Erste Beratung zum Bundeshaushaltsplan 2010

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Außenminister, ich möchte für die SPD-Fraktion das aufgreifen, was Sie zum Schluss gesagt haben. Anlässlich einer Diskussion über außenpolitische Herausforderungen muss man sich immer vergegenwärtigen, was Haiti zum jetzigen Zeitpunkt durchmacht - ein Land, das ohnehin größte Probleme hat. Ich glaube, dass angesichts dieser Katastrophe im Erdbebengebiet manches, was wir hier in Überschriften über innere und äußere Katastrophen beschreiben, etwas kleiner wird. Ich glaube, gerade anlässlich einer außenpolitischen Debatte ist das angemessen.

Ich bedanke mich ebenfalls für die große Spendenbereitschaft der Bundesbürger, aber ich danke auch denjenigen Deutschen, die dorthin gereist sind und die noch reisen werden, die manchmal unbezahlten Urlaub nehmen und dort helfen, Verschüttete zu finden und auch bei der Aufbauhilfe tätig zu sein. Dies sind Dinge, für die wir auch vonseiten des Deutschen Bundestages Dank sagen müssen an die einzelnen Helfer und insbesondere an die Organisationen, die diese Hilfe bündeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, es ist manchmal leicht, von hier aus gegenüber dem einen oder anderen Ressort Kritik an einer schleppenden internationalen Aufbauhilfe zu äußern. Dennoch glaube ich, dass man auch daran erinnern muss, dass die Vereinten Nationen schreckliche Verluste an Menschenleben, an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - es sind mindestens 50, wahrscheinlich sogar bis zu 300 - erlitten haben. Die Vereinten Nationen sind jene Organisation, die nach meinem Dafürhalten wieder die internationale Aufbauarbeit wird leisten müssen. Natürlich können die USA das zum jetzigen Zeitpunkt schaffen, aber es wäre gut, wenn wir uns auch vonseiten Europas darauf konzentrierten, dass insbesondere die Vereinten Nationen als internationale Hilfsorganisation daran mitwirken müssen, den notwendigen Aufbau Haitis zu unterstützen. Deswegen noch einmal: Herr Außenminister, auch wir haben großen Respekt vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Botschaft, vor ihrem unermüdlichen Einsatz vor Ort, gerade angesichts der schrecklichen Bilder, die sie unmittelbar erlebt haben.

Umso mehr ist - wenn wir uns den außenpolitischen Problemen stellen - ein Unterschied zu Haiti zu benennen. Wir haben viele internationale Probleme zu lösen. Aber wir können diese internationalen Probleme mit kluger Politik und Vernunft regeln. Naturkatastrophen, wie Haiti sie erlebt hat, sind nicht beherrschbar. Aber wir können die internationalen Probleme mit einer klugen Politik lösen. Wir vonseiten der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, vonseiten der Opposition, wollen daran mitwirken. Dies ist gar keine Frage.

Wo Kritik notwendig ist, wollen wir sie üben. Deswegen würde ich gerne an dieser Stelle ein paar Punkte ansprechen. Herr Außenminister, Sie haben es erwähnt: In der nächsten Woche werden wir im Deutschen Bundestag noch einmal eine wichtige Afghanistan-Debatte führen. Ich bin dankbar, dass die Bundeskanzlerin für die Bundesregierung etwas zur Afghanistan-Politik und zur Konferenz in London sagen will. Es hat nach meinem Dafürhalten lange gedauert, bis sie sich dazu bereit erklärt hat. Ich glaube, das hat auch etwas damit zu tun, dass das gesamte Haus an die Bundesregierung appelliert hat, vor der Konferenz in London sehr deutlich zu machen, in welche Richtung die Bundesregierung gehen will. Vielleicht hat sie etwas zu lange gezögert, aber immerhin macht sie es.

