Aktuelle Herausforderungen in der Nahost-Region: Welche Rolle kann Ägypten dabei spielen?
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vielen Dank für die Möglichkeit hier im Rat für Auswärtige Angelegenheiten sprechen zu dürfen. Ich bin wieder gerne nach Kairo gekommen. Viele Freunde habe ich wieder gesehen.
Unsere beiden Länder sind durch langjährige enge Freundschaft verbunden. Viele deutsche Urlauber besuchen ihr Land. Es gibt Städtepartnerschaften, Kooperationen zwischen Universitäten und Vereinen. Viele deutsche Besucher haben die Ausstellung "Versunkene Schätze Ägyptens" in deutschen Städten besucht. Die Handelsbeziehungen zwischen unseren Ländern entwickeln sich gut.
Sie haben mich gebeten, über das Thema "Aktuelle Herausforderungen in der Nahost-Region: Welche Rolle kann Ägypten dabei spielen?" zu sprechen. Ein auswärtiger Politiker sollte sich mit Ratschlägen an seine Gastgeber zurückhalten. Zuerst sollte er nach dem eigenen Beitrag und den eigenen Möglichkeiten fragen. Mit dieser Bemerkung möchte ich mich dennoch auf das Thema zu bewegen, allerdings aus zwei Richtungen.
Ägypten spielt in der arabischen Welt politisch, historisch, kulturell und wirtschaftlich eine herausragende Rolle. Im Nahostkonflikt hat Ägypten mehrfach eine konstruktive und vermittelnde Rolle eingenommen. Ich nenne nur den Rückzug Israels aus dem Gazastreifen und die syrisch-libanesische Krise. Der Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten war beispielhaft. Ägypten hat auch die israelisch-palästinensischen Verhandlungen als Vermittler begleitet und ist selbst immer wieder Verhandlungsort. Sie versuchen auf die Auseinandersetzungen in Palästina einzuwirken. In der Arabischen Liga hat Ägypten seit 1990 wieder eine Führungsrolle eingenommen. Für diese und für viele andere Aktivitäten möchte ich mich bedanken.
Es ist Präsident Mubarak in den letzten Jahren gelungen, Ägypten den Platz als wichtige Macht der arabischen Welt zu erhalten. Ägyptens Position zwischen Westbindung und arabisch-islamischer Solidarität ließen es zu einem verlässlichen Partner im nahöstlichen Friedensprozess werden.
Trotz Krisen und Rückschlägen ist das politische System Ägyptens seit 1952 eines der stabilsten im Nahen Osten geblieben. In Ägypten genießt die Bevölkerung mehr Selbstständigkeit. Es gibt mehr Spielräume und Vielfalt als in anderen Staaten der Region. Weitere mutige Reformen würden das Ansehen des Landes verbessern. Mehr Freiheit und Demokratie widersprechen nicht dem Streben nach innerer Stabilität und Vertrauen nach außen.
Wirtschaftlich befindet sich Ägypten seit einigen Jahren in einer Transformationsphase. Die Öffnung gegenüber dem privaten Sektor und ausländischen Investoren schreitet voran. Entsprechend entwickeln sich die Wirtschaftsdaten positiv, woran der Barcelona-Prozess der Europäischen Union nicht unwesentlich beteiligt war.
Ägypten hat zu einem sehr frühen Zeitpunkt den Friedensprozess mit Israel eingeleitet. Neben Frieden wurde der Weg für eine wirtschaftliche Entwicklung eingeleitet. Ägypten ist ein gutes Beispiel dafür, dass friedliche und soziale Entwicklung nur zusammen möglich sind
Europa will - wie die Länder des Mittleren Ostens - Frieden. Wir brauchen Fortschritte im Irak. Auch die Entwicklung im Libanon oder der Konflikt zwischen Syrien und Israel sind für unsere beiden Regionen existentiell. Vor allem aber geht es um einen Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern. Wir werden keinen dauerhaften und stabilen Frieden finden, wenn dieser Konflikt nicht gemeinsam, gerecht und dauerhaft gelöst wird. Die wichtigste Voraussetzung dabei ist der Gewaltverzicht auf allen Seiten. Dialog kann nur in einer gewaltfreien Umgebung stattfinden.
Fortschritte bei der Lösung der Konflikte würden meines Erachtens auch entscheidend zur Herstellung regionaler Stabilität, zu einer wirksamen Bekämpfung des Terrorismus und zur effektiven Kontrolle und Abrüstung der Massenvernichtungsmittel beitragen.
Die deutschen und europäischen Lehren aus der Zeit des Kalten Kriegs lauten: Wenn man will, kann man über ideologische Grenzen hinweg reden. Die Ausgrenzung des Gegenübers löst keine Konflikte. Geregelte Beziehungen sind nur in regionalen Sicherheitsstrukturen überwindbar. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass dies auch ein Weg für den Nahen Osten sein kann. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass tragfähige Lösungen schließlich die Konfliktparteien vor Ort aushandeln müssen. Und dies in dem Bewusstsein, dass sie keine Alternative zum Friedensprozess haben.
Aber der Weg ist noch weit. Dennoch: Die Fortschritte der letzten Monate sind im Vergleich zu dem jahrelangen Stillstand davor erfreulich. Wir brauchen Geduld. Wir dürfen uns auch durch Rückschläge und Provokationen nicht entmutigen lassen.
Der andere Aspekt meiner Rede ist: Europa muss seine Beziehungen zur arabisch-islamischen Region weiter verbessern und neu ordnen. Der deutsche Außenminister war seit seinem Amtsantritt immer wieder in der Region. Während und nach dem Krieg zwischen der Hisbollah und Israel war er vor Ort. Er hat zugehört und - wenn gewünscht - Botschaften übermittelt. Er hat Damaskus besucht. Deutschland hat die Beteiligten überzeugt, dass Nahost-Quartett wieder zu beleben. Ägypten ist dabei ein wichtiger Ansprechpartner. Aber ihr Rat ist auch in anderen Dingen gefragt.
In den vergangenen Jahren haben sich die Verhältnisse in der Region erheblich verändert. Das betrifft die Gesellschaften, die inneren Strukturen und die Außenbeziehungen. Sie werden von Kriegen und ungelösten Konflikten überlagert. Die Globalisierung sorgt für grenzenlose Unmittelbarkeit. Insbesondere haben sich neue politische Gruppen, Bündnisse und Formen herausgebildet. Einige sprechen sogar von einer neuen konfessionellen Trennung und Hegemonie. Deshalb habe ich Fragen und bitte um ihren Rat: Wie sollte sich Europa gegenüber dem "politischen Islam" verhalten? Gibt es Chancen für einen Dialog? Können Gespräche nur dann stattfinden, wenn bestimmte Regeln akzeptiert werden? Oder müssen Regeln das Ergebnis von Gesprächen sein? Gibt es überhaupt den politischen Islam? Sind die europäischen Ordnungsvorstellungen und Werte übertragbar? Welche Grundwerte sind unverzichtbar? Welche Rolle spielen Partizipation in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik? Ist wirtschaftliche Autonomie ohne politische Freiheit erstrebenwert und möglich? Und schließlich: ist die Kategorie eines schiitischen und sunnitischen Islam für die politische Auseinandersetzung überhaupt tauglich?
In diesem Sinne komme ich zur mir gestellten zurück: Welche Rolle kann Ägypten dabei spielen?
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine interessante und fruchtbare Diskussion.