Die Türkei steuert in jedem Fall auf eine große Krise zu

Die Türken haben über das von Recep Tayyip Erdoğan angestrebte Präsidialsystem abgestimmt. Beobachter rechnen damit, dass die Reform kommt. Was würde ein solcher Sieg für unsere Außenpolitik bedeuten?

Die deutsch-türkischen Beziehungen befinden sich schon jetzt auf einem historischen Tiefpunkt. Die Debatte um die Armenienresolution des Bundestages und die Bemühungen Recep Tayyip Erdoğans, den Wahlkampf und die Auseinandersetzungen um das Referendum auch in Deutschland und Europa zu führen, haben maßgeblich dazu beigetragen. Trotz massiven Drucks auf potenzielle Neinsager, einer weitgehenden Gleichschaltung der Medien und umfassender staatlich finanzierter Propaganda gehen die Umfrageinstitute von einem knappen Ergebnis am Sonntag aus.

Sollte das Verfassungsreferendum erfolgreich sein, steht der Etablierung eines autoritären Regimes nach orientalisch-despotischem Muster mit einem noch unberechenbareren und impulsiveren Präsidenten nichts mehr im Wege. Ziel ist nicht nur die Erlangung einer Machtfülle, die unvergleichbar wäre mit anderen Präsidialsystemen, sondern letztlich auch eine Neuausrichtung der regionalpolitischen Rolle der Türkei in einem veränderten weltpolitischen Gefüge – mit einer Hinwendung nach Zentralasien und China (Seidenstraße) und einer taktisch motivierten Annäherung an Moskau.

Wahlkampfgetöse oder wahre Worte?

Die Folgen für die deutsch-türkischen und die Beziehungen der Türkei zur EU wären gravierend. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches autoritäres Präsidialsystem den Anforderungen einer EU-Mitgliedschaft genügen würde. Schon im Vorfeld des Referendums hat der türkische Präsident mit seinen rhetorischen Amokläufen, wüsten Beschimpfungen und haltlosen Nazi- und Faschismusvergleichen eine Menge Porzellan zerschlagen. Es stellt sich auch die Frage, ob Erdoğans Ankündigungen zur Einführung der Todesstrafe nur Wahlkampfgetöse waren oder ob er diese tatsächlich umsetzen wird.

Sollte Erdoğan das Referendum gewinnen, wäre dies sein bislang größter Erfolg und die endgültige Abkehr vom kemalistischen Staat.

Eine weitreichende Entscheidung

Was passieren wird, wenn er verliert, lässt sich nur schwer vorhersagen. Es deutet einiges darauf hin, dass er auch dann nicht aufgeben wird. Vermutlich wird er den Ausnahmezustand verlängern, weiter Druck auf seine politischen Gegner ausüben, die EU und Deutschland verantwortlich machen und vorgezogene Parlamentswahlen durchführen. Sollte die AKP dort eine Zwei-Drittel-Mehrheit erreichen, könnte Erdoğan sein Präsidialsystem auch ohne Zustimmung des Volkes installieren. Dabei sollte man nicht vergessen, dass dies eine Entscheidung wäre, die weit über Erdoğan hinausweisen und die Geschicke der Türkei grundlegend beeinflussen würde, da auch künftige türkische Präsidenten eine unglaubliche Machtfülle hätten. Egal wie das Referendum ausgehen wird, die Türkei wird nicht zur Ruhe kommen und steuert auf eine große Krise zu.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Türkei-Referendum: Welche Folgen hat der Ausgang für Deutschland?
Veröffentlicht: 
XING Klartext, 13.04.2017