Rede anlässlich der Regierungserklärung zur Haushaltslage

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt nichts drum herumzureden: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein deutlicher Rückschlag und auch für mich eine Ernüchterung. Und wenn ich das sage, dann meine ich damit: Das Ganze hat auch eine Kehrseite. Ich habe es ja vielleicht noch am ersten Tag verstanden, dass Freude oder Häme überwogen hat bei denjenigen, die Kläger waren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Gerücht!)

Aber die Frage, die sich doch dann direkt an dieses Urteil angeschlossen hat, war: Werden wir den Herausforderungen und Notwendigkeiten für die Zukunft mit dieser Häme und mit dieser Freude überhaupt gerecht? Ich will sagen, Herr Kollege Merz: Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben das früher erkannt und Sie bis heute offensichtlich nicht. Ich bedaure das.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wo ist da Häme?)

Der Spruch hat Folgen – für alle:

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Genau! Richtigerweise!)

für den Bund, für die Länder und damit indirekt auch für die Kommunen. Und er hat für die Zukunft dieses Landes mit Sicherheit seine Folgen. Wir verkennen die Probleme nicht. Aber ich finde, auf der anderen Seite gehört mit dazu, als demokratisches Parlament zu sagen: Die Demokratie – die parlamentarische Demokratie – wird es schaffen, aus diesen Problemen die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen – das ist etwas, was wir auch den Bürgerinnen und Bürgern schulden – und insbesondere klarzustellen: Das ist kein Staatsbankrott, das ist kein Haushaltsnotstand.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ach so! Kein Haushaltsnotstand!)

Bei uns werden keine Behörden geschlossen, bei uns werden die Gehälter weiter ausgezahlt. Wir sollten uns nicht mit den bösen Zeitgeistern, mit den sprunghaften Zeitgeistern einen Konkurrenzkampf liefern; die Zeiten sind schlimm genug. Und deswegen will ich durchaus sagen: Der Populismus an dieser Stelle geht fehl, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Was heute von Bedeutung ist, liebe Kolleginnen und Kollegen – nicht mehr, aber auch nicht weniger; meine Fraktion hat das gestern deutlich gemacht –, ist, dass das Kabinett gestern beschlossen hat, dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Nachtragshaushalts vorzulegen und gleichzeitig die Ausnahmeregel, die das Grundgesetz bereithält, erneut zu aktivieren. Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Wenn die Zeiten keine normalen Zeiten sind – der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, welchen Herausforderungen dieses Land, welchen Herausforderungen Europa und die Welt gegenüberstehen –, wenn es keine normalen Zeiten gibt, dann kann es auch keinen normalen Haushalt geben, so wie man sich das damals, 2009, vorgestellt hat. Ich finde schon, dass wir politisch reagieren müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt viele Gründe für das Fortbestehen einer Beschreibung dieser Zeiten als nicht normal. Hier ist oft der Krieg in der Ukraine genannt worden. Ich gehe, glaube ich, nicht ganz fehl in der Annahme, dass die Bundesregierung am 11. Juni nächsten Jahres der Gastgeber der Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine sein wird, ein Land, das massiven Angriffen vonseiten Russlands ausgesetzt ist. Viele, die dort vor Ort sind, berichten von Bildern, die nicht nur an den Ersten Weltkrieg heranreichen, sondern wahrscheinlich sogar schlimmer sind; sie berichten davon, dass Städte massiv angegriffen werden. Und wer, wenn nicht wir, die Demokratien, sollte nicht nur mit militärischer Unterstützung an der Seite der Ukraine stehen, sondern auch mit großen Leistungen, was die humanitäre Hilfe und eben auch den Wiederaufbau betrifft? Das ist einer der Gründe dafür, dass wir uns anstrengen müssen in diesen nicht normalen Zeiten und auch haushalterisch darauf reagieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt kommt, meine Damen und Herren, der Gazakrieg hinzu. Ja, ich bin der Bundesregierung für meine Fraktion dankbar, dass sie mit Vertretern anderer Regierungen, insbesondere mit dem amerikanischen Präsidenten, aber auch mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen nichts unterlassen hat, um die Geiseln aus der Hand der Hamas zu befreien. Und wer glaubt, plötzlich werde diese Situation ganz einfach werden, den trügt der Schein. Denn diejenigen, die Israel vernichten wollen, schauen sich ganz genau an, was die Hamas jetzt in diesen Stunden macht. Sie hat ohnehin der PLO bereits den Rang abgelaufen, was den Widerstand betrifft.

Und wir können nicht sicher sein, ob nicht doch irgendwann aus diesem Gazakrieg ein Flächenbrand wird. Die ersten Raketen, die aus dem Jemen in Richtung Israel geflogen sind, die konnten noch abgewehrt werden. Aber was heißt es denn, wenn die Meerenge vor der jemenitischen Küste geschlossen wird, nicht nur für Europa, sondern auch für Asien? Ich schließe daraus, dass wir noch unabhängiger werden müssen, und ich glaube, es gibt viele Gründe dafür, dass sich diese Ereignisse der Kontrolle des Staates entziehen und damit auch die staatliche Finanzlage so nicht mehr unter Kontrolle ist.

Deswegen, glaube ich, ist es richtig, mit dem Entwurf, den wir in dieser Woche in den Deutschen Bundestag einbringen, von Artikel 115 GG wieder Gebrauch zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Herr Merz und liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dafür lässt sich argumentieren. Ihr Kollege, der Ministerpräsident Günther, tut das freiweg in Schleswig-Holstein,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie wissen, warum!)

genau auf diese Gründe bezogen. Und da trifft er auf eine Opposition,

(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)

 die ihm zu der notwendigen Zweidrittelmehrheit verhilft, damit diese Notlage festgestellt werden kann.

(Beifall der Abg. Susanne Menge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen: Überlegen Sie es sich gut,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine Drohung?)

ob Sie die Hilfen – und wir müssen Artikel 115 für diese Hilfen ziehen – für die Menschen im Ahrtal, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen, hier im Deutschen Bundestag ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bitte nicht ganz so billig! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das wollen wir, aber dafür muss man woanders sparen!)

 Wenn wir heute über das Verfassungsgerichtsurteil sprechen, sprechen wir auch über den Haushalt 2024. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben die klare Absicht, noch in diesem Jahr auch diesen Haushalt zu verabschieden,

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Aha! – Peter Boehringer [AfD]: Aha!)

und zwar aus zwei Gründen – vielleicht reicht Ihnen ja der erste Grund nicht; für uns ist er aber wichtig –: Zum einen geht es darum, dass insbesondere die Sozialverbände, die unter Kürzungen im Haushaltsentwurf gelitten haben – die sind in der Bereinigungssitzung wieder korrigiert worden –, noch in diesem Jahr Planungssicherheit haben, weil sie sonst eben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen müssen. Ich finde, das ist ein guter Grund.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Zum anderen: Das Budgetrecht des Parlaments ist das vornehmste Recht des Deutschen Bundestages. Vielleicht könnten auch Sie mit überlegen, ob wir uns das nicht sichern sollten als Parlament. Deswegen bitte ich, dass wir den Haushalt 2024 rechtzeitig vor Ende des Jahres abschließen,

(Peter Boehringer [AfD]: Das wird ein Silvesterknaller!)

um insbesondere den Menschen draußen im Lande den entsprechenden Respekt zu erweisen; denn die brauchen die mit diesem Haushalt verbundene Sicherheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das müssen Sie dem Finanzminister erklären!)

Abgesehen davon – auch dessen bedarf es in dieser Debatte, finde ich, und das sagen wir schon seit Jahren –: Ja, wir brauchen grundsätzliche Korrekturen an der Gestaltung der Schuldenbremse. Wir müssen uns fragen, ob sie noch angemessen ist angesichts der Herausforderungen dieser Zeit, da seit ihrem Inkrafttreten 15 Jahre ins Land gegangen sind. Das ist auch Aufgabe der Politik: nicht irgendwas sakrosankt zu machen, sondern immer wieder zu fragen: Reicht das aus für die Zukunft unseres Landes, oder hat die Schuldenbremse nicht sogar diese Haushaltsführung provoziert? Vielleicht darf man diese Frage auch mal stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Christian Dürr [FDP] – Peter Boehringer [AfD]: Wo ist denn da die Logik?)

Offensichtlich leiden ja die einen oder anderen Ländern darunter. Meine Damen und Herren, ich kann nur empfehlen, eine wahllos gegriffene politische Größe nicht als Monstranz vor sich her zu tragen,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist die Verfassung und keine Monstranz!)

wenn es um die Zukunft dieses Landes geht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Land hat etwas anderes verdient,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Eine andere Regierung hat es verdient!)

nämlich dass in die Zukunft investiert wird und nicht in die Vergangenheit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ja, wir brauchen – das ist gesagt worden, auch wenn das nicht alles ist, meine Damen und Herren –

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir reden über die Verfassung gerade!)

einen aktiven Staat. Andere Länder – ich will Demokratien zitieren, die dies mit Ehrgeiz auf den Weg bringen – sind Deutschland an Modernität mittlerweile meilenweit voraus, nicht nur in Bezug auf Investitionen, sondern auch auf den Gründergeist; und das führt dazu, dass sie eben auch industrielle Kapazitäten aus Europa abziehen. Die USA sind hier genannt worden; aber ich will auch Spanien nennen. Großbritannien hat erst vorgestern 5 Milliarden Euro in die Batteriefertigung investiert.

