Rede anlässlich der Generaldebatte zum Bundeshaushalt

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zu Recht hat der Bundeskanzler den russischen Überfall auf die Ukraine als Zeitenwende bezeichnet. Nicht allein die Tat und das Ausmaß, sondern auch die Folgen für die internationale Ordnung werden sich tief in die Welt einbrennen. Der Krieg in der Ukraine – davon bin ich fest überzeugt, und wir haben hier im Plenum öfter darüber gesprochen – beschleunigt die Neuordnung der Welt. Deswegen ist diese Feststellung des Bundeskanzlers richtig.

Dennoch glaube ich, dass es gut ist, den Begriff der Zeitenwende – denn er ist zu wertvoll, zu zentral – gleichzeitig auch mit anderen Herausforderungen zu verbinden. Sie gibt es in ganz unterschiedlichen gesellschaftspolitischen, europapolitischen, internationalen Bereichen: bei Klima, Wirtschaft, Digitalisierung, Pandemie und – ich sage es ganz bewusst, weil sich vieles im Leben der Menschen ändert – auch beim öffentlichen und privaten Miteinander. Deswegen sage ich: Ja, wir leben und arbeiten in vielen Zeitenwenden, meine Damen und Herren.

Allein eine Herausforderung wäre für viele Menschen schon eine große Herausforderung, und sie erkennen sie als Belastung. Ich sage frei: Auch hier im Deutschen Bundestag würde wahrscheinlich eine, würden zwei, drei Zeitenwenden für eine gesamte Legislaturperiode reichen. Deswegen ist das Gesamte, dem wir uns stellen müssen, etwas, was verunsichert, auch mich persönlich. Deswegen verstehe ich, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger manchmal ins Private zurückziehen und dort sozusagen ihren Schutzraum identifizieren.

Der Psychologe Stephan Grünewald hat zu Beginn seiner großen Studie Anfang letzten Jahres gesagt, dass die persönliche Zuversicht der Deutschen und das Vertrauen in Politik – aber ich sage auch gleichzeitig: in Wirtschaft und selbst in die Gesellschaft – schwindet. Deswegen wäre es gut, wenn wir ein bisschen bescheidener – vielleicht auch in dieser Debatte – formulieren würden. Meine Damen und Herren, ich stelle mich dieser Skepsis, zumal – auch das sage ich offen – die Spitzen der Koalition in den vergangenen Monaten kein gutes Bild abgegeben haben. Ja, wir müssen besser werden – handwerklich, kommunikativ. Und ich sage auch sehr deutlich: Die Antworten können unterschiedlich sein; aber am Ende – gerade für diese Koalition – steht ein gemeinsames Ganzes, das auch nur diese politische Verbindung in dieser Legislaturperiode erreichen kann.

Deswegen bin ich auch so stolz, dass wir vor zwei Jahren diese Verbindung eingegangen sind. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, miteinander können wir erfolgreich sein; denn nur in dieser Konstellation können die Herausforderungen beantwortet werden. In keiner anderen politischen Konstellation – schauen Sie sich den Deutschen Bundestag an – wäre es möglich, den Umbau der Arbeit und der Wirtschaft zu Klimaneutralität und einen neuen Rechtsrahmen zu schaffen, der sich speist aus Liberalität, aus einem Verantwortungsbewusstsein für das Klima, aber gleichzeitig auch den sozialen Rückhalt zu verankern. Das macht diese Koalition aus. Deswegen sage ich: Auch dafür steht meine Fraktion, liebe Kolleginnen und Kollegen.

 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Da hilft eine Hauruckrede, ein Mit-der-Faust-auf-denTisch-Schlagen allein nicht weiter. Was genauso weiterhilft, ist – als gute Voraussetzung – eine verlässliche und auch unaufgeregte parlamentarische Arbeit. Ich sage das sehr selbstbewusst: Das Gebäudeenergiegesetz steht für diese verlässliche und unaufgeregte Arbeit,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

ein Gesetzentwurf, der in mühevoller Kleinarbeit von den Abgeordneten vom Kopf auf die Füße gestellt worden ist. Ich darf das hier auch als selbstbewusster Parlamentarier so sagen: Ich hätte es mir zumindest nicht gewünscht, diesen Gesetzentwurf in dieser Form hier im Deutschen Bundestag zu sehen; aber das kann man sich nicht aussuchen. Aber wir haben es eben geschafft, die Grundlagen zu verändern. Die kommunale Wärmeplanung wird jetzt damit verkoppelt, und beides tritt am 1. Januar 2024 in Kraft.

