Ben Wisch und die deutsch-algerischen Beziehungen

Sehr verehrter Herr Außenminister, sehr geehrte Frau Fuchs, liebe Anke, sehr geehrte Damen und Herren, Exzellenzen!

Es ist mir eine besondere Ehre und Freude heute mit Hans-Jürgen Wischnewski nicht nur einen großen Staatsmann und Politiker, sondern auch einen großen Freund Algeriens würdigen zu dürfen.

Allein aus Altersgründen kann ich nicht über persönliche Eindrücke von den Arbeiten zugunsten der algerischen Befreiungsbewegung berichten. Hans-Jürgen Wischnewski begann Ende der fünfziger Jahre mit seinem Engagement. Ich bin 1959 in Köln geboren.

Mich verbinden aber andere Ereignisse mit Hans-Jürgen:

  • Er war mein Wahlkreisabgeordneter und er war ein leidenschaftlicher Parlamentarier. Zweimal im Jahr kam er in unseren Ortsverein. Wir tagten in einer normalen Kölschen Kneipe. Wenn er die Gaststätte betrat, warteten nicht nur die Mitglieder auf ihn; einige Menschen an der Theke nahmen ihr Kölschglas in die Hand und gingen einfach mit in den Saal. Und wer Hans-Jürgen kannte, weiß, wie laut er manchmal sprach: dann kamen noch mehr Menschen aus der Kneipe in den Saal, denn die dachten, wir hätten Krach miteinander.
  • Mein zweiter Bezugspunkt: ich habe Hans-Jürgen das ein oder andere Mal als Wahlhelfer zur Verfügung gestanden. Wir hatten ein Wahlkampfbüro in der Annostraße. Anke, du wirst das noch kennen. Das war mitten im Viertel. Trude Herrs Volkstheater war nicht weit weg, aber auch ein Haus für Obdachlose war um die Ecke. Viele Italiener, die mit der ersten Einwanderungswelle kamen, wohnten in der Straße. Das war immer ein großes Geschnatter, wenn Hans-Jürgen mit Bewachern ankam. Ich glaube, er hatte es genossen hier sein Wahlbüro zu haben.
  • Der dritte Bezugspunkt waren unsere - zum Teil - unterschiedlichen politischen Auffassungen zu dem ein oder anderen Thema: vor allem der Sicherheitspolitik. Ich kann mich an einen Parteitag in Köln erinnern. Das war die Zeit des Streits um die Nachrüstung. Hans-Jürgen war damals Staatsminister im Kanzleramt und enger Vertrauter Helmut Schmidts. Wir hatten einen Antrag gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen eingebracht. Ein Teil des Kölner Parteivorstandes wollte die Verabschiedung verhindern. Wir wussten, dass Hans-Jürgen in die Bütt, also in die Debatte eingreifen sollte. Wir wussten auch, dass er auf Abruf zu Hause wartete. Was tun? Wir setzten den Antrag ganz schnell auf die Tagesordnung und hofften, dass Hans-Jürgen zu spät kommen würde. Wir glaubten, dass seine Sicherheitsbeamten nicht so schnell aus Bonn anreisen konnten. Wir hatten uns getäuscht. Er pfiff auf die Sicherheit und kam mit dem Taxi. Unser Dissens endete dann sozusagen unentschieden: Er hielt eine Rede, aber unser Antrag wurde angenommen.

Deswegen und wegen vieler anderer Dinge bin ich dankbar, hier an Hans-Jürgen wie meine Vorredner erinnern zu dürfen.

Hans-Jürgen Wischnewski verdankt seine Kenntnisse der arabischen Welt dem Algerienkrieg. In den fünfziger Jahren kam er mit Vertretern der algerischen Befreiungsbewegung in Kontakt, die gegen die französische Kolonialregierung kämpfte. Als IGM-Sekretär und Jungsozialist in Köln unterstützte er frühzeitig die algerische Befreiungsbewegung. Während des Unabhängigkeitskrieges gegen Frankreich verwaltete er von seiner Kölner Heimat aus die ?Kriegskasse? der FLN. Er fand dabei Unterstützung beim Deutschen Gewerkschaftsbund, den Falken und nicht zuletzt bei vielen Sozialdemokraten.

Hans-Jürgen Wischnewski war ein besonderer Förderer der algerischen Freiheitsbewegung; aber ohne die Unterstützung zahlreicher Mitstreiter wäre ihm vieles nicht geglückt. Einige von ihnen sind heute hier ? darüber freue ich mich sehr.

Das Köln eine besondere Rolle für die algerische Befreiungsbewegung spielte, ist für mich natürlich erwähnenswert. In Köln beispielsweise erschien die Zeitung "Freies Algerien". Mein langjähriger Ortsvereinsvorsitzender erzählte mir, dass er in Belgien eine Schreibmaschine mit französischer Tastatur kaufte; sie diente in Algerien beim Abfassen von Flugblättern usw.

Zurück zu Hans-Jürgen Wischewski. Für viele Beobachter galt er als inoffizieller Vermittler zwischen der algerischen Befreiungsfront FLN und der CDU-geführten Bonner Regierung, die in einer Zeit der deutsch-französischen Versöhnung die Position Frankreichs in Sachen Algerien grundsätzlich unterstützte.

Wischnewski selbst sagte hierzu: "Ich habe für mich eine klare Entscheidung getroffen: für das Selbstbestimmungsrecht, für die Freiheit, gegen den Kolonialismus und gegen Unterdrückung. Ich war bereit, im Rahmen meiner Möglichkeiten meinen Beitrag zu leisten. Dazu gehörte auch, dass ich Ärger und Schwierigkeiten auf mich nahm. (..) In Köln habe ich auch ein Büro für die Algerier eingerichtet, das die Aufgabe hatte, die algerischen Flüchtlinge in der BRD zu betreuen. Den Mietvertrag für dieses Kölner Büro hatte ich unterschrieben, um es durch meine parlamentarische Immunität zu schützen. Die Miete zahlte der Deutsche Gewerkschaftsbund." Nebenbei: in Köln wäre das heute - nach der Spendenaffäre - nicht mehr möglich.

Hans-Jürgen hat damals auch geholfen, algerischen Studenten Studienplätze und Stipendien in Deutschland zu beschaffen. Die meisten dieser Studenten hatten nach der Unabhängigkeit einflussreiche Posten in Algerien.

Zudem fädelte er damals - unbemerkt von der Öffentlichkeit - in Köln das erste Treffen zwischen dem damaligen Außenminister der algerischen Exilregierung und Vertretern Algeriens in anderen europäischen Städten ein. In diesen Jahren bekam er von Willy Brandt den Spitznamen "Ben Wisch", der bald sein Markenzeichen werden sollte. Als Algerien 1962 unabhängig wurde, hatte er gute Drähte in die arabische Welt - die Grundlage für seine späteren Jobs.

Auch zwischen 1965 bis 1971, als keine diplomatischen Beziehungen zu Algerien bestanden, hat er persönliche Beziehungen mit Mitgliedern der Regierung aufrechterhalten und so den Dialog zwischen der BRD und Algerien bewahrt.

Später arrangierte Hans-Jürgen die ersten vertraulichen Treffen zwischen der Bonner Regierung und der PLO des Jassir Arafat. Wenn er noch leben würde, hätte er sicher den ein oder anderen guten Ratschlag, wie mit der neuen Situation in Palästina umzugehen wäre. Aber auch bei Fidel Castro und Muammar al-Gaddafi standen ihm die Türen offen.

Wenige Politiker haben so viele Ämter, Titel und Aufgaben gehabt, wie der in Ostpreußen geborene Sohn eines Zollbeamten. In der SPD war er Juso-Vorsitzender, Schatzmeister, stellvertretender Parteivorsitzender und Bundesgeschäftsführer. Er war ein leidenschaftlicher Parlamentarier. Als Entwicklungshilfeminister, Staatsminister und Emissär diente er allen Bundeskanzlern seit Kurt Georg Kiesinger. Am engsten war die Kooperation mit Helmut Schmidt, aber auch für dessen Nachfolger Helmut Kohl war "Ben Wisch" in Nahost unterwegs.

Wischnewski Interesse und Leidenschaft galt der arabischen Welt. Er war engagierter Ehrenbürger von Bethlehem und besaß in der Region viele Freunde. Er hatte ein ungewöhnliches Einfühlungsvermögen und ein weit reichendes Verständnis für den Islam. Wenige Tage nach den Verbrechen des 11. September warnte er vor dem gefährlichen Irrtum, islamistische Terroristen und die friedfertige islamische Religion miteinander in einen Topf zu werfen. Eine Mahnung, die heute aktueller ist denn je!

Hans-Jürgen hat bis in sein letztes Lebensjahr allen Bundesregierungen in dem Bemühen geholfen, ein gutes und friedliches Verhältnis zu vielen islamisch geprägten Staaten zu bewahren. Einige erinnern sich vielleicht noch, als er im Rollstuhl Joschka Fischer zur Beerdigung Jassir Arafats begleitete.

Sein Tod war ein bitterer Verlust. Hans-Jürgen Wischnewski hat eine große Lücke hinterlassen. Seine Stimme fehlt. Er war ein Menschenfreund, der Politik machte, weil er die Lebensumstände der Menschen ändern und verbessern wollte. Überall wo er tätig war, im Nahen Osten oder auch in Mittelamerika, hat er mitgeholfen, mehr Freiheit und Demokratie, mehr Solidarität und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Der Dialog der Weltreligionen war für ihn immer wichtig. Er wird - dessen bin ich mir sicher - nicht nur in Deutschland, sondern auch in Algerien unvergessen bleiben!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Rede vor der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin, 07.03.2006
Thema: 
Hans-Jürgen Wischnewski und Algerien
Dateien: 
Wischnewski.pdf