Ist die Zeit reif für eine "linke" Außenpolitik?

Der Weg für ein rot-rot-grünes Bündnis ist frei - zumindest in der Theorie. Die SPD beschloss auf ihrem Parteitag in Leipzig im November 2013 künftig keine Koalition mehr auszuschließen - abgesehen von der mit Rechtsextremen. Gleichzeitig formulierte sie als Bedingungen für mögliche Regierungskonstellationen eine "verlässliche" parlamentarische Mehrheit, einen "verbindlichen" Koalitionsvertrag und eine "verantwortungsvolle" Außenpolitik. Letzteres ist ein Warnschuss gegen die Teile der LINKEN, die außenpolitisch unannehmbare Positionen vertreten, zugleich sollen damit auch jene in der SPD beruhigt werden, die eine Zusammenarbeit mit der LINKEN nach wie vor ablehnen. Die Linke wiederum hatte ihrerseits schon Jahre zuvor "rote Haltelinien" formuliert, die bei einer Zusammenarbeit nicht überschritten werden dürften: u.a. keine Auslandseinsätze, keine Rüstungsexporte.

Abschrecken lassen sich die Verfechter eines links-grünen Bündnisses davon nicht. Sie wissen, dass in der (Regierungs-)Politik Pragmatismus im Zweifelsfall vermeintlich eherne Leitlinien sticht. Und dass entscheidend sein wird, welche Konstellationen bei den anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland zustande kommen. Dennoch: Eine rot-grün-rote Koalition auf Bundesebene ist derzeit alles andere als wahrscheinlich - unabhängig davon, dass Einzelne ein solches Bündnis von SPD, Grünen und LINKEN nach der Wahl 2017 für möglich halten. Dies liegt nicht nur an dem geradezu pathologischen Verhältnis, das nach wie vor zwischen der grauen Eminenz der Linken, Lafontaine und Teilen der Sozialdemokratie besteht. Auch unterhalb dieser Ebene behindern Be- und Empfindlichkeiten eine solche Annäherung. Unabhängig davon bleibt ein tiefer Graben zwischen Der LINKEN und Bündnis 90/Die Grünen, angefeuert von Provokationen im Parlament und außerhalb.

Die Sollbruchstelle einer möglichen rot-rot-grünen Regierung liegt zweifelsohne im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Es gibt genügend Gründe für eine selbstkritische Aufarbeitung der rot-grünen Außen- und Sicherheitspolitik vom Kosovo-Krieg bis hin zum Afghanistaneinsatz. Wahr ist auch, dass Deutschland bereits unter Rot-Grün zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt aufgestiegen ist. Ebenso hat Rot-Grün zur Entfesselung der Finanzmärkte beigetragen und den Spitzensteuersatz gesenkt - dies sind unbequeme Wahrheiten, denen man sich gleichwohl stellen muss. Für diese selbstkritische Aufarbeitung sind Belehrungen mit erhobenem Zeigefinger seitens der LINKEN nicht erforderlich. Innerparteilich hat die SPD durchaus die Kraft, Korrekturen eigenständig zu beschließen.

Bei allen Unterschieden gibt es zweifelsohne nach wie vor eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten linker Außenpolitik wie Internationale Sozial- und Rohstoffpolitik, Abrüstung und Rüstungskontrolle, zivile Friedenssicherung, eine restriktive Rüstungsexportpolitik und Stärkung der Vereinten Nationen und OSZE. Zu den strittigen Themen gehören neben der Bündnispolitik in erster Linie die Europapolitik und die Politik gegenüber den Vereinten Nationen und Russland. Hier ist die LINKE mit ihren Positionen zu Recht weitgehend isoliert. Für künftige Koalitionsverhandlungen wäre es deshalb durchaus hilfreich, wenn sich nicht nur SPD und Grüne, sondern auch die LINKE mit einigen ihrer Positionen selbstkritisch beschäftigen würden. Es versteht sich zudem von selbst, dass die folgende Kritik an außenpolitischen Positionen der Partei DIE LINKE zwangläufig pauschalisiert, damit auch vereinfacht und bisweilen einseitig und ungerecht ist. Eine solche Zuspitzung scheint mir dennoch hilfreich, um die Unterschiede und Hindernisse, die einer solchen Koalition auf Bundesebene entgegenstehen, herauszuarbeiten.

