Aktuelle Entwicklungen in Libyen (UN-Resolution)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ohne Zweifel, Herr Bundesaußenminister: Das ist eine, fast würde ich sagen, beispiellose Debatte, die wir hier haben, weil wir so schnell zu einer Regierungserklärung nach der Entscheidung im Sicherheitsrat gekommen sind. Ich glaube, es ist auch nicht falsch, wenn man sagt, dass es offensichtlich quer durch die Fraktionen unterschiedliche Auffassungen in dieser Frage gibt und auch geben wird. An der Aufmerksamkeit, mit der alle Kolleginnen und Kollegen Ihrer Rede zugehört haben, hat man schon gesehen, dass es - vielleicht bis auf den einen oder anderen Teil - für die große Mehrheit des Deutschen Bundestages keine einfache Frage ist. Dieses Dilemma bleibt heute und wird wahrscheinlich auch in den nächsten Tagen bleiben.

Niemand wird wahrscheinlich zu einfachen Lösungen kommen. Aber ich glaube, an die Bundesregierung und auch ganz besonders an Sie, Herr Bundesaußenminister, darf man die Frage richten, ob die Motive, die Sie hier in der Regierungserklärung und auch in der Regierungserklärung am Mittwoch genannt haben, so uneigennützig sind und nur von einer internationalen Frage geleitet sind

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ? Unruhebei der FDP)

oder ob nicht das, was ich Ihnen am Mittwoch in der Debatte gesagt habe, unter Umständen ein Motiv sein kann: Am 11. März haben Sie in einem Interview des Morgenmagazins genau die innenpolitische Debatte eröffnet, die wir vonseiten der Sozialdemokratischen Partei unterlassen haben. Wir wollten nämlich nicht, dass dies innenpolitisch instrumentalisiert wird. Sie haben damit nicht aufgehört; denn Sie sind gestern im Deutschlandradio Kultur wieder genau diese Schiene gefahren. Auch jetzt habe ich, muss ich Ihnen sagen, in den frei formulierten Teilen Ihrer Regierungserklärung den einen oder anderen Punkt gesehen,

(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Das ist peinlich!)

der zeigt, dass dies ein Motiv ist. Das gehört mit dazu.

(Widerspruch bei der FDP)

Wenn Sie sagen: ?Wir als Bundesregierung können nicht überall eingreifen?, dann gebe ich Ihnen recht. Das ist vollkommen richtig. Aber das heißt doch nicht, dass wir dann nirgendwo eingreifen, sondern wir greifen doch dann dort ein, wo wir es können. Auch das hätten Sie von diesem Rednerpult aus sagen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kurzum: Ich glaube schon, Ihr Vorwurf, dass andere Bundesregierungen früher mit dieser Frage leichtfertig umgegangen sind, wendet sich gegen Sie selbst; denn Sie dürfen nicht leichtfertig Ihre Fragen innenpolitischen Motiven unterordnen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage Ihnen: Sie stehen in einer Tradition, die die FDP-Bundestagsfraktion mit zu verantworten hat. Sie haben sich damals gegen den Einsatz im arabischen Raum im Rahmen von UNIFIL aus innenpolitischen Gründen ausgesprochen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

weil sie glaubten, so die bessere Gewähr für Erfolge in Wahlkämpfen zu haben. Ich unterstelle Ihnen, dass es auch in diesem Fall so ist.

(Beifall bei der SPD ? Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP ? Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen Sie gerade sagen! ? Zurufe von der FDP)

Sie müssen eine entscheidende Frage beantworten, Herr Bundesaußenminister. Ich glaube, Sie tun hier der deutschen Öffentlichkeit -

(Zurufe von der FDP)

- Sie regen sich doch so auf, weil ich da offensichtlich den wunden Punkt getroffen habe, der zu dieser Debatte und, ich sage auch, zu diesem Dilemma letztlich gehört.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] ?Zurufe von der FDP)

Er gehört zu diesem Dilemma. Tun Sie doch nicht so, als ob das in Ihrer Fraktion nicht der Punkt wäre. 

(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn?)

Sie stellen sich aber hierhin und sagen: Es gibt einen Automatismus für Ihr Verhalten im Sicherheitsrat und für das, was in nationaler Souveränität zu entscheiden ist.

(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Was ist denn Ihr Vorschlag?)

