Rede anlässlich der Generaldebatte zum Haushalt 2025

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!

Wir sollten nicht behaupten, dass die Herausforderungen und Aufgaben, vor denen wir stehen, schwieriger oder bedrückender sind als zu anderen Zeiten. Gestern haben wir 75 Jahre Deutscher Bundestag auf Einladung der Bundestagspräsidentin gefeiert; wir haben die Worte von Paul Löbe, dem ersten Alterspräsidenten - einer der wenigen Überlebenden der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion -, gehört.

Es war anstrengend in diesen 75 Jahren, und dennoch, meine Damen und Herren: Eines ist offenkundig: An der Jahrtausendwende erleben wir eine Gleichzeitigkeit von inneren und äußeren Zuspitzungen, die sich gegenseitig noch verstärken, und die Herausforderungen betreffen jeden und das ganze Land. Und ja, zuletzt hat uns das Attentat von Solingen verstört und verbittert. Unsere Hilfsbereitschaft und unsere Humanität wurden missbraucht, um wahllos zu morden - in unserem Land. Dies ist nicht hinnehmbar und führt zu Konsequenzen, meine Damen und Herren, über die wir heute, aber auch morgen in der Debatte - und das ist eher ungewöhnlich in einer Haushaltswoche - noch mal sprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Beatrix von Storch (AfD): Sie müssen nicht sprechen! Sie müssen handeln!)

Aber ich finde, zur Realität, meine Damen und Herren, gehört genauso - und dies ist ja nun mal eine Haushaltsdebatte - eine Debatte zur Lage der Nation, zur Lage Europas, zur Lage der Welt. Die Kriege in der Ukraine und im Sudan stehen wie viele andere Schauplätze für ein gewalttätiges Jahrzehnt. Hinzu kommen unvorstellbare Hungersnöte, epidemische Krankheiten und Naturkatastrophen, die nur noch vom menschengemachten Klimawandel übertroffen werden. Deswegen müssen wir umso deutlicher erkennen - und ich finde, ein bisschen Bescheidenheit sollte in dieser Debatte auch eine Rolle spielen -, dass es weder einfache noch schnelle oder widerspruchsfreie Antworten gibt. Die Grenzen des Regierens sind auch hier offenkundig. Das Versprechen schneller Resultate, Herr Merz, bleibt eine Selbsttäuschung oder ist schlicht eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Daher möchte ich auch betonen, dass wir nicht gewählt wurden, um uns gegenseitig Achtlosigkeit vorzuwerfen, Sorgen zu vergrößern oder zu behaupten, man selbst wisse alles besser. Vielmehr bleiben Aufrichtigkeit, Lösungskompetenz und Verlässlichkeit erwünscht und notwendig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage das, meine Damen und Herren, für uns Sozialdemokraten: Wenn unsere Demokratie erneut und ernstlich auf die Probe gestellt wird, dann werden wir nicht zur Seite treten. Wir Sozialdemokraten werden kämpfen, zusammen mit dem Bundeskanzler und der Regierung, gegen diejenigen, die unsere Demokratie in diesen Tagen gefährden. Und auch das gehört heute zu dieser Debatte dazu, meine Damen und Herren,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

nicht nur, weil eine Demokratie ohne Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität unvollkommen ist, sondern - ich habe eben Paul Löbe erwähnt - weil wir Sozialdemokraten in den dunkelsten Zeiten unseres Landes die Demokratie verteidigt und danach wieder mit aufgebaut haben. Das treibt uns an. Andere mögen ihren Abgesang auf uns anstimmen, aber wir werden nicht aufgeben. Das ist unser Selbstverständnis und unsere Pflicht, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen, um es vorweg in der Haushaltsdebatte zu sagen: Es ist gut, Herr Kollege Merz, dass wir für morgen eine Debatte über Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung und zu asylrechtlichen Fragen angesetzt haben - auf Verlangen der drei Koalitionsfraktionen - und hier einen Gesetzentwurf, der vorher die Zustimmung der gesamten Regierung erhalten hat, in der ersten Lesung debattieren. Wir wollen die neuen Vorschriften schnell verabschieden, aber auch gewissenhaft erörtern, auch mit Expertinnen und Experten.

Deswegen sage ich: Auch die anderen Bereiche, über die seit einigen Tagen und insbesondere noch mal gestern Nachmittag gerungen wurde, bleiben für uns auf dem Tisch - auch dann, wenn sich die Opposition aus dem Staub macht. Ich sage klar: Wir werden auch ohne Sie weitere verantwortbare, nachvollziehbare und machbare Antworten geben. Ich sage sehr deutlich - und das haben auch Sie gesagt, Herr Kollege Merz -: Dafür brauchen wir Sie nicht.

Aber was wir auch nicht brauchen, ist etwas, was in den letzten Tagen hier in Deutschland aufgeführt worden ist. Ich empfinde das - ich muss es so sagen - als Trauerspiel. Ich habe mehr aus Bulletins von Ihnen erfahren oder von Hintergrundgesprächen, als dass Sie ernsthaft mit uns gesprochen haben. Ich weiß nicht, ob Sie von Anfang an vorhatten, vom Tisch aufzustehen.

Ich habe Sie in den letzten Wochen und Monaten immer wieder ermutigt, da, wo es möglich ist, mit uns in konstruktive Gespräche nicht nur einzutreten, sondern sie dann auch ernsthaft zu führen. Aber ich finde, indem Sie gestern gegangen sind, haben Sie der Demokratie und vielleicht auch sich selbst, Herr Kollege Merz, einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Denn mit Ultimaten und unsoliden Vorschlägen kann man dieses Land nicht regieren, und viele Menschen in unserem Land, Herr Kollege Merz, spüren das.

Dass es in Ihrer Partei auch anders gehen kann, hat der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Reul, bewiesen. Er hat gesagt, dass wir weder in der Politik noch in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken sollten, Verbote und Gesetzesverschärfungen allein wären die richtige Antwort;

(Jens Spahn (CDU/CSU): Aber auch! Nicht nur, aber auch!)

damit, allein das zu betreiben, würden wir uns verrennen. Das finde ich eine mutige Stimme aus Ihrer Partei,

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Ich sage nichts anderes!)

und vielleicht wäre dieses Maß und Mitte für diese Bundestagsfraktion mal ein Ankerpunkt für die Diskussion.

Aber es kann auch sein, dass Sie das, was ich ein Trauerspiel nenne, auch deswegen aufführen, weil Sie eben im Geheimsten wissen: Da ist in Nordrhein-Westfalen unter einem CDU-Ministerpräsidenten etwas schiefgelaufen,

(Lachen des Abg. Friedrich Merz (CDU/CSU))

offensichtlich eben nicht so gut wie das, was die Bundesgesetze auch erlaubt hätten.

Ich weiß nicht, ob Sie Herrn Wüst einen Gefallen tun wollen; das müssten Sie am Ende selbst entscheiden. Aber wir werden nicht die Verantwortlichen aus ihrer Verantwortung lassen. Ich finde, das muss in Nordrhein-Westfalen aufgeklärt werden.

(Zuruf des Abg. Jens Spahn (CDU/CSU))

Aber das muss auch mit ein bisschen Bescheidenheit von Ihnen in den Diskussionen hier einhergehen, Herr Kollege Merz.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen sage ich auch: Meine Fraktion, meine Damen und Herren, ist bereit - und das sage ich auch an die Bundesregierung gerichtet -, diesen Quantensprung in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik,

der mit der gemeinsamen Außen- und Asylpolitik

(Jens Spahn (CDU/CSU): Gegen die Stimmen der Grünen!)

mithilfe der Bundesregierung, mithilfe der Innenministerin, des Bundeskanzlers und auch der Außenministerin  gelungen ist, jetzt so schnell wie möglich umzusetzen.

Wenn es etwas schneller gehen könnte, wäre das gut; aber damit hat ja offensichtlich, Herr Kollege Merz, auch Ihre Parteikollegin Frau von der Leyen etwas zu tun. Sie ist dort in der Pflicht, und auch da, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir Sie nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber wenn wir heute in der Haushaltsdebatte in einer Debatte über die Lage der Nation über eine Herausforderung sprechen, dann sollten wir auch über den Haushalt reden; denn das sind ja die politischen Antworten.

Ich weiß, ich habe manches Geraune gehört, warum meine Fraktion vor der Sommerpause unbedingt darauf bestanden hatte, diesen Haushaltsentwurf zu kennen. Ich weiß nicht, was andere machen; ich weiß aber, was die 207 Mitglieder meiner Fraktion machen, wenn sie in der Sommerpause in ihre Wahlkreise zurückkehren:

(Jens Spahn (CDU/CSU): Nicht den Leuten zuhören!)

