Vordemokratisch und intransparent
SPD-Politiker Rolf Mützenich wirft der Bundesregierung einen verantwortungslosen Umgang mit dem Thema Waffenexport vor und fordert ein Ende des Aufrüstens am Golf - und ein neues Rüstungsexportgesetz.
Die neusten Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI sind eindeutig: Deutschland ist zum drittgrößten Waffenexporteure weltweit aufgestiegen und belegt nun schon im zweiten Jahr in Folge Platz drei hinter den USA und Russland.
Eine besonders beliebte Exportregion bleibt der Nahe Osten, wo sich die Rüstungsausgaben in den letzten zehn Jahren verdoppelt haben. Unter der Regierung von Angela Merkel genehmigte die Bundesrepublik so viele Anfragen für Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien und in die Staaten der Golfregion wie nie zuvor. Im Jahr 2012 haben sich die Exporte in die Region mehr als verdoppelt, bester Kunde ist Saudi-Arabien, das allein 1,24 Milliarden Euro für Rüstungsgüter aus deutscher Produktion ausgab, neunmal soviel wie 2011.
Die jüngst bekannt gewordenen geplanten Panzerlieferungen nach Katar, das mit 62 modernen Leopard-2-Kampfpanzer und 24 Panzerhaubitzen beliefert werden soll, sowie weitere Rüstungs-Verträge mit Saudi-Arabien (270 Leopard-2-Kampfpanzer, 50 Marder-Schützenpanzer und Patrouillenboote) Algerien (1.200 Fuchs-Radpanzer), Israel (mehrere Atom-U-Boote), Ägypten (zwei U-Boote) und Angola (Patrouillenboote) runden das Bild ab.
Bei möglichen Waffenlieferungen in die arabische Welt schaltet die Bundesregierung gern auf Autopilot
Die Bundesregierung betrachtet Saudi-Arabien offenbar als Stabilitätsfaktor und Partner im Kampf gegen den Terrorismus, welcher nachweislich aus Saudi-Arabien mit finanziert wird. Kritisch sind Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien nicht zuletzt auch deshalb zu bewerten, weil das saudische Regime mithilft, Protestbewegungen in den Nachbarstaaten zu unterdrücken. Als vor zwei Jahren die Bevölkerung in Bahrain auf die Straße ging, schickte Saudi-Arabien Soldaten und Polizisten ? auch die Staaten des Golfkooperationsrates beteiligten sich mit Sicherheitspersonal. Zudem rangiert die absolute Monarchie im Demokratie-Index des Economist seit Jahren auf einem der letzten Plätze, nur knapp vor Nordkorea.
Man weiß deshalb nicht, ob man diese Haltung blauäugig oder zynisch nennen soll. Vermutlich ist es eine ungute Mischung aus beidem. Offensichtlich hat die Bundesregierung mit der deutschen Rüstungsindustrie einen stillschweigenden Deal geschlossen, nachdem die - nicht zuletzt als Folge der Eurokrise - sinkenden staatlichen Aufträge durch weniger Beschränkungen für Rüstungsexporte wieder wett gemacht werden können.
Ansonsten schaltet die Bundesregierung, wenn es um mögliche Waffenlieferungen in die arabische Welt geht, gern auf Autopilot, verweist auf den zuständigen Bundessicherheitsrat und hüllt sich ansonsten in Schweigen. Darüber hinaus hat die Regierung Merkel auf die zunehmende Kritik von Seiten der Presse, der Friedensbewegung aber auch aus der Bevölkerung dadurch reagiert, dass sie offenbar die Entscheidungen einfach auf den Zeitraum nach der Bundestagswahl im September verschoben hat. Der Versuch, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten, ist offensichtlich.
Nun gebietet es die politische Ehrlichkeit zuzugeben, dass Deutschland bereits unter Rot-Grün und Schwarz-Rot zu einem der wichtigsten Waffenexporteure der Welt aufgestiegen ist. Damals gab es jedoch immer auch öffentlich geäußerte Kritik und teilweise erbittert geführte interne Debatten in den Regierungsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Gleichmütigkeit mit der die Spitzen der FDP- und CDU/CSU-Fraktionen die geplanten Panzerdeals mit Saudi-Arabien und Katar schweigend hinnehmen ist ein parlamentarisches Armutszeugnis.
