Die Nahostpolitik der Bundesregierung und der EU
Bevor ich auf mein eigentliches Thema nämlich die Nahostpolitik der Bundesregierung und damit auch der Europäischen Union komme, möchte ich doch kurz auf die neue US-Regierung und den neuen amerikanischen Präsidenten eingehen. Die Amtsübernahme von Barack Obama symbolisierte zugleich einen Neuanfang in der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik: Abkehr von Alleingängen, internationale Kooperation, Wiederbelebung der Abrüstung sowie eine Partnerschaft mit der islamischen Welt. Die Signale sind eindeutig. Obamas Kairoer Rede an die islamische Welt war ein wichtiges Signal für dringend notwendige Fortschritte im Nahost-Friedensprozess. Die Bundesregierung ist sich mit den USA einig, dass die Zwei-Staaten-Lösung zur Beilegung des Nahost-Konflikts alternativlos ist und unterstützt ausdrücklich Obamas Forderung an Israel nach einem Siedlungsstopp. Das Wichtigste ist, jetzt einen Wiedereinstieg in direkte Friedensgespräche zu erreichen.
Damit komme ich zum zweiten Punkt. Die Hoffnungen, die sich mit dem Amtsantritt Obamas für einen Frieden in Nahost verbinden, korrespondieren mit entsprechenden Befürchtungen hinsichtlich der neugewählten israelische Regierung unter Netanyahu Man kann sich kaum erinnern, ob es jemals derartige Gegensätze zwischen einem israelischen Premier und einem amerikanischen Präsidenten gegeben hat. Höchstens während der Suez-Krise 1956, doch die ist lange vorbei.
Benjamin Netanyahus Rede an der Bar-Ilan-Universität von Tel Aviv hatte mehrere Adressaten. Zuallererst richtete sie sich an seinen Koalitionspartner, danach an US-Präsident Obama und wohl zuletzt an das palästinensische Volk. Dennoch: Ein demilitarisierter Palästinenser-Staat, wie ihn sich Israels Premier vorstellt, ist ein entmündigter Staat unter israelischer Aufsicht. Kein palästinensischer Politiker wird darüber verhandeln. Und Siedlungen, die in "ihrem natürlichen Wachstum" (so Netanyahu) nicht aufgehalten werden sollen, sind die beste Verhandlungsbremse, die man durchtreten kann.
Netanyahus Vorstellungen provozieren nicht nur. Sie düpieren die moderaten, dialogwilligen Politiker der Autonomiebehörde um Präsident Mahmud Abbas. Und sie stärken in der Konsequenz die Radikalen von der Hamas bis zum Islamischen Dschihad, die davon überzeugt sind, mit Israel ließe sich derzeit nicht verhandeln. Wie schon seine Vorgänger Sharon und Olmert sorgt auch Benjamin Netanyahu dafür, dass die Hamas im innerpalästinensischen Konflikt gegenüber der Fatah argumentativ aufmunitioniert wird und ihr Feindbild weiter pflegen kann.
Der Krieg in Gaza
Der Gaza-Krieg zur Jahreswende 2008/2009 hat unterstrichen, wie weit der israelisch-palästinensische Dauerkonflikt von einer Lösung entfernt ist. Leider haben die USA und die EU dabei eine m.E. unglückliche Rolle gespielt. Sie haben nach freien und fairen Wahlen die palästinensische Regierung boykottiert, die von externen Geldzuflüssen abhängige Autonomiebehörde in den Bankrott getrieben und die Rivalität zwischen Fatah und Hamas vertieft, die in der Spaltung zwischen Westbank und Gazastreifen gipfelte.
Auch die von Israel über den Gazastreifen verhängte Wirtschaftsblockade hat dazu beigetragen, dass die fragile Waffenruhe zwischen Israel und der in Gaza herrschenden Hamas zerbrach. Zwar ist es Israel gelungen, die Kampfkraft der Hamas zu schwächen. Doch hat der Krieg kein einziges Problem gelöst, im Gegenteil. Hamas ist aus dem Krieg politisch gestärkt hervorgegangen, während der vom Westen unterstützte, aber glücklose Präsident Abbas weiter demontiert wurde.
Militärisch lässt sich der Konflikt nicht entscheiden. Denn Israel ist, wie die Erfahrung zeigt, trotz eindeutiger militärischer Überlegenheit außerstande, den Palästinensern seine Konditionen zur Beendigung des Konflikts aufzuzwingen. Aber auch ein stabiler Waffenstillstand ist nicht in Sicht. Er würde voraussetzen, dass die palästinensischen Kräfte, die sich die Option des bewaffneten Kampfs gegen die Besatzung offenhalten, ausreichende Anreize erhalten, nach einer politischen Lösung zu suchen. Um seine Blockade des Gazastreifens zu beenden, benötigt Israel die Gewähr, dass die Paramilitärs offene Grenzen nicht zur Wiederaufrüstung nutzen. Beides ist indes nur möglich, wenn die Palästinenser ihre Spaltung überwinden und es einer Regierung der nationalen Einheit gelingt, das vorstaatliche Gewaltmonopol im gesamten palästinensischen Autonomiegebiet wiederzuerlangen. Nur eine Regierung, die sich nicht auf Notverordnungen, sondern auf das gewählte Parlament stützt, kann sich Israel als glaubwürdiger Verhandlungspartner präsentieren.
Dass die Regierung Netanjahu sich überhaupt einen derart gestärkten palästinensischen Kontrahenten wünscht, der am Ziel eines souveränen Staates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt festhält, lässt sich den bisherigen Aussagen des israelischen Ministerpräsidenten und seines Außenministers allerdings nicht entnehmen, eher im Gegenteil.
Zum internationalen Krisenmanagement
Es wird nun darauf ankommen, dass Israels Partner - sprich in erster Linie die USA aber auch Deutschland und die EU - Einfluss auf die Konfliktparteien nehmen. Der Bush-Regierung fehlte dazu jeder politische Wille.
Wenn der Westen den nächsten Krieg verhindern und die Zweistaatenlösung retten will, muss er sein Konfliktmanagement ändern und konkreten Druck ausüben. Ein klares Signal an die Palästinenser, dass eine Regierung der nationalen Einheit anerkannt und unterstützt würde, wenn sie auf Gewalt gegen Israel verzichtet, bestehende Abkommen respektiert und sich eine Zweistaatenlösung im Sinne der von der Arabischen Liga 2002 vorgebrachten Friedensinitiative zu eigen macht, wäre ein starker Anreiz für die verfeindeten Fraktionen, ihre Rivalität mit zivilen Mitteln auszutragen. Voraussetzung ist eine Regierung der nationalen Einheit, die die Kluft zwischen Hamas und Fatah überwinden helfen kann. Ob dies gelingen kann, scheint nach den jüngsten Erfahrungen fraglich. Eine solche Regierung ist aber die Voraussetzung dafür, dass die politische Führung der Palästinenser handlungs- und verhandlungsfähig wird.
Wenn es den Palästinensern gelingt, ihre Spaltung zu überwinden, sollte der Westen den Aufbau staatlicher Institutionen fördern und Arrangements der Machtteilung ermöglichen, einschließlich einer Integration der Hamas-Milizen in den Sicherheitsapparat der Autonomiebehörde. Erst unter dieser Voraussetzung kann die EU ihre beiden Missionen wiederbeleben: zum einen die Überwachung des Grenzübergangs nach Ägypten in Rafah, die nur wenige Monate lang funktionierte und von der EU nach der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Juni 2007 suspendiert wurde; zum anderen die Unterstützung der Polizeireform, mit der die EU im Rahmen des Konzepts Westbank first wohl oder übel zum Helfershelfer eines zunehmend autoritären Herrschaftssystems wurde, das seine Sicherheitskräfte auch einsetzte, um die Opposition aus dem Weg zu räumen.
Gegenüber Israel sind andere Mittel erforderlich, damit es die anhaltende Unterminierung der Zweistaatenlösung durch den Siedlungsbau in der Westbank aufgibt und die dortigen Abriegelungen mit ihren verheerenden Folgen für die palästinensische Wirtschaft aufhebt. Fraglos verfügen die USA über stärkere Einwirkungsmöglichkeiten auf Israel als die EU. Offenbar scheint Präsident Obama auch bereit, die Gunst der pro-israelischen Lobby aufs Spiel zu setzen.
Aber auch die EU sollte ihre Mittel nutzen, So sollte eine Vertiefung der Beziehungen im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik nur dann gewährt werden, wenn Israel den Siedlungs- und Mauerbau in der Westbank - beide völkerrechtswidrig - stoppt und die auch nach israelischem Recht illegalen Siedlungsvorposten auflöst. Entsprechende Signale des Europäischen Parlaments sowie der Außenminister Luxemburgs, Portugals und Finnlands verdienen Unterstützung aus Berlin. Die EU sollte den Dialog mit Syrien und Iran intensivieren. Das impliziert die Bereitschaft zur Rückgabe der seit 1967 besetzten syrischen Golanhöhen anzumahnen. Zugleich lässt sich dieses Engagement als Pfund einsetzen, um in Damaskus und Teheran darauf hinzuwirken, den militärischen Flügel der Hamas nicht weiter zu unterstützen. Gegenüber Syrien verfügt die EU mit dem 2004 auf Eis gelegten Assoziationsabkommen über einen wirkungsvollen Hebel.
Mittlerweile hat die EU signalisiert, eine Einheitsregierung von Fatah und Hamas akzeptieren zu wollen. Gemeinsam mit der Türkei verfügt die EU über gute Kontakte zu allen Konfliktparteien. Für die alternativlose Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung kann die EU damit eine entscheidende und konstruktive Rolle spielen.
Die deutsche Nahostpolitik
Auf Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 verstärkte die Europäische Union ihr Engagement im Nahost-Friedensprozess und erreichte eine Wiederbelebung des Nahost-Quartetts, das seitdem regelmäßig sowohl auf Minister- als auch auf hoher Beamtenebene zusammentritt.
Im Oktober 2007 ergriff Außenminister Steinmeier die Initiative zur Verabschiedung einer "EU-Aktionsstrategie" für den Nahen Osten, welche die Bemühungen von Israelis und Palästinensern um eine Friedenslösung flankieren soll und die Grundlage der gemeinsamen EU-Nahostpolitik bildet.
Als Reaktion auf den Gaza-Konflikt um den Jahreswechsel 2008/2009 verständigte sich die EU auf Vorschlag von Außenminister Steinmeier hin auf einen "Arbeitsplan" zu Gaza. Dieser Arbeitsplan umfasst sechs Punkte (sofortige humanitäre Hilfe, Verhinderung des illegalen Waffen- und Munitionshandels, dauerhafte Wiederöffnung der Grenzübergänge, Instandsetzung und Wiederaufbau, inner-palästinensische Versöhnung sowie Wiederaufnahme des Friedensprozesses) und hat einen dauerhaften Waffenstillstand zum Ziel.
Auch bilateral leistet Deutschland seinen Beitrag zur Unterstützung einer Friedenslösung. Dies manifestiert sich in zahlreichen politischen Gesprächen mit Vertretern der israelischen Regierung und der palästinensischen Behörde und in häufigen Besuchsreisen in die Region: So reiste Außenminister Steinmeier im Januar 2009 bereits zum elften Mal während seiner Amtszeit in den Nahen Osten.
Um die Lebensbedingungen für die Menschen in den palästinensischen Gebieten durch rasch umzusetzende Projekte sichtbar zu verbessern, riefen Außenminister Steinmeier und der palästinensische Premierminister Fayyad im Januar 2008 eine gemeinsame Initiative ins Leben: "Zukunft für Palästina".
Ein weiterer Schwerpunkt des deutschen Engagements liegt in der Unterstützung des Aufbaus palästinensischer Sicherheitskräfte, unverzichtbare Voraussetzung für einen funktionsfähigen palästinensischen Staat.
Daneben trägt Deutschland als einer der größten bilateralen Geber zum Aufbau von Infrastruktur, zur Verbesserung der Bildung, zu Beschäftigungsprogrammen und zum Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft in den palästinensischen Gebieten bei. Bei der internationalen Geberkonferenz für die palästinensischen Gebiete in Paris im Dezember 2007 sagte die Bundesregierung bis zum Jahr 2010 Unterstützung in Höhe von 200 Mio. Euro zu.
Konkret hat Deutschland auf vielfältige Weise die palästinensische Autonomiebehörde unterstützt u.a. die Polizei mit Fahrzeugen und Funkgeräten. Deutschland beteiligt sich darüber hinaus an einem Modellprojekt zum Bau von 55 einheitlichen und funktionellen Polizeistationen in der West Bank. Weiterer Schwerpunkt der deutschen Unterstützung im Sicherheitssektor ist die Aus- und Fortbildung von palästinensischen Polizeibeamten. Bislang wurden bereits über 400 palästinensische Polizeibeamte ausgebildet.
Fazit
Langfristig werden wir die Hamas, die Hisbollah und den Iran in dieser Region nur dann politisch schwächen können, wenn der palästinensische Staat Wirklichkeit wird. Das ist, glaube ich, das richtige politische Mittel, um die Kräfte, die zu Gewalt bereit und auch fähig sind, zu schwächen. Wir brauchen einen lebensfähigen palästinensischen Staat. Ich glaube, es war ein großer Fehler, dass wir nicht auf die Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002 eingegangen sind. Es war ein historischer Schritt, als sich alle arabischen Staaten bereit erklärt haben, mit Israel in den Grenzen von 1967 Frieden zu schließen. Das wird für Israel schwer sein; gar keine Frage. Vielleicht wird es auch nicht genau diese Grenzziehung sein. Kompromisse sind auf dieser Ebene aber möglich.
Fest steht: Solange die Zweistaatenlösung nicht durchsetzbar ist, wird der Konflikt auch weiterhin gewaltsam ausgetragen, ohne dass er militärisch entschieden wird. Ohne echte Perspektiven für die Palästinenser ? einen eigenen Staat und wirtschaftliche Entwicklung - wird es keinen Frieden geben. Von Israel verlangt dies einen grundsätzlichen Politikwechsel - ein Ende der Siedlungs- und Besatzungspolitik und ein ernsthaftes Arbeiten an der Zwei-Staaten-Lösung.