Dennoch will ich zwei Punkte ansprechen, die aus meiner Sicht notwendig sind. Wir vonseiten der SPD haben sehr frühzeitig über die Afghanistan-Politik gespro-chen, nicht nur in der Regierung, sondern auch während des Wahlkampfes. Frank-Walter Steinmeier hat als Kandidat für den 27. September ein sehr umfassendes Programm vorgestellt. Wir werden am Freitag in einer hochrangigen Afghanistan-Konferenz noch einmal darüber beraten, wie notwendig dieser Weg ist.

Dennoch stellen sich aus meiner Sicht, wenn wir nächste Woche darüber beraten, bereits heute zwei Fragen. Der Verteidigungsminister hat uns in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder über Veröffentlichungen in Medien mitgeteilt, dass aus seiner Sicht die internationale Rechtssicherheit für das Afghanistan-Mandat nicht hergestellt ist. Er hat ausgeführt, dass wir darüber befinden müssen, dass es dort einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt gibt. Angeblich hat er zweimal versucht, das im Kabinett unterzubringen. Es ist ihm offensichtlich nicht gelungen. Deswegen meine Fragen - ich bitte Sie, das in die Debatte über den Einzelplan 14 aufzunehmen -: Haben wir in diesem Zusammenhang Rechtssicherheit? Hat die Bundesregierung im Dezember einen Antrag vorgelegt, der rechtssicher ist, damit der Bundestag möglicherweise zustimmt? Oder ist das nicht der Fall?

Ich glaube, diese Diskussion trägt eher zur Verunsicherung bei, insbesondere das, was in den letzten Wochen immer wieder von Sprechern der einzelnen Ressorts gesagt worden ist. Frank-Walter Steinmeier hat für unsere Seite erklärt, dass auch wir als Opposition die Verantwortung für Afghanistan übernehmen, zwar nicht bedingungslos, aber wir haben Kriterien formuliert, die wir in der nächsten Woche zur Diskussion stellen.

Umso mehr war es gut, dass Frau Käßmann vonseiten der Evangelischen Kirche diese Debatte unterstützt hat. Ich habe manche Kritik vonseiten des Deutschen Bundestages überhaupt nicht verstanden und auch bestimmte Vergleiche nicht; das muss ich sagen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer, wenn nicht die Kirche, muss über die Frage von Krieg und Frieden diskutieren? Das steht ihr gut zu Gesicht, aber dann muss sie es auch aushalten, wenn Fragen gestellt werden. Wenn Frau Käßmann zum Beispiel sagt: ?Nichts ist gut in Afghanistan?, dann dürfen wir auch fragen: Was ist der Maßstab für diese Aussage?

Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die ARD bzw. die BBC vor etwa 14 Tagen die Ergebnisse einer interessanten Umfrage veröffentlicht hat, die ein sehr differenziertes Bild zutage brachte: Die Afghanen selbst haben gesagt, dass sie auf der einen Seite große Probleme haben, dass sie auf der anderen Seite aber einen besseren Zugang zu Strom, Wasser und vielen anderen Dingen haben als vor einem Jahr. Das ist keine Bestätigung für die Afghanistan-Politik, sondern eher eine Ermunterung, auf diesen Ansatz zu bauen. Dennoch müssen wir die Frage stellen: Welchen Maßstab legen wir an Afghanistan an? Deswegen noch einmal: Es ist gut, dass sich die Kirchen an dieser Debatte beteiligen. Sie tun das sehr differenziert. Wir vom Deutschen Bundestag sollten uns darüber nicht beklagen, sondern diese kritische Diskussion mit führen.

Wenn wir heute über den Einzelplan des Auswärtigen Amtes sprechen, lohnt es, dass wir uns zehn Jahre nach der Jahrtausendwende vergewissern, in welche Richtung diese Welt geht, nach welchen Rahmenbedingungen wir die internationale Politik werden aufbauen müssen. Ich will schlagwortartig auf ein paar Aspekte aufmerksam machen, auf die sich die deutsche Außenpolitik, wie ich glaube, wird einstellen müssen:

Erstens. Die Weltfinanzkrise, über die wir hier aus innenpolitischen Gründen zu Recht immer wieder diskutieren - auch heute Morgen -, hat natürlich insbesondere internationale Auswirkungen. Ich glaube, dass die Weltfinanzkrise den Unterschied zwischen armen und reichen Ländern, zwischen entwickelten, sich entwickelnden und den Ländern, in denen die Menschen in Armut leben, noch verschärfen wird. Das wird eine große Herausforderung für die deutsche und die europäische Außenpolitik, aber auch für die einzelnen Ressorts der Bundesregierung sein.

