Staat von den traditionellen und teilweise auch islamistischen Kräften trennt, ist sehr tief. Noch mehr als in Bosnien und Kosovo zeigt sich in Afghanistan, dass der politische Wiederaufbau ein Langzeitprojekt mit einem ungewissen Ausgang ist, das nicht Jahre, sondern wohl Jahrzehnte in Anspruch nimmt.
- Mit geschätzten rund 80.000 Hektar Anbaufläche ist Afghanistan der größte Opiumproduzent der Welt. Die Uno schätzt die Opiumernte für 2003 auf 3600 Tonnen. Für 2004 befürchtet die Weltorganisation einen neuen Negativrekord mit 4000 Tonnen. In einem dringenden Appell an die Berliner Konferenz forderte die Uno daher bilaterale und multilaterale Anti-Drogen-Programme. Nach Uno-Angaben stammte im letzten Jahr drei Viertel des weltweit hergestellten Opiums (und Heroin) aus Afghanistan. Produzenten und Händler erzeugen laut Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) mehr als die Hälfte des afghanischen Bruttoinlandproduktes. Trotz des offiziellen Verbots aus Kabul wird eine Eskalation der Opium-Produktion - eine der wichtigsten Finanzierungsquellen des Terrorismus - prognostiziert.
- Mehr als drei Jahre nach dem Ende des radikalislamischen Taliban-Regimes in Afghanistan befindet sich das kriegsversehrte Land trotz Milliardenhilfe der internationalen Gemeinschaft weiterhin in einer instabilen Lage. Die für Juni geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wurden von Präsident Karzai auf den Monat September verschoben. Grund ist die Tatsache, dass sich bisher nur rund 1,5 Millionen der etwa 10 Millionen Stimmberechtigten in die Wählerlisten eingetragen haben.
- Die kommenden Wahlen in Afghanistan - die einen wichtigen politischen Meilenstein beim Wiederaufbau darstellen sollen - dürften zu den teuersten werden, die je von der internationalen Gemeinschaft finanziert worden sind. Die Vereinten Nationen schätzen die Kosten auf mehr als 225 Millionen Dollar. Für den gesamten Wiederaufbau in Afghanistan werden nach Ansicht von Experten in den kommenden sieben Jahren 27,5 Milliarden Dollar benötigt. Das militärische Engagement der internationalen Gemeinschaft schlägt derzeit jedes Jahr mit etwa zwölf Milliarden Dollar zu Buch.
- Vieles wird von den Wahlen abhängen. Der Westen ist in Afghanistan ebenso wie im Irak zum Erfolg verdammt. Weitere rechtsfreie Räume und Rückzugsgebiete für Terroristen kann er sich nicht leisten.
Veröffentlicht:
Vortrag auf dem II. Shanghai Workshop on Global Governance, 22.06.2004
Thema:
Thesenpapier zu Nordkorea und Afghanistan