Für eine kluge Diplomatie

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

UNIFIL war von Beginn an keineswegs nur ein Mandat für den Einsatz internationaler Streitkräfte im Auftrag der Vereinten Nationen. Das Mandat war immer auch ein Beitrag, um ein Mindestmaß an Sicherheit, Souveränität und Staatlichkeit im Libanon durchzusetzen. Ich möchte daran erinnern: 36 Nationen sind im Auftrag der Vereinten Nationen heute im Libanon aktiv, entweder seeseitig oder an Land. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen, also Sicherheit, Souveränität und Staatlichkeit im Libanon durchzusetzen.

Wir müssen auch daran erinnern: Einige der dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten sind während dieses Einsatzes ums Leben gekommen. Es ist in der Tat ein gefährlicher Einsatz. Aber nicht nur von Deutschland, sondern auch von vielen anderen Nationen wird dieses Mandat befürwortet. Ich finde, wir müssen, wenn wir im Deutschen Bundestag darüber diskutieren, gerade auch an die internationale Solidarität erinnern und daran, dass dies ein hervorragender internationaler Einsatz ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland hat von Beginn an mit Marinekräften im Bereich Ausbildung, aber auch mit der Bereitstellung von Ausrüstung mitgewirkt. Die Bundespolizei, der Zoll und zivile Aufbauhelfer sind vor Ort. Genau das verstehen wir unter einem internationalen Mandat.

Wem diese Argumente nicht reichen, der sei an Folgendes erinnert: In der jüngsten historischen Entwicklung ist gerade durch das UNIFIL-Mandat - das sage ich auch in Richtung der Linken - die Quarantäne libanesischer Häfen durch israelische Streitkräfte aufgehoben worden. Dies ist unmöglich gemacht worden. Auch das hat zur Herstellung von Souveränität beigetragen. Wenn man darüber diskutiert, ob man bei dieser Entscheidung nicht über seinen Schatten springen sollte, dann muss man auch diesen Aspekt berücksichtigen.

Wem das nicht reicht, dem sage ich zum Zweiten: Die Armee ist in der Tat einer der wenigen Stabilitätsanker im Land. Deswegen stellt sich auch die Frage der Ausstattung. Wenn die Armee wirklich eine neutrale Position im Libanon einnimmt, wie wir es wollen, dann muss sie die Mittel, die Ausbildung und letztlich auch die Ausstattung dafür haben.

Das dritte Argument für UNIFIL ist: Nur weil wir uns beteiligen, haben wir auch Einfluss auf die Akteure; denn wir sind dort gewünscht. Es ist gewünscht, dass Deutschland diesen Beitrag leistet. Diese Einladung aller libanesischen Akteure ist wichtig.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Außenminister ist in den Libanon gereist. Er hat gesagt - ich finde, das war ein sehr ehrlicher Standpunkt -, er sei mit weniger Zuversicht aus diesem Land abgereist. Das deutet insbesondere darauf hin, wie fragil die Situation ist. Da er von Mitgliedern des Deutschen Bundestages begleitet wurde, war es richtig, dass er an dieser Stelle auch deutlich gemacht hat, dass wir in Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Das war ein wichtiges Signal, für die Gespräche innerhalb der Bundesregierung, aber auch für die Gespräche mit den Ländern. Auch ich glaube, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag, auch im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Kommunen.

