Plenarrede zur Rüstungskontrolle

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mir scheint, es ist richtig, dass wir im Deutschen Bundestag erneut über lebenswichtige Fragen, insbesondere über Abrüstung und Rüstungskontrolle und über Frieden und Sicherheit, sprechen. Denn diese vier Elemente gehören zusammen. Es war gute Tradition Europas und damit auch Deutschlands, dies gemeinsam zu denken, um die Blockkonfrontation zu überwinden und um eine Perspektive für Europa zu schaffen, aber auch um Vorbild für andere Regionen in der Welt zu sein.

Deswegen ist es richtig, zu sagen: Ja, wir haben eine Krise der Abrüstung und Rüstungskontrolle, und zwar nicht erst seit den letzten Monaten. Im Grunde genommen haben wir sie - das ist eigentlich verwunderlich - seit dem Ende des Ost-West-Konflikts. Eigentlich wäre es gerade nach dem Ende des Ost-West-Konflikts notwendig gewesen, die Chance zu nutzen, für Abrüstung und Rüstungskontrolle zu sorgen.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Ist nicht passiert!)

Es geht aber nicht um eine einseitige Abrüstung und Rüstungskontrolle, sondern wir wollen eine verabredete, verbindliche, überprüfbare und in die Zukunft gerichtete Abrüstung und Rüstungskontrolle.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, das Problem ist, dass wir nicht nur eine Krise der Abrüstung und Rüstungskontrolle haben, sondern dass auch die noch bestehenden Verträge nicht mehr angewandt werden oder auslaufen. Auf diese Verträge wird man sich in wenigen Jahren nicht mehr beziehen können. Auch das ist ein großes Problem. Ich meine, dass wir über diesen Aspekt reden müssen.

Der zweite Aspekt, über den wir hier im Deutschen Bundestag sprechen müssen, ist: Kernwaffen spielen plötzlich eine neue Rolle, und zwar unabhängig von den jeweiligen Ländern, also den Kernwaffenbesitzern. Dies muss zu denken geben. Früher waren Kernwaffen Waffen, die nicht eingesetzt werden sollten. Sie waren vorhanden und dienten im Grunde genommen zur Abschreckung, sollten aber nicht eingesetzt werden. Das war zumindest die Logik. Ob man sich ihr unterwerfen wollte, war eine politische Frage. Dieser Aspekt wurde aber zumindest von denjenigen, die Kernwaffen befürwortet haben, vertreten.

Davon lösen sich mehr und mehr Länder. Das sind nicht die USA alleine, das sind auch Russland und die Volksrepublik China. Leider modernisieren auch unsere europäischen Partner Frankreich und Großbritannien ihre Waffen. Auch darüber muss man offen reden. Das dient nach meinem Dafürhalten nicht dem guten Gedeihen gemeinsamer Sicherheitsinteressen in unserer Region.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem anderen Punkt, bei dem ich das unterstütze,was mein Kollege Guttenberg gesagt hat   ich verstehe nicht, warum Sie in Ihrem Antrag die Augen davor verschlossenhaben -: Wenn man schon über die Kernwaffenländer spricht, dann muss man auch über die Länder sprechen, die Kernwaffen anstreben, die also darüber nachdenken und alles dafür unternehmen, sie zu erhalten.

Das haben Sie in Ihrem Antrag leider nicht getan. Im Gegenteil! Es verwundert mich weiterhin, dass zum Beispiel der Kollege Lafontaine vom unmittelbaren Recht Irans auf die gesamte Beherrschung des Brennstoffkreislaufes spricht,

(Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg [CDU/CSU]: Richtig! Unglaublich schlüssig!)
 
obwohl er doch weiß - nicht nur, weil die USA das sagen; das muss er ja nicht glauben -, dass die Internationale Atomenergiebehörde vor einer Woche in ihrem Gouverneursbericht über die Frage, ob Sicherheitsgarantien eingelöst worden sind, dem Iran erneut ein Extrakapitel gewidmet hat. Die Internationale Atomenergiebehörde sagt doch die ganze Zeit: Der Iran verstößt dagegen. Er benutzt sein Programm zu militärischen Zwecken. -  Dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen, verwundert mich wirklich. Man kann nicht insgesamt für Abrüstung und Rüstungskontrolle streiten, wenn man davor die Augen verschließt.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Ein anderer Punkt ist - das muss man genauso benennen -, dass es nicht nur um den Iran, sondern beispielsweise auch um Brasilien, Pakistan und Indien geht. Man könnte eine ganze Palette aufzählen. Wenn man sich hier im Deutschen Bundestag ernsthaft über Rüstungskontrolle und Abrüstung unterhalten will, dann hätte man das nach meinem Dafürhalten zumindest benennen müssen.

