Keine Ausweitung des ATALANTA-Mandats

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor fünf Monaten, am 23. November letzten Jahres, erklärte der Außenminister an diesem Pult:
Die Pirateriebekämpfung vor dem Horn von Afrika durch Atalanta ist nicht nur breit in diesem Hause getragen, sondern sie ist auch erfolgreich.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dieser Satz illustriert sehr gut, um was es heute geht und was Sie ohne Not vorhaben. Sie provozieren mit einem erweiterten Auftrag neue zusätzliche Risiken und verwirken zugleich eine breite Mehrheit in diesem Hause.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich finde, das, was Sie an dieser Stelle heute erläutert haben, ist es nicht wert, auf diese breite Mehrheit zu verzichten.

Herr Kollege Stinner, mit Verlaub: Ich weiß nicht, ob Sie allein mithilfe der Aufklärung zu der Erkenntnis gekommen sind, dass es am Strand Boote gibt, die von Piraten genutzt werden. Selbst mir als Kölner fällt es leicht, mir vorzustellen, dass das eine oder andere Boot den Strand erreicht, was von Piraten genutzt wird. Man hat bei Ihrer Argumentation gemerkt, wie unangenehm Ihnen dieser Punkt ist. Der entscheidende Punkt, den Sie hier eben nicht erwähnt haben, ist aber: Die Atalanta-Operation, die im Deutschen Bundestag immer breit getragen wurde, hat immer mehr eine abschreckende Wirkung entfaltet. Alle Hilfskonvois des Welternährungsprogramms haben Somalia erreicht, weil sie militärisch geschützt wurden, woran sich auch die Bundeswehr beteiligt hat. Die Schiffe, die sich Konvois angeschlossen haben, sind sicher durch die Gewässer gefahren. Auch die Schiffe, die eigene Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und erfahrene Besatzungsmitglieder, die gut bezahlt wurden, eingesetzt haben, sind sicherdurch die Gewässer gekommen.

Es ist Ihnen nach dem Fazit, das man in Bezug auf Atalanta ziehen kann, überhaupt nicht gelungen, deutlich zu machen, warum Sie jetzt plötzlich - fünf Monate nachdem wir ein erfolgreiches Mandat beschlossen hatten - schon wieder eine Änderung erreichen wollen. Ich finde das weder argumentativ richtig hergeleitet noch politisch angemessen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die entscheidende Frage an dieser Stelle wäre doch gewesen: Müssen wir nicht in stärkerem Maße mit den Reedern - sie haben teilweise eine Ausflaggung vorgenommen und bezahlen keine Steuern mehr an den Staat, von dem sie verlangen, etwas für ihre Sicherheit zu tun - darüber sprechen, dass sie beachten müssen, dass es sich um gefährliche Gewässer handelt? Auch sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass ihnen militärische Maßnahmen zur Verfügung stehen, damit sie - das war auch Ihr Fazit - geschützt durch diese Gewässer kommen. Ich finde, man sollte doch bemerken - darauf haben auch Sie zu Recht während Ihrer Rede hingewiesen -, dass die Anzahl der Piratenangriffe auf diese Schiffe zurückgegangen ist. Es gibt also ein erfolgreiches Mandat, aber Sie bereiten hier im Bundestag den Weg für ein neues Mandat. Wir sind in den bisherigen Beratungen eben nicht überzeugt worden, dass es sinnvoll ist, diesem neuen Mandat zuzustimmen. Das finde ich sehr leichtfertig. Diesen Vorwurf muss ich der Regierungskoalition machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Sie daran erinnern: Der SPD-Fraktion wird vorgeworfen, dass sie sich hier sozusagen aus der Verantwortung stiehlt.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Machen wir doch gar nicht!)

Bisher haben wir als SPD-Bundestagsfraktion - das galt auch für die letzte Abstimmung - diesem Mandat ohne Gegenstimme immer zugestimmt. Es gab doch im Grunde genommen Konsens in diesem Hohen Haus; denn auch wir sind der Meinung gewesen, dass das Atalanta-Mandat richtig ist. Wenn Sie jetzt sagen, wir würden das alles wegen der Landtagswahlen machen, dann fällt das auf Sie zurück. Bei der Erteilung militärischer Mandate haben wir Ihre Art zu denken in einem ähnlichen Zusammenhang schon zweimal erlebt. Sie hätten den Antrag zur Verlängerung des Mandats ja erst nach den Landtagswahlen einbringen können. Das lag doch in Ihren Händen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich offeriere Ihnen an dieser Stelle ein Angebot: Stellen Sie das Mandant nicht in der nächsten Sitzungswoche zur Abstimmung, sondern erst nach den Landtagswahlen. Dennoch würden wir unsere Kritik, die wir bereits formuliert haben - wir werden den Antrag auch in den Ausschüssen kritisch hinterfragen -, weiterhin aufrechterhalten.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Möchten Sie die Zwischenfrage des Kollegen Stinner zulassen?

