Plenarrede zum Bundeshaushalt 2011

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesaußenminister, es ist, glaube ich, nicht zu viel verlangt, dass Sie bei Ihrer Haushaltsrede, die Sie hier über einen gewissen Zeitraum hinweg gehalten haben, zumindest zum Schluss eine halbe Minute lang über das hätten reden sollen, was eigentlich auf der Tagesordnung steht, nämlich über Ihren Einzelplan. Ich glaube, Sie sind ganz bewusst über diese Frage hinweggegangen. Zum Schluss haben Sie sozusagen ein Zahlenspiel vorgelegt, das vollkommen an der Realität vorbeigeht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Georg Schirmbeck [CDU/ CSU]: Herr Kollege, welche Zahl war denn falsch?)

Ich will in meinen Ausführungen auf diese Frage zurückkommen. Ich will versuchen, die letzten zehn Monate Revue passieren zu lassen. Ich will Ihnen überhaupt nicht Pathos und Demut absprechen; Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten oft genug Pathos und Demut gezeigt. Sie haben sich auch hingestellt und gesagt: Es ist eine Ehre, diesem Land zu dienen. Ja, das ist es in der Tat. Ich glaube aber, man kann unserem Land und der deutschen Außenpolitik nur dienen, wenn man Engagement, Initiative und Ideen in die Außenpolitik einbringt. Genau das hat in den letzten zehn Monaten nicht stattgefunden.
Ihre Rede hat das dokumentiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe selten einen Außenminister erlebt, der so fantasielos und gleichgültig mit seinem Amt umgegangen ist wie Sie, Herr Bundesaußenminister.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich Ihren Einzelplan für 2011 anschaut, ist es doch viel interessanter, zu schauen, was Sie jetzt herausstreichen, anstatt ihn mit Zahlen zu vergleichen, die vor fünf Jahren aktuell gewesen sind. Sie müssen einmal die Zahlen zur Kenntnis nehmen, die Sie von Ihrem Amtsvorgänger übernommen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann stellt sich das Zahlenwerk ganz anders dar - deswegen verstehe ich, dass Sie am Anfang gar nicht über diesen Einzelplan gesprochen haben -: humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland: minus 20 Prozent, Afrika- Hilfe: minus 22 Prozent, Krisenprävention: minus 30 Prozent, Abrüstung und Rüstungskontrolle - die Herausforderung, die Sie eben beschrieben haben -: minus 30 Prozent, Hilfe zur Demokratisierungshilfe und Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte - angeblich ein Anliegen der liberalen Partei -: minus 50 Prozent. Das ist ein Dokument der Handlungs- und Ideenlosigkeit. Das hätten Sie hier anders vertreten müssen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen einige Beispiele nennen, was für konkrete Auswirkungen das hat. Ich will zum einen auf die humanitäre Hilfe zu sprechen kommen. Wir haben die Flutkatastrophe in Pakistan erlebt. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich mich ein wenig dafür geschämt habe, wie diese Bundesregierung mit der Hilfe für Pakistan umgegangen ist, welches Geschachere am Anfang gemacht worden ist und wie wenig staatliche Mittel in die Hand genommen wurden, um das Überleben in Pakistan überhaupt möglich zu machen. Sie haben an die Deutschen appelliert, aber das hilft doch nichts, wenn der Staat keine Sofortmaßnahmen ergreift. Ich vermisse es, dass Sie in diesem Haushalt konkrete Ansätze für zukünftige Katastrophen bieten, um zum Beispiel einen Aufbau in den betroffenen Ländern möglich zu machen. Dafür ist deutsche Außenpolitik angetreten, und Sie setzen das auf das Spiel.

Der zweite Aspekt ist der Aufbau von Zivilgesellschaften. Auch in diesem Bereich kürzen Sie. Sie haben eben über die Türkei gesprochen. Das ist sehr interessant. Ich bewundere die Menschen in der Türkei, die eine Zivilgesellschaft aufbauen und offensichtlich mehr Angst vor der Vergangenheit haben als vor einer AKPRegierung. Das sind insbesondere Künstler und Intellektuelle gewesen. Die müssen wir unterstützen. Frank- Walter Steinmeier hat das getan, indem er damals die deutsch-türkische Kulturakademie aufbauen wollte, indem er die deutsch-türkische Universität aufbauen wollte und indem er die Ernst-Reuter-Initiative unterstützt hat. Darüber ist von Ihnen kein Wort zu hören. Sie kürzen nur. Sie wollen sich aus diesen Initiativen verabschieden, und damit schaden Sie dem Aufbau der türkischen Gesellschaft, der dringender Unterstützung bedarf.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist interessant, dass Sie erst nach einem Zwischenruf auf das Thema eingegangen sind, das Deutschland und die deutsche Außenpolitik bewegt, nämlich Afghanistan. Sie reden sich heraus, indem Sie darauf hinweisen, dass Sie zwei Regierungserklärungen abgegeben haben. Aber das Entscheidende ist doch: Wer beherrscht die innenpolitische, die deutsche Debatte über Afghanistan?

Das ist Ihr Kollege, der Verteidigungsminister. Er führt eine Debatte über Afghanistan, die genau in die falsche Richtung geht. Er stellt die militärischen Initiativen in den Vordergrund, wo wir doch wissen, dass wir politische Antworten auf die bestehenden Herausforderungen brauchen. Dafür sind Sie zuständig, aber Sie sagen dazu kein Wort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Auch hier überholt Sie im Grunde genommen Ihr Kollege. Im Kabinett sind Sie für die Herausforderungen der deutschen Sicherheitspolitik zuständig. Wo sind Sie bei den Diskussionen über die Aufgabe der Bundeswehr der Zukunft, über die originären Fragen der sicherheitspolitischen Herausforderung?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch dazu hört man von Ihnen kein Wort. Ich muss wirklich sagen: Da kommen Sie Ihrem Amt nicht nach, werden Ihrem Amt nicht gerecht. Sie beklagen in der Debatte zurecht - deswegen haben Sie vorhin gesagt, dass sich das nicht an die Opposition richtet - die mangelnde Aufmerksamkeit in Fragen der Abrüstung. Sie sind mit etwas gestartet, das Sie letztendlich nicht eingelöst haben. Darüber sprechen Sie nicht. Ich bedauere das; denn der Deutsche Bundestag hat es unterstützt, dass alle taktischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollen. Nun stehen wir vor einer neuen Herausforderung. Man erwartet von einem deutschen Außenminister schon, dass er die Herausforderung annimmt.

Die amerikanische Regierung hat gesagt, dass sie mit Russland über die taktischen Atomwaffen verhandelt. Das ist gut. Wir sollten das mit sinnvollen Initiativen begleiten und unterstützen. Eine sinnvolle Initiative wäre es, mit Russland einmal darüber zu sprechen, warum sie die taktischen Atomwaffen noch haben. Russland hat sie, weil es eine konventionelle Überrüstung im NATO-Gebiet befürchtet. Es wäre unsere Aufgabe, diese beiden Aspekte zusammenzubringen. Sie beklagen etwas, aber Sie bringen keine Initiativen ein. Ich erwarte von einem Außenminister, dass er es schafft, in den nächsten drei Jahren abrüstungspolitische Initiativen an der Realität zu messen und nicht am Wünschbaren. Das ist die Aufgabe einer klugen Abrüstungspolitik.

Hier sind wir wieder beim Thema. Ich habe vermisst, dass Sie über die großen Herausforderungen mit Russland gesprochen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gibt es keine Regierungserklärung. Sie beteiligen sich an gar keiner Debatte. Die Abrüstung ist nur ein Aspekt, es geht insbesondere auch um die Menschenrechte - ich habe eben auf den Haushalt hingewiesen - und die Modernisierungspartnerschaft. Wir müssen versuchen, das Land mit aufzubauen, auch um den wirtschaftlichen Interessen in Deutschland gerecht zu werden. Auch das muss man an dieser Stelle sagen. Natürlich wollen wir auch Handel mit diesem Land betreiben. Kein Wort dazu, weder in den letzten zehn Monaten noch heute. An die Verhandlungspartner in Jerusalem gerichtet, sagten Sie: Wir wünschen euch viel Glück! Verhandelt gut! - Es ist im Grunde richtig - das stelle ich überhaupt nicht in Abrede -, dass die USA es als einziges Land schaffen, beide Parteien zueinander zu führen. Aber deutsche und europäische Außenpolitik müssen das doch abfedern und letztlich unterstützen. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir die Realitäten in Palästina einfach einmal ins Auge fassen würden.

Sie reden nicht über den Libanon. An die UNIFIL-Debatte will ich gar nicht erinnern. Sie waren in Syrien beim Präsidenten. Ich frage mich: Was ist denn dabei politisch herausgekommen? Im Nahen und Mittleren Osten findet eine Entwicklung statt, die mir wirklich große Sorgen bereitet. All das zeigt, dass Sie nicht auf der Höhe der Zeit diskutieren. Sie reden zwar über Abrüstung, aber auf der anderen Seite hörten wir in den letzten Tagen vom größten Rüstungsgeschäft, das die USA mit Saudi-Arabien und anderen Ländern durchführen will: mehr als 60 Milliarden Dollar. Aufrüstung findet in dieser Region statt. Das ist doch aber nicht die Alternative zu einer klugen Diplomatie für den Persischen Golf.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie müssen mithelfen, diese Länder davon zu überzeugen, ein regionales Sicherheitssystem zu bilden, in dem nicht Rüstung, sondern Politik die entscheidende Rolle spielt. Das ist es, was ich von einem deutschen Außenminister verlange.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Jürgen Trittin[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Viele andere Dinge haben Sie ebenfalls nicht angesprochen. Auch ich habe eine begrenzte Redezeit, möchte aber noch sagen: Ich glaube, Sie machen sich etwas vor, wenn Sie nur so über Europa diskutieren. Ich befürchte, dass sich in Europa eine Gedankenwelt festsetzt, in der Deutschland zum ersten Mal nicht mehr an der Fortentwicklung der europäischen Integration mitwirkt. Viele Länder in Europa denken das bereits. Ich fürchte, Deutschland ist in den Schlusswagen, vielleicht sogar ins Bremserhäuschen eingestiegen. Ich glaube, die deutsche Außenpolitik hat eine andere Aufgabe. Herr Außenminister, es reicht nicht, dienen zu wollen. Nur durch Ideen, Arbeits- und Gestaltungswillen verdient man sich Anerkennung und Unterstützung. Leider haben Sie in den letzten zwölf Monaten zu wenig getan. Sie haben weder Ihrem Haus noch der Außenpolitik gedient.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 15.09.2010
Thema: 
Erste Lesung zum Einzelplan Auswärtiges Amt