Deutsche Unterstützung kann neue diplomatische Chancen eröffnen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn derzeit nur wenig darauf hindeutet: Wir alle wünschen den Menschen in Syrien, dass die Waffen schweigen und Frieden endlich wieder eine Chance bekommt. Wir danken denen, die sich für eine Waffenruhe einsetzen, an erster Stelle dem Beauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationalen, Lakhdar Brahimi.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Umso mehr sage ich in Richtung der Landesregierungen, aber auch der Bundesregierung: Ich hätte mir schon gewünscht, dass insbesondere der Zuzug von Familienangehörigen zu ihren syrischen Verwandten, die derzeit in Deutschland wohnen, etwas einfacher möglich wäre und dass wir vielleicht auch ohne andere Partner bereit wären, stärker Flüchtlinge aufzunehmen. Ich finde, das gehört genauso in diese Debatte.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP])
Meine Damen und Herren, zu Beginn dieser Debatte war nach meinem Dafürhalten durchaus Skepsis angebracht. Diese Skepsis hat die Bundesregierung meiner Meinung nach mit zu verantworten, weil sie zunächst einmal die Frage gestellt hat: Brauchen wir überhaupt ein Mandat? Dann ging es um AWACS und vieles andere. Es wurden Fragen aus dem Parlament heraus vorgetragen. Dies haben einige Kolleginnen und Kollegen dieses Parlaments so kommentiert: Wir müssen uns fremdschämen. Das ist nicht mein Verständnis von einem Parlament, wie wir mit einem Mandat umzugehen haben. Wir müssen vorher unsere Fragen stellen, unsere Skepsis äußern
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
und, wie ich glaube, durchaus auch einen Hinweis an die Bundesregierung geben dürfen.
Ich finde, dieses Verfahren hat sich gelohnt. In dem Mandat, das dem Deutschen Bundestag heute vorliegt, sind die Kriterien, unter denen die Bundeswehr in die Türkei gehen kann und denen sich die türkischen Streitkräfte im Rahmen dieses Mandats unterzuordnen haben, besonnen, unabhängig und sorgfältig erörtert worden. Ich finde, auch das ist eine wichtige Festlegung, weil die Türkei jetzt in internationale Strukturen und Regeln eingebettet ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das ist auch ein wichtiges Zeichen dieses Mandates und, ich denke, ein Erfolg der Diskussion, die dieser Deutsche Bundestag gemeinsam geführt hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Elke Hoff [FDP])
Ich glaube, die rein defensive Stationierung, die defensive Aufstellung der Raketen, ist, wie es auch in dem Brief des türkischen Botschafters bei der NATO zum Ausdruck gekommen ist, als Zeichen an die internationale Politik und in Richtung der Sicherheitspolitik richtig und wichtig. Dadurch werden weiter Chancen eröffnet, zu einer diplomatischen Lösung zu kommen. Wir haben heute im Ausschuss erfahren, dass die Patriot-Systeme - und offensichtlich auch die niederländischen Systeme - rund 100 Kilometer von der Grenze entfernt stationiert werden. Dass sie nicht in den syrischen Luftraum hineinwirken werden, ist ein wichtiger Beitrag dazu, die defensive Struktur zu unterstreichen. Gleichzeitig ist dieses Mandat auch rechtsfest gemacht worden.
Wir haben heute im Auswärtigen Ausschuss in der Tat noch Fragen an die Bundesregierung gestellt, die nach meinem Dafürhalten befriedigend beantwortet worden sind, soweit dies möglich war. Wir haben über die Äußerung von Rasmussen gesprochen. Herr Staatsminister Link, Sie haben die Antworten sozusagen in einen gewissen Rahmen eingebunden. Wir haben auch über die roten Linien gesprochen. Diese Debatte muss, wie ich finde, in den nächsten Wochen weiter erfolgen. Sie endet nicht mit dem Mandat. Die Herausforderungen sind letztlich vorhanden, insbesondere was die Rolle einzelner Nationen betrifft.
(Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD])
Der Iran und Russland haben Bedenken gegen die Stationierung geäußert. Vielleicht wird der eine oder andere gleich auf Russland und den Iran zu sprechen kommen. Meine Bitte in diesem Zusammenhang ist, zu überlegen, ob das wirklich gute Ratgeber sind - gerade diese beiden Länder, die nichts unversucht gelassen haben, mit Waffenlieferungen diesen Konflikt anzuheizen. Deswegen: Vorsicht vor Ratgebern, die in diesem Konflikt bisher leider nicht die diplomatische Rolle übernommen haben, wie wir es uns gewünscht hätten!
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zur Realität und zur Wahrheit gehört mit dazu: Syrien bedroht die Region mit einer Mehrzahl von Waffen und Trägersystemen, die über mehrere Hundert Kilometer reichen. Wenn ich das richtig gelesen habe - es gibt dazu unterschiedliche Äußerungen -, wird von mehreren Hundert bis zu tausend gesprochen. Wir müssen bedenken: In der vergangenen Woche sind vonseiten der syrischen Streitkräfte das erste Mal Scud-Raketen auf Aleppo abgeschossen worden. Auch das gehört nach meinem Dafürhalten mit zu einer angemessenen und wahrheitsgemäßen Bedrohungsanalyse. Verantwortung trägt das Regime Assad an der Brutalisierung dieses Konfliktes in den ersten Monaten.
Meine Damen und Herren, ob wir wollen oder nicht, ist mit dieser Entscheidung erneut die Rolle Deutschlands in Partnerschaften und Bündnissen angesprochen worden. Ich hatte gedacht, dass diese Fragen, die es in den letzten Wochen und Monaten immer wieder an Deutschland gegeben hat, nach einer langen Politik verschiedener und auch unterschiedlich getragener Bundesregierungen eigentlich nicht mehr erforderlich sind. Dabei geht es um die Frage der Verlässlichkeit in Bündnissen. Diese Frage ist auch deshalb aufgekommen, weil die Bundesregierung sie sowohl in europapolitischen Zusammenhängen als auch insbesondere im Zusammenhang mit der Libyen-Entscheidung - vielleicht auch unbewusst - auf den Tisch gebracht hat. Wenn ein polnischer Außenminister fragt, ob Deutschland noch verlässlich ist, und sagt, ihm sei ein Deutschland lieber, das seine Rolle übernimmt, dann müssen bei uns, so glaube ich, die Alarmglocken schlagen. In dieser Frage hier übernehmen wir Verantwortung. Dass aber im Zusammenhang mit diesem Mandat die Frage nach der Verlässlichkeit hintergründig wieder aufgekommen ist, hat mich erschreckt.
Wir Sozialdemokraten rufen nicht Hurra, aber wir entziehen uns auch nicht der Verantwortung in Form einer Ohne-mich-Politik, die ansonsten von einer immer stärker vernetzten Welt gut lebt. Als Sozialdemokraten wissen wir: Entspannungspolitik war nur im Bündnis möglich. Die erfolgreiche Politik von Willy Brandt, von Egon Bahr, von Helmut Schmidt und vielen anderen wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht Bündnispartner zu dieser Entspannungspolitik gestanden hätten.
Zum Abschluss will ich Willy Brandt zitieren. Am 7. August 1983 hat in der Washington Post gestanden:
Meine sozialdemokratische Partei hat das Bündnis mit dem Westen unterstützt und mitgeholfen, seine Politik zu gestalten. Unter sozialdemokratischen Bundeskanzlern und Verteidigungsministern hat die Bundeswehr ihren Beitrag zur westlichen Sicherheit erhöht. Die westlichen Demokratien werden Partner der Sicherheit bleiben, und wir werden Partner im Atlantischen Bündnis bleiben.
Auch im Sinne dieser Interpretation werden wir am Freitag mit großer Mehrheit dem Mandat zustimmen.
Vielen Dank!