Steinmeier 2.0
Deutschlands Nahostpolitik braucht dringend frische Impulse für die vielen Herausforderungen vom Maghreb bis Afghanistan. Der größte Trumpf der Bundesregierung ist dabei der neue alte Außenminister, meint SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich.
Es ist für einen sozialdemokratischen Außenpolitiker Balsam, wenn er sieht, wie Frank-Walter Steinmeier auch aufgrund seiner großen Erfahrung und Kenntnisse in seiner zweiten Amtszeit als Außenminister bereits in nur wenigen Wochen mehr Akzente gesetzt hat, als Guido Westerwelle während einer gesamten Legislaturperiode. Er hat das Ministerium innerhalb kürzester Zeit neu aufgestellt. Dabei kommt ihm zweifelsohne zugute, dass er kein Neuling im Auswärtigen Amt ist, sondern lediglich vier Jahre Pause hatte (wobei der Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion kein Ruheraum war). Steinmeier will dem Ministerium verlorenes Gewicht zurückgeben und es wieder zum strategischen Zentrum machen - auch gegenüber dem Kanzleramt und in stillschweigender Konkurrenz zum Verteidigungsministerium.
Der Nahe Osten wird auch die neue Regierung stark in Anspruch nehmen. Der syrische Bürgerkrieg, das iranische Atomdossier und die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern stehen dabei im Fokus. Seit dem Ende von Steinmeiers erster Amtszeit befindet sich die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens im Umbruch. Dort ist die von den beiden europäischen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien im Sykes-Picot-Abkommen geschaffene Nachkriegsordnung des Ersten Weltkrieges im Umbruch begriffen. Daraus entsteht große politische und persönliche Unsicherheit, die wirtschaftliche Not und jahrzehntelang ignorierte Probleme wachsen.
In Tunesien, Ägypten, Libyen und im Jemen sind die autoritären Führungen abgesetzt und Übergangsprozesse eingeleitet worden, wobei sich die vorläufigen Resultate von Land zu Land unterscheiden. Alle Länder der Region stehen vor langwierigen Transformationen unter schwierigen Bedingungen und mit ungewissem Ausgang. In Syrien ist der bewaffnete Machtkampf in einen Bürger- und Stellvertreterkrieg eskaliert. In Bahrain ist die Protestbewegung durch eine Intervention der GCC-Staaten zunächst unterdrückt worden, doch die Situation ist keineswegs befriedet. Und auch in den Ländern, in denen die Proteste (noch) nicht in einen offenen Machtkampf eskaliert sind, stehen die Regierungen unter Druck, ihre Legitimität durch Reformen oder Wohlfahrtsleistungen zu erneuern.
Hilflos gegenüber der syrischen Tragödie
Seit drei Jahren tobt der syrische Bürgerkrieg nun schon, mehr als 100.000 Syrer wurden getötet, neun Millionen Einwohner sind auf der Flucht, ganze Städte zerstört und Landstriche verwüstet. Mehr als tausend Syrer sind einem Giftgasangriff von Assads Truppen zum Opfer gefallen. Auf der anderen Seite stehen mittlerweile mehrere Hundert Widerstandsgruppen, die teils sehr unterschiedliche Ziele verfolgen und die einzig der Hass auf den Diktator eint. Unterstützt werden sie von den sunnitischen Regimen in Saudi-Arabien und Katar, die damit den Einfluss des schiitischen Iran zurückdrängen wollen.
In Syrien verlaufen jedoch nicht nur die Konfliktlinien zwischen Sunniten und Schiiten sondern auch zwischen Türken, Kurden, Arabern und Persern. Der syrische Präsident Assad betont deshalb immer wieder die syrische Schlüsselrolle für die Stabilität der gesamten Region. In der Tat: Zerfällt Syrien, zerfällt die Nachkriegsordnung von 1917/1918. Was dann aus dem Libanon, Irak und Jordanien werden wird, ist kaum vorherzusagen. Das Potenzial für eine regionale Desintegration und spätere Neuzusammensetzung ist derzeit jedenfalls größer denn je.
Im syrischen Bürgerkrieg zeigen sich auch die Grenzen des Konzeptes der »Responsibility to Protect«. Die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt schon lange nicht mehr in den Händen der syrischen Konfliktparteien. Regionale und internationale Interessen und Machtkämpfe haben den Konflikt in einen Stellvertreterkrieg verwandelt. Während westliche Staaten seit Beginn der Aufstände nur zögerlich und in geringem Maße bereit waren, säkulare Oppositionskräfte zu unterstützen, genießen islamistische und dschihadistische Gruppen seit Jahren massive Unterstützung. Im Resultat hat sich das Kräftegleichgewicht entscheidend zugunsten dieser Gruppierungen verschoben. Diese Entwicklung spielt dem Assad-Regime in die Hände, das sich trotz aller Gräueltaten als Bollwerk gegen die islamistische Bedrohung und Stabilitätsfaktor inszenieren kann.
Vor diesem Hintergrund ist von den laufenden Verhandlungen in Genf nicht allzu viel zu erwarten. Es kann schon als Erfolg gelten, dass diese überhaupt stattfinden und wenige humanitäre Feuerpausen sich andeuten. Wenn es durch internationalen Druck gelänge, die Gewalt einzudämmen, die humanitäre Versorgung zu sichern und die Freilassung politischer Gefangener zu erreichen, wäre das zumindest ein erster Fortschritt. Eine politische Lösung des syrischen Bürgerkrieges wäre nur als Ergebnis einer Einigung der internationalen und regionalen Großmächte auf eine gemeinsame Strategie denkbar. Damit ist in naher Zukunft aber nicht zu rechnen.
Iran und Nahost - neue Fenster der Gelegenheit
Die Bundesregierung und Außenminister Steinmeier drängen deshalb zu Recht darauf, dass alle relevanten Regionalmächte bei den Bemühungen um die Einhegung des Syrienkonflikts mit einbezogen werden. Eine strategisch oder ideologisch motivierte Ausgrenzung von Akteuren, die für eine Lösung unverzichtbar sind, macht wenig Sinn - insbesondere Iran gilt es in einen konstruktiven Ansatz mit einzubinden. Zugleich muss Saudi-Arabien und den kleineren Golfstaaten mit Hilfe konkreter Angebote und Garantien signalisiert werden, dass eine Verbesserung der Beziehungen zu Iran nicht auf Kosten ihrer existentiellen Interessen gehen wird.
Dank der unermüdlichen Bemühungen des amerikanischen Außenministers ist neue Bewegung in die Nahostverhandlungen gekommen. Auch in der iranischen Atomkrise sind konkrete Fortschritte zu verzeichnen. US-Präsident Barack Obama und Außenminister John Kerry scheinen hier eine historische Wende anzustreben und wollen mit Teheran offenbar das erreichen, was Richard Nixon vor 40 Jahren mit Peking gelang: eine Annäherung, die einen jahrzehntelangen Quasi-Kriegszustand beendet.
Eine Annäherung an Teheran könnte auch dabei helfen, Afghanistan zu stabilisieren, wenn Ende dieses Jahres die internationalen Kampftruppen abziehen. Und US-Unternehmen würden nach Jahrzehnten wieder einen Zugang zu einem der größten Märkte in der Region erhalten. Im rohstoffreichen Iran leben mehr als 75 Millionen Menschen. Ein Problem dieser strategischen Neuausrichtung ist, dass Washington mit erbittertem Widerstand aus Israel und Saudi-Arabien rechnen muss, die bislang zu den engsten Verbündeten der USA in der Region zählen. Vor allem aber müsste der Iran mitspielen.
Die arabische Welt wird uns noch lange vor große Herausforderungen stellen. Nicht alles ist jedoch düster: Tunesien gilt zu Recht als demokratischer Vorreiter in der arabischen Welt. Seit dem 26. Januar 2014 hat das Land eine neue Verfassung, die in der arabischen Welt mit Blick auf politische und religiöse Freiheiten, das Verhältnis von Religion und Politik sowie die Gleichstellung der Frau ihres gleichen sucht. Im Jemen scheint derzeit eine fragile Situation nicht weiter zu eskalieren.
Zu guter Letzt: Die gesamte Region braucht nicht mehr, sondern weniger Waffen. Wir haben im Koalitionsvertrag erfolgreich dafür gekämpft, dass künftige Rüstungsexportanfragen nur auf Grundlage der rot-grünen Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 beurteilt werden dürfen. Dies bedeutet keine Waffenlieferungen in Krisen- und Spannungsgebiete - wozu die arabische Welt ganz ohne Zweifel gehört. Daran wird sich die neue Bundesregierung messen lassen müssen - auch das hierfür federführende Wirtschaftsministerium.