Rede anlässlich der Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der vom russischen Präsidenten befohlene Überfall auf die Ukraine ist eine entsetzliche Barbarei. Putin will ein Volk, eine souveräne Nation brechen. Er verantwortet wissentlich und willentlich Tod, Elend und Zerstörung. Wir trauern mit den Hinterbliebenen um die Opfer eines Kriegsverbrechens, das in diesen Minuten, in diesen Stunden und wahrscheinlich auch noch in den nächsten Tagen in vollem Gange ist. Das ist Putins Krieg.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Diese Zäsur, meine Damen und Herren, bedeutet gleichwohl mehr: Der russische Präsident zerstört damit endgültig die internationale Ordnung, die wir nach dem Kalten Krieg errichten wollten. Vor wenigen Tagen hat sich die europäische Sicherheitsordnung, aber auch die internationale Politik grundlegend verändert. Putins hochgerüstete Militär- und Atommacht verstößt abermals gegen das Interventions- und Gewaltverbot. Deshalb sage ich von dieser Stelle aus auch an die Welt: Heute ist eine Nation auf dem europäischen Kontinent das Opfer, morgen kann es auch ein Land in Zentralasien treffen, um die vermeintlich russischen Seelen einzusammeln. Wir müssen gemeinsam Putin die Stirn bieten, mit vielen Regierungen und mit vielen Menschen, soweit wir können.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, der russische Überfall ist eine Rückkehr zu einer kriegerischen Großmachtpolitik. Es besteht die Gefahr eines Flächenbrandes. Wir sind der Bundesregierung und unseren Verbündeten deshalb dankbar für die klaren und eng abgestimmten Maßnahmen. Wir erhoffen uns die Unterstützung von weiteren Regierungen außerhalb des Westens. Zugleich bin ich sicher, dass die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung die Aggression verurteilt. Vor diesem Hintergrund muss sich vor allem die chinesische Regierung fragen, wie lange sie die Spannung zwischen ihren außenpolitischen Grundsätzen und einer mitleidlosen Interessenpolitik noch aushalten kann. Präsident Xi, ändern Sie Ihren Kurs. Stoppen Sie den Krieg Putins. Nur dann kann China eine internationale Ordnung für den Frieden in Zukunft mit prägen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es war richtig, dass der UN-Sicherheitsrat vor zwei Tagen versucht hat, die russische Aggression aufs Schärfste zu verurteilen und das Recht der Ukraine auf die territoriale Integrität und Souveränität zu bekräftigen. Russlands Veto ändert daran nichts. Putin hat sein Vetorecht moralisch und politisch verwirkt. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Umso wichtiger ist jetzt die Überweisung der Resolution in die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Hier sind fast alle Länder versammelt, und das Haus der Staatenwelt könnte morgen ein deutliches Zeichen setzen.
Auch dafür, meine Damen und Herren, müssen wir zusammenarbeiten – hier im Parlament, aber auch mit vielen Regierungen auf der Welt. Putin sollte die Entschlossenheit und den Zusammenhalt der freien Staatenwelt nicht unterschätzen. Wir haben Sanktionen verhängt, die nicht nur die russische Wirtschaft und das Bankensystem, sondern auch Putin, seine Kriegstreiber und Hasardeure treffen. Russland wird von den internationalen Finanzmärkten ausgeschlossen. Es wird die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen schmerzhaft spüren. Ich sage auch: Selbst wenn Russland über umfangreiche Devisenreserven verfügt und seine Kriegskasse gut gefüllt ist, sollen Putin und seine Handlanger wissen: Langfristig wird das Regime die Sanktionen spüren. – Das ist die klare Botschaft, die heute auch hier aus Berlin in Richtung Moskau ausgesendet wird.