Generaldebatte zur Außen- und Sicherheitspolitik
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Außenpolitik ist keine Bühne für parteipolitische Spielchen.
Wir Sozialdemokraten akzeptieren die Regeln, Normen und Institutionen der deutschen Außenpolitik. Wir haben diese Grundsätze mitgestaltet und erweitert. Die Bürgerinnen und Bürger, unsere Partner und Nachbarn können sich in den nächsten vier Jahren auf eine konstruktive Rolle der SPD auch in der Opposition verlassen. Herr Außenminister Westerwelle, im Gegenzug bitten wir Sie herzlich, die Opposition dort einzubeziehen und zu informieren, wo es angemessen und erforderlich ist. Ich glaube, das gehört zum parlamentarischen Verfahren dazu. Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine gute Arbeit für unser Land. Darin werden wir Sie bestärken. Dort aber, wo wir Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten feststellen oder Zweifel haben, werden wir diese in den nächsten vier Jahren benennen und Alternativen vorschlagen.
Ich habe eine Anregung: Wir sollten überlegen, ob wir am Anfang eines jeden Jahres eine zentrale Grundsatzdebatte führen könnten, die sich mit den außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen Deutschlands in den nachfolgenden Monaten befasst. Ich glaube nämlich, der Bundestag ist der zentrale Ort, um über diese Fragen zu diskutieren und um von der Bundesregierung Auskunft über die weiteren Schritte zu bekommen. Eine solche parlamentarische Diskussion wäre angemessen und könnte dem manchmal auftretenden öffentlichen Desinteresse an der Außenpolitik entgegenwirken.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Ich will nur drei Punkte benennen, die mir im Koalitionsvertrag aufgefallen sind. Die Frage des Völkerrechts hat als zentrales Thema in der internationalen Politik nicht die Würdigung erhalten, die ich mir gewünscht
hätte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
In den letzten Jahren konnten wir in der internationalen öffentlichen Debatte die Tendenz feststellen - gestern hat Russland in diesem Zusammenhang etwas veröffentlicht, was ich nicht gutheiße -, dass das Völkerrecht nicht mehr in den Mittelpunkt gerückt wird. Manchmal wird der internationale Terrorismus als Grund dafür genannt, dass das Völkerrecht nicht eingehalten werden kann. Ich halte das nicht nur für waghalsig, sondern auch für einen Rückschritt in der internationalen Politik. Wenn wir die Fortschritte im Völkerrecht, die nach 1945 erreicht wurden, endgültig über Bord werfen würden, dann hätte der internationale Terrorismus gewonnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Minister, Abrüstung und Rüstungskontrolle gehören zu den Grundpfeilern deutscher Außenpolitik. Wir teilen mit Ihnen die Auffassung, dass sie Instrumente der Vertrauensbildung und der gemeinsamen Sicherheit sind. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts sind diese Instrumente nicht überflüssig geworden. Ich glaube, die Rüstungsexportkontrolle - das ist eben gesagt worden - gehört genauso dazu. Deswegen brauchen wir, glaube ich, eine politische Kultur der Abrüstung, und wir unterstützen Sie in diesen Fragen. Sie haben angedeutet - das ist auch im Koalitionsvertrag niedergelegt -, dass Sie die konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle vorantreiben wollen. Ich glaube, das ist gerade mit Blick auf Georgien eine besondere Herausforderung. Deswegen biete ich vonseiten der SPD-Fraktion an: Wir unterstützen Sie sofort bei der Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrages. Bringen Sie ihn in den Deutschen Bundestag ein. Dann werden wir als Opposition Sie an dieser Stelle unterstützen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)
Herr Außenminister, Sie haben im Wahlkampf und während Ihres USA-Besuchs erfreulicherweise die Bedeutung der nuklearen Abrüstung hervorgehoben. Ich habe gesagt, wir unterstützen das. Ich bedaure ein bisschen, dass Sie in Washington leiser aufgetreten sind als auf den deutschen Marktplätzen während des Wahlkampfs. Aber ich glaube, dass es an dieser Stelle einen breiten Konsens im Deutschen Bundestag gibt, die Abrüstung und Rüstungskontrolle voranzutreiben.
Ich würde Sie nur gerne daran erinnern, dass es notwendig wäre, gerade mit unseren Partnern in Europa in den nächsten Wochen und Monaten über etwas zu diskutieren, was Präsident Obama im Dezember vorlegen wird, nämlich eine neue Nuklearstrategie der USA. Ich glaube, sie wird in den europäischen Ländern ganz unterschiedlich bewertet. Deswegen wäre es gut, wenn der deutsche Außenminister im Vorhinein versuchte, eine möglichen Dissens in Europa über die US-amerikanische Nuklearstrategie zu verhindern.
Wenn ich am Anfang gesagt habe - ich komme zum Schluss -
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! ? Heiterkeit)
- diese Überheblichkeit geht mir gegen den Strich, aber das ist ein anderer Punkt -
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Wir haben verstanden!)
- nein -, dass die deutsche Sozialdemokratie Sie auch in der Opposition in den kommenden vier Jahren bei den wichtigen Fragen der Außenpolitik unterstützt, so will ich nur daran erinnern, dass das auch bei uns nicht immer unumstritten war. Vor 50 Jahren hat Herbert Wehner im Deutschen Bundestag eine wichtige außenpolitische Rede gehalten und gesagt, dass die Sozialdemokratie die Institutionen und die Verträge Deutschlands für die Außenpolitik anerkennt. Das hat Handlungsspielraum eröffnet.
Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die heute noch in der Außenpolitik abseitsstehen, sich möglicherweise diese Erfahrungen zunutze machen und in den nächsten vier Jahren dazulernen.
Vielen Dank.