In der Region mangelt es nicht an Waffen, sondern an Vertrauen und politischer Kooperation
Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist offensichtlich dazu übergegangen, Rüstungsexporte mehr und mehr zu einem »normalen« Instrument ihrer Außenpolitik zu machen. Die seit 2000 bestehenden, von Rot-Grün beschlossenen »Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern« werden von der Regierung Merkel systematisch umgangen. Die bisherige, weitgehend restriktive Rüstungsexportpolitik wird zunehmend von einer politischen überlagert. Dazu gehören Waffenlieferungen an vermeintliche »Stabilitätspartner«, respektive an Regierungen, die bereit sind, gegen unliebsame »Terroristengruppierungen« vorzugehen. Oder in den Worten der Bundeskanzlerin: »Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein.«
Ob man hier tatsächlich schon von einer »Merkel-Doktrin«, die Unterstützung regionaler Sicherheitspartner mittels Waffenlieferungen vorsieht, sprechen kann, sei hier mal dahingestellt. Wie bei vielen politischen Konfliktthemen lässt die Kanzlerin letztlich offen, wofür genau sie politisch in diesem Zusammenhang steht. Fest steht, dass künftig offenbar abgewogen werden soll, ob man statt deutscher Soldaten lieber deutsche Panzer in die Welt schickt. Rüstungsexporte an sogenannte »Gestaltungsmächte« tragen jedoch nicht zur Befriedung der Region bei, sondern sind vielmehr eine Betriebsanleitung für die weitere Aufrüstung des Nahen und Mittleren Ostens. Rüstungswettläufe wiederum befördern Spannungen in einer Region, die nicht an einem Mangel an Waffen leidet, sondern an einem Mangel an Vertrauen und politischer Kooperation.
Hinzu kommt die durchaus reale Gefahr, dass die autokratischen Herrscher die gelieferten Waffen gegen die eigene Bevölkerung in Stellung bringen könnten. So rief etwa der König von Bahrain 2011 - auf dem Höhepunkt des arabischen Frühlings - saudische Truppen zur Niederschlagung der Protestbewegung zu Hilfe. Zudem wird dabei meist vergessen, wie schnell aus Verbündeten und vermeintlichen Stabilitätsankern unsichere Kantonisten werden können. Man hat es schließlich auch lange Zeit für eine gute Idee gehalten, das Ägypten Mubaraks und das Libyen Gaddafis zu unterstützen. Wäre es unter diesen Umständen nicht angebracht, Zurückhaltung bei Rüstungsexporten zu üben und stattdessen Vertrauensbildung und Abrüstung in der Region zu fördern?
Fest steht: Die Ausweitung von Rüstungsexporten aus wirtschaftlichen Gründen als Ersatz für eine vorausschauende Außenpolitik ist ein Irrweg. Die derzeitige Praxis bei der Frage der Rüstungsexporte ist zudem intransparent und vordemokratisch. Wir brauchen ein verbindliches und transparenteres Rüstungsexportgesetz, in dem festgelegt wird, welche Kriterien für Länder gelten, die deutsche Waffen erhalten dürfen. Die SPD hat der Bundesregierung angeboten, noch in dieser Wahlperiode eine parteiübergreifenden Regelung im Bundestag zu verabschiedenden, nach der Rüstungsexporte nur noch restriktiv und vor allem in einem transparenten Verfahren durchgeführt werden dürfen. Dieses Angebot haben die Koalitionsfraktionen ignoriert und damit die Chance verpasst, mit dem Thema politisch verantwortungsvoll umzugehen. Es ist das erklärte Ziel einer künftigen rot-grünen Regierung die Praxis der Rüstungsexportvergabe restriktiver und transparenter zu gestalten.