Zehn Thesen zur unverminderten Relevanz von Abrüstung und Rüstungskontrolle

Rüstungskontrolle und Abrüstung - viele assoziieren diese Begriffe immer noch mit einer längst vergangenen Zeit, mit Gipfeltreffen der Supermächte in Wien und Reykjavik und der KSZE-Schlussakte von Helsinki. Es sind aber immer noch und wieder ganz aktuelle Themen. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind Kernpunkte sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik. Während der Entspannungs- und Ostpolitik waren sie Instrumente der Krisenbewältigung und Plattform für einen institutionalisierten Dialog zwischen unterschiedlichen politischen Systemen und Weltanschauungen.

Nach einem Jahrzehnt der Abrüstung, das 1987 mit dem INF-Vertrag begann und 1997 mit der Chemiewaffenkonvention endete, steigen die Militärausgaben seit 1998 wieder deutlich an. Laut SIPRI-Jahrbuch 2007 wurden im Jahr 2006 ca. 900 Milliarden Euro weltweit für militärische Zwecke ausgegeben - 3,5 Prozent mehr als 2005. In den letzten zehn Jahren sind die Rüstungsausgaben damit weltweit um 37 Prozent gestiegen. Die USA liegen dabei mit großem Abstand an der Spitze: Auf sie entfallen mit 396,2 Milliarden Euro, 42 Prozent der globalen Rüstungsausgaben. Auch beim internationalen Waffenhandel ist seit 2002 ein Anstieg um 50 Prozent zu verzeichnen.

Fast 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges lagern weltweit immer noch gut 32.000 nukleare Sprengköpfe. Die mehrfache Vernichtungskapazität der Menschheit hat sich seit 1989 also nur unwesentlich verringert. Dafür ist die Verbreitung (Proliferation) der Massenvernichtungswaffen brisanter geworden. Und in den Planungsstäben der Großmächte erlebt die Atombombe eine strategische Renaissance. Nahezu unbemerkt von der Weltöffentlichkeit befinden sich die führenden Militärmächte wieder längst in einem neuen atomaren Rüstungswettlauf, der dringend gestoppt werden muss.

Fakt ist: Abrüstung und Rüstungskontrolle befinden sich heute in einer tiefen - vielleicht sogar existenziellen - Krise. Hat Rüstungskontrolle somit als Instrument der Gestaltung der internationalen Beziehungen ausgedient? Eindeutig nein! Es  führt jedoch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass wesentliche rüstungskontrollpolitische Errungenschaften in Gefahr sind, von denen nicht zuletzt Europa bisher erheblich profitiert hat. Weder der angepasste KSE-Vertrag (AKSE), noch der atomare Teststoppvertrag (CTBT) sind in Kraft. 2005 scheiterte die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Auch die zunehmende Verbreitung von Raketensystemen gibt Anlass zu großer Sorge.

Die Diagnose ist somit eindeutig: Das gesamte System internationaler Beziehungen und Verträge, das die Weiterverbreitung von Waffen verhindern soll, ist akut einsturzgefährdet. Es stammt noch aus einer Zeit der "Übersichtlichkeit", nämlich des Kalten Krieges. Dabei war auch das atomare "Gleichgewicht des Schreckens" beileibe nicht so stabil und ungefährdet, wie es im Nachhinein scheinen mag. Laut dem Bulletin of Atomic Scientists gab es in den vergangenen Jahrzehnten vier nukleare Fehlalarme. 1979, 1980, 1983 und 1995 hatten demnach entweder die USA oder Russland die Finger gefährlich nah am Abzug. Der Ost-West-Konflikt war zudem eine zeitlich begrenzte Ausnahmesituation. Hier trafen zwei seltene Dinge zusammen: militärisches Gleichgewicht und Rationalität der politischen Führer. Von beidem kann heute keine Rede mehr sein. Heute treten Regionalmächte auf den Plan, die ihre Machtinteressen ohne jegliche Einordnung in ein Ost-West-Schema verfolgen.  Zwar hat die Gefahr eines "nuklearen Weltkrieges" abgenommen, gleichzeitig treten aber an die Stelle dieser klar zu bestimmenden Bedrohung bisher unbekannte Gefahren für die internationale Sicherheit: schwache und instabile Staaten, die mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet sind, oder nicht-staatliche Akteure, die immer mehr an Bedeutung gewinnen. Mit der Überwindung des Kalten Krieges scheint auch weitgehend das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Erhalts des geschaffenen Rüstungskontroll-Acquis wie auch weiterer Anstrengungen im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle verloren gegangen zu sein. Dabei sind es weiterhin die bestehenden multilateralen Verträge, die die Grundlage für eine kooperative Sicherheitsordnung darstellen.

Mit den folgenden zehn Thesen - bei denen es sich im Grunde um einen Maßnahmenkatalog mit konkreten Vorschlägen handelt - soll begründet werden, warum Abrüstung und Rüstungskontrolle nach wie vor unabdingbar für die Gestaltung einer friedlichen Weltordnung bleiben. Wenn sie konsequent angewandt werden, können sie die Zusammenarbeit und das friedliche Zusammenleben stärken. Voraussetzung dafür ist und bleibt allerdings der politische Wille, an dem es in den vergangenen Jahren ganz offensichtlich gemangelt hat.

1. Die Krise des atomaren Nichtverbreitungsregimes überwinden

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden Kernwaffen nicht mehr als letztes Mittel der Abschreckung gesehen, sondern zunehmend wieder als Kriegsführungswaffen. Mit der fortwährenden Modernisierung ihrer Arsenale stellen nicht nur die USA, sondern auch Russland, China, Frankreich und Großbritannien die Abrüstungsverpflichtung aus Art. VI des Atomwaffensperrvertrages (NPT) in Frage und rücken von dem durch die Überprüfungskonferenz 2000 im Konsens verabschiedeten 13 Punkte-Aktionsplan für nukleare Abrüstung ab. Trotz gegenteiliger Bekenntnisse im UN-Sicherheitsrat sind immer weniger Kernwaffenstaaten bereit, Zusicherungen des Nichteinsatzes abzugeben und behalten sich weiterhin das Recht vor, diese auch präventiv einzusetzen. Statt dem im Atomwaffensperrvertrag festgehaltenen Ziel einer "nuklearwaffenfreien Welt" droht eine "Renuklearisierung" der Weltpolitik. Wir brauchen deshalb dringend neue Impulse bei der nuklearen Abrüstung. Ein Scheitern der NPT-Überprüfungskonferenz 2010 muss verhindert werden. Die 13 Punkte enthalten die notwendigen Maßnahmen für weitere Schritte im Bereich der nuklearen Abrüstung. Dazu gehören das rasche Inkrafttreten des Atomteststopp-Abkommens (CTBT), die Aufnahme von Verhandlungen über ein Verbot von spaltbarem Material für Waffenzwecke (FMCT) sowie die Mahnung an die fünf offiziellen Atommächte ihre Abrüstungsverpflichtung umzusetzen. (Artikel VI des NPT) Das multilaterale Vertragssystem wird weiter erodieren, wenn bestimmte Staaten oder Staatengruppen Vertragspflichten und -rechte einseitig zu ihren Gunsten interpretieren. Nordkorea und Iran jedenfalls haben aus dem Irakkrieg die Lehre gezogen, dass es die beste Versicherung gegen eine US-Invasion ist, möglichst rasch selbst zur Atommacht aufzusteigen. Schnell könnten die Atomprogramme dieser beiden Problemländer eine verheerende Kettenreaktion auslösen. Japan und Südkorea werden kaum untätig zusehen und auch die sunnitischen Herrscher Saudi-Arabiens und Ägyptens dürften es kaum in Kauf nehmen, dass sich der schiitische Iran mit Atomraketen zur unangefochtenen Regionalmacht aufschwingt. Während sich in der nordkoreanische Atomkrise eine Entspannung abzeichnet, ist die Krise um das iranische Atomprogramm davon noch weit entfernt.

