Globalisierung gestalten - Partnerschaften ausbauen - Verantwortung teilen

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bundesaußenminister, ich glaube, das, was Sie aufgeschrieben haben, stellt teilweise eigentlich eine Binsenweisheit dar. Für die Erkenntnis, dass neue Länder, dass neue Gestaltungsmächte auch einen Gestaltungsanspruch haben, ist kein umfangreiches Papier notwendig;

(Edelgard Bulmahn [SPD]: Wohl wahr!)

denn im Grunde genommen ist dies der Kern der Geschichte internationaler Politik. Ich hätte als Anstoß für eine grundsätzliche Debatte über Außenpolitik viel interessanter gefunden, zu lesen, was Sie in den kommenden wenigen Monaten überhaupt noch erreichen wollen, was den Kern der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik da ausmachen soll. Dazu findet man in diesem Konzept nichts.

(Edelgard Bulmahn [SPD]: Das ist leider so!)

Eine weitere interessante Frage wäre: Bei der Bewältigung welcher Probleme werden Ihnen die neuen Gestaltungsmächte - gesetzt den Fall, dass Sie auf diesem Konzept beharren - behilflich sein? Bei denen, vor denen wir stehen, bei denen, vor denen Europa steht, oder bei denen, vor denen sozusagen die internationale Politik steht? Auf diese Fragen gehen Sie überhaupt nicht ein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meiner Meinung nach müssen wir insbesondere auf folgende Punkte hinweisen:

Erstens. Wir nähern uns in Europa wieder einem neuen Sicherheitsdilemma; das haben wir alle, die wir in München auf der Sicherheitskonferenz waren, auch atmosphärisch gespürt. Eine neue Eiszeit beginnt, wenn uns ein russischer Außenminister nicht nur die Syrien- Frage, sondern insbesondere auch das Problem der Raketenabwehr, das möglicherweise eine neue Grenzziehung in Europa zur Folge hat, vor Augen führt. Ich frage mich: Wo ist da die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik?
Wollen Sie uns wirklich sagen, dass uns neue Gestaltungsmächte in der Welt bei der Lösung dieses Sicherheitsdilemmas helfen werden? Nein, dafür braucht es Tatkraft, und zwar in Kooperation mit den alten Partnern. Wir müssen den USA, insbesondere den Senatoren im Kongress, deutlich machen, um was es letztlich geht, dass wir nämlich vertragsbasiert versuchen wollen, das Thema Raketenabwehr wieder einzufangen. Darüber wäre es in der Tat notwendig gewesen eine außenpolitische Debatte zu führen, statt wolkig von Gestaltungsmächten, die irgendwo am Horizont auftauchen, zu sprechen.

Zweiter Punkt. Von einem Sicherheitsdilemma ist auch eine andere Weltregion betroffen. Wir wissen, dass im pazifischen Raum ein Sicherheitsdilemma entsteht, weil es dort Fehlwahrnehmungen gibt. Die USA behaupten, sie seien eine pazifische Macht, und China rüstet maritim auf. Beide Staaten handeln aufgrund unterschiedlicher Erwägungen. Die Chinesen etwa sagen: Wir müssen diese Wege aufgrund der Situation, in der wir uns befinden, und aus nationalem Interesse beschreiten. Deutschlands Beitrag als Mitglied der NATO sollte angesichts dessen darin bestehen, endlich die Debatte darüber, ob wir eine globale NATO brauchen, zu beenden. Doch selbst die Bundeskanzlerin spricht immer wieder von der globalen NATO. Indem wir dieses Thema, das in China ganz anders wahrgenommen wird, ansprechen, befördern wir allerdings eher ein Sicherheitsdilemma, als dass wir zu seiner Lösung beitragen. Solche außenpolitischen Debatten brauchen wir also.

Eine dritte Frage lautet: Glauben Sie wirklich, dass uns neue Gestaltungsmächte dabei unterstützen, die Normen und Regeln des Völkerrechts besser zu verankern oder unsere Partner davon zu überzeugen, das Völkerrecht besser zu beachten? Den Mut, eine Debatte darüber zu führen, müssen Sie gegenüber den jetzigen, den alten Partnern aufbringen. Die Frage des Völkerrechts, auch der Einsatz von Drohnen, betrifft nicht die Gestaltungsmächte; sie betrifft die alten Partner. Das in der Außenpolitik anzusprechen, dazu gehört nach meinem Dafürhalten Mut; aber was das betrifft, ist in diesem Konzept überhaupt nichts zu finden.

Viertens. Ich sagte, es werden keine großen, neuen Antworten gegeben; deshalb verweise ich auf alte Konzepte. Der Ansatz von Frank-Walter Steinmeier, die Bearbeitung des Wasserkonflikts in Zentralasien als gemeinsame europäische Herausforderung in die Debatte einfließen zu lassen, war richtig. Auch in Zukunft wird die Wasserfrage ? auch Sie haben sie ja angesprochen ? wahrscheinlich eine große Herausforderung sein. Vor diesem Hintergrund wäre es besser gewesen, heute der Frage nachzugehen: ?War das Konzept von Frank- Walter Steinmeier richtig, und sind wir da vorangekommen??, statt von sogenannten Gestaltungsmächten zu sprechen und damit neue Schauplätze zu betreten.

(Beifall bei der SPD)

Fünfte Frage: Werden Sie gemeinsam mit neuen Gestaltungsmächten die Herausforderungen im Bereich der Rüstungsexporte bewältigen: ja oder nein? Nein, ich glaube nicht. Sie führen die Gestaltungsmächte ja gerade deswegen an, um Rüstungsexporte zu legitimieren. Saudi-Arabien ist für Sie eine Gestaltungsmacht. Die Lieferung von Panzern nach Saudi-Arabien wurde damit begründet, dass am Persischen Golf eine Gestaltungsmacht entsteht und dies möglicherweise in Konflikte ausartet. Also: Wollen Sie wirklich sagen, dass uns Gestaltungsmächte bei der Lösung dieses Problems und beim Umgang mit solchen falschen Entscheidungen helfen werden? Ich sage Ihnen: Nein.

Das, was Sie aufgeschrieben haben, führt also in die Irre. Es verlagert Ihre Verantwortung auf ein anderes Feld. Dazu kann man zwar ein paar schöne Sätze formulieren; aber hier muss es um konkretes Handeln gehen. Sie führen mit uns aber keine Debatte über konkretes Handeln. Dieser notwendigen Diskussion würde ich mich gerne stellen. Dazu haben Sie in Ihren zwölf Minuten Redezeit am Anfang dieser Debatte aber überhaupt nichts gesagt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bundesaußenminister, ich will zum Schluss auf einen weiteren Aspekt ingehen. Ich glaube, dass dieses Papier bei unseren alten Partnern möglicherweise - ich will nicht sagen: verheerend - falsch ankommt. Das wäre fatal und nicht hilfreich. Ich glaube, man bläst die Backen wieder einmal etwas zu stark auf. Wenn ein deutscher Außenminister gewissermaßen sagt: "Ich alleine werde darüber bestimmen, welche Staaten Gestaltungsmächte sind und welche nicht und mit wem sich Deutschland zusammentut und mit wem nicht", halte ich das für ein großes Problem. Dies gilt insbesondere angesichts der Debatte auf europäischer Ebene, in der Deutschland nicht mehr das Bild abgibt, das es sich wirklich schwer erarbeitet hat, insbesondere während des Kalten Krieges, aber auch während der Zeit der Entspannungspolitik. Damals hat sozusagen ein anderes Deutschland das Bild abgegeben. Ich glaube, dass diese schön bebilderte Broschüre, die Sie uns vorgelegt haben, möglicherweise zu einer ganz anderen Wahrnehmung führt als zu der, die Sie beabsichtigt hatten. Das Papier ist wie Ihre Außenpolitik: etwas dick aufgetragen, dennoch an vielen Stellen vage und immer wieder sprunghaft. Das ist keine Grundlage für eine bessere Außenpolitik, die wir dringend brauchen.

Deswegen glaube ich, dass weitere Debatten über die konkreten Herausforderungen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik notwendig sind.

Vielen Dank.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 10.02.2012
Thema: 
Plenarrede zur Unterrichtung durch die Bundesregierung