Zweitens. Die Bedeutung der Schwellenländer wird zunehmen. Die G 7 und die G 8 werden in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr der Rahmen für die Lösung internationaler Probleme sein, sondern die G 20 oder andere internationale Organisationen. Nach meinem Dafürhalten muss aber auch die Bundesregierung auf diese Frage Antworten finden. Insbesondere, wenn wir eine vertrags-, normen- und regelgeleitete Politik machen wollen, werden wir überlegen müssen, ob diese internationalen Organisationen legitimiert sind, ob wir ihnen eine Legitimation verschaffen können und in welcher Konkurrenz sie stehen.

Drittens. Der Klimawandel wird auch die Sicherheitsfragen in der internationalen Politik verschärfen. Es ist bitter, dass es in Kopenhagen nicht zu einer besseren Lösung gekommen ist. Umso mehr große Herausforderungen wird der Klimawandel, so glaube ich, für die internationale Gemeinschaft im Hinblick auf die Sicherung der Lebensbedingungen in den vom Klimawandel besonders betroffenen Ländern liefern.

Der vierte Punkt ist die Frage der Aufrüstung, den Sie eben angesprochen haben, Herr Bundesaußenminister. Ich nenne an dieser Stelle auch die Frage von Religion und Politik. Ich glaube, das ist keine Leitidee der internationalen Politik. Wir dürfen diese Idee auch nicht immer bedienen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht immer wieder verleiten lassen, die Religion als Ursache für internationale Konflikte anzusehen, da sie doch eher als Instrument von dem einen oder anderen genutzt wird.

Ich glaube, gerade heute sollte man sagen: Kein Land der Welt wird diese internationalen Herausforderungen alleine bewältigen können, aber wir werden die USA zur Regelung dieser Probleme brauchen. Dass Präsident Obama mit seiner Demokratischen Partei eine entscheidende Niederlage erlitten hat, ist gar keine Frage. Ich warne aber davor, auf Präsident Obama herumzureiten und zu sagen: "Er löst das alles nicht", auch wenn das in der veröffentlichten Meinung zurzeit schick zu sein scheint. Von dieser Stelle aus sage ich: Wir werden keinen besseren amerikanischen Präsidenten bekommen. Er geht die internationalen Probleme an, zum Beispiel durch seine Reden in Kairo und Prag - Sie haben das gesagt -, und versucht, die innenpolitischen Verhältnisse zu verändern. Deswegen haben Deutschland und Europa ein großes Interesse daran, die Politik dieses amerikanischen Präsidenten zu unterstützen. Ich glaube, die Bundesregierung ist dazu aufgerufen, dies nicht nur in den Partnerschaften, die wir mit den USA entwickelt haben, sondern auch im ganz konkreten Miteinander zu tun.

Nach meinem Dafürhalten ist aus Sicht der USA das Verhältnis zu Russland das Thema, bei dem wir in Europa helfen können. Wir können helfen, dieses Verhältnis zu verbessern und - so sage ich es einmal - zu entkrampfen. So können wir auf diese Krise reagieren. Deswegen lautet meine Bitte an die Bundesregierung, gerade mit Russland über die Herausforderungen zu sprechen. Das hat auch die Vorgängerregierung getan.

Ich will auf eine Frage aufmerksam machen, die von der russischen Regierung vielleicht anders beantwortet wird: die Frage der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wer genau zugehört hat, als der russische Ministerpräsident gesagt hat: "Weil es die amerikanische Raketenabwehr gibt, brauchen wir neue offensive Waffen", der weiß, was die Stunde geschlagen hat für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Das heißt, die Frage der Raketenabwehr muss in der Abrüstung und Rüstungskontrolle in den nächsten Jahren einen Stellenwert bekommen. Es ist mein Appell an Sie, dies auf die internationale Agenda mitzunehmen.