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Dazu müssen wir in den kommenden Tagen einen noch größeren Unterstützerkreis schaffen. Das heißt dann aber auch – auch das sage ich sehr deutlich –: Unser Land ist bereit, die finanziellen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu tragen. Darüber darf sich niemand heute hinwegtäuschen. Lassen Sie es mich deutlich sagen: Ja, der Krieg in der Ukraine bedeutet das Scheitern aller bisherigen diplomatischen Bemühungen. Das ist schmerzhaft und bitter. Das sage ich auch gerade für jemanden wie mich, der bis zum Schluss alle diplomatischen Mittel nutzen wollte und benutzt sehen wollte. Deshalb danke ich Bundeskanzler Olaf Scholz und stellvertretend für die gesamte Bundesregierung Annalena Baerbock für die unermüdliche Arbeit ebenso wie dem französischen und dem amerikanischen Präsidenten, dem britischen Premier und allen unseren Freunden und Partnern, die nichts unversucht gelassen haben, Putin von diesem Schritt abzuhalten. Vielen Dank!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hervorheben möchte ich auch die weitgehende Einigkeit in diesem Haus: von der Diplomatie über Waffenlieferungen bis hin zum Bankensystem. Am Ende unserer Debatte werden wir zusammen mit der Union eine gemeinsame Resolution verabschieden. Das ist ein starkes Zeichen des Zusammenhalts in einer existenziellen Krise. Dafür möchte ich mich bei Ihnen, Herr Merz, ganz herzlich bedanken.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Mit der Invasion wurden die Hoffnungen und die Arbeit für eine friedlichere Welt wahrscheinlich auf Jahrzehnte zurückgeworfen. Junge und nachfolgende Generationen werden uns dafür verurteilen, dass wir Älteren es nicht vermocht haben, eine bessere Welt zu schaffen, sei es beim Klima, bei der Armut oder bei Militär und Rüstung. Ich kann für viele hier in diesem Haus versprechen: Solange wir können, müssen wir diese Schuld abtragen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die um sich greifende Missachtung internationaler Normen, die einseitige Kündigung von Abrüstungsverträgen und das eigenmächtige verstörende Auftreten mancher Staatschefs in den letzten Jahren haben die Welt nicht sicherer gemacht. Nichts rechtfertigt Putins Krieg. Wir müssen ihm Grenzen setzen und neue russische Aggressionen eindämmen. Dafür braucht es beides: eine glaubhafte Verteidigung, aber eben auch gemeinsam eine kluge Außenpolitik. Deswegen: Ja, wir müssen die Bundeswehr in die Lage versetzen, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Unsere Streitkräfte müssen die Ausrüstung bekommen, die sie brauchen. Deswegen haben wir in den vergangenen Jahren den Verteidigungshaushalt erhöht, und wir werden das auch in Zukunft verantwortungsvoll tun, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Gleichzeitig – auch das sage ich in voller Kenntnis der großen Herausforderung – müssen wir – Kollege Lindner hat darauf hingewiesen – das Geld besser und effizienter einsetzen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
auch innerhalb der Europäischen Union und der NATO.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Allein wir Europäer geben jährlich über 200 Milliarden Euro für Verteidigung aus. Deswegen sind wir überzeugt: Eine effiziente Verteidigungspolitik, meine Damen und Herren, darf sich nicht in Etatansätzen erschöpfen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Auch wenn wir uns heute auf die Wehrhaftigkeit konzentrieren müssen, dürfen wir die anderen Elemente einer gerechten und demokratischen Sicherheitspolitik nicht vernachlässigen. Deshalb war es ein gutes Zeichen, dass wir noch am Tag des russischen Angriffs zusätzlich 5 Millionen Euro für den Ukraine-Hilfsfonds der Vereinten Nation bereitgestellt haben. Dies ist eine Botschaft an die Kriegsflüchtlinge, an die Binnenflüchtlinge in der Ukraine, aber auch diejenigen, die versuchen, nach Europa zu kommen: Wir stehen ihnen in schwerer Not zur Seite, auch durch die Aufnahme ihrer Staatsbürger in die Länder der Europäischen Union.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Unser Respekt und unsere Anerkennung gelten am Schluss meiner Rede den mutigen russischen Staatsbürgern, die öffentlich oder im Sinn des zivilen Ungehorsams die Barbarei ihres Präsidenten verurteilen. Sie zeigen damit der Welt, dass es ein anderes Russland gibt, ein Russland, das Teil der Völkergemeinschaft sein möchte und in Frieden mit seinen Nachbarn leben will.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.