Da stellen sie sich den Bürgerinnen und Bürgern. Die wollen nämlich wissen: Was steht in diesem Haushalt für das kommende Jahr? Können wir uns darauf verlassen, dass es auch weitergeht mit der Unterstützung, mit den Hilfen, dass es in den Gemeinden und in den Städten besser wird?

(Zuruf des Abg. Jens Spahn (CDU/CSU))

Das war der Grund, warum wir den Entwurf kennen wollten.

Wir haben einige überzeugt, die ja vielleicht noch nicht mal bis heute bereit gewesen wären, diesen Entwurf vorzulegen. Ich finde, das hat auch etwas mit dem Respekt gegenüber den Vertreterinnen und Vertretern der Wählerinnen und Wähler zu tun, vor der Sommerpause Klarheit zu bekommen. Und vielen Dank, Herr Bundeskanzler, und auch denen, die in der Regierung darüber verhandelt haben, dass das möglich gewesen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Jens Spahn (CDU/CSU): Der heißt übrigens Lindner, der Finanzminister! Lindner!)

Deswegen sehe ich mit Wertschätzung und einer Portion Respekt den Verhandlungen entgegen. Das wird eine große Kraftanstrengung für uns alle hier werden. Es ist ein schwieriges Haushaltsjahr. Und ja, ich sage für meine Fraktion: „Wir sehen noch Klärungs- und auch Korrekturbedarf“, wobei ich anerkenne, dass dieser Haushalt deutlich über der Finanzplanung, die der Bundesfinanzminister aufgestellt hat, liegt.

Ja, einige Ressorts sind gut weggekommen, andere weniger gut. Wir hätten uns vorstellen können, dass die investiven Ressorts vielleicht noch das eine oder andere, was sie sich wünschten und was auch notwendig ist für die Modernisierung unseres Landes, bekommen hätten. Wir werden sehen, was möglich ist.

Aber ich möchte auch sagen: Ich finde es etwas wohlfeil, dass sich in der Sommerpause einige an einem Ressort abgearbeitet haben, nämlich dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Man kann ja darüber diskutieren, ob die eine oder andere Ausgabe berechtigt ist; aber ich finde, das betrifft doch alle Häuser. Manchmal kann man sich das bei jedem Ressort fragen. Aber dass man sich an einem Ressort so abarbeitet, obwohl man es in einer Zeit aus Not und Eigennutz selbst besetzt hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ich wohlfeil, auch weil daraus später interessante Karrierewege hervorgegangen sind.

Aber was mir viel wichtiger ist: Wir brauchen diese plurale Entwicklungspolitik. Wir reden hier über Asyl; wir reden über Flucht, und die deutsche Entwicklungspolitik brauchen wir, um auch Fluchtursachen zu bekämpfen,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Philipp Hartewig (FDP))

um letztlich den Weg eben nicht notwendig zu machen. Ich meine, das gehört doch zur Diskussion, wenn wir über die Lage dieses Landes, Europas und der Welt sprechen, dazu, insbesondere das Verhältnis zum Globalen Süden. Für uns ist Entwicklungspolitik nicht verzichtbar, das sage ich ganz klar, auch bei diesen Haushaltsberatungen.

Aber natürlich, Herr Finanzminister, die globale Minderausgabe, die Sie uns hier mal so rübergereicht haben, ist schon ein Problem; das wissen Sie.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke (FDP))

Sie haben gestern angeboten, uns dabei zu helfen, diese 12 Milliarden Euro im Hinblick auf die Verfassung zu reduzieren. Vielleicht hätten Sie das auch schon gut vorher machen können.

Aber umso wichtiger ist mir: Sie müssen jetzt mit uns dieses Problem lösen, und Sie können sich nicht in die Büsche schlagen.

(Lachen des Abg. Friedrich Merz (CDU/CSU) - Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Ich glaube, er hat Ihnen nicht zugehört!)

Das sage ich auch für eine selbstbewusste und souveräne Fraktion ganz klar an die Regierung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn wir über die Realitäten in diesem Land sprechen: Umschichtungen und Kürzungen wären schon in normalen Haushaltsjahren schwierig; in diesen Zeiten sind sie fahrlässig. Ja, wichtige Betriebe kommen ins Straucheln, aber nicht wegen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern oft wegen eigener Managementfehler. Aber leider müssen die Zeche immer die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen. Deswegen sage ich auch ganz klar: Ja, da, wo wir helfen können, werden wir das auch tun. Aber es geht dann nicht nur um die Betriebe, sondern: Wenn wir als Land zukunftsfähig sein wollen, dann müssen wir eben auch klug investieren.

Ich weiß nicht, was Sie in Ihren Fraktionssitzungen machen. Wir hatten zum Beispiel den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zusammen mit der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei uns in der Fraktion. Und beide haben uns gesagt: Wir brauchen Investitionen in diesem Land, damit wir uns nicht selbst gefährden. Es geht dabei nicht nur um die Zukunft der Unternehmen, nicht nur um die Zukunft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch darum, dass andere Länder etwas anderes machen, als der eine oder andere hier suggeriert, meine Damen und Herren.

Auf der einen Seite gucken sie, ob die Frage der Verteilungsgerechtigkeit vielleicht noch etwas besser beantwortet werden könnte - da sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dabei -; aber dann investieren andere Länder in Bildung und in Infrastruktur. Und genau das müssen wir auch in der Debatte über diesen Haushalt behandeln. Der Haushaltsentwurf ist eine gute Vorlage dafür; aber wir müssen ihn auch noch verbessern. Das müssen wir möglich machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn immer wieder die Mär erzählt wird, diese Schuldenbremse wollten einige komplett abschaffen, dann entgegne ich: Informieren Sie sich bei uns. Herr Merz, ich habe Ihnen das gesagt - auch der Kollege Lindner hat gestern mal interessiert nachgefragt -: Wir wollen eine Schuldenbremse haben, die Investitionen nicht verhindert.

(Zuruf des Abg. Friedrich Merz (CDU/CSU))

Wir werden Ihnen gut berichten können, was notwendig ist; da können Sie uns beim Wort nehmen. Ich weiß - ich mache mir keine Illusionen -: Das wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr so einfach werden.

(Heiterkeit des Abg. Christian Dürr (FDP))

Aber wenn Sie zukunftsfähige Entscheidungen treffen wollen, dann arbeiten Sie mit uns vor. Auch Ihre Ministerpräsidenten, Herr Merz, wollen eine Veränderung an dieser Schuldenbremse.

(Zuruf des Abg. Friedrich Merz (CDU/CSU))

Wenn wir auch im Hinblick auf die nächste Legislaturperiode klug wären, dann sollten wir das jetzt gut vorbereiten. Wir haben Ideen, und wir würden sie gerne auch mit Ihnen teilen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Ein Zweites. Die Altschuldenregelung für die Kommunen ist für uns immer noch auf der Tagesordnung. Ich will das sehr deutlich sagen, weil die Kommunen letztlich der wichtigste Investor und auch Motor für gute Arbeit vor Ort sind. Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat in diesem Zusammenhang 500 Millionen Euro versprochen. Ich finde, das reicht nicht. Dieser Ministerpräsident müsste neben diesem Betrag auch uns dabei helfen. Auch das wäre klug, dass die Kommunen - Herr Kollege Merz, auch das ist eine Einladung - von diesen Geldern, von dieser Altschuldenregelung dann auch direkt profitieren. Eine Umverteilung über die Länder bringt überhaupt nichts. Deswegen sage ich Ihnen auch: Es wäre gut, wenn wir uns da noch mal zusammen an einen Tisch setzen. Der Weg über das Grundgesetz wäre nach unserem Dafürhalten der beste Weg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Noch mehr Schulden!)

Ich weiß, dass die Arbeitsleistung, die man in einer Koalition, in einer Regierung mit drei Haushalten erbracht hat - es wird zwar noch mal ein Haushalt aufgestellt, aber dann wird darüber im übernächsten Jahr eine neue Bundesregierung entscheiden -, wahrscheinlich überhaupt gar keinen so großen Eindruck macht, auch weil wir selbst dafür verantwortlich sind, wie wir in dieser Koalition zusammengearbeitet haben. Ich sage das sehr offen und auch frei heraus. Da, wo ich auch persönlich dazu beigetragen habe, werde ich auch immer wieder versuchen, mich zu korrigieren. Auch das, finde ich, gehört zu einer ehrlichen Debatte mit dazu.

(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel (AfD))

Dennoch sage ich auch sehr selbstbewusst: In einer anderen Koalition, meine Damen und Herren, wäre manches nicht gelungen.

(Dr. Bernd Baumann (AfD): Was denn? - Beatrix von Storch (AfD): Selbstbestimmungsgesetz zum Beispiel!)

Diese Koalition hat vieles freigemacht. Und dann sind es eben nicht die großen Politikbereiche, sondern es sind manchmal auch die kleinen Politikbereiche.

