Die unheimliche Liga

Unabhängig davon, ob der nächste amerikanische Präsident McCain oder Obama heißen wird, sollte sich Europa auf eine Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik einstellen, die vor allem die engsten demokratischen Verbündeten stärker in die Pflicht nehmen wird. So hat der republikanische Präsidentschaftskandidat Senator McCain kürzlich in einem Artikel die Idee der Gründung einer "Liga der Demokratien" ins Spiel gebracht. Diese solle die Vereinten Nationen "nicht verdrängen, sondern ergänzen" und immer dann tätig werden, wenn "diese versagen". Damit greift McCain stellvertretend eine Debatte auf, die sich seit Präsident Woodrow Wilson den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 damit begründete "die Welt für die Demokratie sicherer zu machen" wie ein roter Faden durch die amerikanische Außenpolitik zieht.

Am 27. September 1993 hielt Bill Clinton eine Grundsatzrede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, wo er sein Konzept der "Ausweitung der Demokratien" als Friedensstrategie vorstellte. Nachdem die USA während der gesamten Dauer des Kalten Krieges die sowjetische Bedrohung der "freien Welt" erfolgreich eingedämmt hätten, sollten sie nunmehr versuchen, ihr Einflussgebiet durch die "Ausdehnung der freien Weltgemeinschaft der Marktdemokratien" zu erweitern. Auch die Erweiterungsrunden von NATO und EU folgten dieser Logik. Die Unterstützung der Ausbreitung von Demokratien schloss allerdings auch "die humanitäre Intervention" beispielsweise in Bosnien nicht aus. Auch George W. Bush begründete den Krieg im Irak - neben den nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen - mit dem Argument, dass dadurch eine Welle der Demokratisierung den gesamten Nahen Osten erfassen würde, eine Erwartung, die sich bislang nicht erfüllte.

Dabei ist der Grundgedanke durchaus richtig. Nicht viele theoretische und akademische Konzepte sind eine Orientierung für die Politik geworden. Ein Konzept, dem dies gelang, ist die Theorie vom demokratischen Frieden. Der dort postulierte Zusammenhang zwischen internationaler Friedfertigkeit und rechtsstaatlicher Demokratie bzw. republikanischer Verfassung findet sich ansatzweise schon bei Machiavelli, Montesquieu, Rousseau und Kant. ?Frieden durch Demokratisierung? ist somit eine durchaus erfolgversprechende Strategie.

Ansätze für ein globales Bündnis demokratischer Staaten gibt es bereits: So wurde 2000 auf Initiative der USA in Warschau eine "Gemeinschaft der Demokratien" gegründet, ein loser Zusammenschluss liberal-demokratischer Staaten, die sich zum Ziel setzen, demokratische Werte zu verbreiten, demokratische Institutionen und Prozesse zu stärken und in absehbarer Zeit "Koalitionen der Demokratien" in den bestehenden internationalen Institutionen zu bilden. Die Schlusserklärung wurde von über 100 Staaten - notabene einer absoluten Mehrheit der UN-Mitglieder  - unterzeichnet.

Was stellt sich nun die amerikanische Politik konkret unter einer "Liga der Demokratien" vor? Eine um Indien, Brasilien, Neuseeland, Australien und Japan erweiterte globale NATO? Eine "Koalition der Willigen", wie sie schon im Irak- oder Afghanistan-Krieg zum Einsatz kam? Geht es ihr dabei um eine Stärkung oder nicht doch um eine Entmachtung bzw. Umgehung der UNO - genauer des UN-Sicherheitsrates? Die USA empfinden die Vereinten Nationen - die sie im Übrigen maßgeblich mitbegründet haben - offenbar zunehmend als Last. Nicht nur die Regierung, sondern auch der Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit stehen den Vereinten Nationen zutiefst skeptisch gegenüber. Man will sich auf keinen Fall seine Handlungsfähigkeit von der latent handlungsunfähigen "Quasselbude" am East River einschränken lassen, in der Diktaturen - zumindest formal - das gleiche Stimmrecht haben wie die Weltmacht. Die immer wieder lancierte Idee einer Liga der Demokratien hat deshalb durchaus auch das Ziel die Vereinten Nationen zu delegitimieren. Es wäre jedenfalls verhängnisvoll, wenn sich dieses Bündnis der Demokratien zu einem exklusiven Club entwickeln würde, der Staaten von Entscheidungsprozessen ausschließt und eine Zweiklassengesellschaft begründet. Sicherheitsfragen, wie der Klimawandel, Entwicklungsfragen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Rüstungskontrolle usw. können ohne die Einbeziehung großer Staaten, vor allem der VR China und Russland nicht bearbeitet werden.

Die letztendliche Verantwortung für Sicherheit und Frieden liegt nach wie vor beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Mächtige Staaten, Regionalorganisationen oder eine "Koalition der Willigen" können hingegen nicht für sich in Anspruch nehmen, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Sie dürfen nur dann handeln, wenn eine entsprechende Ermächtigung des Sicherheitsrates vorliegt. Das bereits Erreichte sollte deshalb nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Man sollte bei aller Kritik auch nicht vergessen, dass noch bis zum Briand-Kellog-Pakt im Jahre 1928, Krieg als legitimes Mittel im Verkehr zwischen Staaten galt. Die Übertragung des Gewaltmonopols vom Nationalstaat auf eine internationale Organisation war die richtige Konsequenz aus zahllosen Kriegen. Um die Effizienz der Vereinten Nationen zu erhöhen, bedarf es weit gehender Reformen. Dies ist ein mühsames Unterfangen, an dem sich vor allem die Vetomächte des UN-Sicherheitsrates beteiligen müssen. Ohne die Unterstützung der mächtigsten Staaten der Erde, allen voran die USA, werden die Vereinten Nationen auch in Zukunft nur bedingt handlungsfähig bleiben. Sollte das "Gewaltmonopol" des Weltsicherheitsrat durch eine wie auch immer gestaltete "Gerechtigkeitsliga" der Demokratien ersetzt oder weiter ausgehöhlt werden, würde dies die Welt nicht sicherer machen, sondern der Willkür Tür und Tor öffnen.

Dr. Rolf Mützenich, MdB, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, abrüstungs- und nahostpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Die Verantwortung für Sicherheit und Frieden muss bei den Vereinten Nationen bleiben
Veröffentlicht: 
Handelsblatt, 19.06.2008