2. Die Abrüstungsverpflichtung des Atomwaffensperrvertrages erfüllen

Die fünf durch den Atomsperrvertrag anerkannten Kernwaffenstaaten (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA) verfügen nach wie vor über schätzungsweise 12.000 einsatzbereite Nuklearwaffen. Zählt man sämtliche Atomsprengköpfe (also auch solche, die in Reserve gehalten werden), dann besitzen diese fünf Staaten rund 32.000 Stück. Die strategischen Nuklearwaffen, mit denen die Supermächte während des Kalten Krieges einander den multiplen atomaren Overkill garantierten, sind heute jedoch so gut wie bedeutungslos. Jeder Rest-Abschreckungszweck wäre durch ein paar hundert Bomben abgedeckt. Es ist dabei durchaus ein abrüstungspolitischer Fortschritt, dass die USA und Russland seit 1990 die Zahl ihrer Atomsprengköpfe drastisch reduziert haben. Weitere Schritte sind jedoch nötig. So läuft am 5. Dezember 2009 der START-Vertrag von 1991 aus, der die Reduzierung der strategischen Raketen beider Seiten um ein Drittel auf maximal 6.000 vorsieht. Falls keine Nachfolgeregelung gefunden würde, entfiele die einzige noch gültige Rechtsbasis für die Inspektion der Arsenale beider Atommächte. Bis Ende 2008 muss nun entschieden werden, ob der Vertrag durch einen neuen ersetzt, modifiziert oder um weitere fünf Jahre verlängert werden soll.  Darüber hinaus haben im Jahr 2002 der amerikanische und der russische Präsident den Moskauer Abrüstungsvertrag (SORT) geschlossen. Dieser sieht bis zum Jahr 2012 die Reduzierung der Zahl der strategischen Gefechtsköpfe auf je 1.700 bis 2.200 vor. Der Vertrag hat allerdings mehrere Pferdefüße: Die abgerüsteten Gefechtsköpfe müssen nicht zerstört, sondern nur eingelagert werden. Nach Auslauf des Vertrages 2012 dürften somit theoretisch alle eingelagerten Gefechtsköpfe wieder stationiert werden. Zudem gibt es während dieser zehn Jahre jederzeit ein Rücktrittsrecht innerhalb von 90 Tagen. Auch der SORT-Vertrag ist also ein immer noch viel zu zaghafter Schritt in die richtige Richtung.

3. Für eine Null-Lösung bei den taktische Nuklearwaffen

Während man über den vermeintlichen Nutzen von strategischen Nuklearwaffen trefflich streiten kann, sind sich eigentlich alle Experten darüber einig, dass die taktischen Nuklearwaffen nach Ende des Ost-West-Konflikts keinerlei sicherheitspolitische Bedeutung mehr haben. Es geht dabei nicht nur um die wenigen Atomwaffen, die noch in Deutschland lagern, sondern um die taktischen Kernwaffen insgesamt. In zwei Artikeln hat u.a. Amerikas früherer Außenminister Henry Kissinger (Wall Street Journal vom 4.1.2007 und 15.1.2008) die Führer der Welt dazu aufgerufen, schnellstens alle taktischen Atomwaffen abzuschaffen, wenn sie keinen nuklearen Schlagabtausch riskieren wollten. Die neue nukleare Ära drohe »prekärer, psychologisch verwirrender und wirtschaftlich sogar noch teurer« zu werden als der Kalte Krieg. Die Unterzeichner des Artikels sind vier Politiker, die über jeden Verdacht pazifistischer Blauäugigkeit erhaben sind. Neben Kissinger gehören William Perry, George Schultz und Sam Nunn zu den Unterzeichnern. Der Appell enthält acht konkrete Vorschläge. Sie reichen von einer parteiübergreifenden Initiative im Kongress zur Ratifizierung des umfassenden atomaren Teststoppvertrages (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) bis zur weltweiten Kontrolle der Urananreicherung und zur globalen Beendigung der Herstellung von waffenfähigem spaltbarem Material. Die vier Elder Statesmen fordern darüber hinaus eine wesentliche Reduzierung der Nuklearwaffen, die vollständige Beseitigung aller atomaren Kurzstreckenraketen sowie die Ratifizierung des Teststoppabkommens.