Herr Kollege Merz, Sie haben uns hier vorgeworfen, wir würden auf dem Rücken - Sie haben die Kinder vergessen; deswegen nenne ich sie jetzt mal - der Kinder und Jugendlichen oder der jungen Generation Politik machen. Darf ich Sie vielleicht daran erinnern, dass es diese Regierung gewesen ist, die mithilfe der Koalitionsfraktionen beschlossen hat, das gleiche Kindergeld ab dem ersten Kind einzuführen? Es war eine sozialpolitische Leistung, keinen Unterschied mehr zwischen den Kindern zu machen und die Familien dabei zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und ich will ganz offen sagen: Am meisten haben dafür die Fraktionen getan. Dass wir jetzt - darauf hat der Finanzminister ja gestern hingewiesen - den Kinderfreibetrag und das Kindergeld einebnen wollen, ist doch genauso ein Beitrag für Kinder und Jugendliche, für die junge Generation, für gleiche Startchancen. Wir wollen auch noch einen Einstieg in die Kindergrundsicherung, weil wir auch gut dafür gearbeitet haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn Sie es mir immer noch nicht glauben, Herr Kollege Merz: Diese Koalition, diese drei Fraktionen haben eine Ausbildungsplatzgarantie für die jungen Menschen beschlossen. Für mich persönlich reicht das noch nicht, weil ich finde, dass das österreichische Modell da ein bisschen besser ist. Aber dass alle, die sich um einen Ausbildungsplatz beworben haben und abgelehnt worden sind, jetzt einen Ausbildungsplatzanspruch haben, ist doch eine Investition in die junge Generation.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Leider ist das mit Ihnen damals nicht möglich gewesen.

Ich habe gesagt, dass es nicht immer nur die großen Dinge, sondern auch die kleinen Dinge sind. Nehmen wir die Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe als Beispiel. Das interessiert vielleicht wenige; aber das ist schon etwas. Einige, die darunter gelitten haben, dass sie Geld abgeben mussten, weil sie in Pflegefamilien leben, brauchen das jetzt nicht mehr. Auch das ist ein strukturelles Merkmal.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, finde ich, ist etwas, was diese Fortschrittskoalition ausgezeichnet hat. Genauso - da spreche ich viele Frauen, aber auch Männer an - ist es mit der Abschaffung des § 219a im Strafgesetzbuch - ein Relikt aus der Nazizeit!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Christian Dürr (FDP))

Das ist wichtig gewesen, und auch das ist uns vorher nie gelungen.

Herr Kollege Merz, Sie haben in Ihrer Rede darauf hingewiesen, dass Deutschland wahrscheinlich Fachkräftezuwanderung braucht - Sie haben da vollkommen recht -, und wir haben ja auch oft gemeinsam darüber gesprochen. Warum haben Sie im Deutschen Bundestag dann nicht zugestimmt, wenn auch Sie der Meinung sind, dass wir sonst die Zukunft in unserem Land aufs Spiel setzen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz (CDU/CSU): So nicht! So nicht!)

Und das Staatsbürgerschaftsrecht - ich kann es Ihnen nicht ersparen; Sie arbeiten sich ja immer daran ab, obwohl es da um die Menschen geht, die rechtschaffen sind, die lange dieses Land mit aufgebaut haben,

(Beatrix von Storch (AfD): „Aufgebaut“? Drei bis fünf Jahre!)

die bewusst einen Platz hier bei uns gefunden haben -: Herr Kollege Dobrindt, in Bayern haben im letzten Monat 8 000 Bürgerinnen und Bürger einen Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit gestellt. Ich finde, das ist doch ein Erfolgsmodell.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wollen Sie die in Bayern auch noch zusätzlich beleidigen, indem Sie sagen, dass sie nicht in unser Land gehören? Nein, sie gehören genauso in unser Land wie die Menschen, die hier gemordet haben, nicht in unser Land gehören. Das ist nach meinem Dafürhalten die Konsequenz aus einer Asyl- und Flüchtlingspolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich muss noch eines sagen - ich muss mich bei meiner Fraktion entschuldigen, weil ich dem einen oder anderen etwas Zeit klaue; aber mir ist es wichtig -: Manche hier in diesem Haus behaupten, die Unterstützung für die Meyer Werft sei nicht gerechtfertigt; das sei eine lokale Frage. Dabei vergessen Sie: Wenn diese 11 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Zukunft mehr in dieser Werft haben, dann gehen sie in die Arbeitslosigkeit, dann muss sich dieser Staat damit beschäftigen, dann muss er eben auch für die entsprechenden Leistungen aufkommen. Deswegen frage ich: Wenn in den Auftragsbüchern Aufträge in Höhe von 11 Milliarden Euro stehen, warum soll denn dann der Staat nicht auch unterstützen? Die Meyer Werft ist ein Unternehmen, das eine Zukunft hat. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen eben nicht die Zeche zahlen.