Frau Kollegin Kunert, Sie sagen: Wir lehnen das Mandat ab, weil es gefährlich ist. Ich habe darauf hingewiesen, dass internationale Krisen gefährlich sind. Sie lehnen das Mandat außerdem ab, weil Flüchtlinge in den Libanon gekommen sind. Ja, das ist in der Tat so. Ich glaube, die Libanesen wünschen sich am wenigsten, dass noch mehr Flüchtlinge ins Land kommen. Aber das kann doch kein Grund sein, dass wir uns nicht daran beteiligen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie die Neutralität des Mandates infrage stellen - es handelt sich um ein Mandat im Auftrag der Vereinten Nationen -, sollten Sie sich fragen: Welcher internationalen Organisation sprechen Sie hier die Neutralität ab? Das ist doch gerade die Idee der internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich finde, Sie sollten sich einmal überlegen, welche Vorwürfe Sie im Hinblick auf dieses Mandat erheben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat: Der Libanon ist in einer sehr schwierigen Situation, im Sog des syrischen Bürgerkrieges. Der syrische Bürgerkrieg ist ein Brandbeschleuniger für die inneren Verhältnisse im Libanon, und zwar weiterhin entlang konfessioneller Bruchlinien. Die Hisbollah ist dort aktiv, Sunniten, Salafisten und viele andere sind es auch. Es gibt keinen neu gewählten Präsidenten. Insbesondere die christliche Minderheit fühlt sich innerhalb des politischen Systems nicht repräsentiert. Flüchtlinge verändern das labile Gleichgewicht im Libanon, auch das labile Gleichgewicht zwischen den Konfessionen.

Dennoch - ich finde, auch das gehört zu dieser Debatte -: Es gibt auch Beharrungskräfte im Libanon. Was haben wir seit 2011 nicht alles befürchtet! Ich glaube, das zeigt, dass diese Gesellschaft bereit ist, sich im Inneren zu versöhnen. Es besteht die Möglichkeit, den Versöhnungsprozess mit internationaler Begleitung aus dem Inneren heraus zu schaffen. Ich glaube, UNIFIL bietet dafür zumindest einen Rahmen, wenn die Akteure bereit sind, diese Vereinbarung zu treffen. Es gibt dort eine Regierung, und es gibt die Verabredung von Baabda; das wissen Sie aus den Diskussionen im Auswärtigen Ausschuss. Ich finde, das gehört zu einer ehrlichen Diskussion dazu.

Nun möchte ich noch eine grundsätzliche Bemerkung zu den Diskussionen machen, die wir über die Herausforderungen im Irak, aber auch im Zusammenhang mit dem Libanon führen. Ich bestreite nicht, dass es aufgrund der historischen Entwicklung konfessionelle Gegensätze und auch Bruchlinien in den arabischen Ländern gibt. Aber ich finde schon, wir sollten eine ehrliche Diskussion führen und an uns selbst appellieren, nicht darauf hereinzufallen und einfach zu sagen: Nur darin liegt der Kern des Gegensatzes.

Es gibt auch viele gedachte Gegensätze, mit denen versucht wird, zu verschleiern, was die Regierungen bisher nicht geleistet haben; das hat ja zu den Umbrüchen geführt. Dabei geht es um gute Regierungsführung, soziale Gerechtigkeit und viele andere Dinge. Deswegen sage ich: Wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Aber wir dürfen nicht nur auf das erste Argument, das für die Gegensätze angeführt wird, hören.

Wir werden die konfessionellen Gegensätze nicht überwinden. Aber wir müssen dazu beitragen, für soziale Gerechtigkeit in diesen Ländern zu sorgen, damit zwischen den Akteuren Vertrauen geschaffen wird, damit es im politischen System mehr Kompromisse gibt, damit die schlechte Regierungsführung ein Ende findet und damit die Einmischung von außen aufhört, insbesondere in Bereichen, in denen es immer wieder zur Anwendung von Gewalt kommt.

Die Umbrüche in der arabischen Welt werden bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Grenzen Sie das nicht aus! Blenden Sie das in der Diskussion nicht aus! Es wird lange Konflikte an den europäischen Außengrenzen geben. Nur eine kluge Diplomatie, die auf die Akteure zugeht, kann helfen, auch die Ausgegrenzten in diesen Ländern anzusprechen. Deswegen plädiere ich für eine kluge Diplomatie, die weiterhin mit allen Gruppen in diesen Ländern zumindest in der Diskussion steht. Dazu zählen für mich durchaus auch - wenn sie von Gewalt absehen - Vertreter des politischen Islams. Ich glaube, für einen Versöhnungsprozess braucht man letztlich alle Gruppen. Das ist es wert, den Libanon weiterhin zu unterstützen.

Vielen Dank!

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 25.06.2014
Thema: 
Plenarrede zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der ?United Nations Interim Force in Lebanon? (UNIFIL)