Vertrauen und Zeit gehen verloren
Viele Kommentatoren scheinen erleichtert: der US-Präsident hat die Vereinbarung mit dem Iran nicht gekündigt. Man kann zu dieser Auffassung gelangen, wenn der Maßstab ein launenhafter, selbstverliebter und ungebildeter Mann im Weißen Haus ist. Man kann die Dinge aber auch anders sehen. Erneut hat sich die Regierung in Washington von einer vertragsbasierten Regelung eines internationalen Problems verabschiedet. Immerhin war die mühsam errungene Einigung mit der iranischen Regierung vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig gebilligt worden.
Mit welcher Geringschätzung der US-Präsident dieser Organisation begegnet, wurde spätestens mit seinem Auftritt vor der Generalversammlung klar. Am Wochenende hat er erneut seine Verachtung ausgedrückt. Ob mit der Überweisung an den Kongress viel gewonnen wurde, kann man bezweifeln.
Es waren beide Kammern des Hauses, die Präsident Obama jahrelang die Arbeit am Iran-Abkommen erschwert haben. Viele Verantwortliche sind weiterhin Mitglieder im US-Parlament. Umfassende Vernunft ist in diesem altehrwürdigen Gebäude nicht zu Hause. Dass gerade jetzt etwas Gutes dabei herauskommen soll, muss man daher bezweifeln.
Zumal Trump mit weiteren Schritten gedroht hat, wenn ihm das Ergebnis nicht gefallen sollte. Das Abkommen mit dem Iran ist nicht perfekt, aber das waren internationale Abkommen in der Regel nie. Immerhin wurde Zeit gekauft und mit Hilfe ausgeklügelter Überprüfungsregeln sollte Vertrauen aufgebaut werden. Beide Elemente sind jetzt zerstört und die Folgen werden ihre Wirkung auf andere Konflikte haben, die mit diesen Instrumenten beruhigt werden sollen.
Deshalb war es richtig, dass Großbritannien, Frankreich und Deutschland unmittelbar nach der Rede Trumps eine gemeinsame Erklärung vorgelegt haben. Wir sollten jedoch realistisch bleiben. Eine solche Geste wird in Washington keine große Wirkung entfalten. Europa muss eigene Wege gehen: die Behinderungen im Handel und im Bankenverkehr müssen durch weitere Mechanismen abgefedert werden, Visaerleichterungen für Reisende aus dem Iran wären sinnvoll, die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit müssen einen eigenen Stellenwert erhalten, Städtepartnerschaften könnten ausgebaut werden. Ohnehin haben wir es nach dem Abschluss der Vereinbarung mit dem Iran versäumt, weitere Initiativen zugunsten eines Sicherheitsarrangements in der Region voranzutreiben.
Der Aufbau einer kernwaffenfreien Zone wäre ein logischer Schritt gewesen. Immerhin sympathisierte die Arabische Liga im Jahr 2005 mit diesem Plan. Ein solcher Fokus macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die Verantwortlichen in Teheran und Ghom sind zweifellos Konflikttreiber, aber verschiedene Akteure in Ankara, Bagdad, Riad, Damaskus, Erbil und Katar zündeln genauso.
Und aus den USA, Russland, Lateinamerika und Europa werden dafür riesige Waffenarsenale zugeliefert. Die Erklärung der europäischen Regierungschefs hätte daher größere Glaubwürdigkeit entfaltet, wenn wir uns gleichzeitig für einen Rüstungsstopp, Initiativen für Vertrauensbildung und eigene Wege mit der iranischen Gesellschaft stark gemacht hätten. In den nächsten Monaten sollten wir uns hierauf konzentrieren, denn solche Dinge können wir selbst richten.