Einigung in der iranischen Atomkrise

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Vereinbarung zwischen der Islamischen Republik Iran, den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates und Deutschland ist ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung der Atomkrise, aber noch kein abschließender Erfolg; der muss in den nächsten Monaten erarbeitet werden.

Dennoch lassen sich nach meinem Dafürhalten erste Schlussfolgerungen für die zukünftige Außenpolitik ziehen:
Erstens. Diplomatie und Vertrauensbildung sind die besten Instrumente zur Bewältigung internationaler Krisen. Zweitens. Die Europäische Union und deren Mitglieder können gemeinsam etwas erreichen. Drittens. Die USA und Russland bleiben bei der Bearbeitung internationaler Konflikte aufeinander angewiesen. Viertens. Das Zwischenabkommen und ein späterer Vertrag können das Bindeglied für weitere Initiativen sein. Fünftens. Die Verhaltensänderung des Iran ist Teil äußeren und inneren Wandels. Sechstens. Weitere Abrüstung in Europa und im Nahen Osten sowie präventive Rüstungskontrolle bleiben unerlässlich und können vorbildlich wirken. Ich möchte versuchen, zu diesen sechs Schlussfolgerungen grundsätzliche Bemerkungen zu machen: Erstens. In der Tat, Herr Bundesaußenminister, Diplomatie und Vertrauensbildung haben Vorrang, insbesondere deswegen, weil sie ein guter europäischer Erfahrungsschatz sind. Mit Diplomatie und Vertrauensbildung ist die Teilung in Europa überwunden worden, und gleichzeitig sind Spannungen abgebaut worden. Deswegen ist dieses Instrumentarium das Instrumentarium der ersten Wahl. Mit dem Zwischenabkommen mit dem Iran stehen wir möglicherweise - ich will jetzt nicht unbedingt große historische Worte wählen - durchaus an einem Wendepunkt, weil der Nahe und Mittlere Osten in den letzten Jahren immer wieder auch Schablone für sogenannte große Pläne war und teilweise auch Interventionen von außen hat erdulden und erleiden müssen. An dieser Stelle ist möglicherweise sozusagen ein Wendepunkt in der internationalen Politik gegeben. Ich bin froh - so kann ich als Sozialdemokrat nur sagen -, dass ich Mitglied einer Partei bin, die damals in Regierungsverantwortung die Intervention im Irak gegen alle Widerstände abgelehnt hat. Ich finde, das war damals eine richtige Entscheidung.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
 
Wenn man vom zweiten Erfahrungsschatz spricht, geht es darum, aus den Erfahrungen der Entspannungspolitik zu lernen. Wir brauchen heute, in Zeiten neuer Spannungen, eine Entspannungspolitik - darüber haben wir, glaube ich, keine unterschiedlichen Auffassungen -, indem wir Realitäten zwar anerkennen, uns aber nicht mit ihnen abfinden. Das ist sozusagen der Kern von "Wandel durch Annäherung". Ich glaube, dass dieser Erfahrungsschatz durchaus Wirkung entfaltet, insbesondere dann, wenn Europa darum gebeten wird, an der Bearbeitung internationaler Krisen mitzuarbeiten. Der andere Aspekt in dieser Frage ist nach meinem Dafürhalten, dass die Umbrüche in der arabischen Welt durchaus Instabilitäten aufzeigen, wahrscheinlich auch für die nächsten Jahrzehnte, auch auf Europa bezogen. Aber die dortigen Machthaber wissen auch - ich glaube, einige sind klug genug -: Sie brauchen Wandel, Wandel im Äußeren und Wandel im Inneren. Das sollten wir nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch unterstützen. Zur zweiten Anmerkung, die ich machen will. In der Europäischen Union können wir gemeinsam zum Nutzen vieler etwas erreichen. Ich finde, auch das wird durch das Zwischenübereinkommen mit dem Iran deutlich. Die Europäische Union hat mit ihrer vielgescholtenen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bewiesen, dass Europa durchaus in der Lage ist, Instrumente aus dem historischen Erfahrungsschatz anzubieten und sie zum Nutzen aller einzusetzen. Es waren Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die 2003 diese Initiative gestartet haben. Ich danke allen Bundesregierungen und den Diplomatinnen und Diplomaten, dass sie so nachhaltig und so beharrlich an der Erreichung dieses Zieles gearbeitet haben. Ich danke natürlich auch der amtierenden Bundesregierung und Ihnen, Herr Bundesaußenminister. Darüber hinaus sollen hier aber auch Lady Ashton und der im Aufbau befindliche Europäische Auswärtige Dienst genannt werden; denn deren aktuelles Handeln ist ein Bravourstück auf dem Weg zu einer Herausbildung einer zukünftigen europäischen Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik. Ich bin froh, dass hierüber im Parlament sozusagen Gemeinsamkeit besteht; schließlich haben wir in den vergangenen Jahren durchaus den einen oder anderen Außenminister in Europa erlebt, der nicht immer Gutes über Lady Ashton gesagt hat. Im Rahmen meiner zweiten Anmerkung will ich auch den Deutschen Bundestag erwähnen. Ich glaube, jetzt kommt es auch auf uns an, darauf, dass wir unsere Arbeit machen. Wenn ich es richtig beobachte, dann könnten die Parlamente im Iran und offensichtlich auch in den USA - der Kongress auf der einen, die Madschlis auf der anderen Seite - einer erfolgreichen Umsetzung des Abkommens möglicherweise den einen oder anderen Stein in den Weg legen. Ich finde, wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier können eine Menge zur Vertrauensbildung beitragen. Deswegen wäre ich froh, wenn vonseiten des deutschen Parlamentes Initiativen ausgingen, auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Iran von diesem wichtigen Abkommen zu überzeugen. Ein weiterer Punkt. Es wird möglicherweise dazu kommen, dass die Internationale Atomenergie-Organisation, die ja im Zusammenhang mit der Überprüfung des Iran wertvolle, aber zusätzliche Arbeit leisten müssen wird, mehr Finanzmittel braucht. Auch das muss vonseiten des Deutschen Bundestages positiv beantwortet wer-den. Zum dritten Punkt, den ich gerne ansprechen möchte. Wir haben gesehen, dass die USA und Russland weiter-hin unerlässliche Partner für die Bewältigung internationaler Konflikte sind. Ich finde, das eröffnet neue Chancen für die Genfer Konferenz über Syrien und im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt.

