Plenarrede anlässlich der Aussprache über den Etat des Bundeskanzleramtes
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das ist der letzte ordentliche Haushalt, den dieser Bundestag beschließen wird. Die Einzelpläne stehen einerseits im Zeichen der existenziellen Herausforderung durch die Pandemie und andererseits für den Beginn eines Jahrzehnts, in dem wir die Weichen für eine sich wandelnde Arbeitswelt und klimaschonendes Wirtschaften stellen müssen. Dies spiegelt dieser Haushalt wider. Deswegen möchte ich mich insbesondere an die Haushälterinnen und Haushälter wenden und danke für konzentriertes, verantwortliches Handeln. Dieser Haushalt zeigt die Stärke und auf der anderen Seite auch die Verantwortung des Deutschen Bundestages.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn ich für meine Fraktion eine persönliche Bemerkung machen darf: Kurz vor seinem plötzlichen Tod, wenige Tage zuvor, hatte uns Thomas Oppermann gebeten, in seiner Heimatstadt eine institutionelle Brücke zwischen der Kultur auf der einen Seite und der Wissenschaft an seiner Universität auf der anderen zu schlagen. Alle Fraktionen haben dem zugestimmt. Dafür danke ich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Insbesondere danke ich der Universität dafür, dass das Forum den Namen von Thomas Oppermann tragen wird. Vielen Dank dafür!
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Im Kern, meine Damen und Herren, stellen sich in dieser Debatte drei Fragen: Können wir die Pandemie und ihre Folgen beherrschen? Was müssen wir tun, um die Demokratie zu stärken? Und: Welche Impulse sollen wir der internationalen Politik geben, wenn die USA bald wieder einen glaubwürdigen Präsidenten haben?
Deswegen sage ich direkt zu Beginn: Vor dem Hintergrund der Zahlen und der Belastungen unseres Gesundheitswesens sind weitere Beschränkungen geboten und verantwortbar. Meine Fraktion unterstützt entsprechende Überlegungen und Beschlüsse. Ich bin mir sicher: Die rechtlichen Grundlagen dafür sind vorhanden.
Eine weitere Antwort auf die Herausforderung durch die Pandemie ist in der Tat ein starker Haushalt, aber gleichzeitig auch ein anspruchsvoller Sozialstaat. Ohne diese beiden Komponenten können Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht verantworten, dass wir einen Haushalt beschließen. Ich bin fest davon überzeugt: Es ist gelungen, diese Komponenten zusammenzubringen. Auf der einen Seite investieren wir in eine Gesundheitsversorgung, die wir weiterhin stärken müssen. Wir kämpfen aber auch dafür – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es erwähnt –, dass Menschen in Beschäftigung gehalten werden und sich gleichzeitig qualifizieren können. Frau Bundeskanzlerin, ich war dabei und kann sagen, dass es nicht so einfach gewesen ist, mit dem Koalitionspartner die damalige Befristung der Kurzarbeit so einfach langfristig zu verlängern. Im Koalitionsausschuss haben wir darum gerungen, und ich bin stolz, dass es uns beiden am Ende gelungen ist.
(Beifall bei der SPD)
Auf der anderen Seite steht auch wirtschaftliche Substanz hinter den Überlegungen und den Beschlüssen zu diesem Haushalt. Wir wollen wirtschaftliche Substanz sichern, weil wir, wenn die Krise beendet ist, dieses wirtschaftlich leistungsfähige Land auch schnell wieder hochfahren wollen. Gleichzeitig dürfen wir dabei nicht vergessen – auch dafür steht dieser Haushalt –: Wir sind in einem Jahrzehnt der Veränderungen, und deswegen investieren wir in Mobilität, klimaschonendes Wirtschaften, neue Arbeitsplätze und eine Digitalisierung, die die Voraussetzung für neue Arbeit in unserem Land ist.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen, meine Damen und Herren: Vor diesem Hintergrund sollten wir die staatlichen Ebenen nicht gegeneinander ausspielen. Bund, Länder und Kommunen und deren Beschäftigte leisten Außerordentliches, und dafür möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich sage auch sehr deutlich: Einige haben die Länder in der Krisenbekämpfung als „Leerstelle“ bezeichnet. Ich empfinde das als ungerecht und ohne Grundlage. Die Neuverschuldung und die Kreditermächtigungen, die die Länder in den vergangenen Monaten – zum Teil in Nachtragshaushalten und Sondervermögen – aufgenommen haben, betragen 105 Milliarden Euro. Ich glaube, wir sollten alles dafür tun, deutlich zu machen: Die Bewältigung der Krise bleibt eine gemeinsame Aufgabe. Wir sind ein starkes Land, sind gut darauf vorbereitet und können einen entscheidenden Anteil leisten – aber eben alle staatlichen Ebenen zusammen und nicht gegeneinander, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen: Wenn wir die Krise gemeistert haben, werden wir klären, wie wir die finanziellen Lasten abtragen können. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar: Breite Schultern müssen in Zukunft einen außerordentlichen Beitrag leisten. Das ist nur gerecht. Herr Kollege Lindner, wenn Sie Sorge haben, dass es in diesem Land nicht mehr genügend Vermögende gibt, muss ich sagen: Das war der Witz des Tages.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Doch die Pandemie berührt ein weiteres Thema unserer Demokratie, um die wir tagtäglich so hart ringen. Freedom House hat vor einigen Monaten festgestellt, dass sich in 80 von 192 Ländern auf der Welt die Bedingungen für die Demokratie und die Menschenrechte verschlechtert haben. Das ist ein bedrückender Befund, gerade für ein Land wie Deutschland, wo wir aus der historischen Verantwortung heraus immer wieder um diese Demokratie kämpfen müssen.
Wir stehen vor einer doppelten Bewährungsprobe: In Demokratien stehen auf der einen Seite das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger und der Schutz menschlichen Lebens im Vordergrund. Beides bildet die Grundlage für individuelle Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit. Auf der anderen Seite muss die Demokratie unter den Bedingungen der Pandemie Reaktionen zeigen, die dem Wesen liberaler Demokratien fremd sind, insbesondere wenn es um die zeitliche Einschränkung von Grundrechten geht. Aber darum müssen wir ringen. Deswegen sage ich sehr deutlich: Unsere Repräsentantinnen und Repräsentanten müssen über dieses Dilemma reden, müssen Glaubwürdigkeit schaffen, so wie Sie es, Frau Bundeskanzlerin, aber auch der Bundespräsident tagtäglich unter diesen Bedingungen versuchen zu tun. Das spricht für die demokratische Verfasstheit. Der Bundestag hat vor einigen Wochen gezeigt: Voraussetzung ist, Rechtssicherheit herzustellen und gleichzeitig Kritik zuzulassen.
Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus, die sich tagtäglich dieser Kritik stellen und versuchen, zu argumentieren und letztlich auch Antworten zu geben. Der Protest ist zulässig, aber der Protest ist nicht zulässig, wenn Verfassungsorgane genötigt werden, und die AfD hat in den vergangenen Wochen Beihilfe dazu geleistet. Meine Damen und Herren, das muss geahndet werden.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Demokratie kommt nicht von allein und bleibt verletzlich. Deshalb dürfen wir niemals mit Demokratieverächtern paktieren, weder, wie es die FDP in Thüringen getan hat, noch jetzt, wie es große Teile der CDU in Sachsen-Anhalt ausdrücklich wollen.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Peinlicher Unsinn, Herr Mützenich! Unverschämtheit! – Zuruf von der FDP: Nein! – Weitere Zurufe von der FDP)
Mit einer rechtsextremistischen Partei gemeinsame Sache zu machen, ist eine Grenzüberschreitung.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Infam ist das! Entschuldigen Sie sich, Herr Mützenich! Unglaublich!)
Dazu haben wir in den letzten Tagen bundespolitische Stimmen aus der Union vermisst. Deswegen, meine Damen und Herren: Wer sich auf die AfD einlässt, geht daran zugrunde, und mit ihr die Demokratie.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Eine unglaubliche Entgleisung, Herr Mützenich! Eine Frechheit! Unglaublich! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Das ist nicht Ihr Privatgesetz, Demokratie! – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Schämen Sie sich! – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Demokratiespalter! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Wenn ich sage: „Wir kämpfen um diese Demokratie“, muss ich auch sagen: Es gibt eine weitere Lehre aus dieser Situation. Ohne ein demokratisches Europa ist eine nationalstaatlich verfasste Demokratie nicht sicher. Deswegen sage ich, Frau Bundeskanzlerin: Wir teilen das, was Sie über die Aufgaben für den Europäischen Rat in den nächsten Tagen gesagt haben. Aber was ich in Ihrer Rede vermisst habe, ist, dass Sie sich für das Rechtsstaatsprinzip in der Europäischen Union einsetzen werden. Ich sage sehr deutlich: Die Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips ist in unserer Demokratie auch eine Voraussetzung dafür, dass wir in Europa darum kämpfen.
(Beifall bei der SPD – Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie haben vom Rechtsstaatsprinzip nicht die geringste Ahnung, Herr Mützenich!)
Meine Damen und Herren, wer über Demokratie spricht, muss auch über die soziale Demokratie reden. Der Sozialstaat ist für diese Demokratie kein lästiges Beiwerk, sondern Bedingung dafür, dass gleiche Freiheit gesichert wird. Ich treffe Menschen in den Wahlkreisen, die früher gedacht haben, der Sozialstaat sei doch nur für andere da. Sie merken jetzt: Der Sozialstaat hilft allen und nutzt allen. Das beste Beispiel in diesen Tagen ist, dass wir dafür gekämpft haben, ein Arbeitsschutzkontrollgesetz in der Fleischindustrie auf den Weg zu bringen. Das bringt auf der einen Seite Sicherheit für die Beschäftigen. Auf der anderen Seite macht das deutlich: Tarifverfasstheit ist eine Stütze des Sozialstaats. Dadurch können wir Ausnahmen ermöglichen. Das war nur durch Beharrlichkeit und nicht, weil es so selbstverständlich gewesen ist, möglich. Wir sind stolz auf diesen Erfolg.