Die Frage ist in der UN-Charta ganz klar geregelt: In der UN-Charta steht, dass man einem Beschluss des Sicherheitsrates zustimmen und dann auf nationaler Ebene schauen kann, wie man mit diesem Beschluss umgeht. Zehn Länder, die Sie eben ganz bewusst nicht genannt haben - darunter sind zum Beispiel drei afrikanische Länder und ein arabisches Land -, haben zugestimmt. Sie wissen, dass sie nicht mitmachen werden. Aber Sie unterstellen, dass ein Ja automatisch bedeutet hätte, dass die Bundesregierung bei der Frage einer Beteiligung anders hätte handeln müssen. Nein, das stimmt nicht.

Wenn Sie in der Politik souverän sein wollen, müssen Sie sich eher fragen: An welcher Stelle wollen Sie im Sicherheitsrat dabei sein? Wollen Sie bei den zehn Ländern dabei sein, die zugestimmt haben, darunter drei europäische Staaten, drei afrikanische Staaten und ein arabischer Staat? Ich finde, Sie hätten auf dieses Dilemma hinweisen sollen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spatz?

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Ja, bitte schön.

(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Hätten Sie mit Ja gestimmt?)

Joachim Spatz (FDP):
Herr Kollege Mützenich, darf ich in aller Bescheidenheit fragen, ob Sie bereit sind, uns endlich auch einmal die Position der SPD darzulegen?

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der LINKEN)

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Wissen Sie, genau das ist doch der Punkt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN ? Zurufe von der FDP: Genau!)

- Nein, nein. Darf ich denn nicht einmal aussprechen? - Der Herr Bundesaußenminister hat in einer Hälfte seiner Rede nicht über Libyen gesprochen, sondern hat sehr salbungsvoll mit dem einen oder anderen Satz über andere Länder gesprochen, etwa über Bahrain und die Elfenbeinküste. Er hat dann gesagt: Man kann nicht überall intervenieren. Aber er hat nicht beantwortet, warum die Bundesregierung nach ihrer Abwägung nicht möglicherweise die Konsequenz ziehen wollte,

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es ist unglaublich, was Sie hier machen!)

zu einer Mehrheit im Sicherheitsrat dazuzugehören. Herr Kollege Spatz, ich muss Ihnen sagen: Ich weiß, dass Sie eine ganz andere Position vertreten, dass auch innerhalb der Bundesregierung eine ganz andere Position vertreten wird. Unser Problem, das Problem Deutschlands, ist doch jetzt, dass es keine gemeinsame europäische Position mehr gibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist Ihr Problem dabei?)

Wir haben es nicht geschafft, alle europäischen Staaten beisammenzuhalten. Das ist doch genau der Punkt, auf den Ihr Außenminister heute nicht eingegangen ist. Herr Bundesaußenminister, ich glaube, dass sich die Frage der nationalen Souveränität nicht davon ableitet, wie man sich möglicherweise bei verschiedenen Fragen im Sicherheitsrat entscheidet.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was will die SPD?)

Die nationale Souveränität leitet sich daraus ab, wie man begründet, dass man jetzt aus einem europäischen Geleitzug ausgeschert ist.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es geht um Krieg und um die Beteiligung der Deutschen daran! Nichts anderes!)

Diese Frage müssen Sie sich in einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik stellen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundesaußenminister, der andere Punkt ist - auch diese Frage müssen Sie erlauben -: Was denken die Länder in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die Sie in eine verantwortungsvolle Position im Sicherheitsrat gewählt haben, über Ihre gestrige Entscheidung im Sicherheitsrat?

Was denken denn die Menschen? Sie haben noch am Mittwoch davon gesprochen, wie beeindruckt Sie gewesen sind ?, die Deutschland auf dem Tahrir-Platz zugejubelt haben, weil unser Land die Befreiungsbewegung in der arabischen Welt unterstützt?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass die Menschen vom Tahrir-Platz jetzt, nach der Entscheidung der Bundesregierung, einen ganz anderen Blick auf Deutschland haben; denn Sie haben die europäische Position verlassen und trauen sich nicht, gegen jemanden vorzugehen, der ein Mörder ist, der die Menschen bombardiert, der die Menschen einfach erschießt, weil sie auf der Seite anderer sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Christian Lindner [FDP]: Was will die SPD?)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Ja, gleich, wenn ich den Gedanken noch zu Ende führen darf. - Sie müssen sich doch fragen: Welche Entscheidung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hätte möglicherweise eine Verhaltensänderung Gaddafis bewirkt, und zwar nicht die Verhaltensänderung von gestern?

Es ist doch ganz klar: Der Beschluss im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat deutlich gemacht, dass Gaddafi erst danach zu Gesprächen über eine Waffenruhe bereit gewesen ist. Auch das müssen Sie sich doch fragen, wenn Sie hier sagen: Wir stehen in einem Dilemma.

