"Wir lassen uns nicht von der türkischen Regierung erpressen"

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist in der Tat ein schwerwiegender Vorgang zwischen zwei NATO-Partnern. Ich glaube auch, dieser Vorgang ist beispiellos, einmalig in der Geschichte der NATO. Ich befürchte ebenfalls: Es ist kein Ende absehbar.

Dennoch glaube ich, ist es gut, dass wir heute versuchen, Argumente in die Debatte einzubringen, die für das Selbstverständnis des deutschen Parlaments, des Parlamentarismus und für eine Parlamentsarmee sprechen. Deswegen sage ich sehr klar für meine Fraktion: Die Antwort, die die türkische Regierung auf das Bemühen, einen Besuch Dr. Dietmar Bartsch in Incirlik zu erreichen, gegeben hat, grenzt an Erpressung.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es ist Erpressung!)

Wenn Rechtsgrundsätze wie das Asylrecht gegen das Recht auf eine Besuchserlaubnis aufgerechnet werden, sage ich sehr deutlich: Wir stehen für das Grundrecht auf Asyl und lassen uns nicht von der türkischen Regierung erpressen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum anderen will ich sehr deutlich sagen: Es ist gut, dass Asylanträge von türkischen Bürgern, egal vor welchem beruflichen Hintergrund sie in der Vergangenheit gestanden haben, ernsthaft geprüft werden und politisches Asyl in Deutschland, wenn die Gründe dafür ausreichen, auch gewährt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Lieber Kollege Kiesewetter, ich muss Ihnen widersprechen. Das, was Sie gesagt haben, ist nicht die Haltung meiner Fraktion.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Ich möchte sehr deutlich davor warnen, die beiden Institutionen – das Parlament und den Wehrbeauftragten – gegeneinander auszuspielen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beide Institutionen haben ein Besuchsrecht bei den Bundeswehrsoldaten. Ich will gerne daran erinnern, dass wir in den letzten Tagen – vielleicht ist das noch nicht zu jedem in Ihrer Fraktion durchgedrungen – innerhalb der Koalitionsfraktionen versucht haben, einen gemeinsamen Text für die Ausschussberatungen zu erreichen, der auf Grundlage der Protokollnotiz des letzten Beschlusses über den Einsatz in Incirlik gefasst worden ist, dass es nämlich zu den verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundestages gehört, jederzeit Besuche durchführen zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hochrangige Gespräche zu führen, ist durchaus ein Anlass, den wir weiterhin würdigen, auch vonseiten der Bundesregierung. Dass der NATO-Rat hiermit befasst werden soll und dass bereits jetzt Handlungsoptionen für die Verlegungen erfolgen sollen, ist, glaube ich, richtig. Umso mehr wünsche ich im Namen meiner Fraktion der Bundeskanzlerin allen Erfolg. Wir werden sie dabei unterstützen, wenn sie am kommenden Donnerstag bei Präsident Erdogan versucht, dieses Besuchserfordernis noch einmal zu unterstreichen.

Ich sage aber sehr deutlich: Es darf kein Gnadenakt sein, sondern es muss letztlich zu einer grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen der türkischen Regierung und der Bundesregierung kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es sprechen drei gute Gründe für die Überweisung des Antrages. Zum Ersten spricht dafür, dass die Ergebnisse, die möglicherweise ausgehandelt werden, in den Fachausschüssen gewürdigt werden, insbesondere dann, wenn dieses Besuchsrecht ein für alle Mal geklärt werden kann. Zum Zweiten spricht dafür, dass in den Beratungen der Fachausschüsse auf die Planung einer möglichen Verlegung, die jetzt durchzuführen ist, Einfluss genommen werden kann. Auch darüber muss die Bundesregierung berichten. Ich glaube, auch das ist notwendig. Ich bin zurzeit noch nicht ganz davon überzeugt, dass es Jordanien sein muss. Deswegen gehört eine offene Diskussion in den Fachausschüssen mit dazu. Irgendwelche publikumswirksamen Reisen nach Jordanien helfen an dieser Stelle nicht weiter.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

Ein Drittes spricht dafür. Kollege Bartsch, Sie sagen, wir müssten versuchen, die Souveränität auch dieses Parlaments sehr deutlich zu machen. Ich glaube, die Überweisung schafft vielleicht sogar – hier müssen wir uns alle bewegen – die Grundlage für eine gemeinsame Beschlussfassung. Auch das spricht für eine Überweisung. Deswegen, liebe Kollegin Roth, ist die Formulierung „Es reicht!“ für mich kein außenpolitisches Argument.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, wir müssen gerade in der Außenpolitik immer wieder ausprobieren, was vielleicht möglich ist.

Ich möchte ein weiteres Argument in diese Debatte einzuführen, warum dieses Parlament versuchen sollte, in der nächsten Sitzungswoche eine gemeinsame Beschlussfassung im Sinne des vorliegenden Antrags herbeizuführen: Es wäre ein deutliches Zeichen nicht nur an einen türkischen Staatspräsidenten, der mittlerweile alle demokratischen Rechte mit Füßen tritt, sondern auch an ein türkisches Parlament, das sich in den vergangenen Monaten auch selbst entmachtet hat. Diese Chance sollten wir vonseiten des Deutschen Bundestages durchaus nutzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum anderen: Ich sagte, „Es reicht!“ ist kein außenpolitisches Argument. Ich fnde, wir alle hier im Deutschen Bundestag sollten uns fragen, ob wir nicht auch eine Verantwortung dafür tragen, wie sich die Türkei in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Ich glaube, manches Versäumnis sollten wir – –

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)

 – Dazu kann man auch „Oh!“ sagen. Insofern vermute ich, dass mein Appell in diese Richtung vielleicht nicht hilft.– Zumindest ich frage mich, ob manches Verhalten im Zusammenhang mit dem EU-Beitrittsprozess in den vergangenen Jahren nicht genau das provoziert hat, was wir zu Recht immer wieder kritisieren. Es passierte in der Türkei in jüngster Zeit mehr, als dass nur über eine Präsidialverfassung abgestimmt worden ist. Die Türkei versucht, einen anderen regionalpolitischen Weg zu gehen. Sie versucht sozusagen, einer orientalischen Despotie ein Vorbild zu sein, gerade auch im Zusammenhang mit den Umbrüchen in der arabischen Welt.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das sagen Sie schon seit Jahren!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aller Ehren wert, genau für diejenigen zu streiten, die vor wenigen Wochen mit höchstem Mut, teilweise sogar unter Verhaftungs- und möglicherweise Lebensgefahr, dafür gestritten haben, dass die Präsidialverfassung nicht Wirklichkeit wird.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist echt zynisch, was Sie da machen!)

Auch das gehört zur Debatte heute Abend dazu.

Vielen Dank.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 18.05.2017
Thema: 
Plenarrede zum Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE: Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik