Plenarrede zum Libanoneinsatz

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

unsere Fraktion wird heute über den Einsatz der Bundeswehr vor der libanesischen Küste nicht einheitlich abstimmen. Wie sollte das in dieser Frage auch möglich sein? Der Libanon-Einsatz ist nicht nur ein schweres, er ist auch ein außergewöhnliches Mandat. Das ist ein Mandat, das die Gefühle und das Gewissen aufwühlt. Unabhängig wie einzelne Kolleginnen und Kollegen gleich abstimmen werden - einige werden auch dann noch letzte Zweifel nicht bestreiten wollen.

Die Motive derjenigen, die mit "Nein" stimmen werden, sind vielfältig: Manche führen grundsätzliche Bedenken gegen einen militärischen Einsatz vor. Für manche kommt dagegen die ganze Anfrage zu früh. Wieder andere befürchten die Einbeziehung in Kämpfe. Einzelnen Abgeordneten sind die Einsatzregeln und das Mandat zu ungenau - und damit nicht ausreichend.
Dennoch fragen diese Kolleginnen und Kollegen, ob ihr "Nein" nicht fehl gedeutet oder gar missbraucht werden könnte. Denn es liegt doch auf der Hand: Wenn Israel eine deutsche Beteiligung wünscht, dann kann man doch schlecht argumentieren, dies widerspräche dem israelischen Sicherheitsinteresse. Andere fragen, ob ein "Nein" eine, wenn auch noch so geringe Hoffnung aus der Gewaltspirale auszubrechen, behindern könnte. Und vor allem: könnte ein "Nein" eine dumpfe Minderheit in unserem Land dazu verleiten, dieses "Nein" als gegen Israel gerichtet zu sehen.

Aber auch einige derjenigen, die mit "Ja" stimmen, werden letzte Zweifel behalten. Manche werden mit Rücksicht auf Israel "Ja" sagen. Andere werden "Ja" sagen, weil sie die Souveränität und die Autorität des Libanon stärken wollen. Andere werden mit Respekt gegenüber den Vereinten Nationen zustimmen. Und wieder andere wollen vor allem einen brüchigen Waffenstillstand sichern helfen.

Die Zweifel bleiben dort bestehen, wo Viele nicht ausschließen können, dass dies der Beginn eines langen militärischen Engagements sein könnte. Andere wissen um die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen oder befürchten Anschläge gegen die Marineverbände.

Diese von vielen gehegten letzten inneren Unsicherheiten sind kein Unvermögen. Vielmehr bildet diese Zerrissenheit die Komplexität und die Einmaligkeit der Entscheidung ab. Sie ist mithin angemessen.

Ich hätte mir gewünscht, dass auch die Spitzenvertreter anderer Fraktionen, vor allem jene, die in den vergangenen Tagen und Wochen mit apodiktischer Bestimmtheit "Nein" gesagt haben oder im Nachhinein alles besser wussten ein wenig Selbstzweifel gezeigt hätten. Das hätte der Debatte gut getan.

Noch vor wenigen Monaten hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Israel der Stationierung deutscher Truppen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zustimmen würde. Mehr noch: Israel hat ausdrücklich um die Beteiligung der Bundeswehr gebeten. Darüber hinaus ist das Land bereit, seine Sicherheit im Norden an eine durch die UN mandatierte und geführte Truppe zu übertragen. Beide Vorgänge sind beeindruckend und einmalig.

Deshalb geht es beim UNIFIL-Mandat auch um die Sicherheit Israels. Die Truppe handelt aber nicht an Stelle Israels. Die Bundeswehr ist Teil einer UN-Friedenstruppe. Sie ist weder Partei noch Schiedsrichter. UNIFIL handelt im Auftrag der internationalen Gemeinschaft, im Sinne der Sicherheitsratsresolution 1701 und der Einsatzregeln.
 
Die neue UNIFIL kann keinen Frieden erzwingen. Entsprechende Äußerungen während des Besuchs der israelischen Außenministerin waren missverständlich. Die Truppe kann den Waffenstillstand flankieren und den Waffennachschub an die Hisbollah behindern. Wenn sie sogar noch den Rahmen für Gespräche zwischen den Konfliktparteien erleichtern könnte, wäre dies ein gewaltiger Beitrag.

Nur die Konfliktparteien selbst können Frieden schließen. Wir dagegen können Brücken bauen. Wir können zuhören. Wir können Botschaften transportieren. Wir können Ideen befördern. Das ist die Aufgabe der Diplomatie. Und dies hat die Bundesregierung, das hat vor allem der deutsche Außenminister in den vergangenen Wochen getan. Der deutsche Außenminister war zur richtigen Zeit an den richtigen Orten. Wir unterstützen dies und wir ermuntern ihn, auf diesem Weg weiter zu gehen.