Deswegen sollten, wenn es denn gelingt, zwischen den USA und Russland zumindest bei internationalen Krisen neues Vertrauen aufzubauen, gerade vonseiten der Europäischen Union, aber auch vonseiten seiner Mitgliedsländer weitere Initiativen für eine gute Zusammenarbeit mit Russland ausgehen. Es sollten aber auch durchaus offene Worte über das, was uns hinsichtlich der Außenpolitik der Russischen Föderation nicht passt, gesagt werden. Europa ist aufgerufen, dieses Momentum einer Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA bei weiteren internationalen Krisen zu befördern. Europa sollte in diesem Zusammenhang aber auch die Volksrepublik China an ihre wachsende Verantwortung erinnern. Sie ist Teil der Sechsergruppe gewesen; sie profitiert immer noch sehr stark von den Erfolgen, wobei sie sich sozusagen in der zweiten oder dritten Reihe auf-hält. Die Volksrepublik China wird in Zukunft mehr Verantwortung tragen müssen. Ich glaube, Europa muss das verlangen.

Der vierte Aspekt. Die Zwischenvereinbarung könnte ein Bindeglied für weitere Initiativen im Nahen und Mittleren Osten sein. Es ist sinnvoll, auch vor dem Hintergrund des europäischen Erfahrungsschatzes, an den Aufbau regionaler Sicherheitssysteme zu erinnern, um Spannungen abzubauen und Vertrauen zu schaffen, sowie Abrüstung und Rüstungskontrolle als Instrument für diese Vertrauensbildung zu beschreiben. Insbesondere dürfen auch von Deutschland aus keine Rüstungsexporte in Spannungsgebiete erfolgen.

Es gibt einen weiteren Aspekt - er ist eben angesprochen worden; das ist mein fünfter Punkt -: Trotz aller Enttäuschung, dass es kein konkretes Datum im Hinblick auf die Schaffung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten gibt, müssen wir weiter daran arbeiten. In der Fragestunde haben wir gehört, dass die Bundesregierung hier weiterhin alles Notwendige unternehmen wird. Eines will ich deutlich machen: Wir können nicht immer nur sagen: "Wir können etwas einbringen", sondern müssen auch zur Kenntnis nehmen, wenn es positive Signale in dieser Region gibt. Ich finde, der Appell vonseiten des Iran und der Türkei an die syrischen Gewaltakteure, eine Waffenruhe zur Genfer Konferenz zu vereinbaren, ist nicht nur wichtig, sondern unerlässlich, auch wenn es ein nur kleiner Erfolg ist. Europa sollte das würdigen. Deswegen bin ich der Meinung: Der Iran gehört mit an den Verhandlungstisch in Genf, wenn es um die Frage der Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien geht. Eine Verhaltensänderung des Iran ist mit Sicherheit Teil äußeren, aber auch inneren Wandels. Deswegen will ich auch hier noch einmal deutlich sagen: Wir vom Deutschen Bundestag kritisieren und werden immer wie-der darauf hinweisen, dass es Menschenrechtsverletzungen im Iran gibt. Es ist an der iranischen Regierung, die jetzige Chance, wo der außenpolitische Druck möglicherweise geringer wird, zu nutzen, um im Inneren zu einem Wandel beizutragen. Auch das war immer der Ansatzpunkt einer Entspannungspolitik. Ich finde, das gehört mit dazu. Möglicherweise, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so erscheint, könnte die Situation der Instabilität im Nahen und Mittleren Osten zu einem Umdenken im iranischen politischen System beigetragen haben. Es könnte dazu geführt haben, dass geglaubt wird, dass ein Regimesturz nicht mehr auf der Tagesordnung steht. Es ist glaubhaft, was Präsident Obama gesagt hat; denn Präsident Obama ist eben nicht an weiteren Instabilitäten interessiert. Wir sollten dieses kleine Fenster des Umdenkens durchaus nutzen, um Initiativen voranzubringen.

Deswegen - das ist der sechste Punkt - glaube ich, dass wir in Europa gehalten sind, mit gutem Vorbild voranzugehen. Wir müssen für Rüstungskontrolle und Abrüstung, für konventionelle Abrüstung, nukleare Abrüstung und viele andere Dinge mehr eintreten. Wir müssen insbesondere die Vertrauensbildung und die Maxime, die Präsident Obama eingeführt hat, nämlich dass Respekt in den internationalen Beziehungen wichtig ist, voranbringen.

Zum Abschluss, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, möchte ich mich gerne bei Ihnen persönlich, Herr Bundesaußenminister, für die faire und gute Zusammenarbeit im Auswärtigen Ausschuss bedanken. Alles Gute!
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 28.11.2013
Thema: 
Plenardebatte