60 Jahre NATO
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Ende einer solchen Debatte sollten wir uns noch einmal vier Jahre zurückerinnern. Seinerzeit haben wir auch eine Debatte über die NATO in Deutschland geführt, nachdem der damalige Verteidigungsminister Struck im Auftrag des Bundeskanzlers eine Rede auf der Sicherheitskonferenz in München gehalten hatte. Damals hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder gefordert, die NATO wieder zu einem Ort der politischen Debatte zu machen. An dieser Stelle erinnere ich - Entschuldigung, Herr Kollege Schäuble - an ein Zitat von Ihnen:
"Wir brauchen keine Debatte über die NATO. Das Bündnis ist intakt."
Es wäre gut gewesen, wenn wir uns damals die politische Debatte über die Zukunft der NATO geleistet hätten.
(Beifall bei der SPD)
Dann hätten wir nämlich in der nächsten Woche eine gute Voraussetzung für "60 Jahre NATO". Es war gut, dass die Bundeskanzlerin am Ende ihrer heutigen Rede gesagt hat, dass wir keine globale NATO brauchen. Auch diese Debatte haben wir in Deutschland einmal anders geführt. Es ist richtig, dass wir uns auf die Kernelemente des Verteidigungsbündnisses beschränken. Dass die globale NATO nicht mehr zur Diskussion steht, begrüßt meine Fraktion. - So weit meine erste Bemerkung.
(Beifall bei der SPD)
Eine zweite Bemerkung richte ich an den Kollegen Lafontaine. Man kann das eine oder andere immer wieder infrage stellen und vernebeln und auch irgendeine historische Leistung für sich selbst reklamieren, ohne sie erbracht zu haben. Unabhängig davon glaube ich, dass es sinnvoll wäre, wenn auch Sie sich einer Debatte stellten, die in den Vereinten Nationen nach einer schwierigen Diskussion zu dem Abschluss gekommen ist, dass es auch die Völkergemeinschaft auf der Grundlage der Erfahrungen in Jugoslawien - vor allem im Kosovo - und insbesondere in Ruanda und anderswo, jetzt im Sudan, für legitim hält, im Rahmen solcher Völkerrechts- verletzungen zum Instrument der humanitären Intervention zu greifen. Das ist ganz ohne Frage keine Ultima Ratio. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie wenigstens zur Kenntnis nähmen, dass die Völkergemeinschaft dies diskutiert.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Drittens bedarf es vier Bedingungen, die für eine Zukunft der NATO beachtet werden sollten: erstens eine Konzentration und Beschränkung auf Dinge, die man auch schafft, und nicht auf alles, was man sich wünscht; zweitens keine Überforderung oder einen Sicherheitsverlust durch neue Mitglieder; drittens aus meiner Sicht insbesondere den Ausbau und die Vertiefung mit anderen Institutionen und eine tatsächliche Partnerschaft mit Russland. Deswegen begrüße ich, dass die Bundeskanzlerin hier angekündigt hat, mit Präsident Medwedew über seinen Vorschlag einer neuen Sicherheit insbesondere von Wladiwostok bis Vancouver zu sprechen. Dies hat natürlich seine unmittelbare Bedeutung für Europa. Es wäre ein großer Sicherheitsgewinn, wenn wir uns an dieser Debatte beteiligten. Wir vonseiten der Sozialdemokratie sind dazu bereit.
(Beifall bei der SPD)
Die vierte Bedingung für die Gestaltung der Zukunft der NATO ist die Frage von Abrüstung und Rüstungskontrolle. Hier gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Westerwelle. Dies ist aber nicht Ihre Erfindung. Vielmehr hat der Außenminister in den letzten vier Jahren alles dafür unternommen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder ein Thema der NATO werden. Das ist ein wichtiger Bestandteil. Man kann nicht davon ausgehen, dass wir die Verträge sozusagen von einer Woche auf die andere abschließen könnten. Es ist aber auch in Teilen der anderen Fraktionen nicht unumstritten gewesen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle in das Schlussdokument von Bukarest gekommen sind. Das war wichtig. Sie, Herr Außenminister, haben dies zusammen mit dem norwegischen Außenminister geschafft.
(Beifall bei der SPD)
In diesem Zusammenhang erinnere ich an die nukleare Abrüstung, die zuerst zwischen den USA und Russland erarbeitet oder gleichsam erkämpft werden muss. Den größten Applaus hat der damalige Präsidentschaftskandidat Obama hier in Berlin von den Deutschen bekommen, als er sich dazu bekannte, für eine nuklearwaffenfreie Welt einzutreten. Er weiß, dass das nicht von heute auf morgen gelingen wird. Aber das war genau der Satz, auf den Europa gewartet hat. Deswegen sollten wir, sollte die Bundesregierung ihn auf jeden Fall bei diesem Vorhaben unterstützen.
(Beifall bei der SPD)
Gleichzeitig sage ich: Wenn wir diese Debatte aufnehmen, müssen wir auch mit anderen Ländern, die über Kernwaffen verfügen, darüber sprechen. Eine ehrliche Debatte ist zum Beispiel mit Frankreich und Großbritannien erforderlich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie stehen vor einer umfassenden Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals. Es ist zwar nicht groß; aber dadurch sind sie in die nukleare Abschreckung eingebunden. Deswegen ist es an der Zeit, dass auch diese Regierungen ihr Vorgehen überdenken. Es wäre gut, auch über die Frage des nuklearen Ersteinsatzes zu sprechen. Das hat in dieser Debatte noch keine Rolle gespielt. Aber wenn wir den Atomwaffensperrvertrag ernst nehmen, müssen wir in der NATO auch über die Frage des Ersteinsatzes diskutieren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der vierte Punkt - hier stehen wir vor einer großen Herausforderung - betrifft die Frage, wie wir mit der Raketenabwehr umgehen. Ich will jetzt gar nicht auf die mögliche US-amerikanische Raketenabwehr in Polen und Tschechien eingehen. Wir haben in Bukarest verabredet, dass die NATO eine Raketenabwehr aufbauen soll; wir sind zumindest auf einem guten Weg dorthin. Ich glaube, es wäre klug, mit Russland über dieses Thema zu sprechen, weil Russland und die NATO gleiche Interessen haben, auf diese Herausforderungen zu reagieren.
Zum Schluss möchte ich Ihnen, Herr Außenminister, danken. Sie haben eine Initiative unternommen, den KSE-Vertrag zu retten. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei diesen Bemühungen, insbesondere auf der Konferenz im Juni dieses Jahres. Wenn Sie es für notwendig halten, hier über den AKSE-Vertrag zu sprechen und dem Parlament diesen Vertrag möglicherweise noch zur Beschlussfassung zuzuleiten, dann sind wir von der SPD-Fraktion dazu bereit, dies mitzutragen.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP)