Current Conflicts - Discussing Tasks for Regional and Interregional Conflict Prevention regarding the Korean Peninsula and the Nuclear Crisis

Sehr geehrte Damen und Herren,

für die erneute Einladung nach Shanghai danke ich Ihnen ganz herzlich. Ich bin gerne wiedergekommen und ich bin froh, Sie wieder zu sehen. Franz Müntefering, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, hat mich gebeten, Ihnen seine besten Wünsche zu übermitteln. In wenigen Monaten wird Franz Müntefering die Volksrepublik China besuchen. Er freut sich bereits heute auf die offiziellen Gespräche und den Kontakt zu Menschen. Wir verbinden mit dem Besuch das Interesse, die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern weiter zu vertiefen.

Regionale Kooperation und die europäischen Erfahrungen

In Ostasien kreuzen sich gegenwärtig zwei Entwicklungen. Einerseits ist die Region ein immer bedeutenderer Teil der Weltwirtschaft. Die VR China ist der Motor dieser Entwicklung. Vergleichbar der industriellen Revolution in Europa haben sich auch hier Wachstums- und Finanzzentren etabliert. Derzeit entscheidet sich, ob heute noch unterentwickelte Gebiete in China Anschluss an diese Dynamik erhalten. Gleichzeitig bestehen in Ostasien klassische Sicherheitsprobleme. Hierzu gehören Konflikte wie der um Taiwan oder der zwischen Nord- und Südkorea bzw. den USA. Daneben existieren weiterhin offene Grenzfragen. Die Konkurrenz um Rohstoffe wird wachsen. Es gibt außerdem verdeckte Machtrivalitäten, wie die zwischen Japan und China. Während in den vergangenen Jahren Argentinien, Brasilien, Südafrika und Libyen vertraglich auf Kernwaffen verzichteten, griffen asiatische Länder nach der Bombe und entwickelten Trägermittel. Weitere Länder in Asien streben nach Kernwaffen oder besitzen alle erforderlichen Komponenten. Auch die konventionelle Aufrüstung schreitet unkontrolliert voran. Die Risiken in und durch schwache Staaten wachsen.

Während sich also einerseits weitere Handelsstaaten herausbilden gibt es eine Vielzahl ungelöster Sicherheitsprobleme. Die wirtschaftliche Dynamik ist aber auf ein zuverlässiges und friedliches Umfeld angewiesen. Ostasien und die Welt haben daher ein existentielles Interesse an der Bearbeitung der Konflikte.

Welche Strategien bieten sich für die Konfliktbearbeitung an? Gibt es Erfahrungen, die für Ostasien geeignet wären? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um friedliche Koexistenz in einen dauerhaften Frieden umzuformen? Als Europäer möchte ich Ihnen unsere Einsichten erläutern. Dabei geht es mir nicht um eine Lobrede auf Europa. Vielmehr sind diesen Überzeugungen verheerende Kriege vorausgegangen. Es bedurfte eines langen Lernprozesses und kluger Entscheidungen der Politik, um in Europa eine Zone dauerhaften Friedens zu schaffen. Dabei leisteten linke Parteien einen wichtigen Beitrag. Die deutsche Sozialdemokratie forderte bereits 1925 in ihrem Grundsatzprogramm die internationale Abrüstung und verlangte die Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit und die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa.

Das europäische Modell ist sicherlich nicht eins zu eins auf Asien übertragbar. Denn Asien wird seinen eigenen Weg finden müssen. Allerdings kann die europäische Erfahrung als Motivation und Beweis dienen: Regionale Kooperation ? bis hin zu einem sehr hohen Integrationsgrad - ist auch in einem konfliktreichen Umfeld möglich. 

Daher wird es in Europa sehr begrüßt, dass China verstärkt multilaterale Ansätze zur Krisenprävention verfolgt. Genau hier, in Schanghai, wurde vor vier Jahren die "Shanghai Cooperation Organization" gegründet. Sie steht für ihre Mitglieder China, Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan als Konsultationsforum bereit.  Dies ist eine sehr junge Institution und ihre Struktur muss noch mit Substanz gefüllt werden. Die Bereinigung eines Großteils der Grenzfragen zwischen den beteiligten Staaten ist bereits ein erster Erfolg. Ebenso wichtig ist die Förderung anderer regionaler Organisationen. Nach Jahren der Zurückhaltung wächst offensichtlich auch in ihrem Land die Bereitschaft, die Vereinigung der südostasiatischen Staaten (ASEAN) zu stärken. Das ASEAN Regional Forum ist ein wichtiger Schritt in Richtung der Schaffung einer "regionalen Sicherheitsarchitektur" in Asien.

Regionale Kooperation und deren Einbindung in Institutionen sind eine wichtige Voraussetzung für eine friedliche Welt. Wenn innerhalb solcher regionaler Friedensordnungen weder mit militärischer Gewalt gedroht, noch militärische Gewalt ausgeübt würde und diese Haltung ökonomisch, sozial, und rechtlich abgesichert würde, wäre die Welt weniger gefährdet. Hieran mitzuwirken, ist eine große Herausforderung.

Die Bedeutung von Abrüstung und Rüstungskontrolle für regionale Integration

Der europäische Integrationsprozess wurde vor allem von Gesprächen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle begleitet. Das hatte zwei Vorteile: Erstens wurden die Risiken für einen militärischen Konfliktaustrag minimiert. Zweitens wuchs das Vertrauen zwischen den Gesprächspartnern. Das Konzept und die Verfahren der Rüstungskontrolle sind für regionale Integration wie geschaffen. Daher sollte auch in Asien die Regimebildung in diesem Feld vorangetrieben werden. Welche Aufgaben stellen sich derzeit?

Nach meiner Auffassung müssten derzeit mit Hilfe der VR China drei Prozesse vorangetrieben werden:

  1. Wir brauchen eine Lösung der koreanischen Nuklearkrise.
  2. Der Atomwaffensperrvertrag muss gestärkt werden.
  3. In Asien müssen Vereinbarungen zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung initiiert werden.

Alle drei Pfade hängen voneinander ab und können sich gegenseitig ergänzen.

Die koreanische Nuklearkrise

Nicht nur China, auch Europa hat ein großes Interesse an der Lösung der nordkoreanischen Atomkrise. (1) Der Atomwaffensperrvertrag wurde durch den Austritt Nordkoreas geschwächt. (2) Das Land liefert Raketen, Technik und Wissen an Länder, die an Europa grenzen. (3) Die Krise um Nordkorea provoziert neue Aufrüstungen. Ein konstruktiver Umgang mit der Krise um Nordkorea erfordert nach meiner Überzeugung dreierlei:

  1. Beweglichkeit sowohl auf Seiten der USA wie Nordkoreas,
  2. eine verstärkte Rolle Chinas, dem in Bezug auf Nordkorea eine Schlüsselstellung zukommt sowie
  3. eine konstruktive Beteiligung der Europäischen Union

Von entscheidender Bedeutung bleiben dabei die Pekinger Sechsergespräche. Bereits 1994 konnte nach langen Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea mit dem Rahmenabkommen ein Konflikt abgewendet werden. Allerdings brach er 2003 mit dem Austritt Nordkoreas aus dem Nichtverbreitungsvertrag und der nordkoreanischen Ankündigung, über zwei Atomwaffen zu verfügen, wieder auf. Zuvor waren beide Seiten nicht zu einer wirksamen Umsetzung der Vereinbarung bereit gewesen. Die Schwäche des Abkommens von 1994 war sein bilateraler Charakter.

Aus diesem Grunde stellen die Sechsergespräche unter Beteiligung der Volksrepublik China, Russland, Japan und Südkorea nach wie vor den geeigneten Verhandlungsrahmen dar. Und auch dieser wurde erst möglich, nachdem Nordkorea seine unrealistische Position einer bilateralen Verhandlung - auf gleicher Augenhöhe - mit den USA aufgegeben hat.

Die Beteiligung und Vermittlung der Volksrepublik China ist in dieser Krise besonders wichtig. Chinas Kooperation bei der Energie- und Getreideversorgung ist für Nordkorea überlebenswichtig. Somit könnte China auch entscheidenden Einfluss auf die nordkoreanische Verhandlungsposition im Rahmen der Sechser-Gespräche ausüben.

Ein weiterer entscheidender Faktor sind natürlich die USA. In den letzten Monaten sendeten jedoch beide, Nordkorea und die Vereinigten Staaten, widersprüchliche Signale aus. Von militärischen Drohungen und amerikanischen Forderungen nach einem Regimewechsel bis zu Signalen der Verhandlungsbereitschaft war alles wahrzunehmen. Hier könnte Erwartungssicherheit einen entscheidenden Beitrag zur Deeskalation der Lage leisten. Lediglich realistische Forderungen auf beiden Seiten können die Gespräche zum Erfolg werden lassen. Diese Verhandlungen sind nicht nur eine Chance für die friedliche Beilegung der gegenwärtigen Krise, sondern auch für die weitere Zusammenarbeit in der Region. Sollte sich hieraus eine dauerhafte regionale Kooperation entwickeln, könnte Stabilität und Sicherheit langfristig gewährleistet werden.

In Hinblick auf die sicherheitspolitische Dimension sind es vor allem interregionale Maßnahmen, die den Konflikt entschärfen müssen. Gerade in diesem Bereich ist eine aktive Rolle der USA gefragt. Die nordkoreanische Verhandlungsposition fordert für den Verzicht auf das nationale Nuklearwaffenprogramm eine Sicherheitsgarantie sowie die diplomatische Anerkennung durch die USA. Dies ist sogar verständlich. Denn bekanntermaßen verortet die Bush-Administration Nordkorea seit 2002 auf der "Achse des Bösen". Und noch Anfang dieses Jahres bezeichnete die designierte US-Außenministerin Condoleeza Rice das Land als "Vorposten der Tyrannei".

