Die USA und die "Liga der Demokratien"

Die amerikanische Idee einer Allianz der Demokratien könnte mit einer Neuausrichtung der US-Außenpolitik unter dem neuen Präsidenten eine Wiederbelebung erfahren. Doch können Finanzkrisen - wie die gegenwärtige - und Konflikte - wie der in Irak nur in einem Bündnis der Demokratien bewältigt werden? Frieden durch Demokratisierung ist eine durchaus erfolgversprechende Strategie, die jedoch nicht außerhalb, sondern innerhalb des Systems der Vereinten Nationen verfolgt werden muss.

Nach der Wahl von Barack Obama zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten, sollte sich Europa auf eine Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik einstellen, die vor allem die engsten demokratischen Verbündeten stärker einbeziehen, aber auch in die Pflicht nehmen wird. Die Hoffnungen - ja die Euphorie, die sich mit dem ersten schwarzen US-Präsidenten verbinden - korrelieren dabei mit den unglaublich großen Schwierigkeiten und Herausforderungen vor denen Obama steht - innenpolitisch, was die Wirtschaftslage angeht, haushaltspolitisch, was die Finanzkrise betrifft und außenpolitisch, was die zwei Konflikte im Irak und in Afghanistan angehen, ebenso wie die vielen ungelösten Fragen im Nahen Osten und im Verhältnis zu Russland. Hierfür braucht er Partner und Freunde. Die Bedingungen für eine Wiederbelebung des transatlantischen Verhältnisses sind jedenfalls so gut wie lange nicht mehr, vor allem da Obama einen erheblichen Vertrauensbonus in Europa genießt.

Ich erhoffe mit Frank-Walter Steinmeier eine "neue transatlantische Agenda für das 21. Jahrhundert" mit neuen Impulsen bei den Themen  "internationale Finanzordnung", "Nachhaltigkeit und Ressourcen", "Abrüstung, Rüstungskontrolle und globale Sicherheit" sowie "Klimawandel und Zukunft der Weltordnung". Dafür brauchen wir die Zusammenarbeit, nicht nur der Demokratien sondern aller relevanten Mächte sowie eine Revitalisierung der Vereinten Nationen. In der US-amerikanischen Debatte geistert hingegen sowohl auf republikanischer als auch auf demokratischer Seite das Gespenst eines "Bündnisses der Demokratien" durch die Gazetten.

Der rote Faden amerikanischer Außenpolitik

Diese "Liga der Demokratien" soll - so ihre Befürworter - die Vereinten Nationen nicht verdrängen, sondern ergänzen und immer dann tätig werden, wenn diese versagen. Damit greifen sie stellvertretend eine Debatte auf, die sich seit dem Ersten Weltkrieg wie ein roter Faden durch die amerikanische Außenpolitik zieht. Bereits im April 1917 machte US-Präsident Woodrow Wilson vor dem amerikanischen Kongress deutlich, dass "the world must be made safe for democracy" und verlangte die Konstituierung einer Liga der Nationen, denn "a steadfast concert for peace can never be maintained except by a partnership of democratic nations". 

Diese Strategie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Konzept der Eindämmung (Containment) des sowjetischen Kommunismus und seiner Satelliten ergänzt - oft auch zu Lasten der Demokratisierung. Denn bei der Wahl ihrer Bündnispartner waren die USA während des Kalten Krieges nicht besonders wählerisch. Getreu dem Prinzip "der Feind meines Feindes ist mein Freund" wurden auch Diktaturen und selbst die afghanischen Taliban unterstützt, sofern sie nur "antikommunistisch" waren.