Rüstungsexporte

In der Frage einer restriktiven Rüstungsexportpolitik gibt es zweifelsohne Schnittmengen mit LINKEN und Grünen - obgleich es natürlich auch innerhalb der SPD und der organisierten Arbeiterschaft (IG Metall) einen mächtigen Flügel gibt, der das Industrie- und Arbeitsplatzargument stark betont. Auch hiermit sich auseinanderzusetzen, wäre eine gemeinsame Aufgabe. Während die LINKE Waffen- und Rüstungsexporte grundsätzlich ablehnt, plädieren SPD und Grüne für eine restriktivere Rüstungsexportpolitik und sprechen sich gegen Waffenlieferungen in Krisenregionen aus.

Die Zahlen sprechen hier jedoch für sich: Deutschland hat noch nie so viele Waffen ins Ausland geliefert wie im vergangenen Jahr (2013). Insgesamt erteilte die Bundesregierung Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von 5,85 Milliarden Euro, wie das Wirtschaftsministerium in seinem Rüstungsexportbericht auflistet. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung um ein Viertel oder 1,14 Milliarden. Dazu trugen unter anderem Ausfuhrbewilligungen an Länder wie Katar und Saudi-Arabien bei, denen Kritiker die Verletzung der Menschenrechte und undemokratische Verhältnisse vorwerfen. Auch die Ausfuhr von Kleinwaffen ist auf einem Rekordhoch. 2013 wurden Einzelgenehmigungen in Höhe von 88,63 Millionen Euro erteilt, so viel wie nie zuvor. Mehr als die Hälfte dieser Exporte ging in Drittländer. Unter den Top-5-Empfängerländern befindet sich mit den USA nur ein Nato-Partner. Mit 826 Millionen Euro gingen die meisten Waffen an Algerien, gefolgt von Katar mit 673 Millionen. Auf Platz 3 liegen die USA mit 611 Millionen. Auffällig ist, dass immer mehr Panzer, Haubitzen und Gewehre an Länder geliefert werden, die nicht dem westlichen Verteidigungsbündnis angehören und keine gefestigten Demokratien sind. Mittlerweile gehen über 60 Prozent der Exporte in diese sogenannten Drittländer wie Saudi-Arabien, Indonesien und Katar.

Die SPD konnte im Koalitionsvertrag durchsetzen, dass Rüstungsexportentscheidungen künftig nicht erst nach erfolgtem Auftragsabschluss der Rüstungsfirmen sondern unmittelbar nach abschließender Entscheidung des Bundessicherheitsrates dem Bundestag mitgeteilt werden müssen. Darüber hinaus werden die Rüstungsexportberichte künftig sechs Monate früher veröffentlicht und durch Zwischenberichte zum Jahresende ergänzt, um größere Transparenz herzustellen. Dazu zählen die Vorlage des Rüstungsexportberichts noch vor der Sommerpause (anstelle i.d.R. erst im Herbst/Winter des nachfolgenden Jahres) sowie jetzt neu ? die Erstellung eines zusätzlichen Zwischenberichts des Bundeswirtschaftsministeriums über die im jeweils ersten Halbjahr des laufenden Jahres erteilten Ausfuhrgenehmigungen. Der Bundestag informiert jetzt binnen 14 Tagen über positive Exportbescheide des geheim tagenden Bundessicherheitsrates. Damit bekommen der Bundestag und die Öffentlichkeit ein Instrument in die Hand, das auch für eine kritische Debatte genutzt werden muss, einschließlich gesellschaftlicher Organisationen und der Kirchen.

Zudem will Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Wort halten und Rüstungsexporte in umstrittene Länder außerhalb Europas massiv einschränken, auch wenn dies in der deutschen Rüstungsindustrie weitere Arbeitsplätze kosten könnte. Ausfuhren von Kleinwaffen und Panzern sollen noch strenger geprüft werden. Hier sind Konflikte mit der Union, der Rüstungsindustrie und Teilen der Gewerkschaften vorprogrammiert.