4. Die Weiterentwicklung der Biowaffenkonvention vorantreiben

Die Verwendung biologischer (bakteriologischer) Waffen wurde bereits 1925 durch das Genfer Giftgasprotokoll verboten, einem internationalen Abkommen, das auch den Einsatz bakteriologischer Mitteln im Krieg untersagt. Das 1972 unterzeichnete und 1975 in Kraft getretene Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und toxischer Waffen und ihre Vernichtung -  kurz: Biowaffenübereinkommen (Biological Weapons Convention/BWC) - wurde bisher von 167 Staaten unterzeichnet und durch 151 Staaten ratifiziert, darunter alle NATO-Mitglieder sowie Russland, und damit - jedenfalls auf dem Papier - akzeptiert. Syrien und Ägypten haben das Übereinkommen zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Israel hat es nicht einmal unterzeichnet. Im Gegensatz zum Chemiewaffenübereinkommen fehlt im BWC nach wie vor ein effektives Überprüfungs- und Kontrollsystem, das bislang am Widerstand der USA scheiterte. Ein wichtiger Bestandteil eines solchen Systems sind Inspektionen, die im Verdachtsfall schnell und mit umfassenden Rechten ausgestattet am Ort des Normverstoßes durchgeführt werden. Solange es ein solches Kontrollsystem nicht gibt, bleibt das Biowaffenübereinkommen ein zahnloser Tiger, ein Vertrag, der eine Rechtsnorm festschreibt, diese aber nicht durchzusetzen vermag.  Daran konnte auch die Überprüfungskonferenz 2006 nichts ändern. Immerhin beschloss man im Schlussdokument ein anspruchsvolles Arbeitsprogramm zur Stärkung des BWÜ auf dem Weg zur nächsten Überprüfungskonferenz im Jahr 2011 sowie zusätzliche Maßnahmen zur weiteren Umsetzung und fortgesetzten Universalisierung des Übereinkommens.

5. Wege aus der Blockade der Genfer Abrüstungskonferenz suchen

Es steht zu befürchten, dass das Trauerspiel Genfer Abrüstungskonferenz auch 2008 in die nächste Runde gehen wird. Ende 2007 ist die jährliche UN-Abrüstungskonferenz nach fast achtmonatiger Dauer wieder einmal ohne Ergebnis beendet worden. Damit geht die Totalblockade ins mittlerweile 11. Jahr.

Die Abrüstungskonferenz ist seit der Verabschiedung des Abkommens über ein Verbot von Atomwaffentests von 1996 blockiert, weil unvereinbare Interessengegensätze jede Bewegung verhindern. Die Teilnehmer konnten sich zum wiederholten Male noch nicht einmal auf eine Tagesordnung einigen. Die USA weigern sich nach wie vor über eine Reduzierung von Atomwaffen sowie über eine Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum überhaupt zu verhandeln. Im Gegenzug lehnen die Entwicklungsländer Gespräche über ein Verbot der Herstellung von atomwaffenfähigem Material ab. Die Beratungen sollen Anfang 2008 wieder aufgenommen werden und dürften - so steht zu befürchten - Ende diesen Jahres wiederum ergebnislos abgebrochen werden. Einige Regierungen reduzieren bereits ihre Delegationen, um angesichts permanenter Untätigkeit wenigstens Kosten zu sparen. Die Stagnation ist ein weiteres Symptom für die tiefe Krise, in der sich die Rüstungskontrolle seit Jahren befindet.

Die Genfer Abrüstungskonferenz, immerhin das weltweit einzige ständig tagende Verhandlungsforum zu Fragen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, droht zunehmend zur Farce zu werden. Dabei wurden in Genf in den 70er und 80er Jahren nicht weniger als sieben internationale Verträge für die unterschiedlichsten Abrüstungsbereiche ausgehandelt. Es bedarf dringend einer Wiederbelebung dieses nach wie vor wichtigen Forums, um sich vermehrt für die globale Rüstungskontrolle einzusetzen und vor allem im Verifikationsbereich eigene Beiträge zu leisten. Dazu aber braucht es den politischen Willen zur Abrüstung bei den Regierungen aller Staaten.
 
6. Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen verbessern, Streumunition verbieten

Hier sollten die vorhandenen Ansätze im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Vereinten Nationen weiter verfolgt und intensiviert werden. Nach wie vor gilt: Kleinwaffen sind die wahren Massenvernichtungswaffen. In Afghanistan und in Zentralafrika sterben ungezählte Opfer an Geschossen aus alten, gebrauchten Kalaschnikows, Uzis oder G3-Gewehren. Nach Schätzungen werden jedes Jahr eine halbe Million Menschen durch Kleinwaffen getötet, davon 300.000 in bewaffneten Konflikten vor allem im Afrika südlich der Sahara und in Asien. Jedes Jahr werden mehrere Millionen Kleinwaffen produziert. Laut Jahresbericht des Schweizer Projekts "Small Arms Survey" sind derzeit mindestens 875 Millionen Kleinwaffen, also Pistolen, Gewehre und auch tragbare Panzerfäuste im Umlauf. Waffen, die nach der Auflösung der sowjetischen und anderen Armeen nach 1989 in Massen verschwunden sind. Auch hier scheitert eine wirksame (Export-)Kontrolle von Kleinwaffen bislang am Widerstand der Waffenlobby wichtiger Länder wie Russland, China und den USA.

Ein weiteres wichtiges Ziel bleibt die völkerrechtliche Ächtung von Streumunition. Auch hier haben zivilgesellschaftliche Organisationen maßgeblich dazu beigetragen, dass man im Rahmen des sogenannten Oslo-Prozesses im vergangenen Jahr ein ganzes Stück vorangekommen ist. Ziel für 2008 muss nun sein, die internationalen Verhandlungen zur Ächtung von Streumunition durch ein verbindliches Abkommen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

7. Stärkung der multilateralen Vertragsregime durch bessere Verifikation, Stärkung der Exportkontrollregime sowie Ausbau der internationalen Zusammenarbeit

Hierzu gehören unangemeldete Vor-Ort-Inspektionen, der Einsatz neuer Überwachungstechnologien und der Aufbau von qualifizierten unparteiischen Inspektorenteams. Im Rahmen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ist darauf hinzuarbeiten, dass alle NPT-Mitglieder umfassende Safeguards-Abkommen und Zusatzprotokolle abschließen und diese zügig in Kraft setzen. Das Recht der IAEA auf Sonderinspektionen auch von nicht-deklarierten Anlagen muss gestärkt und ausgebaut werden. Auch das Programm zum Abbau von Bedrohungen durch atomare, chemische und biologische Waffen (Cooperative Threat Reduction Agreement), die Initiative zum weltweiten Abbau von Bedrohungen (Global Threat Reduction Initiative) und die Initiative zur Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation Security Initiative) sind ebenso wie die Zusatzprotokolle zum Atomwaffensperrvertrag innovative Ansätze und neue wirkungsvolle Mittel, gegen die Verletzung des Atomwaffensperrvertrages und zur Erhöhung der globalen Sicherheit. Anstelle einer Koalition der Willigen wäre eine vollständige Kodifizierung, Institutionalisierung und Umsetzung sinnvoller. Die EU sollte konsequent ihre Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen von 2003 umsetzen, die ebenfalls auf eine bessere Einhaltung des multilateralen Vertragssystems abzielt.

Ein weiterer innovativer Ansatz sind verschiedene Vorschläge zur Internationalisierung des Brennstoffkreislaufes. Damit sollen die Versorgung aller interessierten Staaten mit nuklearem Brennstoff zur Energiegewinnung sichergestellt und gleichzeitig die Risiken der Verbreitung nuklearer Waffen gesenkt werden. Ein Vorschlag von Bundesaußenminister Steinmeier sieht u.a. vor, dass die IAEA ein Sondergebiet zur Verwaltung erhält. Dort soll auf kommerzieller Basis eine Urananreicherungsanlage errichtet werden. Der IAEA obliegt die alleinige Verantwortung für die Exportkontrolle von nuklearem Brennstoff aus diesem Gebiet. Über die genaue Ausgestaltung der verschiedenen Vorschläge wird derzeit in Wien verhandelt.

Auch die internationalen Rüstungsexportkontrollregime müssen dringend gestärkt und weiterentwickelt werden. Im Rahmen der EU sollte die Bundesregierung für eine möglichst restriktive, einheitliche und transparente Rüstungsexportpolitik sowie eine stärkere Verbindlichkeit des "Code of Conduct" eintreten.