Die Zeiträume sind geändert worden, und gleichzeitig werden die Hilfen ganz konzentriert auf diejenigen hin orientiert, die sie brauchen, weil wir in dieser Koalition, meine Damen und Herren, dafür angetreten sind – und deswegen hat auch meine Partei Ja gesagt –, dass Klimaschutz sich alle leisten können müssen, und genau so ist das Gebäudeenergiegesetz auch konzipiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Daher sind souveräne und selbstbewusste Parlamente in Europa, in den Ländern, aber eben auch das Parlament im Bund die Architekten und gleichzeitig die Handwerker, die für diese Zeitenwende gut ausgerüstet sind. Ja, wir dürfen die Herausforderungen – das habe ich gesagt – nicht kleinreden, und ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger spüren diesen Druck. Deshalb wissen sie auch um die strukturellen Gründe der Herausforderungen, vor denen Deutschland steht. Natürlich ist die weltweite Konjunktur ein Problem für ein so exportorientiertes Land wie Deutschland. Aber nicht nur für Exportabhängigkeit, sondern auch für Qualität und für den Erfindergeist steht Deutschland. Genau in dieser Richtung müssen wir denken, die Chancen letztlich erkennen.

Deswegen sagen wir ja auch: Wir wollen den Arbeitskräftemangel und den Fachkräftemangel gemeinsam angehen und wissen gleichzeitig, dass es neue wirtschaftliche Zentren in der Welt gibt. Es bleibt nicht so, wie es gewesen ist, wie meine Generation es vorgefunden hat. Wir müssen diesen Weg verändern, wir müssen ihn mitgehen. Meine Damen und Herren, das will meine Fraktion, und ich bin der festen Überzeugung: auch diese Koalition.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Deswegen sage ich auch: Wenn wir auf die Realitäten ganz genau schauen und ein bisschen bescheidener formulieren, dann akzeptiere ich, dass auch uns Versäumnisse aus der Vergangenheit vorgeworfen werden. Aber ich will jetzt einfach mal sagen: Das betrifft dann auch alle. Natürlich gebe ich zu, dass wir manchmal nicht die Kraft gehabt haben, für das Mehrheiten zu schaffen, was so dringend notwendig gewesen wäre.

Ich war damals selbst im Kanzleramt, Herr Merz, als wir über Klimapolitik gesprochen haben. Morgens früh um fünf Uhr haben wir darum gerungen, endlich auch bei den Windrädern, bei der erneuerbaren Energie Wege zu finden. Da ist nicht nur in dieser Koalition blockiert worden; wir hatten auch keine Unterstützung aus den Bundesländern gehabt. Deswegen sage ich: Alles das, was dem Einzelnen hier vorgeworfen wird, betrifft das Ganze. Daher ist es gut, dass diese Koalition endlich diesen Wandel, endlich diese Wende macht. Deshalb sage ich sehr deutlich: Selbstbewusste Parlamente und meine Fraktion werden daran mitwirken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir haben etwas erreicht in den zwei Jahren. Die Halbzeitbilanz ist gut. Wir haben wichtige Etappen zurückgelegt, bleibende Veränderungen, soziale Rechte geschaffen, insbesondere für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Familien. Ich nenne das Wohngeld – nicht nur ist es erhöht worden, sondern es ist auch ausgeweitet worden – und das Bürgergeld. Herr Kollege Merz, jeder Fünfte ist deswegen auf das Bürgergeld angewiesen, weil er zu wenig Einkommen hat – darum geht es in diesem Land –, weil zu gering bezahlt wird.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und Sie haben dem Bürgergeld zugestimmt, aber dem Mindestlohn nicht! Da dreht sich etwas um. Ich finde, das ist verantwortungsvoll, wenn wir so handeln. Ich nenne auch das Kindergeld. Da hat offensichtlich niemand zugehört – bis in die Kreise derer, die sich in den letzten Wochen und Monaten abgemüht haben. Das haben wir mit 7 Milliarden Euro angepasst. 250 Euro für jedes Kind ab dem ersten Kind, und dann gibt es noch den Kinderzuschlag.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da kommt aber bei den Bürgergeldkindern nichts von an!)