Natürlich, das spreche ich Ihnen doch gar nicht ab. Aber der entscheidende Punkt ist: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus? Die Verhaltensänderung Gaddafis hat sich erst aus der gestrigen Beschlussfassung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ergeben. Jetzt sagen Sie: Wir wollen nicht mit deutschen Bodentruppen dorthin.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn?)

Nein, natürlich nicht. Das wollen wir doch auch nicht. Aber das besagt auch nicht der Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Er will vielmehr eine Flugverbotszone.

(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Was hätten Sie denn gemacht? - Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

- Sie waren ja am Mittwoch nicht bei den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses dabei. In den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses am Mittwoch hat uns Staatssekretär Born erklärt,

(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Wie hätten Sie denn abgestimmt?)

die Überwachung der Flugverbotszone

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein ganz anderer Gedanke!)

mit Anteilen der Bundeswehr an den Einsätzen der AWACS erfolge zurzeit auf der Grundlage des Mandats von Active Endeavour. Sie haben sich nicht hier hingestellt und gesagt, Sie ziehen diese Bundeswehrsoldaten aus der AWACS-Überwachung zurück. Das hätte ich von einer Regierungserklärung hier erwartet. Sie tun so, als seien alle Fragen beantwortet gewesen. Das ist eben nicht der Fall.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Deswegen glaube ich: Ihr Dilemma, das Sie selbst zu verantworten haben, ist, dass Sie sich wegen der innenpolitischen Brille ohne Not in diese Situation gebracht
haben. - Bitte.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Bitte schön, Herr Kollege.

Marco Buschmann (FDP):
Herr Kollege Dr. Mützenich, wären Sie so freundlich, wenn Sie schon dem Kollegen Spatz die Frage nicht beantwortet haben, die er gestellt hat, mir erstens die Frage zu beantworten, wie die Haltung der SPD-Fraktion in der Sache ist, und mir zweitens zu sagen, ob Sie der Ansicht sind, dass Sie sich in der Haltung, zu was auch immer Sie hier vorgetragen haben, einig fühlen mit dem von uns sehr geschätzten Kollegen Steinmeier?

Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Ich habe Ihnen eben Folgendes gesagt: Wenn Sie für Ihre Fraktion sagen können, das sei für Sie alles klar, wenn Sie das so für sich behaupten können, ist das klar. Ich kann für meine Fraktion nicht behaupten, dass das klar ist. Das habe ich eben gesagt. Ich habe vorhin an dieser Stelle, glaube ich, eine sehr ehrliche Erklärung abgegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin der Meinung, dass Sie sich von innenpolitischen Motiven haben leiten lassen,

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn?)

so wie der Bundesaußenminister das am Mittwoch und heute noch in der Frage gesagt hat.

Ich möchte Sie auf einen weiteren Widerspruch aufmerksam machen, wenn ich das darf, Herr Bundesaußenminister. Sie sagen immer, Sie vermissten eine Beteiligung aus der Region. Sie vermissten eine Beteiligung vonseiten der afrikanischen Länder, vonseiten der arabischen Länder. Herr Bundesaußenminister, Sie haben jetzt diese Unterstützung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Drei afrikanische Länder haben gestern Nacht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für ein Mandat gestimmt. Der Libanon hat im Sicherheitsrat für ein Mandat gestimmt. Deswegen müssen Sie hier schon die Frage beantworten, warum Sie, nachdem die Forderungen, die Sie gestellt haben, jetzt eingelöst worden sind, nicht bereit sind, in der Konsequenz zu sagen: Jetzt ist dieses Mandat gegeben, und jetzt kann sich die Bundesrepublik Deutschland, kann sich die Bundesregierung entsprechend verhalten.

Herr Bundesaußenminister, Sie haben eben noch einmal an Bahrein und andere Länder erinnert. Ja, das ist richtig. Aber der entscheidende Punkt wird sein, ob Sie letztlich nicht umhinkönnen, in einer Situation in Libyen, vor der wir stehen,

(Zuruf von der FDP: Was will die SPD?)

in der offensichtlich ein Machthaber Gaddafi mit mörderischer Konsequenz gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht, das Instrument, das Ihnen der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gestern zur Verfügung gestellt hat, nicht doch zu nutzen, um diesen Mörder zu stoppen.

(Abg. Manuel Höferlin [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich glaube, das wäre die richtige Konsequenz gewesen. Den Mut, den Sie gestern nicht aufgebracht haben, hätte ich mir von Ihnen gewünscht.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Berlin, 18.03.2011
Thema: 
Plenarrede anlässlich der Regierungseklärung durch den Bundesaußenminister