"Wir brauchen mehr Entspannungspolitik"

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es besteht kein Zweifel: Die NSA-Affäre hat die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland nachhaltig beschädigt. Ich glaube, dass wir dies vonseiten des Deutschen Bundestages schon mehrfach ausreichend diskutiert und festgestellt haben. Ich muss aus meiner persönlichen Sicht sagen: Es hat sich auch mein Bild von Präsident Obama verändert. Ich glaube schon, dass er zumindest damals, als er vor seiner ersten Amtszeit als Präsidentschaftskandidat der Demokraten antrat, in diesem Zusammenhang zumindest gegenüber uns, gegenüber Europa, ein anderes Bild vermittelt hat.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ganz anders!)

Auch das gehört zu einer offenen Diskussion dazu, und deswegen sagen wir es hier.
Wenn Sie hier ehrlich debattieren wollen, müssen Sie aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Bundeskanzlerin in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Obama auf die Meinungsunterschiede hingewiesen hat. Sie hat sehr deutlich gemacht, dass es hier Differenzen zwischen der Auffassung der Bundesregierung und der Auffassung der Administration gibt. Sie hat gerade auch vor amerikanischem Publikum die ernsthaften Versuche dargestellt - sie sprach über den Cyberdialog und die Möglichkeiten, die die EU gerade nach der Neuwahl des Europäischen Parlamentes nutzen sollte -, gemeinsam mit den USA zu einem anderen Verhalten zu kommen. Meine Kollegen Saskia Esken und Christian Flisek werden sich in dieser Aktuellen Stunde noch mit diesen Fragen, auch im Hinblick auf den Untersuchungsausschuss, befassen.

Es war gut, dass sich die Bundeskanzlerin auch mit Mitgliedern des Kongresses getroffen hat, weil gerade dort die Kritik am Verhalten der Geheimdienste - spätestens zu dem Zeitpunkt, als bekannt wurde, dass auch der Kongress offensichtlich von Geheimdiensten abgehört wurde - gewachsen ist. Es wurden letztlich auch Ermutigungen ausgesprochen, da nur so die Voraussetzung dafür geschaffen werden kann, dass sich das Verhalten der USA verändert.
In der Tat, das wurde schon von einigen angesprochen, war das entscheidende Thema die Ukraine. Niemand in Deutschland hätte es der Bundeskanzlerin abgenommen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt dieses Thema nicht zum Schwerpunkt ihrer Washington-Reise gemacht hätte. Durch die Geschehnisse in der Ukraine werden die Prinzipien der europäischen Friedensordnung erschüttert. Möglicherweise wird eine Zeitenwende eingeläutet. Deswegen war es richtig, dass das Thema Ukraine Schwerpunkt der Diskussion war. Wir brauchen einen vertrauensvollen, aber auch intensiven Austausch. Möglicherweise gibt es unterschiedliche Auffassungen, unterschiedliche Sichtweisen; aber das gibt es zwischen Partnern.

Nebenbei bemerkt: Es war gut, dass die Bundeskanzlerin, zumindest habe ich das gelesen, ebenfalls über Syrien und die Herausforderungen der iranischen Atomkrise gesprochen hat. Hier wird deutlich: Der Besuch war nicht nur erwünscht, sondern er war dringend notwendig und fand zum richtigen Zeitpunkt statt, weil wir in den nächsten Wochen und Monaten wichtige Entscheidungen in diesem Bereich zu treffen haben. Deutschland ist ein unverzichtbarer Partner für die USA und insbesondere für die internationale Staatengemeinschaft. Wann, wenn nicht bei einem solchen Arbeitsbesuch, soll das besprochen werden?

Ich bin froh, dass die Bundeskanzlerin keine Schaufensterdiplomatie betreibt und irgendetwas erklärt, was zum Schluss vielleicht doch nicht eingehalten wird. Vielmehr widmet sie sich intensiv den Differenzen, aber letztlich auch den Übereinstimmungen. Das ist verantwortungsvolle Außenpolitik

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

und keine Kommentierung, wie der Außenminister in München zu Recht gesagt hat, von der Außenlinie.

Wir stellen uns der Aufgabe, eine verantwortungsvolle Außenpolitik zu machen, die versucht, mit diplomatischen und zivilen Mitteln, mit Klugheit, aber auch mit Besonnenheit auf die innenpolitische Diskussion auch in den USA einzuwirken. Das haben Sie bei Ihrer Rede zu diesem Thema vollkommen ausgeblendet. Es ist wichtig, was die Bundeskanzlerin in den USA gesagt hat. Es gibt nun einmal Differenzen aufgrund anderer historischer Erfahrungen, zum Beispiel in Bezug auf Sanktionen. Wir als Deutsche wollen als Verantwortliche in der Außenpolitik Europas deutlich machen, dass wir Russland trotz aller Differenzen für eine gemeinsame europäische Friedensordnung brauchen. Vielleicht ist es auch nicht schlecht, Präsident Obama zu ermutigen, weiterhin auf den Ausbau der Raketenabwehr, zumindest der vierten Stufe, zu verzichten. Es wäre gut, wenn wir die USA überzeugten, den NATO-Russland-Rat als wichtiges Dialogforum ernst zu nehmen. Insbesondere für die konventionelle Abrüstung in Europa braucht es eine konstruktive Haltung der USA. Dafür treten wir Sozialdemokraten ein.

Wir hatten nie zu viel Entspannungspolitik. Wir brauchen sogar mehr Entspannungspolitik, gerade in diesen Zeiten.

Vielen Dank.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 08.05.2014
Thema: 
Plenarrede anlässlich des Treffens von Bundeskanzlerin Merkel mit Präsident Obama in Washington