1993 schlug Bill Clintons Sicherheitsberater, Antony Lake, als neue Strategie die "Ausdehnung der Demokratie" (enlargement of democracies) anstelle der Kalten Kriegs-Strategie der Eindämmung des Kommunismus (Containment of communism) vor. Am 27. September 1993 hielt Clinton eine Grundsatzrede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, wo er das Konzept der "Ausweitung der Demokratien" als Friedensstrategie vorstellte.  Nachdem die USA während der gesamten Dauer des Kalten Krieges die sowjetische Bedrohung der "freien Welt" erfolgreich eingedämmt hätten, sollten sie nunmehr versuchen, ihr Einflussgebiet durch die ?Ausdehnung der freien Weltgemeinschaft der Marktdemokratien" zu erweitern. Auch die Erweiterungsrunden von NATO und EU folgten dieser Logik. Die Unterstützung der Ausbreitung von Demokratien schloss allerdings auch "die humanitäre Intervention" beispielsweise in Bosnien nicht aus. Ebenfalls begründete George W. Bush den Krieg im Irak - neben den nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen - mit dem Argument, dass dadurch eine Welle der Demokratisierung den gesamten Nahen Osten erfassen würde, eine Erwartung, die sich nicht erfüllte.

Dabei ist der Grundgedanke durchaus richtig. Nicht viele theoretische und akademische Konzepte sind eine Orientierung für die Politik geworden. Ein Konzept, dem dies gelang, ist die Theorie vom demokratischen Frieden. Der dort postulierte Zusammenhang zwischen internationaler Friedfertigkeit und rechtsstaatlicher Demokratie bzw. republikanischer Verfassung findet sich ansatzweise schon bei Machiavelli, Montesquieu, Rousseau und Kant. In den siebziger Jahren führte dann David Singer ein großangelegtes statistisch-empirisch angelegtes Projekt über Kriegsursachen seit 1816 durch.  Eines der wenigen wirklich relevanten Ergebnisse war die Erkenntnis, dass Demokratien in viele Kriege verwickelt sind, nicht aber gegen Demokratien. M.a.W.: In einer Welt, die nur aus Demokratien bestünde, gäbe es zwar Konflikte, diese würden aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr kriegerisch ausgetragen - wobei die Frage, wodurch sich eine Demokratie eigentlich definiert, noch genauer zu klären wäre. So steigt laut Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung zwar die Zahl der formalen Demokratien ständig an, dies sage allerdings noch nichts über deren Qualität aus. So sind bei vielen Demokratien noch erhebliche Mängel des Rechtssystems oder bei der Teilhabe zu beobachten. Frieden durch Demokratisierung ist somit eine durchaus erfolgversprechende Strategie, die jedoch nicht außerhalb, sondern innerhalb des Systems der Vereinten Nationen verfolgt werden muss.

Ansätze für ein globales Bündnis demokratischer Staaten gibt es bereits: So wurde 2000 auf Initiative der USA in Warschau eine "Gemeinschaft der Demokratien" gegründet, ein loser Zusammenschluss liberal-demokratischer Staaten. Die Gemeinschaft setzt sich zum Ziel, demokratische Werte zu verbreiten, demokratische Institutionen und Prozesse zu stärken und in absehbarer Zeit "Koalitionen der Demokratien" in den bestehenden internationalen Institutionen zu bilden. Die Schlusserklärung wurde von über 100 Staaten - notabene einer absoluten Mehrheit der UN-Mitglieder - unterzeichnet.  2002 wurde auf einer Ministerkonferenz in Seoul ein Aktionsplan verabschiedet, der 2005 auf einer Folgekonferenz in Chile evaluiert wurde. Auch Deutschland ist Mitglied dieser lockeren Gemeinschaft. Das letzte Treffen fand im November 2007 in Mali statt.

Die Absicht dahinter

Was stellt sich nun die amerikanische Politik konkret unter einer "Liga der Demokratien" vor? Eine um Brasilien, Neuseeland, Australien, Indien und Japan erweiterte globale NATO? Eine "Koalition der Willigen", wie sie schon im Irak- oder Afghanistan-Krieg zum Einsatz kam? Geht es ihr dabei um eine Stärkung oder nicht doch um eine Entmachtung bzw. Umgehung der UNO ? genauer des UN-Sicherheitsrates? Sollen Länder wie Russland oder die VR China isoliert werden? Die Absicht dahinter ist nicht schwer zu erkennen. Die USA empfinden die Vereinten Nationen - die sie im Übrigen maßgeblich mitbegründet haben - zunehmend als Last. Nicht nur die Regierung, sondern auch der Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit stehen den Vereinten Nationen zutiefst skeptisch gegenüber. Man will sich auf keinen Fall seine Handlungsfähigkeit von der latent handlungsunfähigen "Quasselbude" am East River einschränken lassen, in der Diktaturen - zumindest formal - das gleiche Stimmrecht haben wie die Weltmacht. Die immer wieder lancierte Idee einer Liga der Demokratien hat deshalb durchaus auch das Ziel die Vereinten Nationen zu delegitimieren.

Die Allianz der Demokratien ist eine zutiefst amerikanische Idee, geboren aus der Unzufriedenheit mit der UNO, gespeist aus den Erfahrungen in Bosnien, Somalia, Ruanda, Kosovo und zuletzt in Burma, als der paralysierte Sicherheitsrat entschlossenes Handeln verhinderte. In den USA findet das Konzept sowohl bei Liberalen als auch bei Konservativen Anklang.

Ivo Daalder, inzwischen im Beraterstab des neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama, war gemeinsam mit James Lindsay einer der ersten Politologen, die sich darüber den Kopf zerbrachen. "Allianz der Demokratien" nannten sie 2004 ihr Projekt, das sie drei Jahre später, umgetauft als "Konzert der Demokratien", in der Zeitschrift "The American Interest" detaillierter vorstellten.  An die 60 Mitglieder schweben ihnen vor. Nicht jedes Land, das Wahlen abhält, soll deshalb jedoch gleich aufgenommen werden. Zutritt hat nur, wer Bürger- und Grundrechte einhält. Ägypten, Jordanien und Russland blieben nach diesen Kriterien draußen.

Auch Robert Kagan träumt in seinem neusten Essay von einer Allianz der Demokratien auf der Welt. Im Rahmen dieses Bündnisses sollten sämtliche Demokratien regelmäßig zusammenkommen, um sich im Kampf gegen die dunklen Mächte der Autokratie abzustimmen. Ein solches Bündnis könnte ihm zufolge auch "zur Legitimation von Aktionen beitragen, die demokratische Nationen für erforderlich halten, denen autokratische Nationen jedoch ihre Unterstützung verweigern - so wie die NATO die Intervention im Kosovo legitimierte".

Ein sympathischer Traum

Dabei ist die Liga der Demokratien ein durchaus sympathischer Traum. Doch bilden die Ideen der Aufklärung allein den Zement, der ein solches Bündnis zusammenhalten kann? Und wenn ja, reicht ein solcher Pakt aus? Warum sollte man bei der Bewältigung der iranischen Atomkrise auf Partner verzichten, nur weil sie nicht demokratisch gewählt sind? Können Finanzkrisen - wie die gegenwärtige - nur in einem Bündnis der Demokratien bewältigt werden? Internationale Politik kann nur erfolgreich sein, wenn sie die Menschen und die Staaten so nimmt, wie sie sind und nicht so, wie man sie gern haben würde.

Es wäre jedenfalls verhängnisvoll, wenn sich dieses Bündnis der Demokratien zu einem exklusiven Club entwickeln würde, der Staaten von Entscheidungsprozessen ausschließt und eine Zweiklassengesellschaft begründet. Die globalen Sicherheitsfragen, wie der Klimawandel, eine neue Finanz- und Weltwirtschaftsordnung, Entwicklungsfragen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Rüstungskontrolle usw. können ohne die Einbeziehung großer Staaten, vor allem der VR China und Russland ohnedies nicht bewältigt werden.

Dr. Rolf Mützenich, MdB, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, abrüstungs- und nahostpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Die Verantwortung für Sicherheit und Frieden muss bei den Vereinten Nationen bleiben.
Veröffentlicht: 
In: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 1-2/2009, S. 73-75.