Eine friedliche Entwicklung einfordern

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

In der Tat, wir sind Zeugen einer dramatischen, furchtbaren und mörderischen Entwicklung in Libyen, und wir fordern, ich glaube, als gesamter Deutscher Bundestag: Das muss sofort beendet werden. Wir brauchen einen Gewaltverzicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir müssen eine friedliche Entwicklung in Libyen einfordern und diese nach unseren Möglichkeiten unterstützen. Ich warne ein bisschen davor, auf die Posen von Gaddafi hereinzufallen. Er ist voll zurechnungsfähig. Er ist verantwortlich für die Taten, und er muss dafür auch einstehen. Wenn ihn das eigene Volk oder die eigenen Institutionen nicht zur Rechenschaft ziehen, dann muss der Internationale Strafgerichtshof handeln, dann müssen die Möglichkeiten, die wir in der internationalen Gemeinschaft in den letzten Jahren gegen die Verletzung der Menschenrechte entwickelt haben, sofort genutzt werden. Ich hoffe, dass die Bundesregierung dies im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterstützt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin der festen Überzeugung, dass das, was innerhalb der Europäischen Union in den letzten Tagen unternommen worden ist, in die richtige Richtung geht. Ich will das auch an die Adresse der Bundesregierung sagen. Ich glaube, Sie haben diesmal schneller, umfassender und deutlicher reagiert. Im Gegensatz zu den Erfahrungen im Zusammenhang mit Tunesien und Ägypten ist die Rolle Deutschlands in der Europäischen Union zurzeit vorbildhaft.

Aber das heißt auch, Herr Kollege Schockenhoff: Sie müssen mit Ihrem Parteifreund Berlusconi

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Na!)

über die Sonderrolle Italiens sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN - Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ich bitte Sie! Also wirklich! Was soll das denn?)

Zumindest müssen Sie versuchen, ihn mithilfe der Kontakte, über die Sie aus der Vergangenheit vielleicht noch verfügen, zu überzeugen; ich glaube, alles andere ginge in genau die falsche Richtung. Wenn man das nicht auf Parteiebene machen will, dann muss es letztlich die Bundeskanzlerin in ihren Konsultationen mit dem Regierungschef tun.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was soll denn das? Eigentlich mag ich Sie ja ganz gern!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine bestimmte Debatte, vor der ich ein bisschen warnen möchte, sollten wir in Deutschland nicht befördern.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich Ihr Parteifreund Mubarak?)

Ich habe wirklich Verständnis für die herrschende Skepsis, auch für die der Menschen in Deutschland, die vor dieser Entwicklung natürlich Angst haben; das ist gar keine Frage. Wir wissen noch nicht, was in allen Einzelheiten auf uns zukommt. Aber ich finde, wir Politikerinnen und Politiker dürfen die Situation nicht dramatisieren. Wir dürfen auch nicht die falschen Maßstäbe anlegen.

Ein Beispiel ist die Diskussion über die Flüchtlinge. Ich bin der festen Überzeugung, Libyen und seine Nachbarländer werden an den Grenzen viel größere Probleme mit Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen haben, als es in Europa jemals der Fall sein wird. Auch das gehört zum Bild der Lage. Wir müssen bei diesem Thema alle Möglichkeiten, die wir in unserer Geschichte entwickelt haben, nutzen, auch in Sachen Toleranz.

Insbesondere finde ich, dass wir ein vollkommen falsches Bild von den Menschen zeichnen, die zurzeit versuchen, in ihrer Region, in ihren Ländern neue Gesellschaften aufzubauen. Sie demonstrieren doch nicht, um fliehen zu können. Sie wollen in ihren Ländern bleiben. Sie wollen sich selbst ermöglichen, in ihrem Land zu leben. Darin müssen wir sie auch von hier aus unterstützen, und wir dürfen nicht dramatisieren.

(Beifall im ganzen Hause)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass die Chancen überwiegen, sowohl für die Region als auch für Europa. Junge Frauen und Männer, Arbeiterinnen und Arbeiter, gut ausgebildete Menschen haben ihr Schicksal in die Hand genommen. Sie stehen für Modernisierung und Mobilität und auch für ein anderes Bild einer islamischen Gesellschaft. Die Demonstranten haben nicht gesagt, der Islam sei die Lösung für ihre Probleme, sondern sie wollen eine moderne, mobile, demokratische, freie Gesellschaft.

Ich finde, Europa muss signalisieren, dass wir diese Bestrebungen unterstützen und sie als Chance begreifen. So hat es auch Europa geschafft, nach dem Zweiten Weltkrieg eine friedliche Entwicklung in unserer Region einzuleiten. Setzen wir doch ein positives Signal! Das heißt natürlich auch, dass man ehrlich sein muss. Wir werden in der Europäischen Union eine neue Flüchtlingspolitik brauchen. Ich begrüße das, was Herr Staatsminister Hoyer hierzu für die Bundesregierung erklärt hat. Wir müssen uns klar darüber sein, dass wir den Menschen bestimmte Möglichkeiten eröffnen und ihnen einen temporären Aufenthalt anbieten müssen. Auch die Frage des politischen Asyls wird in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Wir werden im Ausbildungssektor Hilfe leisten müssen. Insbesondere die Abschottung der Europäischen Union im Agrarsektor muss beendet werden. Hier geht es um genau das, was Sie eben gesagt haben. Wir unterstützen das.

(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben die Chance, in dieser Region eine stabilisierende Rolle zu spielen. Insbesondere wird es aber auf die Länder selbst ankommen. Ich hoffe, dass die Türkei eine Menge wird bewegen können. Wenn es dann noch gelingt, dazu beizutragen, dass Ägypten als stabiles, freiheitliches Land in dieser Region einen Stabilitätsanker bildet, werden davon auch Europa und die Menschen, die hier leben, profitieren können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 24.02.2011
Thema: 
Plenarrede zu Aktuellen Stunde "Gewalteskalation in Libyen"