(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])

Wir vonseiten der SPD haben Ihnen bezüglich der konventionellen Abrüstung und Rüstungskontrolle schon früh angeboten, dass der Deutsche Bundestag, wenn Sie es wollen und für richtig halten, den sogenannten angepassten KSE-Vertrag ratifiziert. Ich glaube, das ist notwendig und angemessen. Wir unterstützen das. Herr Bundesaußenminister, wir nehmen Sie beim Wort. Genauso wie wir den amerikanischen Präsidenten bei der Lösung internationaler Probleme beim Wort nehmen, nehmen wir Sie beim Wort, die Abrüstung und Rüstungskontrolle voranzubringen. Sie haben unsere Unterstützung, wenn die letzten verbliebenen amerikanischen Atomwaffen auf dem Verhandlungswege aus Deutschland entfernt werden sollen. Das ist ein richtiger Punkt. Wir vonseiten der SPD folgen Ihnen auf diesem Weg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Weil es nach meinem Dafürhalten gerade an dieser Stelle der Debatte darum geht, andere Verantwortliche in der internationalen Politik zu benennen, möchte ich noch einmal auf China zu sprechen kommen. Die Volksrepublik China wird das Land sein, das wir mehr und mehr zur Regelung internationaler Konflikte brauchen. Deswegen fanden wir es sehr angemessen und zeitgerecht, dass Sie nach China und Japan gereist sind und dort auch die Frage der Menschenrechte angesprochen haben. Es ist immer richtig, Kritik zu üben; aber ich glaube, es ist umso notwendiger, auch zu sagen, dass China Lehren aus der internationalen Politik zieht. Die Volksrepublik China wird mehr und mehr ein verlässlicher Akteur in der internationalen Politik, insbesondere im asiatischen Raum. Deswegen ist es gut, wenn wir sagen: Ja, die Volksrepublik China muss Verantwortung übernehmen und nach Regeln und Normen der internationalen Politik umsetzen.

Zum Schluss. Wir sollten uns über die Rolle Europas klar werden. Sie haben Europa eben als Friedensgemeinschaft beschrieben, wo im Grunde genommen Krieg fern jeden Gedankens ist. Das ist vollkommen richtig. Aber wir sollten uns hier in Deutschland klarmachen, dass sich Gemeinschaftsbildung, wie sie in Europa geschieht, mittlerweile in der ganzen Welt entwickelt. Dort ist Gemeinschaftsbildung auf der regionalen Agenda. Ich habe eben über Asien gesprochen; das betrifft auch viele andere Regionen.

Umso wichtiger ist, dass wir Perspektiven für andere Länder in Europa benennen, wenn es zur Stabilität Europas beiträgt. Deswegen unterstützen wir Ihre Tür-keipolitik. Wir fanden es gut, dass dieses Thema im Koalitionsvertrag so aufgenommen worden ist wie damals zu Zeiten der Großen Koalition. Ich sage gleichzeitig: Insbesondere dabei, dass Sie für Minderheitenrechte in der Türkei plädieren, haben Sie unsere volle Unterstützung. Auch wir glauben, dass ohne die Türkei wichtige Herausforderungen in dieser Region nicht bewältigt werden können.

Sie haben schließlich den Iran angesprochen. Wir vonseiten der Opposition, vonseiten der SPD unterstützen Sie auch in der Iranpolitik. Ich glaube, ein solches Land muss sich darüber klar werden, dass sich die Weltgemeinschaft, wenn es gegen internationale Normen verstößt, auf friedliche internationale Sanktionen verständigt. Bitte sorgen Sie mit dafür, dass die internationale Gemeinschaft zusammenbleibt. Denn das ist, glaube ich, die einzige Antwort, die der Iran versteht.

Vielen Dank.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 20.01.2010
Thema: 
Afghanistan, die USA und China