Die seit 2000 bestehenden, von Rot-Grün beschlossenen "Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" wurden von der schwarz-gelben Regierung systematisch umgangen. Fest steht: Die Ausweitung von Rüstungsexporten aus wirtschaftlichen Gründen als Ersatz für eine vorausschauende Außenpolitik ist ein Irrweg. Der Begriff der Ertüchtigung ist hier nur ein Werbeslogan. Wir brauchen ein verbindliches und transparenteres Rüstungsexportgesetz, in dem festgelegt wird, nach welchen Kriterien Länder deutsche Waffen erhalten dürfen. Ziel muss es sein,  die Praxis der Rüstungsexportgenehmigungen restriktiver und transparenter zu gestalten. Dies darf durch eine europäische Harmonisierung nicht unterlaufen werden. Hier steht die SPD im Wort und wird sich nach Ende der Legislaturperiode an ihren Taten messen lassen müssen.

Abrüstung und Rüstungskontrolle

Auch im Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen den linken Parteien. Die Stärkung des Nichtverbreitungsvertrages, ein neuer KSE-Vertrag oder die Abrüstung der taktischen Nuklearwaffen wären hier zu nennen. Wobei die SPD die Fixierung der LINKEN und der Friedensbewegung auf die in Büchel lagernden 30 Sprengköpfe nicht teilt, sondern sich für eine Einbeziehung aller auf europäischem Boden lagernden Atomwaffen einschließlich des russischen Arsenals ausspricht. Ein neuer Vertrag über konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle kann hier als Flankierung dienen.  
Für eine Partei, die sich als Friedens- und Abrüstungspartei versteht, war die Verweigerungshaltung der LINKEN bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ein Armutszeugnis. Die Partei stand dabei angeblich vor einem Dilemma. Was wiegt schwerer? Das strikte "Nein" der Partei zu Auslandseinsätzen oder eine sichere Zerstörung von 560 Tonnen gefährlicher Chemikalien aus syrischen Armeebeständen unter militärischem Schutz? Für eine Region, die seit langem keinen Frieden mehr kennt, ist die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen einer der wenigen Lichtblicke. Deshalb war es richtig, dass die neue Bundesregierung sofort entschieden hat, sich an der Initiative zu beteiligen. Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist zudem alles andere als ein symbolisches Mandat.  In einem Positionspapier von 15 Vertretern des linken Flügels wird vor "der möglichen Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen Syrien" gewarnt. Weiter heißt es: "In dieser Situation wäre es extrem fahrlässig, der Bundesregierung mit einer Enthaltung oder gar einer Zustimmung eine unwidersprochene carte blanche für ihren Militäreinsatz zu erteilen." Dass diese Behauptungen haltlos waren und sind, liegt auf der Hand.

Hinter der Rhetorik steckt offenbar die Angst, die Zustimmung zum Syrien-Einsatz könnte zu einer grundsätzlichen Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik der LINKEN führen. Die Freigabe der Abstimmung war zumindest der allerkleinste Nenner, auf den sich die Linksfraktion einigen konnte. Immerhin stimmte die LINKE erstmals in Teilen für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr. Während 35 Parlamentarier bei ihrer programmatischen Verweigerung blieben, enthielten sich 19 Fraktionsmitglieder und ganze fünf stimmten gar für das Mandat (Zur Erinnerung: Bereits 2010 enthielten sich im Bundestag 25 Abgeordnete der LINKEN bei der Abstimmung über die UN-Mission im Sudan, die von 32 zivilen Bundeswehrausbildern unterstützt werden sollte, der Stimme. Bereits damals lief der linke Flügel Sturm gegen die "Abweichung vom Grundsatzprogramm".

Bei allen notwendigen Debatten dürfen wir vor einem nicht die Augen verschließen: Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ändert nichts daran, dass der Bürgerkrieg in Syrien weiter tobt und neben den 170.000 Toten täglich weitere Todesopfer fordert - auch wenn er in der Berichterstattung leider nahezu komplett von der Ukraine-Krise überlagert wird. 

Eine neue Entspannungspolitik?

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Ukraine und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland haben die Grundlagen der europäischen Friedensordnung untergraben. Vertrauen, Gewaltverzicht und Regeln wurden missachtet. An ihre Stelle traten Willkür, Provokationen und das Schüren von Ängsten. Ob es sich dabei um einen historischer Einschnitt handelt, vergleichbar dem Ende des Kalten Krieges oder den Anschlägen vom 11. September 2001, kann heute niemand ernsthaft beurteilen. Wie der Abschuss des malaysischen Zivilflugzeuges gezeigt hat, hat die Ukraine-Krise zweifelsohne das Potential für eine weitere Eskalation und brandgefährlich ist sie allemal. Deshalb ist deutsches Regierungshandeln derzeit vor allem darauf ausgerichtet zu deeskalieren, die wenigen Gesprächsfäden zu stärken, Konfliktbeteiligte einzubinden und die europäischen Institutionen auf ein gemeinsames Handeln zu verpflichten.

Es fällt schwer, das zuzugeben, aber das sozialdemokratische Konzept der Modernisierungspartnerschaft ist an den politischen Realitäten in Russland und dessen politischer Elite vorerst gescheitert. Gorbatschows "Gemeinsames Haus Europa" rückt derzeit in weite Ferne. Mehr noch: Die Krimkrise stellt die Grundlagen der europäischen Sicherheitsordnung in Frage.

Die Auseinandersetzungen über die Ukraine haben noch einmal drastisch vor Augen geführt, wie wenig die Russland-affine Außenpolitik der Linkspartei zur Menschenrechtspolitik der Grünen passt. Hier zeigt sich eine fundamentale Kluft für jede künftige Zusammenarbeit. Rot-Rot-Grün dürfte derzeit weniger an der SPD als am Hass zwischen den Vertretern der LINKEN Putin-Apologeten und der grünen Menschenrechtlern scheitern. Die Härte, mit der dieser Streit geführt wird, zeigt, dass drei Jahre wahrscheinlich nicht genügen, um SPD und Linke bis zur Koalitionsfähigkeit anzunähern - dass drei Jahre aber ganz sicher reichen, um die Gräben noch zu vertiefen.

Bei aller berechtigten Kritik an der einäugigen und einseitigen Russlandpolitik der LINKEN, in einem Punkt hat sie durchaus Recht: Wir brauchen keine Denkmuster des Kalten Krieges. Ein russischer Angriff auf das Bündnisgebiet ist immer noch die unwahrscheinlichste Bedrohung. Auch Meldungen, dass die Nato bei einem russischen Angriff auf die baltischen Staaten nur "bedingt abwehrbereit" sei, sind mit Skepsis zu betrachten -  zumal wenn sie von Kreisen um den scheidenden Nato-Generalsekretär Rasmussen und der europäischen Rüstungsindustrie lanciert werden. Konventionell wären diese Staaten bei einem russischen Angriff nicht zu verteidigen. Auch eine Stationierung von Nato-Truppen in Polen und im Baltikum würde daran nichts ändern. Kein Mensch kann ernsthaft fordern, dass wir jetzt wieder neue Panzerarmeen aufbauen sollten.

Ja, es stimmt: Russland hat in den letzten zehn Jahren seine Verteidigungsausgaben auf 88 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt und liegt weltweit auf Platz drei. Man sollte der russischen Bedrohung jedoch die Verteidigungsausgaben der Nato gegenüberstellen. Alleine die USA geben mit 640 Milliarden US-Dollar mehr für Militär aus als die folgenden neun Staaten zusammen. Addiert man die Verteidigungshaushalte der 28 NATO-Staaten, so kommt man auf die unglaubliche Summe von 1,32 Billionen US-Dollar. Statt neuer Aufrüstungsrunden braucht die NATO ein glaubwürdiges politisches Konzept, das auf Zusammenarbeit und Rüstungskontrolle setzt. 

Für Russland gelten - ebenso wie für die USA - dieselben Regeln (territoriale Integrität und Unverletzlichkeit von Grenzen), die in der Schlussakte von Helsinki 1975, der Charta von Paris 1990 und dem Budapester Memorandum von 1994 gemeinsam erarbeitet wurden. Die Nato darf sich nicht aus Furcht vor Russland in eine neue Konfrontation begeben. Wir brauchen deshalb eine überzeugende Antwort gegenüber Russlands neuen territorialen Ambitionen und Angebote an Russland, um gemeinsam Vereinbarungen über bestehende und neue Regeln für die europäische Sicherheitsarchitektur zu treffen. Wir brauchen beides: Sicherheit vor und Sicherheit mit Russland. Ziel muss sein, perspektivisch wieder ein Verständnis von gemeinsamer Sicherheit zu entwickeln.

