Plenarrede zum Antrag der Grünen - Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten nach der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 11. August 2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine Wiederbelebung des stagnierenden Nahost-Friedensprozesses ist in der Tat dringend geboten. Deshalb ist es nur zu begrüßen, dass die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft auch dazu nutzen will, um das Nahostquartett wieder zu beleben. Entscheidend dabei ist, dass auch die USA wieder eine konstruktive Rolle im nahöstlichen Friedensprozess spielen. Der Baker-Bericht setzt hier hoffnungsvolle Akzente, wenn er auch meiner Meinung nach nicht überschätzt werden sollte. Es stimmt jedoch hoffnungsvoll, dass man in Washington offenbar die Konzepte und Instrumente des "alten Europa" wieder zu entdecken beginnt. Parallel zur Reaktivierung des Quartetts wäre es auch sinnvoll, wenn der Sonderbeauftragte der EU für den Nahen Osten künftig wesentlich enger mit dem amerikanischen Sondergesandten zusammenarbeiten würde. Mit der Wiederbelebung des Quartetts sind auch Überlegungen verbunden, die auf eine Vergrößerung des Teilnehmerkreises zielen. Zu nennen wären hier vor allem das ständige Sicherheitsratsmitglied China und die Institution der Arabischen Liga.

Der Krieg im Libanon hat diesen Sommer gezeigt, wie groß die Gefahr nach wie vor ist, dass solche Vorkommnisse sich zu einem großen Krieg in der Region ausweiten. Deshalb ist es richtig, dass wir UNIFIL unterstützt haben. Die internationale Friedenstruppe ist derzeit ein Garant für die Einhaltung der Waffenruhe und Voraussetzung für die Wiederherstellung der Souveränität des Libanon, der von allen ausländischen Einflüssen und Mächten soweit wie möglich frei sein muss.

Dies führt mich zu Syrien. Es war wichtig und richtig, dass der Außenminister in diesem Jahr bereits sechsmal die Region bereist hat. Und dies gilt ausdrücklich auch für seinen Besuch in Syrien Anfang des Monats. Es geht dabei in erster Linie darum, Gespräche zu führen, Empathie zu entwickeln und Gesprächswünsche und -kanäle zu sondieren.

Dabei hat der Außenminister in Damaskus klar gestellt: Nur, wenn Syrien konstruktiv und stabilisierend agiert, wird Europa Syrien helfen, den Ausweg aus der internationalen Isolation zu finden. Die Reise nach Syrien war richtig und das Gespräch mit Assad schon deswegen sinnvoll, weil praktische Fortschritte in der Region auch die Mitwirkung Syriens erfordern. Assad hatte in einem Spiegel-Interview entsprechende Andeutungen gemacht. Diese mussten überprüft werden. Jetzt ist es an Syrien die nächsten, belastbaren Schritte zu tun. Denn: Wenn den Worten Taten folgen und Syrien aktiv zur Stabilisierung und Befriedung des Nahen Ostens beiträgt, würden sich dem Land auch neue Perspektiven öffnen.

Entscheidend für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses bleibt jedoch eine Lösung des israelisch-palästinensischen Kernkonfliktes, der wiederum nur Teil eines weitergehenden regionalen Lösungsansatzes sein kann. Hier möchte ich doch meine Zweifel äußern, ob die von Abbas ins Auge gefassten vorzeitigen Wahlen zweckdienlich sind. Angesichts der finanziellen Hilfen aus dem Iran sollte die EU überlegen, ob die bisherige Strategie nicht variiert werden könnte. Eine palästinensische Regierung, die die entscheidenden drei Voraussetzungen für einen tragfähigen Frieden akzeptiert - Gewaltverzicht, Anerkennung des Existenzrechts Israels sowie die Anerkennung der bisherigen internationalen Verträge -  ist unabdingbar. Hamas könnte sich dann als politische Partei in Folge verändern

Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat am 27. November eine wichtige Rede gehalten und seine Bereitschaft zu umfassenden Zugeständnissen an die palästinensische Seite unterstrichen. Jetzt müssen weitere Schritte folgen. Nach dem Krieg gegen die Hisbollah ist die israelische Regierung in einer schwierigen Situation. Wir tun gut daran, Olmert und Peretz zu unterstützen, weil unter einer anderen Regierung wohl kaum bessere Fortschritte erzielt werden könnten. 

