Plenarrede zum Bundeswehreinsatz in Mali

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses haben sich am Montag dieser Woche mit Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses der französischen Nationalversammlung getroffen. Ich fand unsere Diskussionen nicht nur nützlich, sondern auch lehrreich.

So haben uns die Parlamentarier aus der französischen Nationalversammlung zum Beispiel erzählt, dass sie einen ständigen Ausschuss haben, der sich mit Mali und der Sahelzone befasst, und dass sie sehr stark auf die Situation in Algerien schauen, um eine politische Begleitung dieses Konflikts durch das Parlament zu gewährleisten. Wie schon gesagt, fand ich das nicht nur nützlich, sondern hielt es auch für eine lehrreiche Stunde im Hinblick auf eine Demokratisierung von Sicherheitspolitik. Einen Teil haben wir im Deutschen Bundestag erreicht, und ich glaube, in der französischen Nationalversammlung wird darum gestritten.

Wir waren uns mit den Kolleginnen und Kollegen darüber einig, dass absolute Priorität der politische Weg haben muss und nicht das kurzfristige Engagement, das zurzeit die internationale Gemeinschaft versucht. In diesem Zusammenhang war es wichtig, zu sagen: Wir brauchen die Einbindung aller relevanten Gruppen.

In der Tat war dies wichtig. Wir dürfen uns nämlich nicht alleine auf die ethnische Gruppe der Tuareg beziehen, sondern es gibt noch viele andere ethnische Gruppen, zum Beispiel in Mali, die genauso und vielleicht, eben weil sie nicht zur Gewalt greifen, noch eher das Recht an politischer Partizipation und an sozialer und wirtschaftlicher Beteiligung in diesem Land haben. Das muss die internationale Gemeinschaft, das müssen Frankreich, Deutschland und viele andere europäische Partner erreichen. Das Zweite ist genauso wichtig. Wir brauchen auch - und darüber müssen wir mit der malischen Regierung reden - ein Ausstiegsprogramm für Gewaltakteure, für gewaltbereite Gruppen. Ich meine, auch das gehört zu einem politischen Versöhnungsprozess.

Wir können über die europäischen Erfahrungen aus Bürgerkriegssituationen sprechen. Im ehemaligen Jugoslawien gab es den Vertrag von Dayton, der unter anderem auch das Prinzip von Abrüstung und Rüstungskontrolle in die Befriedung von Bürgerkriegen eingebracht hat. Das gehört für Mali und die Sahelzone genauso mit dazu wie andere Fragen auch.

Ich finde es immer sehr interessant, wenn wir gefragt werden: Wie versucht ihr eigentlich, föderale Strukturen aufzubauen? Diese Länder stehen vor denselben Herausforderungen wie wir, weil es dort ebenso regionale Unterschiedlichkeiten gibt, wie sie damals in Europa und auch in unserem Land geherrscht haben. Föderale Strukturen können dazu beitragen, auch Befriedungsprozesse im Inneren zu erreichen. Der Austausch mit den französischen Kolleginnen und Kollegen war schon deshalb wichtig, weil wir dabei auch unsere Erfahrungen einbringen konnten.

Hier ist die Frage aufgeworfen worden: Sollen wir auch vonseiten der internationalen Gemeinschaft auf einen Wahltermin drängen? Darüber wird es keinen Konsens geben. Aber ich möchte davor warnen; denn ich glaube, die Festlegung eines Wahltermins ist nicht die Ultima Ratio für die Befriedung von Konflikten.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Vielmehr kann dies in einem Prozess möglicherweise hilfreich sein. Ein Wahltermin wird auch nur dann eine ehrliche Antwort im Hinblick auf die politische Lage des Landes sein, wenn an diesem Prozess alle Gruppen gleichberechtigt beteiligt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Aus diesem Grunde sollte das von unserer Seite ebenso bedacht werden. Wir müssen uns genau auf die Strukturen, auf die Situation, aber auch auf die regionalen Herausforderungen einstellen. Deswegen warne ich von dieser Stelle aus auch vor einer Vereinfachung der Probleme. Es war nicht hilfreich, dass man die Situation von Mali mit der in Afghanistan vergleicht. Damit werden wir der Herausforderung nicht gerecht, und damit werden wir auch der Verantwortung nicht gerecht, die wir haben.

Es gab zweifellos Versäumnisse vonseiten der internationalen Gemeinschaft. Wir haben diesem Land und den dortigen Herausforderungen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Wir haben uns möglicherweise auch selbst getäuscht, weil uns der eine oder andere etwas erzählt hat, was wir vielleicht gerne hören wollten. Und wir haben in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU versagt. Auch das müssen wir in diesem Zusammenhang eingestehen. Aus all diesen Dingen müssen wir lernen. Insbesondere ist es wichtig, nicht selbstgerecht zu reagieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Linken, Sie haben schon in der ersten Beratung über die beiden Mandate durchaus zu Recht Fragen gestellt. Ich kann aber nicht umhin, Ihnen hier den Vorwurf zu machen: Es ist auch eine Menge Selbstgerechtigkeit dabei.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil Ihnen das Land scheinbar so am Herzen liegt, habe ich mir einmal angeschaut, welche parlamentarischen Initiativen Sie in der letzten Legislaturperiode zu Mali eingebracht haben. Null. Die erste parlamentarische Initiative in dieser Legislaturperiode gab es am 2. März 2012. Ich finde, man darf hier so nicht auftreten und sagen, man habe den Stein der Weisen gefunden und wisse, wie man mit diesen Konflikten umzugehen habe.

(Zuruf von der LINKEN)

Denn ich finde, das, worauf Sie immer mit dem Finger zeigen, zeigt auf Sie zurück.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wenn ich zum Beispiel auf die Website Ihrer Partei gehe und angesichts der aktuellen Situation den Begriff ?Mali? eingebe, dann habe ich sieben Treffer, wovon drei über Boni und Mali berichten und nicht über das Land Mali. Ich finde, das ist zu wenig, wenn man sich der internationalen Herausforderung stellt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das eine oder andere gemeinsam in den Raum zu stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist zu kurz gesprungen. Die Gewalt in Libyen hat die Situation in Mali mit Sicherheit mit destabilisiert. Dahinter muss doch aber die Frage stehen: Woher hatte Gaddafi die Waffen, die in diesen Konflikt in Mali mit eingeführt worden sind?

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Kanzler Schröder! Das mit der Selbstgerechtigkeit ist ein Bumerang! - Weitere Zurufe von der LINKEN)

An dieser Stelle einfach immer nur gewisse Hinweise zu geben, heißt, zu kurz zu springen. Die Gewalt ist in Gaddafis Kerkern erlernt worden und nirgendwo anders. Das ist eine der Herausforderungen, vor denen dieses Land steht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Stinner, ich fand es bemerkenswert, dass Sie gesagt haben: Am Anfang einer Mandatierung müssen wir uns immer die Frage stellen: Genügt ein solches Mandat deutschen Interessen? Natürlich haben wir auch immer noch eine deutsche Außenpolitik. Aber ich habe gelernt: Es geht eigentlich um mehr, es geht sozusagen um die internationale Verantwortung Deutschlands.

Wenn wir glauben, zur Situation nichts beitragen zu können, unterstützen wir zumindest unsere Partner. Die Bedeutung eines Mandats in dieser Situation geht also etwas weiter.

Ich will betonen: Was Kollege Schockenhoff zu den Herausforderungen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union gesagt hat, hebt sich stark ab von der Rede, die der Verteidigungsminister in München zu dieser Frage gehalten hat.

Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich sagen: Die SPD-Fraktion kann heute den Mandaten zustimmen, wenn die Bundesregierung gemeinsam mit unseren Partnern den politischen Möglichkeiten Priorität einräumt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ? Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt das jetzt?)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Wolfgang Gehrcke.

(Zurufe)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen Sie dann schon erleiden.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Im wahrsten Sinne des Wortes!)

Ich weiß, das widerspricht der Haager Landkriegsordnung. Wenn nicht Kollege Mützenich gesprochen hätte, würde ich gar nicht damit anfangen; aber wir streiten ja immer für das Völkerrecht, und ich weiß, dass Kollege Mützenich mit solchen Fragen ernsthaft umgeht. Uns wurde Selbstgerechtigkeit vorgehalten.

(Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP] ? Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch richtig!)

Ich finde, alle Fraktionen in diesem Hause sollten sich fragen, ob sie nicht in einer gewissen Art und Weise selbstgerecht sind. Wenn ich mir so sicher wäre, dass alles, was wir vorschlagen, sobald es Gesetz würde, sofort zu einer Verbesserung der Situation führte, dann wäre ich selbstgerecht. Ich habe aber meine Zweifel daran, und wir artikulieren diese Zweifel hier. Wir sind zumindest in der Lage, das auszuschließen, was wir in der praktischen Erfahrung als falsch erkannt haben. Deswegen frage ich Sie: Sehen Sie nicht die Parallelen zu Afghanistan? Auch ich sehe, dass die Menschen in Mali gejubelt haben, als die Islamisten geschlagen worden sind. Das war nach dem Sturz der Taliban aber auch in Afghanistan der Fall, und die Menschen haben dann den Eindruck gewonnen, dass ihr Land besetzt ist.

Ich möchte davor warnen - ich finde das furchtbar -, dass politische Verantwortung in erster Linie immer mit Militär buchstabiert wird.

(Widerspruch bei der CDU/CSU ? Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat hier doch keiner gemacht!)

Eine Veränderung der Lage in der Welt müssen wir durch politische Verantwortung erreichen. Wenn globaler Gerechtigkeit mehr Raum gegeben wird, wenn mehr davon gesprochen wird, dass die Menschen über die Produkte, die sie herstellen, auch verfügen können müssen, wenn Waffen nicht mehr als Handelsware gelten, dann werden wir alle zusammen weniger selbstgerecht sein und mehr Gerechtigkeit in der Welt verbreiten können

Wenn Sie sagen, wir sollen nicht selbstgerecht sein, sage ich Ihnen: Fassen Sie sich an die eigene Nase! Wenn hier keiner selbstgerecht wäre, wäre die deutsche Politik besser. Das ist das, was ich rüberbringen wollte. Danke sehr.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:
Kollege Dr. Mützenich, wollen Sie antworten? ? - Ja. Das Wort hat Kollege Dr. Rolf Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Lieber Herr Kollege Gehrcke, Sie wissen, wie sehr ich die Diskussionen mit Ihnen schätze, gerade im Auswärtigen Ausschuss; deswegen habe ich noch einmal darauf hingewiesen, dass ich glaube, dass Ihr Beitrag in der ersten Runde dieser Beratungen differenzierter gewesen ist als sozusagen die Kaskade von Vorwürfen vonseiten der Sprecherin der Fraktion Die Linke. Noch einmal: Ich glaube, Sie müssen akzeptieren, dass wir in der Tat aus der -

(Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])

- Dürfen Herr Gehrcke und ich uns einfach einmal über das eine oder andere austauschen? Sie hätten sich ja sonst zu Wort melden können. Er hat doch nun einmal gefragt.

Ich habe eben davor gewarnt, weil ich glaube, dass es falsch ist, Mali im Einzelnen mit Afghanistan zu vergleichen. Wir müssen in der Tat unsere Lehren aus Afghanistan ziehen, aber ich glaube, man muss sagen: Zu dem, was in Afghanistan von Anfang an falsch gelaufen ist, haben die Administration Bush und der amerikanische Präsident Bush viel beigetragen. Er war nicht zu politischen Lösungen und Angeboten gegenüber Gewaltakteuren in diesem afghanischen Konflikt bereit. Jetzt kommt es auf uns an, dass den Lehren, die wir gezogen und über die wir heute in dieser Debatte, im Auswärtigen Ausschuss, im Entwicklungshilfeausschuss und im Zusammenhang mit den Menschenrechten diskutiert haben, Konsequenzen in einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik folgen. Hier kommt eine große Verantwortung auf uns alle hier im deutschen Parlament, aber insbesondere auch auf die Bundesregierung zu. Mehr habe ich in meiner Rede nicht gesagt.

Vielen Dank.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 28.02.2013
Thema: 
EUTM Mali, AFISMA