Guido Westerwelle behauptete in diesem Zusammenhang, dass "in der deutschen Außenpolitik das Militärische eine der ersten Antworten ist, nicht die letzte." Das ist nicht nur Unfug, das ist Demagogie. Der Außenminister war während des Krieges in Beirut, er war in Jerusalem, er war in Ramallah, in Amman, in Kairo und in Riad. Er hat sich für eine Feuerpause stark gemacht und er hat versucht, Denkblockaden aufzubrechen. Dies ist eine zivile Konfliktbearbeitung im freiheitlichen und demokratischen Sinn. Das hätten Sie unterstützen sollen.

Dabei will ich Ihnen gar nicht vorhalten, dass Sie die liberalen Traditionen in der Außenpolitik verlassen haben. Denn in der Rückschau hat eine liberale Außenpolitik sowohl Licht- als auch Schattenseiten. Vielmehr möchte ich Ihnen sagen: In den vergangenen Monaten haben in erster Linie Sie nochmals unterstrichen, dass Sie derzeit nicht in der Lage sind, eine kluge deutsche Außenpolitik zu formulieren, weil Sie in einem innenpolitischen Tunnelblick gefangen sind. Das macht Sie so unglaubwürdig

Dass weder der Vorsitzende der FDP noch die Linkspartei Selbstzweifel haben, mussten wir in den vergangenen Tagen hinnehmen. Ein wohl begründetes, abgewogenes "Nein" kann niemand kritisieren. Was ich aber kritisiere, ist die Selbstgefälligkeit und die Maßlosigkeit. Maßlos war der Vorwurf von Oskar Lafontaine, dass die, die eine militärische Flankierung des Waffenstillstands befürworten, Deutschland anfälliger für terroristische Anschläge machten. Und selbstgefällig sind diejenigen, die ein "Nein" als das allein richtige Verhalten beschreiben.

Ich glaube aber nicht, dass die Linkspartei für immer den Wunsch der Vereinten Nationen nach Friedenstruppen ablehnen kann. Schauen Sie nach Italien. Die italienischen Kommunisten - beide Parteien dort - haben einen langen, zum Teil schwierigen Lernprozess durchgemacht. Schauen Sie nach Spanien, wo sich bei der Abstimmung über die Beteiligung an UNIFIL lediglich zwei Parlamentarier der Stimme enthalten haben. In Sachen Friedenstruppen sind Sie innerhalb der europäischen Linken weitgehend isoliert. Das sollte Ihnen zu denken geben.

UN-Friedenstruppen können dann sinnvoll sein, wenn sie das Töten stoppen, wenn sie den Rahmen für Stabilität bilden und damit den Dialog zwischen den Konfliktparteien erleichtern. Auch die Linkspartei wird sich dieser grundsätzlichen Frage in Zukunft stellen müssen. Konstruktiver Pazifismus erschöpft sich nicht im Antimilitarismus. Es kann durchaus sein, dass militärische Beiträge in begrenztem Umfang den Aufbau dauerhafter friedensfördernder Strukturen und Mentalitäten erleichtern können.
 
Um derartige Strukturen wird es in den kommenden Monaten gehen. Deutsche Außenpolitik und somit europäische Außenpolitik muss einen politischen Prozess im Nahen Osten initiieren. Natürlich sind wir allein dazu nicht in der Lage. Aber europäische Staaten sind derzeit die vorrangigen Partner für die Region; ob uns dies passt oder nicht. Wir werden akzeptiert und gebraucht. Und nicht zu vergessen: wir sind die unmittelbaren Nachbarn. Dabei geht es um Sofortmaßnahmen sowie um mittel- und längerfristige Schritte. Wie wir diesen Weg nennen, ist unerheblich; und es liegen genügend Vorschläge auf dem Tisch.

Es geht um die Beachtung der legitimen Interessen der Konfliktparteien, um die Förderung von Kompromissen und um die Bildung von Anreizen. Es geht um Entspannung in einem Zeitalter neuer Spannungen. Neben dem israelisch-palästinensischen Kernkonflikt müssen die Beziehungen zwischen Syrien und Libanon auf der einen Seite und die notwendigen Gespräche dieser Staaten mit Israel unterstützt und begleitet werden. Es geht auch um den innerlibanesischen und um den inner-palästinensischen Dialog. Gleichzeitig müssen wir die USA überzeugen, endlich wieder Beiträge zu einer Konfliktregelung mitzugehen und Blockaden zu beenden.

Vor allem aber geht es um die Erkenntnis, dass die Konflikte im Nahen Osten kein Nullsummenspiel sind. Am Ende können nur alle gewinnen.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 20.09.2006
Thema: 
Zweite Beratung und Schlussabstimmung zum Antrag Bundesregierung "Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der "United Nations Interim Force in Lebanon" (UNFIL)
Dateien: 
Libanonrede.pdf