Zum Thema der israelischen Kernwaffen nur soviel: M.E. kann es keine einfache Übertragung der nuklearen Abschreckungsdoktrin auf den Nahen Osten geben. Wenn aber Lehren aus der Abschreckungspolitik des Kalten Krieges gezogen werden können, dann die, dass rationale Schritte, Gespräche, Institutionen, Verträge und vor allem Rüstungskontrolle unterhalb direkter nuklearer Abrüstung maßgeblich zur Überwindung des Gleichgewicht des Schreckens beigetragen haben. Deutschland sollte hierbei assistieren und seine Erfahrungen an der Nahtstelle des Systemkonflikts einbringen.

Nochmals: Eine gerechte und umfassende Lösung des israelisch- palästinensischen Konflikts ist auch der Schlüssel zur Lösung der anderen Konflikte in der Region. Der Friedensplan des Nahost-Quartetts aus EU, USA, Russland und Uno bleibt dabei die wichtigste Basis der politischen Bemühungen. Das in Gang setzen eines Friedensprozesses ist zudem nur durch massive multilaterale Anstrengungen zu erreichen. Vorrangig bleibt dabei der bessere Schutz der Menschen vor der Gewalt im Nahen Osten. 

Die internationale Gemeinschaft sollte deshalb Israel bei den Verhandlungen mit seinen drei Nachbarn, mit denen es noch keine Friedensverträge gibt, unterstützen. Israels Sicherheit, ein lebensfähiger palästinensischer Staat, die Wiederherstellung der Souveränität des Libanon sind dabei die Zielvorgaben.

Ich möchte hier jedoch zugleich vor einer zu großen Erwartungshaltung an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft warnen. Deutschland kann sicherlich eine aktive Rolle spielen, Initiativen starten, mit den Akteuren sprechen und Botschaften transportieren. Hier geht es in erster Linie auch darum, Denkblockaden auf allen Seiten aufzubrechen. M.a.W. Deutschland als wichtiger Akteur in der EU kann einen Beitrag leisten, um den Teufelkreis der Gewalt zu durchbrechen ? aber nicht allein, sondern nur im Konzert mit den beteiligten regionalen und externen Akteuren.

Eine Lösung des Nahost-Konflikts, der einer der ältesten und kompliziertesten Konflikte der Welt ist, wird jedoch auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nicht leisten können. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass tragfähige Lösungen letztendlich die Konfliktparteien vor Ort aushandeln müssen in dem Bewusstsein, dass sie keine Alternative zum Friedensprozess haben.

Religiöser Fanatismus und übersteigerter Nationalismus sind keine tragfähigen Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Mehr als je zuvor sind politische Antworten und der Mut zu Kompromissen gefragt. Das Existenzrecht des Staates Israel und die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger stehen dabei nicht zur Disposition; alten und neuen Antisemitismus wird die internationale Gemeinschaft nicht hinnehmen - ebenso wenig wie die unsägliche Konferenz der Holocaust-Leugner in Teheran, deren Veranstalter sich damit selbst diskreditiert haben. Zugleich sind realistische politische Regelungen und Lösungswege vonnöten, um die nationalen Rechte der Palästinenser zu gewährleisten und ihnen menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen.

Momentan sind die Erwartungen an Deutschland und Europa überaus hoch - vielleicht zu hoch. Aber Europa wird gebraucht - umso mehr, je überforderter die USA sind. Gebraucht mit zivilen, glaubwürdigen Initiativen und viel Geduld.

Die Umsetzung der durch Schimon Peres geprägten Vision von einem "Neuen Nahen Osten" erfordert sowohl auf israelischer als auch auf arabischer Seite Verständigungsbereitschaft, gegenseitige Akzeptanz und den Willen zur Zusammenarbeit.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 15.12.2006 (zu Protokoll gegeben)
Thema: 
Entwicklung in Nahost