Das mittel- und langfristige Ziel deutscher NATO-Politik muss sein, Russland wieder in die euro-atlantische Sicherheitsgemeinschaft zu integrieren. Die Politik einiger Verbündeter, die gesamte Kooperation zwischen der NATO und Russland zu verwerfen, ist zwar nachvollziehbar, aber wenig zielführend. Die Verpflichtungen der NATO-Russland-Grundakte sollten vielmehr prinzipiell gültig bleiben, um den gemeinsamen Interessen weiterhin gerecht werden zu können. Denjenigen, die in der Ukraine-Krise den Beweis dafür sehen, dass das Konzept der sozialdemokratischen Entspannungspolitik nun endgültig gescheitert sei, kann man nur erwidern: Durch die russische Aggression ist nicht die Entspannungspolitik desavouiert, sondern deren unveränderte Notwendigkeit bewiesen. Gerade in Zeiten neuer Spannungen brauchen wir eine neue Entspannungspolitik. Doch dazu gehören zwei. 

UN-Blauhelmmissionen und Auslandseinsätze der Bundeswehr

Ein weiteres Feld, auf dem die LINKE die moralisch richtige Haltung für sich allein beansprucht, ist ihre sogenannte Friedenspolitik im Bereich der UN-Blauhelmmissionen. Hier zeigt sich einmal mehr, dass Moralismus nicht nur erhebend, sondern auch nützlich ist. Man entzieht sich nicht nur den Händeln der Welt, sondern darf im Namen der höheren Sittlichkeit der Verantwortung ausweichen. Wer nicht handelt, muss keine moralischen Konflikte bewältigen. Wer nicht eingreift, kann nicht viel falsch machen, aber unschuldig bleibt er nicht. Hier ist Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nach wie vor erhellend: "Gesinnungsethik ist die Moral des Absoluten. "Verantwortlich" fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, dass die Flamme der reinen Gesinnung (...) nicht erlischt. (...) Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, dass die Erreichung ?guter? Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, dass man (...) bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt (...)."

Manchmal hat man den Eindruck dass Blauhelmeinsätze der Vereinten Nationen von der Partei DIE LINKE grundsätzlich kategorisch abgelehnt werden - und nicht nur die nach Artikel VII. Dies ist billiger Vulgärpazifismus. Den Gedanken, dass man sich durch ein Nichteingreifen ebenso schuldig machen kann wie durch ein Eingreifen, lässt DIE LINKE gar nicht erst zu. Man kann Konflikte nicht allein mit diplomatischen Mitteln auf Distanz halten. Man kann grobe Menschenrechtsverletzungen nicht allein mit starken Worten bekämpfen. Manchmal ist dazu Militär nötig. Oder wenigstens die Drohung mit Militär.

Wie geht man beispielsweise mit Völkermord um, wenn dieser quasi  unter dem Schutz der UN-Charta stattfindet, weil sich der UN-Sicherheitsrat als entscheidungs- und handlungsunfähig erweist? Hier macht es sich DIE LINKE zu einfach. Die UN-Charta verkörpert eben nicht die beste Ordnung aller Welten. Sie ist nach wie vor ausgelegt auf die Nationalstaaten als einzig relevante Völkerrechtssubjekte. Deshalb sollte man sich über den Charakter der Vereinten Nationen keinen Illusionen hingeben. Sie sind eben nur theoretisch ein weltweites "System Kollektiver Sicherheit", de facto aber  bisher in erster Linie ein Konzert der Groß- und Vetomächte.

Zugleich hat die Partei DIE LINKE durchaus Recht, dass angesichts des möglichen Missbrauchs von "humanitären Interventionen" das Insistieren auf die Einhaltung rechtlicher Verfahren alles andere als reiner Formalismus, sondern unabdingbare Voraussetzung für ein internationales Rechtssystem ist. Die Durchsetzung der Herrschaft des Rechtes und die Sicherung von humanitären Einsätzen der Hilfsorganisationen durch UN-Einsätze sind für die Stärkung des Friedens und die Stärkung der Menschenrechte in bestimmten Fällen unverzichtbar. Wer, wie DIE LINKE, auch friedenserhaltenden Einsätzen der Vereinten Nationen ausnahmslos die Unterstützung versagt, verabschiedet sich aus einer verantwortlichen Außenpolitik, die Frieden und Menschenrechte zum Ziel hat. Er kann außenpolitisch keine Verantwortung übernehmen.
Seit 2002 wurden knapp 600 zivile Fachkräfte im Auftrag des Auswärtigen Amtes in Friedenseinsätze der Europäischen Union und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entsandt. Das sind nicht einmal 50 pro Jahr. Der Zivile Friedensdienst hat seit 1999 rund 900 Friedensfachkräfte in über 50 Länder geschickt. 255 Polizisten/-innen sind derzeit in 13 internationalen Missionen tätig. Stellt man diesen "zivilen" Zahlen die Einsatzkontingente der Militärmissionen gegenüber, so ergibt sich ein groteskes Ungleichgewicht. Wenn wir so viel Geld in zivile Krisenprävention stecken würden wie in Auslandseinsätze der Bundeswehr, wäre die Welt vermutlich friedlicher. Darüber, dass hier dringend eine neue Gewichtung vorgenommen werden müsste, sind sich LINKE, Grüne und SPD im Grundsatz einig. Eine Mitte-Links Regierung würde anders als eine Regierung mit der Union eine Kultur der militärischen Zurückhaltung bei einer gleichzeitigen Stärkung ziviler Maßnahmen verfolgen.

Sicherheitspolitik umfasst ein breites Spektrum von staatlichen Instrumenten, von der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe über die klassische Diplomatie und die Nachrichtendienste bis hin zum Katastrophenschutz und den Einsatz von Streitkräften. Im jetzigen Koalitionsvertrag sind diese Herausforderungen auch benannt: Stärkung der Vereinten Nationen und der friedenserhaltenden Maßnahmen nach Kapitel VI, Ausbau der zivilen Krisenprävention, Aufbau einer effektiveren internationalen Polizei sowie die Weiterentwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit gehören ebenso dazu wie Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie die Schutzverantwortung bei schweren Menschenrechtsverletzungen. Deutschland will sich deshalb für die Reform der Institutionen der internationalen Ordnung einsetzen. Insbesondere die Vereinten Nationen müssen effektiver werden. Wer ein militärisches Engagement für notwendig hält, muss zudem seine Gründe, Ziele, Einsatz- und Exit-Optionen genau definieren. Gleichzeitig wollen wir den zivilen Friedensdienst und die deutsche Friedensforschung fördern, präventive Rüstungskontrolle ermöglichen und den Rüstungshandel einschränken und besser kontrollieren.

Eine effektive Außen- und Sicherheitspolitik muss darüber hinaus nicht nur ressortübergreifend vernetzt werden, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert und eingebunden sein. Außenpolitik ist in erster Linie zivile Krisenprävention, Ursachenbekämpfung und Konfliktbewältigung unter Einschluss der Entwicklungszusammenarbeit. Zudem gilt auch, dass gegen die Interessen und Ziele der eigenen Gesellschaft Außenpolitik nicht durchführbar ist. Zumindest in Demokratien muss Außenpolitik nicht nur die Öffentlichkeit beachten sondern auch die Mitsprache- und Mitwirkungsrechte der Parlamente.    

 Mit ihrer generellen Ablehnung aller Militäreinsätze glaubt sich die LINKE mit der Mehrheit der Deutschen einig. Die Deutschen lehnen Militäreinsätze als ultima ratio jedoch nicht generell ab. Sie wollen nur, dass diese ohne deutsche Beteiligung stattfinden. Für die meisten LINKEN bleibt eine rot-rot-grüne Koalition nur dann denkbar, wenn SPD und Grüne eine grundsätzliche Ablehnung von Auslandseinsätzen beschließen würden. Damit legen sie die Latte so hoch, dass man bequem darunter durch gehen kann.

Nichtsdestotrotz: Die notwendige Diskussion, wann und ob militärische Beteiligungen im Rahmen von Beschlüssen der Vereinten Nationen sinnvoll sind und zur Friedenssicherung beitragen, muss weitergeführt werden.

Fazit und Ausblick

Bislang ist außenpolitische Verantwortung für die LINKE stets die Verantwortung der anderen. Es gibt keine gemeinsame Gesellschaftskonzeption und ideologische Verortung. SPD und Grüne sehen sich als Teil jener Ordnung die nach den beiden Weltkriegen in Deutschland endlich Fuß gefasst hat, zu der die Linkspartei in Opposition steht. In der Ukraine-Krise sind die Gegensätze offen ausgebrochen. Wie einst die SPD, die Grünen wird auch die Linkspartei sowohl ihren Frieden mit der NATO machen müssen als auch mit den völkerrechtlichen Festlegungen und der Verankerung im europäischen Institutionengefüge. Sozialdemokraten und Grüne werden nicht bereit sein, sich von Wagenknecht und Co. ins bündnispolitische Nirwana führen zu lassen.

Hinzu kommt, dass der Realoflügel der Grünen, linke LINKE und Teile der SPD gemeinsam gegen ein Rot-Rot-Grünes Bündnis arbeiten, weil die einen lieber mit der Union regieren wollen und die anderen gar nicht. So oder so: Für ein Bündnis nach der nächsten Bundestagswahl müsste die LINKE ihr Programm stark entideologisieren. Fraglich ist, ob sie das kann, und ob sie es will.

Aber auch CDU/CSU und SPD befinden in einem strategischen Dilemma. CDU und CSU wollen vor allem eins: den Regierungschef stellen, egal mit welchem Partner. Grüne und AFD böten sich als mögliche Alternativen an. Wenn die Grünen vor der Wahl Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün stehen, ist noch lange nicht sicher, dass sie sich dann für Rot-Rot-Grün entscheiden werden. Die Union hat bereits bei den Sondierungsgesprächen 2013 deutlich gemacht, dass sie einer Schwarz-Grünen Koalition durchaus aufgeschlossen gegenüber steht. Sollte es nach der Bundestagswahl 2017 abermals zu einer Patt-Situation kommen, dürfte die Sollbruchstelle etwaiger zukünftiger Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und der LINKEN in der Außenpolitik liegen. Eine rot-grün-rote Regierungskoalition scheint derzeit genauso unwahrscheinlich wie ein Außenminister der LINKEN in einer solchen - auch wenn manche argumentieren, dass eine Regierungsbeteiligung der LINKEN, wie damals auch bei Bündnis 90/Die Grünen, in der Außenpolitik jenen Realitätsschock bescheren würde, den sie bei ihren Regierungsbeteiligungen in den Ländern bereits bei der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik erleben mussten.

Während es linke Mehrheiten in der Familien- und Gesellschaftspolitik bereits gibt und in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zumindest viele Übereinstimmungen zu beobachten sind, ist eine solche Mehrheit auf dem Feld der Außen- und Sicherheitspolitik leider auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Deshalb ist derzeit eine rot-rot-grüne Regierungskoalition in der nächsten Legislaturperiode äußerst unwahrscheinlich. Dies ist bedauerlich. Allerdings sind drei Jahre in der Politik eine Ewigkeit. Noch hat die LINKE Zeit, ihre außenpolitischen Positionen zu überdenken. Und wer weiß: Vielleicht werden in der Rückschau die fünf Ja-Stimmen bei der Abstimmung über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen einmal als Wendepunkt hin zu einer verantwortungsvollen Außenpolitik der LINKEN gelten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. SPD, Grüne und LINKE sollten jedenfalls im Gespräch bleiben und die Gemeinsamkeiten ausloten ohne dabei die Unterschiede zu verschweigen. Messlatte muss bleiben: Es gibt keine "fortschrittsfeindliche" oder "fortschrittliche", sondern nur eine kluge Außenpolitik jenseits der Klischees mit Augenmaß und Verstand.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Gemeinsamkeiten, Hindernisse und Unterschiede
Veröffentlicht: 
In: Paul Schäfer (Hrsg.), In einer aus den Fugen geratenen Welt, Hamburg 2014, S. 228-238.