Ein weiterer Punkt, über den man diskutieren sollte - das sind ja auch wichtige Erfahrungen in der internationalen Politik -, lautet: Wie gehen wir mit denjenigen Staaten um, die Kernwaffen anstreben? In den letzten Jahren haben wir zwei Erfahrungen machen können. Die beiden Länder Libyen und Nordkorea haben auf ihre Kernwaffenprogramme verzichtet - das eine nachprüfbar, das andere hoffentlich bald nachprüfbar.

Ich glaube, der wichtigste Ansatz, aufgrund dessen diese diplomatischen Erfahrungen gemacht werden konnten, war, dass insbesondere auch die USA die Regime anerkannt und einen Dialog geführt haben. Sie haben zwar keine Sicherheitsgarantien gegeben - das kann man auch nicht unmittelbar verlangen -, aber sie haben zumindest akzeptiert, dass auf der anderen Seite jemand sitzt, mit dem man versuchen muss zu sprechen. Das entspricht auch unserer Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung, und das unterstützen wir: Sie muss versuchen, die USA auch an den Iran heranzuführen.

Es war ein wichtiger Punkt, dass sich Delegierte der US-Administration mit iranischen Regierungsvertretern zusammengesetzt haben. Dazu hat unter anderem die Bundesregierung mit beigetragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das war wichtig und ist Teil des Entspannungsprozesses. Dann wurden zum Beispiel bei Verwandtenbesuchen im Iran amerikanische Staatsbürger inhaftiert, und dieses zarte Pflänzchen der Hoffnung wurde wieder zerstört. Aber deswegen dürfen wir nicht aufgeben, den Versuch einer diplomatischen Lösung weiter zu unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte noch auf den Raketenschirm eingehen, weil wir in Europa davon besonders betroffen sind. Das Thema gehört ins Plenum des Deutschen Bundestages und in die Ausschüsse, aber auch bei den Regierungskonferenzen muss hinter verschlossenen Türen offen darüber geredet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich akzeptiere die militärischen Reaktionen Russlands in dieser Frage nicht. Sie sind empörend.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Man kann nicht den KSE-Vertrag sozusagen als Geisel nehmen und ein Moratorium verkünden. Das ist in dem Vertrag gar nicht vorgesehen. Aber allein das Aussprechen dieser Drohung ist fatal. Sie kann aus unserer Sicht auch nicht unsere Unterstützung finden. Wir können allenfalls eine Diskussion über die Frage unterstützen, wie der KSE-Vertrag möglicherweise ratifiziert oder angepasst werden kann. Das ist ein wichtiger Punkt.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Umso empörender war, dass Russland angekündigt hat, vielleicht mit russischen Atomraketen neue Ziele in Europa in den Blick zu nehmen. Eine solche Reaktion erwarten wir meines Erachtens zu Recht nicht von Russland.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der CDU/CSU und der FDP)

Festzustellen ist - das meine ich nicht ironisch -, dass wir im Zusammenhang mit der Diskussion über den Raketenschirm eine lupenreine Krise in Europa haben. Das ist nicht nur gegenüber Russland eine Herausforderung, sondern insbesondere auch gegenüber den europäischen Staaten und den Staaten, die sich verpflichtet haben, innerhalb eines Verteidigungsbündnisses - nämlich der NATO - nach gemeinsamer Sicherheit zu streben.

Es ist fatal, dass die USA mit ihrem unsensiblen Vorgehen bilateral mit Ländern über die Frage sprechen, wie Sicherheit hergestellt werden kann. Das mag zwar für deren diplomatisches Vorgehen wichtig sein; es ist aber falsch. Es widerspricht den Erfahrungen mit Europa und unseren Erfahrungen mit der deutschen Außenpolitik.

Ein weiterer Punkt, der mir Sorge bereitet, ist die Begründung. Es sind hauptsächlich militärische Gründe, die wahlweise immer wieder angeführt werden. Vor einigen Monaten galt Nordkorea als besondere Herausforderung, was den nationalen Raketenschirm angeht. Jetzt hat man mit diplomatischen Mitteln versucht, Nordkorea mit ins Boot zu holen, und sieht den Iran als Herausforderung an.

Wenn es aber Bedrohungen gibt - das haben wir letzte Woche im Auswärtigen Ausschuss gelernt -, dann ist diese Herausforderung durch Pakistan gegeben. Dieses Land ist politisch sehr instabil, rüstet auf, verfügt über Raketen und exportiert diese Raketentechnologie. Das sind besondere Herausforderungen, die nach meinem Dafürhalten die USA sensibilisieren müssten, mit den pakistanischen Verbündeten darüber zu sprechen.
 
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN)

Zurzeit können nur wenige europäische Länder den Versuch machen, sich mit Empathie in den anderen hineinzuversetzen und mit Rücksicht auf dessen Sicherheitsempfinden zu diskutieren. Ich glaube, dabei ist Deutschlands Rolle gegenüber Russland sehr wichtig. Wir sollten uns vielleicht mit antirussischen Reflexen zurückhalten. Wir dürfen nicht in die alte Wortwahl verfallen.

Vielmehr sollten wir durchaus mit Respekt gegenüber einem Nachbarn, der auch unsere Sicherheit in Europa in Zukunft mitverantwortet, den Versuch machen, ihm zuzuhören. Ich glaube, das hat die Bundesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten getan. Das muss man unterstützen. Es geht sicherlich nicht darum, dass nur irgendwelche kritischen Geister darüber nachdenken. Vielmehr hat sich auch Ulrich Weisser, den man nicht in eine bestimmte Ecke einordnen kann - er schreibt für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik interessante Artikel über Russland -, entsprechend geäußert.

Ich glaube, das sollten wir an dieser Stelle übernehmen. Dabei handelt es sich um sehr kluge Hinweise. Darunter ist ein wichtiger Punkt, den wir in diesem Zusammenhang bedenken müssen: Wir brauchen Russland für vielfältige Fragen der Sicherheit auch in Europa. Wir haben eben über den Kosovo gesprochen; wir brauchen ihn für den Iran. Russland aber war das Land, das letzte Woche versucht hat, die nordkoreanische Atomkrise über Bankengeschäfte ein wenig zu entproblematisieren. Das war wichtig. Daran sieht man, wo Russland wichtig ist. Ich glaube - da unterstütze ich Sie, Herr Kollege Hoyer -, dass wir genügend Zeit haben zu versuchen, an dieser Stelle wieder zur Rationalität zurückzufinden,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

um mit Russland - aber auch mit anderen Ländern; China fühlt sich durch die unterschiedlichen Systeme, die vonseiten der USA aufgestellt werden, genauso herausgefordert - im NATO-Russland-Rat, aber auch in anderen Institutionen zu reden.

Der Punkt ist doch, dass Verträge, gemeinsame Sicherheit, aber natürlich auch Verteidigungsfähigkeit die Wiedervereinigung Europas möglich gemacht haben. Dieses Geschenk muss man bewahren. Ich glaube, dass wir es zusammen mit Russland bewahren müssen. Das ist nach meinem Dafürhalten an dieser Stelle der Auftrag.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss einen Vorschlag unterbreiten - dass ich der Regierungskoalition angehöre, bedeutet ja nicht, dass ich nicht auch einmal einen Vorschlag in Richtung der Regierungsbank machen kann -:

Ich hätte mir schon gewünscht, dass bei dem G-8-Gipfel in Heiligendamm das Thema "Abrüstung und Rüstungskontrolle" aufgenommen worden wäre. Wir werden die Chance, dieses Thema aufzugreifen, allerdings noch in den nächsten Monaten haben; denn die deutsche Bundesregierung hat weiterhin den Vorsitz in der G 8.

Ich hielte es für gut, wenn man gemeinsam mit den Partnern in der G 8 noch einmal über die hier besprochenen Herausforderungen nachdenken würde, und zwar nicht nur über die Frage des Raketenschirms. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit gute Vorschläge gemacht. Sie beteiligt sich an dem Verbot von Streumunition. Außenminister Steinmeier hat einen Vorschlag für den internationalen Brennstoffkreislauf unterbreitet.

Die deutsche Bundesregierung bereitet die Überprüfungskonferenz zum Nichtweiterverbreitungsvertrag 2010, wie ich denke, sehr gut vor. Dabei haben Sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach meinem Dafürhalten sind vier Punkte von Ihnen positiv abgearbeitet.

Vielen Dank.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 21.06.2007
Thema: 
Krise der Rüstungskontrolle