(Beifall bei der SPD)
Ja, das Jahr 2020 ist eine Zeit der Extreme; zuletzt gilt das auch für die Umgestaltung der Weltpolitik. Es ist eine Chance, dass wir einen zukünftigen US-Präsidenten haben, auf den wahrscheinlich Verlass ist,
(Zuruf von der AfD: Wer denn?)
der sich insbesondere im Ton ändert und sich für ein multilaterales Arbeiten mit seinen Partnern einsetzt.
(Beifall bei der SPD)
Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns keine Illusionen: Die Abwendung der USA von Europa schreitet fort. Der Fokus liegt längst woanders. Das war nicht nur unter Trump so. Das hat bereits unter Obama und Bush begonnen, und unter Biden wird es wahrscheinlich nicht anders sein. Dies hat viel damit zu tun, dass in den USA die Polarisierung der Gesellschaft und die Polarisierung des Parteiensystems fortschreiten.
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ja, da wissen Sie ja, wovon Sie reden!)
Die Selbstbezogenheit dieses Landes ist offensichtlich. Deswegen sage ich: Ja, wir wollen die Zusammenarbeit mit einem neuen Präsidenten suchen. Wir sollten es mit aller Klarheit und mit allem Selbstbewusstsein tun, aber wir sollten uns auch auf harte Konfrontationen einstellen. Es besteht, glaube ich, gar kein Zweifel, auch vor dem Hintergrund der Situation im Kongress, dass wir zum Beispiel wegen Nord Stream 2 weiter mit nachhaltigen Sanktionen rechnen müssen. Deswegen möchte ich betonen, dass die Überlegungen, die es in der der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern gibt, nicht nur beachtlich, sondern auch richtig sind,
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
mit einer Stiftung in diesem Land für Souveränität, für unsere Interessen gemeinsam einzutreten. Wir sollten das nicht sofort beiseite wischen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dies sage ich, meine Damen und Herren, in einer Situation, in der ich es manchmal sehr bedauerlich finde, dass zwischen uns als Koalitionspartnern eine Differenz in Bezug auf die weiteren Herausforderungen besteht, die sich durch die internationale Politik ergeben. Ich finde bedauerlich, dass Sie allein auf militärische Stärke und Abschreckung setzen wollen, bis hinein in das Südchinesische Meer, wie die Verteidigungsministerin vor Kurzem wieder in einer Rede gesagt hat.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Sie meinen, das sei die richtige Antwort, Frau KrampKarrenbauer,
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist plumper Antiamerikanismus, Herr Mützenich!)
aber das Gegenteil ist der Fall. Nach meinem Dafürhalten ist das eine vollkommen falsche Herangehensweise. Dort, in Asien, ordnet sich die Welt neu, aber nicht militärisch. Vielmehr wird dort – wir haben es vor wenigen Wochen gesehen – die größte Freihandelszone ohne die USA und ohne Europa gegründet.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja, und währenddessen baut Ihr Außenminister nur Mist!)
Ich glaube, darüber sollten wir uns Sorgen machen und nicht über die anderen Fragen.
(Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Wer verhindert denn Freihandelsabkommen? Das sind Sozialdemokraten, Herr Mützenich! Das ist doch verlogen, was Sie hier bringen!)
Deswegen sage ich sehr deutlich: Sie sollten nicht immer wieder das 2-Prozent-Ziel bedienen, sondern Sie sollten sich darum kümmern, dass die Bundeswehr aus ihren Beschaffungsproblemen kommt.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sie gefährden deutsche Soldaten, weil Sie keine bewaffneten Drohnen wollen! Schierer Pazifismus, was Sie da bringen!)
Das ist die Verantwortung, die Sie in dieser Bundesregierung haben. Es geht nicht darum, immer wieder über neue Ausgaben zu fabulieren.
(Beifall bei der SPD)
Sie befördern die anhaltenden Forderungen nach immer neuen Verteidigungsausgaben.
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Steinmeier hat das damals unterschrieben, Herr Mützenich!)
Das schafft ein neues Sicherheitsdilemma in Europa. Der bessere Weg bleibt der Ausgleich gegensätzlicher Ziele und Interessen. Die Entspannungspolitik kann niemals den Gegensatz politischer Ordnungen gänzlich aufheben und bleibt immer eine Gratwanderung. Gleichwohl ist die friedliche Koexistenz immer neuen Aufrüstungsrunden vorzuziehen. Darum müssen wir uns kümmern, und das wird eine starke Sozialdemokratie weiterhin tun.
(Beifall bei der SPD)
Meine Damen und Herren, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben am Anfang dieser Legislaturperiode aus Verpflichtung Verantwortung für das politisch Notwendige übernommen, worauf ich stolz bin. Die letzten Monate haben gezeigt, dass es gerade auf Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der Bundesregierung angekommen ist, dass auf der einen Seite der Sozialstaat erhalten bleibt, dass wir auf der anderen Seite die finanziellen Grundlagen für die Zukunft dieses Landes und insbesondere für die sozialstaatliche und wirtschaftliche Substanz geschaffen haben. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Vielen Dank.