Plenarrede anlässlich der Regierungserklärung zum EU-Rat am 29./30. Juni 2023

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn die Außenbeziehungen ein zentraler Tagesordnungspunkt des Europäischen Rates in der nächsten Woche sind, dann ist es ein guter Zeitpunkt, sich darüber auszutauschen, was diese Außenbeziehungen ausmacht. Es sind europäische Außenbeziehungen, aber es sind natürlich immer auch nationale Außenbeziehungen. Umso wichtiger ist, dass Sie, Herr Bundeskanzler, sich austauschen – zum Beispiel mit dem französischen Staatspräsidenten, aber auch in der Runde der europäischen Staats- und Regierungschefs – über den Besuch einer Delegation aus der Volksrepublik China, weil Großmächte natürlich immer dazu neigen, Länder so gut es geht auseinanderzutreiben, wenn nicht sogar gegeneinander auszuspielen.

(Zuruf des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/ CSU])

Deswegen ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, was besprochen worden ist. Aber das ist nicht nur ein Problem einer asiatischen Großmacht, um das mal hier ganz klar zu den Zwischenrufen zu sagen. Wir haben das in der Vergangenheit leider schon oft genug erlebt. Deswegen ist das, was in der nächsten Woche in Brüssel passiert, auch eine Selbstvergewisserung. Und, Herr Kollege Merz, es ist genau das Gegenteil von dem, was Sie behaupten: Diese Gespräche haben vor dem Hintergrund einer europäischen ChinaStrategie stattgefunden, in der es klare Kriterien gibt, an denen man sich ausrichtet, wenn man ein EU-Mitgliedsland ist, um mit China in Kontakt zu treten. Nicht eine deutsche China-Strategie ist der Leitfaden für Europa, wie Sie es hier behaupten. Andersherum ist die Politik nach dem Zweiten Weltkrieg geworden: Europa ist das Bindemittel für nationale Außenpolitiken, und daran sollten sich alle gewöhnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wenn Sie hier Krokodilstränen wegen Frankreich weinen, dann muss ich sagen: Sorgen Sie dafür, dass der Ton in Ihren Reihen gemäßigter wird, wenn sich der französische Staatspräsident zur europäischen Politik einlässt. Das wird nämlich nicht der deutsch-französischen Freundschaft gerecht, wie es in den vergangenen Wochen gewesen ist. Das gehört genauso zu einer differenzierten Debatte, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Es ist gut – und manche gewöhnen sich nur schwer daran –, ernsthafte Gespräche auch mit solchen Ländern zu führen. Es ist gut, genau dem neuen Ministerpräsidenten aus China zu sagen, dass wir nicht akzeptieren, dass mit Gewalt in den internationalen Beziehungen gedroht wird, dass wir, wenn wir Taiwan erwähnen, am Status quo festhalten wollen.

Es ist gut, wenn wir über die Wirtschaft sprechen und immer sagen: China plus 1. – Das müssen auch die chinesischen Gesprächspartner wissen. Aber das kann man nicht, indem man Interviews führt, sondern das kann man nur, indem man eben mit den Verantwortlichen unmittelbar spricht und gleichzeitig auch die Chancen entwickelt, gerade für die internationale Politik, weil insbesondere in der Volksrepublik China, wenn es um die Klimawende geht – da müssen wir aufpassen, dass uns nicht der Rang abgelaufen wird –, manche technische Entwicklung offensichtlich bereits über den europäischen Standard hinaus ist. Das politisch zu diskutieren, halte ich für einen Mehrwert insgesamt.

Ich glaube, auch in der deutschen Debatte sollte man wissen: Wir müssen aufpassen. Ich glaube, das Bild von China in Deutschland changiert immer zwischen der Werkbank Europas und dem gelben Drachen. Das ist keine Betrachtungsweise für ein Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern. Ich will sehr deutlich sagen: Auch die Reichweite Chinas ist nicht unbegrenzt. Schauen Sie sich zum Beispiel die Gesprächsformate an, die vor einigen Jahren vonseiten Chinas mit den osteuropäischen Staaten entwickelt worden sind, 17+1. Davon redet in diesen Staaten niemand mehr; da ziehen sich die Regierungen eigentlich raus. Also: Die Grenzen sind auch in Peking durchaus bekannt, und deswegen werden ja diese Gespräche geführt.