Das ist etwas, um das Plateau für die Kindergrundsicherung zu finden. Das hat das Parlament gemacht, der Haushaltsgesetzgeber, und das war richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Energiesicherheit, Digitalisierung, Arbeits- und Fachkräfte, aber eben auch: die Tarifautonomie stärken. Es geht um Mitbestimmung in den nächsten Monaten, wenn wir hier im Deutschen Bundestag darüber debattieren: Was ist mit dem Betriebsverfassungsgesetz? Mitbestimmung ist eine wichtige Verbindung in einem Staat, der sich Sozialstaat nennt. Das kostet nichts, sondern das gibt etwas; das gibt nämlich Sicherheit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, und es gibt Sicherheit den Unternehmen, weil sie wissen: Alle, die dort in dem Unternehmen sind, arbeiten Hand in Hand. Genau das ist das, was Deutschland als Sozialmodell anbietet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deswegen, Herr Bundeskanzler, kann ich für meine Fraktion sagen, dass wir an diesem Deutschlandpakt mitwirken werden. Wenn Herr Dobrindt für die gesamte Fraktion gesprochen hat, dann nehme ich das gerne auf, dass Sie, Kollege Dobrindt, daran mitwirken wollen. Wir haben es ja nicht nur in Richtung von Ihnen als Fraktion gesagt, sondern weil wir auch die Bundesländer brauchen, weil wir doch auch die Kommunen brauchen. Darum geht es. Deshalb sage ich: Ja, das Angebot des Bundeskanzlers für den Deutschlandpakt ist richtig. Lasst ihn uns anpacken! Ich glaube, das ist ein guter Schritt in den kommenden zwei Jahren dieser Legislaturperiode.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wenn ich gleichzeitig von konjunkturellen Schwächephasen spreche, Herr Finanzminister und an die ganze Bundesregierung gerichtet, so muss ich bekennen, dass Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen in unserer 160-jährigen Geschichte fest der Auffassung gewesen sind, dass eine antizyklische Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber gleichzeitig auch eine faire Lastenteilung von Einkommen und Vermögen in dieser Gesellschaft zusammengehören.

Ich akzeptiere, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Aber ich will Ihnen sagen: Die Beispiele dafür in der Welt treffen eben zu, dass genau die Staaten, die beides verknüpfen, antizyklische Wirtschafts- und Finanzpolitik auf der einen Seite und die Schaffung von Gerechtigkeit in der Gesellschaft auf der anderen Seite, zurzeit einen Standortvorteil haben, und genau diesen Weg wollen wir gehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])

Manche überrascht es ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass genau die USA, die Biden-Regierung das tut. Wir reden hier immer über den Inflation Reduction Act; aber darum geht es überhaupt nicht nur. Da geht es auch um soziale Gerechtigkeit, geschaffen durch eine demokratische Regierung in ihrem Land, wenn sie auf Gesundheitspolitik achtet, wenn sie auf die ärmeren Menschen achtet. Genau diese Verknüpfung anzubieten, ist, glaube ich, gut; das muss ich selbstbewusst für uns sagen. Ich akzeptiere auch andere Meinungen. Das ist doch unsere Stärke in dieser Regierung: dass wir beides miteinander verknüpfen können. Genauso wollen wir in den nächsten Wochen, meine Damen und Herren, auch den Haushalt gestalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich glaube, es ist richtig, dass wir ein Wachstumschancengesetz auf den Weg bringen. Lassen Sie uns, Herr Finanzminister, gemeinsam überlegen, wie die Hinweise – ich nenne es jetzt mal positiv „Hinweise“ – von den Ländern möglicherweise aus einem guten einen besseren Gesetzentwurf machen, wenn wir insbesondere über Innovationsförderung reden, die Frage der Belastung der Kommunen aufgreifen – darauf sollten wir uns auch noch mal hinbewegen –, aber gleichzeitig eine aktive Wirtschaftspolitik betreiben, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Familien guttut.

Deswegen sage ich Folgendes sehr deutlich für meine Fraktion. In der letzten Zeit hat es sich in Deutschland festgesetzt, und manchmal – das darf ich so sagen – finde ich es eine deutsche mediale Krankheit, dass wir nur in Extremen diskutieren, dass wir uns plötzlich so schlechtreden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Lichter und die Heizungen sind im letzten Jahr nicht ausgegangen. Salzgitter baut das erste Stahlwerk mit grünem Stahl; thyssenkrupp kommt hinterher.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Neue Batteriefirmen werden in Deutschland angesiedelt. Meine Damen und Herren, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren: Diese gesamte Diskussion, ob wissentlich und willentlich oder einfach nur, indem man nicht genau hinschaut, bereitet wieder einer Debatte, die ich aus Deutschland kenne, Vorschub, nämlich den Sozialstaat zum Sündenbock zu machen. Da sage ich ganz klar: Hier sagen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Nein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auch wir haben eine Schmerzgrenze, meine Damen und Herren. Ich glaube, es ist gut, gemeinsam zusammenzuwirken für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Familien, für dieses Land.

Deswegen sage ich sehr deutlich: Es lohnt sich, in den nächsten Wochen miteinander über vieles noch zu reden.

Vielen Dank.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 06.09.2023
Thema: 
Plenarrede