8. Für eine wirksame Kontrolle von Trägertechnologien

Entwicklung, Erwerb, Besitz und Weitergabe von militärischer Trägertechnologie sind bislang nicht durch völkerrechtliche Verbots- bzw. Nichtverbreitungsnormen geregelt und auch das Exportkontrollregime "Missile Technology Control Regime" (MTCR) ist in seiner Wirksamkeit beschränkt. Die Raketenproliferation hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen und birgt ernsthafte Risiken für die Stabilität und Sicherheit der betroffenen Regionen. Mit der Unterzeichnung des "Haager Verhaltenskodex gegen die Proliferation ballistischer Raketen" am 25. November 2002 wurde ein erster Schritt unternommen, um diese Lücke zu schließen. Diese Initiative muss fortentwickelt werden. Auch hier gibt es beunruhigende Entwicklungen. So hat Russland seine Mitgliedschaft im November 2007 ausgesetzt hat, weil die USA bislang ihren Notifizierungspflichten nicht nachgekommen sind.

9. Die Krise des KSE-Vertrages überwinden

Die jüngste Entwicklung zum KSE-Vertrag zeigt, dass die akute Gefahr besteht, dass ein weiteres ausgefeiltes Instrumentarium in Bereich der konventionellen Rüstungskontrolle ohne Not aufs Spiel gesetzt wird. Der 1990 geschlossene KSE-Vertrag zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt gehört zu den wichtigsten Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle. Er begrenzt die Zahl der Waffensysteme vom Ural bis zum Atlantik und ermöglicht umfangreiche und regelmäßige gegenseitige Inspektionen. Hintergrund der russischen Aussetzung ist der Streit um die amerikanischen Raketenabwehrpläne und die ausstehende Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrags (AKSE) von 1999 durch die NATO-Staaten. Der Westen macht dies bislang von einem Abzug russischer Truppen aus den früheren Sowjetrepubliken Moldawien und Georgien abhängig. Die Aussetzung des KSE-Vertrags bedeutet nicht den endgültigen Ausstieg Russlands aus dem Abrüstungsabkommen. Allerdings friert Russland alle seine Verpflichtungen vorläufig ein. So wird Russland die NATO nicht mehr über Truppenbewegungen und -manöver informieren und auch keine Inspektionen mehr zulassen. Auch wenn man in Moskau betont, dass die Entbindung Russlands von seinen Vertragspflichten keine automatische Aufrüstung der russischen Streitkräfte an der Westgrenze bedeute, stürzt Russland das KSE-Regime damit in eine tiefe Krise. Es muss nun alles dafür getan werden, den angepassten KSE-Vertrag (AKSE) zu ratifizieren und das KSE-Regime zu retten. Dazu bedarf es der Bewegung auf allen Seiten und die Fortsetzung des von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Bad Saarow begonnenen konstruktiven Dialogs. Die dort erwogene Möglichkeit eines schritt weisen parallelen Ratifizierungsprozesses des AKSE bei konsequenter gleichzeitiger Erfüllung der Istanbuler Verpflichtungen seitens Russlands könnte einen Ausweg aus der Krise aufzeigen. Es liegt im Interesse Deutschlands und Europas, dass Russland wieder in das KSE-System eingebunden wird und der KSE-Vertrag als zentrales Element der rüstungskontrollpolitischen Vertrauensbildung in Europa erhalten bleibt.

10. Regionale Initiativen in Gang bringen

Im Nahen Osten und in Südasien sollten nukleare Abrüstungsinitiativen in die Wege geleitet werden, die zur Schaffung kernwaffenfreier Zonen in diesen Regionen führen, wie es sie bereits in Mittel- und Lateinamerika, in Afrika, im Südpazifik, in Südostasien und jüngst in Zentralasien gibt. Im Falle des geplanten indisch-amerikanischen Nuklearabkommens sollte Deutschland im Rahmen der "Nuclear Suppliers Group" darauf drängen, dass Indien die Abrüstungsverpflichtung von Artikel VI des NPT-Vertrages anerkennt, den Atomteststoppvertrag unterzeichnet und ein verbindliches Moratorium für die Produktion waffenfähiger Spaltmaterialien erklärt.

