Power Shifts and the Power of Ideas: Germany and Japan in the G-20 World

Mein Damen und Herren, herzlichen Dank für die Einladung.

Es ist mir eine Freude und Ehre, vor einem solch hochrangigen Publikum die Keynote-Speech halten zu dürfen. Das Thema der globalen Machtverschiebung und die Rolle Deutschlands und Japans in der G-20-Welt ist hochaktuell. Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter des europäischen, insbesondere britischen Imperialismus. Das 20. Jahrhundert gehörte mit den Siegen im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg den Vereinigten Staaten. Das 21. Jahrhundert sieht nun Asien ins Zentrum der Weltwirtschaft und der Weltpolitik rücken. Ein halbes Jahrtausend westlicher Dominanz ist zu Ende. Ein neues Mächtemuster gewinnt Gestalt.

Für die westlichen Industrienationen, die G7, stellt der Anbruch des asiatischen Zeitalters eine Zäsur von viel größerer Tragweite dar als das Ende des Kalten Krieges. Damals ging es um eine Neuordnung des europäischen Zivilisationskreises. Heute sieht sich die Welt mit der Renaissance eines Kultur- und Zivilisationskreises konfrontiert, der sich vom Westen in fundamentaler Weise unterscheidet. Die USA und China ? und vermutlich in Zukunft auch Indien ? sind dabei die entscheidenden Akteure. Einige Beobachter gehen davon aus, dass der nächste weltpolitische Führungswechsel unmittelbar bevorstehe: China habe die USA schon jetzt eingeholt, werde sie bald wirtschaftlich, und in der weiteren Folge auch militärisch überholen.

Diese Analyse erscheint mir in mancherlei Hinsicht vorschnell. Die Ängste vor der Macht und einer Alleinstellung Chinas sind meines Erachtens übertrieben. Das Land steht vor gewaltigen innenpolitischen Herausforderungen: Es fehlen soziale Sicherungssysteme, die Umweltverschmutzung nimmt zu und das Einkommensgefälle wächst. Zudem ist China gerade wegen seiner Exportabhängigkeit auf stabile Rahmenbedingungen angewiesen und darauf, dass seine hohen Wachstumsraten anhalten, was nicht selbstverständlich ist. Seine hohen Devisenreserven bewirken gleichzeitig eine gegenseitige Abhängigkeit von den USA. In gewisser Weise sind Amerika und China aufgrund dieser engen Verflechtung quasi zur Kooperation verdammt.

Eines steht allerdings fest. Über ihren wirtschaftlichen Aufstieg sind die G-20-Staaten auch politisch zu neuen Kraftzentren geworden. Sie erheben selbst einen stärkeren Gestaltungsanspruch in der internationalen Politik. Sie können und müssen deshalb auch stärkere Verantwortung übernehmen. Bislang hat die weltpolitische Rolle Asiens nicht mit dem wirtschaftlichen Bedeutungszuwachs Schritt gehalten.

Ich möchte mich in meiner kurzen Rede auf drei Punkte konzentrieren.

1.    Auflösung des asiatischen Sicherheitsdilemmas durch Kooperation und Dialog

Deutschland und Japan haben beide ein fundamentales Interesse daran, dass es nicht zu einem sich gegenseitig verstärkenden Sicherheitsdilemma zwischen China und den USA kommt. Chinas Auftreten wird von vielen Nachbarn als zunehmend aggressiv empfunden. Dies hat zudem den Effekt, dass sich die Nachbarstaaten enger an die USA orientieren. Die Region mag pazifisch heißen, doch macht sie das nicht automatisch friedvoll. Denn Asien ist nicht nur zum dynamischen Zentrum der Weltwirtschaft geworden,  es ist zugleich auch der Herd für mehrere akute oder schlummernde Konflikte. Ich denke an die koreanische Halbinsel, an das schwierige Verhältnis zwischen China und Japan, an Taiwan, an das Südchinesische Meer, an den indischen Subkontinent mit der Rivalität zwischen Islamabad und Delhi sowie an den Indischen Ozean mit seinen verletzlichen Meerengen. Das künftige Schicksal der Weltwirtschaft ist eng mit Asiens Wohlstandsmehrung verbunden. Doch auch viele künftige globale Krisen werden ihren Ursprung in Asien haben.