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Ja, bitte.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte.

Dr. Rainer Stinner (FDP):
Vielen Dank, Herr Kollege Mützenich. Erstens. Ich habe Ihre Fraktion in meiner Rede bewusst nicht angesprochen, weil ich keine Schärfe und keine parteipolitische Konfrontation in die Debatte bringen wollte.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Zweitens. Ich habe in meiner Rede mit keinem Wort die Landtagswahlen erwähnt. Die Landtagswahlen sprechen Sie in dieser Debatte als Erster an. Das ist sehr interessant.
Sehr geehrter Herr Mützenich, Sie haben angedeutet, dass Sie den Antrag ablehnen werden. Ich glaube noch nicht daran, dass Sie ihn ablehnen werden; aber wir werden es ja sehen. Schauen wir einmal, wie Sie sich nachher entscheiden werden. Ich möchte Ihnen Folgendes vorschlagen: Nachdem Sie den Antrag abgelehnt haben, was Sie hier angedeutet haben, gehen wir gemeinsam zu den Reedern und zu deutschen Industrieunternehmen. Dann können Sie denen erklären, warum die sozialdemokratische Partei nicht mehr bereit ist, an der Pirateriebekämpfung teilzunehmen. Dann können Sie denen sagen, dass Ihnen eine gewisse Ergänzung und Erweiterung des Mandates nicht passt. Auf die Debatte, lieber Herr Mützenich, freue ich mich außerordentlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU ?

Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt müssen wir ablehnen! Ich glaube, nach der Bemerkung müssen wir ablehnen! - Weitere Zurufe von der SPD)

Ein letzter Punkt - jetzt wird es ganz merkwürdig -: Herr Mützenich, Sie haben vorgeschlagen, dass wir über den Antrag nicht in der nächsten Woche, sondern erst nach den Landtagswahlen abstimmen. Ich habe noch sehr gut im Ohr, was Sie, lieber Herr Kollege Mützenich, vor 14 Tagen oder drei Wochen gesagt haben. Sie haben genau das Gegenteil gesagt.

(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Richtig!)

Als die Obleute darüber gesprochen haben, wann der Antrag zur Verlängerung des Mandats eingebracht wird, haben wir zu bedenken gegeben, dass der Außenminister an der Debatte vielleicht nicht teilnehmen kann, wenn sie am heutigen Tag stattfindet. Damals ist von Ihrer Seite gesagt worden: Warum? Wir erwarten, dass ihr die Sache möglichst schnell voranbringt. - Heute stellt sich derselbe Herr Mützenich hier hin und sagt: Nein, wir können die Abstimmung auch verschieben. Liebe Kollegen von der sozialdemokratischen Partei, ich bin sehr gespannt auf Ihren Meinungsbildungsprozess. Herr Steinmeier wird sich dazu sicherlich auch einlassen. Falls Sie ablehnen, was ich nicht glaube - wir werden es ja sehen -, werden Sie mit uns zu den Reedern und den deutschen Industrieunternehmen gehen und denen erklären, warum Sie sich von dem Solidaritätsprinzip und der Bekämpfung der Piraterie verabschieden.
Dabei wünsche ich Ihnen viel Glück.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU ? Günter Gloser [SPD]: Sie können sich setzen! Das war doch keine Frage!)

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Ich nehme das gerne auf, Kollege Stinner. - Frau Präsidentin, wenn ich genauso lange antworten darf, wie der Herr Kollege Stinner gefragt hat, wird mir das bei meiner Argumentation entgegenkommen.

Ich möchte Ihnen erstens Folgendes sagen: Nicht die Obleute bringen einen Antrag zur Verlängerung eines Mandats ein, sondern die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat diesen Antrag in dieser Sitzungswoche eingebracht, und wir unterhalten uns darüber. Wir diskutieren und wägen ab. Ich finde, das sollten Sie beachten. Dass der Bundesaußenminister heute nicht anwesend ist, habe ich gar nicht kritisiert. Ich habe genau darauf geachtet, das nicht zu tun. Wenn Sie der Meinung sind, dieses Mandat hier auf diese Weise begründen zu müssen, dann können Sie das tun.