Deswegen will ich sehr klar sagen: Ich glaube, es ist auch mit Blick auf den nächsten Haushalt richtig, von Artikel 115 Grundgesetz Gebrauch zu machen. Wir brauchen, meine Damen und Herren, diese Zukunftsinvestitionen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Um zugleich einer Geschichtsklitterung vorzubeugen: Die Fonds – mein Kollege Dürr hat ja beschrieben, wie lange es diese Fonds im Bundeshaushalt schon gibt – sind nicht die Erfindung einer Person.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: So hat er es nicht gesagt!)

Deswegen sage ich auch sehr deutlich: Andere zum Sündenbock zu machen, werde ich nicht akzeptieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Staatssekretär Werner Gatzer hat nicht mehr, aber auch nicht weniger gemacht,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, das stimmt!)

 als das, was politisch gewollt ist,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Von Bundesfinanzminister Olaf Scholz! – Peter Boehringer [AfD]: Von Ihrem Finanzminister Scholz war das politisch gewollt!)

technisch umzusetzen.

 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der CDU/CSU und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])

Ich finde, das gehört zur Wahrheit dazu. Wenn wir schon über diese Geschichte reden, dann will ich hier gegenüber der Öffentlichkeit auch sagen: Ich zumindest kann mich gut daran erinnern, dass in den Koalitionsverhandlungen gerade vor dem Hintergrund des Urteils des hessischen Verfassungsgerichts damals genau über diese Schritte gesprochen worden ist. Ich finde, politische Verantwortung gibt man nicht am Kleiderhaken ab, sondern dazu steht man, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Deswegen sage ich es zumindest noch mal für diejenigen, die es interessiert – hier wird vieles, was mit diesem Land, mit Deutschland, verbunden ist, ganz schwarz an die Wand gemalt –: Wir sind das Land, das in Europa mit die geringste Schuldenquote hat. 62 Prozent!

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Dank Finanzminister aus der CDU/CSU übrigens!)

20 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der europäischen Länder, 30 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der Euroländer. Ich finde schon: Das müssen Sie akzeptieren. Zahlen lügen einfach nicht. Dagegen können Sie sich nicht wehren!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das war ein Dank an die Vorgängerregierung! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich glaube deshalb, dass in dieser Situation der Rückgriff auf Artikel 115 vertretbar ist.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Damit es Ihnen vielleicht besser gefällt und auch die politische Auseinandersetzung zwischen uns in diesem Parlament endlich mal klar wird: Es geht nicht um verfassungstechnische Fragen,

(Peter Boehringer [AfD]: Doch! Darum geht es! Genau darum geht es! Es geht um Verfassungsfragen! Unglaublich!)

sondern es geht darum, Verteilungsfragen in diesem Land immer wieder zu adressieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Boehringer [AfD]: Natürlich geht es um Verfassung! Um was denn sonst? Hier geht es nicht um Politik! Es geht um Artikel 115 Grundgesetz! Wahnsinn!)

Deswegen sage ich klar: Ja, wir müssen über einen verfassungsgemäßen Haushalt reden, auf der anderen Seite aber auch über unverdienten Reichtum in diesem Land. – Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden in einer Woche auf dem Bundesparteitag

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ach du liebe Güte! Jetzt droht er mit seinem Parteitag!)

die richtigen Antworten auf genau diese Herausforderungen geben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Peter Boehringer [AfD]: Das ist ein Fall für den Verfassungsschutz hier!)

Es besteht kein Zweifel: Wir werden dieses Urteil umsetzen.

(Peter Boehringer [AfD]: Das ist schön!)

Ich habe Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht.

(Peter Boehringer [AfD]: Nicht aus Respekt! Sie beugen sich!)

Aber ich will gleichzeitig auch sagen: Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht auch vor anderen Verfassungsorganen wie dem Deutschen Bundestag Respekt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, wenn man sich gegenseitig Respekt erweist, kann man über das eine oder andere auch diskutieren. Ich bin mir unsicher, ob die kameralistische und strenge Auslegung von Jährlichkeit und Jährigkeit wirklich den Herausforderungen gerecht wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Boehringer [AfD]: Sie haben immer noch nicht verstanden!)

Jeder Investor in diesem Land plant, glaube ich, länger als nur für ein Jahr. Soziale Verbände sind darauf angewiesen, dass ihre Arbeit länger als ein Jahr dauert.

(Zuruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

Und Naturkatastrophen halten sich schon gar nicht an Jährlichkeit und Jährigkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Ahrtal zeigt zum Beispiel, was es da für Herausforderungen gibt. Von daher will ich sagen: Manche Argumentation erschließt sich mir nicht. Insbesondere hätte ich mir von dem Verfassungsgerichtsurteil schon erwartet, die haushaltsverfassungsrechtliche Dogmatik mit dem Richterspruch in Übereinstimmung zu bringen, der vor einigen Jahren dem Klimaschutz Verfassungsrang zugebilligt hat. Dass uns dasselbe Bundesverfassungsgericht 2007 Anleitungen zur Schuldenbremse gegeben hat, ist ja auch Teil der Wahrheit.

Aber was mir am meisten aufgestoßen ist – ich finde, das gehört zu einer öffentlichen Debatte dazu –, ist der Zeitpunkt. Bei einem langfristigen Zeitplan kann das einmal passieren. Als es damals um das Gebäudeenergiegesetz ging und wir es kurz vor der Sommerpause im Interesse der Menschen hier abschließend lesen wollten, gab es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Jetzt passiert es ein zweites Mal. Einen Tag vor der Bereinigungssitzung mit diesem Urteil konfrontiert zu werden, provoziert manche Diskussionen, auch in meinen Reihen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie Mitleid dafür?)

Und auch das, meine Damen und Herren, müssen die Richterinnen und Richter wissen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der Verkündungstermin stand Wochen vorher fest! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Zum Schluss. Ich habe den Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht geäußert. Aber ich will auch sagen: Ich glaube, dass auch der Deutsche Bundestag Respekt verlangen darf.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Haushalt 2024 sollte rechtzeitig beschlossen werden. Ich finde, in der Bereinigungssitzung ist Beachtliches geleistet worden.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja! 15 Milliarden Mehrausgaben!)

Darüber wird hoffentlich in den kommenden Wochen im Deutschen Bundestag noch ausreichend gesprochen werden. Ich will einen Punkt herausgreifen: die Kinder- und Jugendpolitik. Für den Kinder- und Jugendplan ist mehr vorgesehen worden. Die Elterngeldregelung ist verbessert worden. Wir haben Mittel für die BAföG-Reform auf den Weg gebracht. Mir war ganz wichtig, dass auch die Förderung des Sports für junge Menschen mit Behinderung Eingang in diesen Haushalt gefunden hat. Da will ich ganz klar sagen: Wir reden manchmal über die Verfassungstechnik der Haushaltsführung. Hier geht es konkret um junge Menschen mit Behinderungen.

Das, meine Damen und Herren, ist die haushalterische Antwort auf einen Skandal, der leider viel zu schnell vergessen worden ist, der vom Chefpropagandisten der AfD, von Herrn Höcke, im Sommer dieses Jahres in die Welt gebracht worden ist, nämlich dass junge Menschen mit Behinderung,

(Tino Chrupalla [AfD]: Hat er nie gesagt!)

die so geboren sind oder durch einen Unfall oder eine Krankheit diese Behinderung davontragen, eine Belastung für diese Gesellschaft sind.

(Widerspruch bei der AfD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist doch Blödsinn! – Zuruf von der SPD: Schande!)

Was für ein Skandal, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen sage ich: Hinter einem Haushalt stehen auch politische Antworten! Diejenigen, die meinen – das Recht spreche ich niemandem ab; die Wahl ist frei –,

(Tino Chrupalla [AfD]: Sie lügen doch! Das ist doch eine absolute Lüge! Hat er nie gesagt!)

sich den Luxus zu leisten, eine solche Partei an die Macht zu bringen,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das macht der Wähler, nicht Sie!)

muss sich nicht wundern, dass es dann nicht bei diesen Kindern und Jugendlichen bleibt. Sondern dann sind die Kranken dran, dann sind die Rentnerinnen und Rentner dran,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hetzen Sie mal weiter!)

dann sind die Menschen dran, die so leben wollen, wie sie fühlen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist die Konsequenz. Die mitzudenken, ist auch in einer Haushaltsdebatte erforderlich, meine Damen und Herren.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Verlogenes Geschwätz!)

Deswegen sage ich: Ohne soziale Gerechtigkeit und Anstand kann eine freiheitliche Demokratie nicht bestehen.

(Zurufe von der AfD)

Deshalb entscheiden wir in diesen Tagen nicht allein über ein angepasstes Budget und über dessen verfassungsrechtliche Voraussetzungen. Es geht nicht allein um finanztechnische Fragen. In diesen Tagen entscheiden wir auch über ein verlässliches Maß an sozialer Gerechtigkeit

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Familien, für junge Menschen, für Kranke. Wir entscheiden über die Bollwerke einer lebensfähigen sozialen Demokratie, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 28.11.2023
Thema: 
Plenarrede