(Beifall des Abg. Johannes Arlt (SPD))

Meine Fraktion unterstützt den Fortbestand dieses Unternehmens nachhaltig - einige unterstützen das nicht, weil sie vielleicht nicht mehr so nah an Betrieben wie diesem sind -, nachdem es alles dafür getan hat, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Mitbestimmung haben. Auch das haben wir jetzt indirekt korrigiert. Dafür sind Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dankbar

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und auch stolz, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Mitte der Betriebe und nicht ausgeschlossen gehören.

Und deswegen, an die Koalition gerichtet: Ja, ich wünsche mir auch, dass wir noch ein Tariftreuegesetz auf den Weg bringen, weil eben Tariflöhne die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich sage: „Man wird oft für seine Leistung nicht beachtet“, will ich dennoch sagen: Es ist gut, dass diese Koalition - während es andere Koalitionen nicht geschafft haben - den gleichen Rentenwert in Ost und West eingeführt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch das vergisst man manchmal, und das hat auch etwas mit Gerechtigkeit in unserem Land zu tun. Umso wichtiger ist es, dass wir das Gesetz zur Stabilisierung des Rentenniveaus noch in diesem Jahr im Deutschen Bundestag beschließen; denn es verspricht nachfolgenden Generationen Sicherheit, Herr Merz. Nach dem Sozialversicherungsprinzip ist es lohnenswert, das Kapital, das später für die Rente notwendig ist, treuhänderisch dem Land zu übergeben. Das ist klare, gute Sozialpolitik, und das wollen wir auch umsetzen. Deswegen sage ich: Kleine Spielchen sind dabei nicht gewünscht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine Bemerkung noch zur internationalen Lage; das muss sein, auch in einer Debatte über die Lage der Nation und unseres Landes. Der Krieg in der Ukraine ist hervorgerufen worden durch den Überfall russischer Streitkräfte auf ein souveränes Land, das seine territoriale Integrität verteidigt hat, und die Nationen, die 1994 im Budapester Memorandum die territoriale Integrität der Ukraine garantierten hatten, waren nicht in der Lage, sie zu schützen. Wir haben Milliarden dafür aufgewendet, dass sich die Ukraine erwehren kann. Aber wir haben auch Geld für humanitäre Hilfe, für den Wiederaufbau und für die finanzielle Unterstützung bereitgestellt. Ich verstehe die Menschen bei uns in Deutschland, die sagen: Wir wollen, dass die Ukraine unterstützt wird, haben aber auch ein bisschen Angst, dass dann weniger Geld für die Modernisierung unseres Landes zur Verfügung steht. Insofern ich warne jeden davor, das eine gegen das andere auszuspielen.

Und es gehört vor dem Hintergrund internationaler Krisen ebenso zu einer innenpolitischen Debatte, meine Damen und Herren, zu sagen: Genau in diesem Moment ist es richtig, dass Herr Selenskyj und andere Staatsoberhäupter - manche gefallen mir dabei nicht, wie zum Beispiel Herr Erdoğan oder Herr Modi - anbieten, mögliche Wege zu einem Frieden zu suchen. Herr Bundeskanzler, wir - meine Fraktion und ich persönlich - bedanken uns, dass Sie nicht nachlassen werden, auch diese Wege zum Frieden zu suchen. Ich hoffe, dass Sie alle Unterstützung auch aus der Regierung bekommen; denn es ist notwendig, ein Land, das überfallen worden ist, auf der einen Seite zu unterstützen, aber eben auch keine Chance auszulassen, dieses Land - vielleicht zusammen mit der internationalen Gemeinschaft - auf den Weg des Friedens zurückzuführen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sage ich: Die Themen unserer Zeit verdienen ehrliche Antworten. Wir bleiben gefordert, und wir sollten uns selbst fordern. Verzagtheit ist die falsche Haltung und unverantwortlich, gerade jetzt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 11.09.2024
Thema: 
Plenarrede