Auch im Rahmen der NATO müssen Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder stärker in den Fokus genommen werden. Deshalb ist die Initiative von Außenminister Steinmeier und seinem norwegischen Kollegen Store im Rahmen des NATO-Außenministertreffens in Brüssel am 07. Dezember ein wichtiges und richtiges Signal. Es ist in der Tat dringend notwendig, dass sich das mächtigste Militärbündnis der Welt wieder verstärkt mit Abrüstung und Rüstungskontrolle beschäftigt und seinen Beitrag dazu leistet. Zumal die Allianz damit an eine gute und erfolgreiche Tradition anknüpft. Auch in der Vergangenheit hat die NATO neben der militärischen Abschreckung immer auch die Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit angeboten, sei es im Harmel-Bericht von 1967, in der Londoner Erklärung von 1990 oder im strategischen Konzept von 1999. Der NATO-Russland-Rat, der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat, die NATO-Ukraine-Charta, die Partnerschaften für den Frieden und der NATO-Mittelmeerdialog dokumentieren eindrücklich die Bemühungen des Bündnisses um Zusammenarbeit und Kooperation. Mit der deutsch-norwegischen Abrüstungsinitiative wird nun angestrebt, bis zum NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 konkrete Rüstungskontroll- und Abrüstungsziele zu benennen und die bislang noch skeptischen Partner USA und Frankreich mit einzubinden. Es bleibt zu hoffen, dass mit der Abrüstungsinitiative nicht nur das rüstungskontrollpolitische Profil der NATO gestärkt wird, sondern darüber hinaus die Rüstungskontrolle insgesamt aus der Sackgasse geholt und die rüstungskontrollpolitischen Errungenschaften bewahrt werden können.

Eine weitere wichtige Initiative ist die "Globale Partnerschaft", die 2002 auf dem Kananaskis-Gipfel der G 8 in Kanada durch den ehemaligen Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin initiiert wurde. Sie leistet einen Beitrag zur Reduzierung nuklearer, chemischer, biologischer und radiologischer Proliferationsrisiken in Russland. Dazu gehören die Vernichtung chemischer Waffen, die Entsorgung russischer U-Boote und die Sicherung von Spaltmaterial. Bis zum Jahr 2012 soll dafür ein Gesamtbetrag von bis zu 20 Milliarden USD eingesetzt werden.

11. Resümee

Wie der thesenartige und keineswegs vollständige Überblick verdeutlicht, müssen Abrüstung und Rüstungskontrolle dringend wieder zu einem Ordnungsprinzip der internationalen Beziehungen gemacht werden. In den vergangenen Jahrzehnten hat diese Strategie die Welt sicherer gemacht. Während des Ost-West-Konflikts trug Rüstungskontrolle maßgeblich zur Kriegsverhütung und Vertrauensbildung bei. Sie schuf die Voraussetzung für Kooperation und Wandel. Die Begrenzung und der Abbau der strategischen Kernwaffen, die Vernichtung sämtlicher Mittelstreckenraketen, der Nicht-Weiterverbreitungsvertrag, das Chemiewaffenabkommen, die Bio-Waffen-Konvention und die Beschränkung der konventionellen Rüstung in Europa sind nur einige wenige, wichtige Beispiele. Mit der Umsetzung des Verbots von Anti-Personen-Minen und der Kampagne gegen die Verbreitung von Kleinwaffen und jüngst der Ächtung von Streumunition betrat ein weiterer wichtiger Akteur die Bühne der Rüstungskontrolle: Ohne die so genannten Nicht-Regierungsorganisationen wäre das Landminen-Abkommen von Ottawa niemals in Kraft getreten. All dies zeigt: Rüstungskontrolle ist kein "überholtes Konzept", sondern angesichts neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen notwendiger denn je.

Darüber hinaus sollte man sich keine Illusionen darüber machen, dass es auch künftig Möglichkeiten geben wird, Rüstungskontrollverträge und die darin enthaltenen Kontroll- und Überprüfungsmechanismen zu umgehen bzw. zu unterlaufen. Gleichwohl gibt es zur vertragsbasierten und verifizierbaren Rüstungskontrolle nur eine Alternative. Ein weltweites nukleares, chemisches und biologisches Wettrüsten. Ein solches kann auch nicht im Interesse der USA liegen. Die Risiken, die aus der Trias der Bedrohung von transnationalem Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und zerfallenden Staaten resultieren, sind jedenfalls mit nachrichtendienstlichen, rüstungskontrollpolitischen und polizeilichen Instrumentarien wirksamer zu bekämpfen als durch militärische Interventionen.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Zur Zukunft der Rüstungskontrolle
Veröffentlicht: 
Internationale Politik und Gesellschaft, 2/2008, S. 157-168.