Ich kann für meine Fraktion, aber insbesondere für die Sozialdemokratische Partei nur sagen: Wir versuchen, das auf allen Ebenen zu tun. Zum Beispiel war Lars Klingbeil vorletzte Woche in Peking gewesen. Er hat dort vor dem Hintergrund fast 40-jähriger Parteiengespräche auch mit hochrangingen Vertreterinnen und Vertretern gesprochen, und der Mehrwert, das Ergebnis, ist: Wir setzen den Menschenrechtsdialog fort, mit Journalisten, mit Vertreterinnen und Vertretern aus der deutschen Zivilgesellschaft und eben Gesprächspartnern in China. Das ist ein Mehrwert; das ist Diplomatie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir können anknüpfen an etwas, für das der Bundeskanzler gegen manchen Ratschlag im vergangenen Dezember in Peking den Grundstein gelegt hat. Dort ist das nukleare Tabu von Präsident Xi betont worden, der nämlich sagte: Es darf niemals eine Atomwaffe in internationalen Konflikten eingesetzt werden. – Das war der Startschuss, eine Möglichkeit, endlich wieder über Abrüstung und Rüstungskontrolle unmittelbar mit China zu sprechen, aber auch in einem gesamtasiatischen Raum. Herr Bundeskanzler, das war ein Türöffner, den die Sozialdemokratische Partei klugerweise bei diesen Parteiengesprächen von Lars Klingbeil genutzt hat. Deswegen sage ich: Asien ist mehr als die Volksrepublik China. Daher lohnt sich auch genau das, was die Bundesregierung beim G-7-Gipfel, bei G 20 getan hat: asiatische Staaten einzuladen – darunter Südkorea –, aber auch lateinamerikanische Staaten dazuzuholen. Das muss auch die Volksrepublik China sehen. Deswegen: eine differenzierte Außenpolitik, aber auch unmittelbar Gespräche führen, meine Damen und Herren. Es ist gut, dass darüber auch in Brüssel gesprochen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ja, die Ukraine braucht Unterstützung in einem Überfall von Russland, einem Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen, und deswegen müssen sich Länder erwehren, solange der Sicherheitsrat nicht an ihre Stelle tritt. Aber es ist auch wichtig, dass Europa weiterhin daran festhält, humanitäre und wirtschaftliche Hilfe zu leisten und Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen. Ich finde, Deutschland hat dies getan. Das ist ein Vorbild für europäische Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der Tat: Wir müssen neben diesen drei Säulen – neben der Frage der wirtschaftlichen, der humanitären und der militärischen Unterstützung durch Waffenlieferungen – auch immer wieder Auswege aus diesem Krieg suchen, die nicht diese drei Kriterien erfüllen. Das bedeutet Diplomatie, für die einige schon seit Längerem eingetreten sind. Europa wird wahrscheinlich nicht die erste Wahl für diese Frage sein; aber andere Länder haben sich aufgemacht, und deswegen wäre es auch gut, in Brüssel zu sagen: Andere europäische Regierungen dürfen das nicht behindern und schon gar nicht ausschließen.

(Beifall des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])

Ich glaube, wir aus Europa können dazu gute Dienste leisten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ja, der Krieg in der Ukraine ist ein Katalysator für die sich ohnehin wandelnde internationale Ordnung. Das war uns klar, als wir den Koalitionsvertrag geschlossen haben; aber ich finde, wir dürfen in dieser aufgeheizten Debatte den Fehler nicht wiederholen, dass es jetzt zu einem neuen Kalten Krieg kommt. Wir sind ja sehr anfällig. Einige reden vom Kalten Krieg 2.0. Das hört sich immer so schön an; das mag ja hier noch interessant sein. Aber draußen heißt das, dass sich Länder wieder nur zwischen zwei Lagern entscheiden sollen. Und genau das wird nicht sein; genau das wird nicht die Konsequenz für die internationale Ordnung sein. Die Länder wollen sich nicht mehr für eins von zwei Lagern entscheiden, sondern für sich, und deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir von Europa aus die Nord-Süd-Politik wiederbeleben, die in einer guten Tradition auch in Deutschland existiert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und des Abg. Christian Dürr [FDP])

Alles das macht sich deutlich. Ich bin ja ein bisschen kritisiert worden, als ich damals trotz des Abstimmungsergebnisses, der Zustimmung von 141 Staaten, versucht habe, aufzuführen, dass 35 Staaten damals gegen die Resolution in der Generalversammlung der Vereinten Nationen waren. Mir wurde vorgeworfen, ich würde hier verniedlichen. Das war nicht der Punkt, sondern der entscheidende Punkt ist: Was passiert in der Welt? Das muss Deutschland diskutieren; das müssen wir wissen. Deswegen, glaube ich, ist Europa ein Ankerpunkt für diese internationale Strategie, und deswegen ist es gut, dass die Nationale Sicherheitsstrategie vorgelegt worden ist. Aber wer sich dafür interessiert, dem empfehle ich, gleichzeitig auch die Friedensgutachten der fünf Friedensforschungsinstitute zu lesen. Die Nationale Sicherheitsstrategie ist etwas, was von der Regierung und was vom Parlament diskutiert wird, und das, was von den Friedensforschungsinstituten kommt – das war zumindest bisher Tradition in Deutschland –, muss auch in unsere Politik abgeleitet werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deswegen sage ich: Es ist gut, meine Damen und Herren, dass der Europäische Rat heute im Parlament vordiskutiert worden ist und dass der Bundeskanzler mit einer guten Agenda, mit guten Erfahrungen nach Brüssel reist. Der Austausch, meine Damen und Herren, wird sich lohnen.

Vielen Dank!

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 22.06.2023
Thema: 
Plenarrede