Mit dem Aufstieg Chinas zur Weltmacht sind nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten verbunden. Wir sollten uns auch nicht scheuen, die kritischen Punkte des chinesischen Aufstiegs (Aufrüstung , Missachtung der Menschenrechte, Ausbeutung der Natur etc.) zu benennen. Die Zukunft wird zeigen, ob China bereit ist, auch als globaler Akteur zu handeln und öffentliche Güter bereitzustellen. Oder wird China angesichts des eigenen großen Binnenmarktes gar einen isolationistischen Weg wählen? Dies hätte für die globale Ordnung ähnlich verheerende Folgen, wie der Rückzug der USA nach dem 1. Weltkrieg. Fakt ist, dass die regionalen und globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen, ohne die Mitwirkung Chinas praktisch nicht zu bewältigen sind.

Wir brauchen zur Verwaltung der weltweiten öffentlichen Güter eine "globale Ordnungspolitik". Die Rivalitäten zwischen den großen Mächten sind heute nicht mehr mit territorialen Eroberungsabsichten verbunden. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Verteilung der globalen öffentlichen Güter. In allen globalen Politikbereichen, wie bspw. der Klimapolitik, geht es de facto um Wohlstandsverteilung. Wer zahlt den Preis für Umweltschutz und Nachhaltigkeit? Dies wird das bestimmende Thema des 21. Jahrhunderts sein. Es muss daher das oberste Ziel einer europäischen Außenpolitik sein, an der Ausbildung globaler Ordnungsmacht im Rahmen der Vereinten Nationen mitzuwirken.

Im Unterschied zu Europa kennt Asien keine die ganze Region umfassenden Institutionen der Zusammenarbeit. Es dominieren die bilateralen Strukturen, der Multilateralismus ist bisher nur schwach ausgeprägt. Dies gilt vor allen Dingen auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik. Das Shanghai Cooperation Council und das Asian Regional Forum (ARF) im Rahmen von ASEAN sind durchaus erfolgversprechende Modelle. Nun geht es darum sich in der asiatisch-pazifischen Region auf die Errichtung von engeren, verbindlicheren Sicherheitsstrukturen zu verständigen. Die Entwicklung in Myanmar könnte ebenfalls neue Impulse geben.

Auch ein Blick auf die europäischen Erfahrungen kann hilfreich sein. Mit der Gründung der Europäischen Union haben die Staaten Europas einen innovativen und erfolgreichen Weg beschritten. Trotz der tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise ist und bleibt die EU eine Erfolgsgeschichte. Die Grundlagen zur Überwindung des Ost-West-Konfliktes und der Teilung Europas waren auch die Prinzipien der KSZE-Schlussakte von Helsinki: Gewaltverzicht und friedliche Veränderung der Grenzen. Dies ermöglichte letztendlich die deutsche und europäische Einigung. Unsere Erfahrungen mit einer multilateralen und kooperativen Sicherheitsordnung lassen sich sicherlich nicht eins zu eins übertragen. Aber sie sind es wert, genau betrachtet zu werden. Die EU kann zwar kein Modell aber durchaus Inspiration sein.

2.    Verrechtlichung der internationalen Beziehungen

Ich bin fest von der Notwendigkeit überzeugt, dass Asien und Europa die globalen Herausforderungen (Klimawandel, Schuldenkrise, nukleare Proliferation) gemeinsam angehen. Dafür brauchen wir eine faire und gerechte Weltordnung. Gleiches Recht für alle gilt dabei nicht nur für Fragen des Welthandels und des Wettbewerbs, sondern auch für Fragen des Ressourcenverbrauchs und der CO2-Emissionen. Zu einer gerechten Weltordnung gehört auch die Stärkung und der Umbau der entsprechenden Institutionen. Auch wenn der UN-Sicherheitsrat immer noch die Machtverteilung nach dem Zweiten Weltkrieg widerspiegelt, bleiben die Vereinten Nationen wichtig. Deutschland unterstützt eine Reform des Sicherheitsrates, die Asien deutlich mehr Gewicht geben würde. G-8 und G-20 sind wichtige informelle Abstimmungsgremien, aber keine Alternative zu den Vereinten Nationen. Sie können die Vereinten Nationen unterstützen, aber diese niemals ersetzen. Dafür fehlt ihnen die Legitimation.

 Ebenso benötigen wir eine weitere Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Die Internationale Gerichtshof, der Strafgerichtshof in Den Haag und der Seegerichtshof in Hamburg müssen gestärkt werden: Territorialstreitigkeiten auf See könnten in Zukunft durch Gutachten des internationalen Seegerichtshofes oder durch die Einsetzung internationaler Schiedsgerichte entschieden werden. Auch hier gibt es europäische Beispiele wie die erfolgreiche Schlichtung der Gebietsstreitigkeiten zwischen Slowenien und Kroatien in der Adria um die Bucht von Piran. Es gibt genug Beispiele, wo sogar nach Bürgerkriegserfahrungen Territorialstreitigkeiten durch internationale Schiedsgerichte beigelegt werden konnten.

3.    Die Bedeutung von Respekt und Empathie in den internationalen Beziehungen

Erlauben Sie mir noch einen dritten und letzten Punkt zu nennen, der häufig unterschätzt wird. Die Bedeutung von Respekt, Empathie und Versöhnung in den internationalen Beziehungen. Ein Faktor, auf den gerade auch der asiatische Kulturkreis großen Wert legt.  Ein solche Aussöhnung muss nicht zwangsläufig mit materiellen Kosten verbunden sein. Es gibt auch die immaterielle Form der Aussöhnung durch Gesten. Die berühmteste ist hier sicherlich der Kniefall von Willy Brandt vor dem Ehrenmal der Helden des Warschauer Ghettos 1970. Eine Geste, die der Ostpolitik den Weg ebnete und für die Willy Brandt 1971 den Friedensnobelpreis erhielt. Ebenso wurde die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg auch durch symbolische Gesten unterstrichen. Die Umarmung zwischen Adenauer und de Gaulle während der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages 1963 und der Handschlag zwischen Helmut Kohl und Francois Mitterand über den Soldatengräbern von Verdun 1984 gehören dazu. Sie sind Teil der Erinnerungskulturen Frankreichs und Deutschlands geworden.

Respekt und Empathie fallen ebenso unter den Begriff der soft power, wie Wirtschaftskraft, Innovationsfreude und die kulturelle Anziehungskraft. Militärische Macht spielt hingegen eine zunehmend geringere Bedeutung. Die Anerkennung eines Großmachtstatus ist nicht mehr nur an Ressourcen gekoppelt. Die Mächte der Zukunft brauchen andere Fähigkeiten: Soft power, Friedens- und Stabilisierungsfähigkeiten, die Einbindung in kooperative Sicherheitssysteme, die Fähigkeit zur regionalen Zusammenarbeit und die Bereitschaft internationale Verantwortung zu nehmen, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Regionalbündnissen.

Für eine friedliche Gestaltung der zukünftigen internationalen Beziehungen wird es meiner Meinung nach jedoch entscheidend sein, dass sich die letzte Supermacht USA und die neue Weltmacht China zusammen mit der Europäischen Union und Japan  im Rahmen der G-20 auf eine kooperative Gestaltung einer Weltordnung verständigen können.

 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Tokio, 19.04.2012
Thema: 
Rede anläßsslich eines Symposiums von Asahi, Deutscher Botschaft, GRIPS und SWP in Japan