Es macht jedoch meines Erachtens wenig Sinne die nordkoreanische Krise nur auf einen rein bilateralen Verhandlungsrahmen zwischen Nordkorea und den USA zu beschränken - auch wenn dies eine alte Forderung Nordkoreas ist. Die Einbeziehung der übrigen relevanten Akteure im Rahmen der Sechsergespräche ist und bleibt sinnvoll. Nur die multilaterale Ausarbeitung eines Rahmenabkommens durch die USA und die entscheidenden Länder der Region ? China, Russland, Japan und Südkorea ? würde Nordkorea Sicherheit gewähren. Neben Sicherheit braucht Nordkorea jedoch in erster Linie wirtschaftliche und finanzielle Hilfe. Von grundlegender Bedeutung ist die Einsicht, dass der Wohlstand Asiens, also auch Nordkoreas, nur in einem friedlichen Umfeld möglich ist. Wirtschaftliche Kooperation ist und bleibt ein wirksames Instrument, um dauerhaft Frieden zu garantieren. Ein hoher Grad an ökonomischer Verflechtung untereinander verringert die Gefahr einer militärischen Aggression.

Der Atomwaffensperrvertrag muss gestärkt werden

Wie schon erwähnt, prägen die regionalen Konflikte heute das internationale System. Das bedeutet, dass die nukleare Krise um Nordkorea und insbesondere ihr Ausgang weit reichende Folgen für die weltweite sicherheitspolitische Lage haben. Eine friedliche Lösung der nordkoreanischen Atomkrise dürfte auch Auswirkungen auf einen Erfolg der europäischen Verhandlungen mit dem Iran über die Einstellung seines Atomprogramms haben ? und umgekehrt. Auch hier wäre es wünschenswert, wenn die Volksrepublik China die Bemühungen der EU unterstützen würde und im Rahmen seiner Möglichkeiten, Einfluss auf den Iran nehmen würde.

Ein Scheitern der Verhandlungen könnte die Ambitionen weiterer Länder schüren, in den Besitz von Nuklearwaffen zu gelangen. Eine zunehmende und unkontrollierte Verbreitung von Atomwaffen würde den Atomwaffensperrvertrag (NVV) aushöhlen. Dabei ist der NVV seit 35 Jahren ein verlässliches Instrument für die Eindämmung der nuklearen Proliferation. In diesem Sinne gilt es auch die im Mai dieses Jahres in New York stattfindende Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags zu einem Erfolg zu führen. Eine Rückkehr Nordkoreas unter die Regeln des NVV wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Eine solche Entwicklung hätte erhebliche Folgen für die weltweite Sicherheitslage und wäre auch im chinesischen Interesse. Es wäre deshalb auch zu begrüßen, wenn China zusammen mit Europa im Rahmen der NVV-Überprüfungskonferenz eine gemeinsame Position in Bezug auf Nordkorea finden könnte.

Neben der nuklearen Frage bleibt auch die konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle ein zentrales Thema. Auch hier könnte Asien von den europäischen Erfahrungen im Bereich der Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen profitieren. Der KSZE-Prozess hat in Europa maßgeblich zum Ende des Kalten Krieges beigetragen und eine Reihen von Rüstungskontrollverträgen geschaffen. Der KSE-Vertrag zur Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa ist hier ebenso zu nennen wie der Open-Skies-Vertrag sowie Abkommen im Bereich der Kleinwaffen und der Verifikation. Auch in Asien müssen entsprechende Vereinbarungen zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung initiiert werden. Dies bleibt eine wichtige Voraussetzung für Vertrauensbildung und weitere und engere wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Fazit

Es muss in unser aller Interesse sein, die aufkommenden Chancen regionaler Zusammenarbeit in Asien zu ergreifen und eine Eskalation der Nordkorea-Krise zu verhindern. Gleichzeitig müssen wir uns der Langwierigkeit eines solchen Prozesses bewusst sein. Die koreanische Nuklearkrise bleibt der Kern der Rüstungskontrolle in Asien. Allerdings müssen diese Bemühungen von weiteren Initiativen begleitet werden. Je intensiver und nachhaltiger die Pfade beschritten werden, umso stärker können sich regionale Stabilität und Frieden herausbilden. Das wäre sowohl ein Vorteil für Asien wie auch für eine Weltfriedensordnung.
 

 

 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Rede auf dem III. Shanghai-Workshop on Global Governance, 14. März 2005
Thema: 
Regionale Kooperation in Südostasien und die koreanische Nuklearkrise