Zweitens. Es geht doch überhaupt nicht darum, wer wo mit wem gesprochen hat, wer zum Beispiel mit Reedern gesprochen hat. Natürlich sprechen wir mit Reedern. Wir bringen in dieser Woche einen Antrag ein, der von vielen Politikern aus dem Norden, aber auch von Innenpolitikern und Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses erarbeitet wurde und der deutlich macht, dass wir wollen, dass die Reeder eigene Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, und zwar aufgrund der Erfahrungen, die mit Atalanta gesammelt wurden. Deswegen verfolge ich diese Diskussion mit großem Interesse.

Der entscheidende Punkt ist aber ein anderer - auf diesen Punkt sind Sie nicht eingegangen -: Atalanta hat eine abschreckende Wirkung. Das Atalanta-Mandat birgt aber auch - das wurde in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich - zusätzliche Risiken. Es stellen sich daher eine Menge Fragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist interessant, Herr Kollege Stinner, dass Sie weder in Ihrer Frage noch in Ihrer Rede darauf eingegangen sind, dass die anderen beteiligten internationalen Organisationen wie zum Beispiel die NATO oder einzelne Nationen, die auch die Piraterie bekämpfen, nicht an Land gehen. Die NATO hat ausdrücklich gesagt: Wir wollen die Pirateriebekämpfung auf See. Wenn Sie so felsenfest hinter diesem Mandat stehen, wie Sie behauptet haben, hätten Sie hier einmal erklären sollen, warum die EU und insbesondere die Bundesregierung dazu eine vollkommen unterschiedliche Auffassung haben. Das gehört, glaube ich, zu einer redlichen Diskussion dazu. Sie machen aus einem Mandat, das sich in den letzten Jahren erfolgreich entwickelt hat, etwas, das wir nicht mittragen können.

 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das habe ich Ihnen jetzt deutlich gemacht. Wir werden Ihnen das auch in den Ausschussberatungen noch einmal vor Augen führen. In der Tat, Kollege Stinner, Sie haben die Bundesregierung aufgefordert - das unterstütze ich -, mehr in den anderen Bereichen zu tun; das würde die Operation Atalanta noch erfolgreicher machen. Sie haben darauf hingewiesen, dass zwar auf der einen Seite die Zahl der Piraterieangriffe zurückgegangen ist, aber auf der anderen Seite die Höhe der Lösegeldzahlungen, die für entführte Schiffe geleistet worden sind, angestiegen ist. Nur ganz wenig von diesem Geld ist nach Somalia geflossen; es geht an die Hintermänner. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Bundesregierung auffordern - Sie können in dieser Hinsicht viel mehr erreichen als die Opposition -, hier mehr zu tun.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Ich setze mich jetzt! Das war nicht meine Frage!)

Es ist ein Versäumnis der Bundesregierung, dass in den letzten Jahren zu wenig im regionalen Umfeld und insbesondere bei der Bekämpfung der Kriminalität getan
wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Noch etwas kann ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, nicht ersparen. Sie haben über die Obleutegespräche berichtet. In den Telefonaten, die die Obleute geführt haben, wurden von uns bezüglich der Entwicklung des Mandates sehr kritische Fragen gestellt.

(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Von uns auch!)

Ich kann mich daran erinnern, dass einzelne Kollegen nach den Grenzen dieses Mandats in Somalia gefragt haben. Darauf wurde vonseiten der Bundesregierung geantwortet: Das können wir nicht sagen, weil es der Geheimhaltung unterliegt. - Das hatten wir zu dem Zeitpunkt akzeptiert. Wir akzeptieren aber nicht, dass Sie ausgewählte Medien hier in Deutschland noch vor dem Parlament darüber informieren, dass es eine 2-Kilometer- Zone an der Küste geben soll, in der die Bekämpfung erfolgen kann. Dieses Vorgehen stellt eine Missachtung des Parlaments dar; dieser Umgang mit dem Mandat ist so nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Trotz zahlreicher Bedenken auch in Ihren Reihen - diese wurden in Ihrer Rede deutlich - hatten Sie nicht den Mut, den Strategiewechsel zu verhindern. Versäumnisse und Fehler haben Ihnen die Souveränität und die Bewegungsfreiheit genommen. Sie haben den Kompromiss einer berechenbaren und angemessenen Außen- und Sicherheitspolitik leichtfertig über Bord geworfen.

Mit dieser Situation werden Sie leben müssen, wenn in der nächsten Sitzungswoche über die Verlängerung des Mandats abgestimmt wird.

Vielen Dank.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 26. 04. 2012
Thema: 
Plenarrede zur geplanten Ausweitung des Mandats zur Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika