Spannungsfeld Medien und Politik: Ansichten und Beobachtungen eines Bundestagsabgeordneten

Einleitung

Kaum ein anderer Berufsstand ist in Deutschland so wenig angesehen, wie der des Politikers. Politik - da sind sich Wähler, Bürger und Journalisten einig - ist ein schmutziges Geschäft. Politiker sind korrupt, eitel, faul und unfähig. Schaut man sich eine Rangfolge der angesehenen Berufe an, so liegen Politiker stets auf den letzten Plätzen - wobei Journalisten interessanterweise nur unwesentlich besser abschneiden.

Der vorliegende Text möchte den Berliner Politikbetrieb und das Verhältnis zwischen Medien und Politik aus der Sicht eines direkt gewählten Kölner Abgeordneten beleuchten, der seit 2002 dabei ist und sich vor allem um außen- und sicherheitspolitische Themen kümmert. Dabei geht es mir weder darum, mein schweres Los als Politiker zu beklagen - schließlich habe ich mich aus freien Stücken zu diesem Schritt entschieden - noch darum den Spieß umzudrehen und nun die günstige Gelegenheit zu nutzen, nun endlich mal Journalistenschelte zu betreiben.

Im persönlichen Kontakt habe ich in den letzen acht Jahren mit Journalisten nur wenig schlechte und viele gute Erfahrungen gemacht. Dennoch habe ich in den Jahren in Berlin durchaus beobachten können, wie Journalisten und Politiker teilweise ein nahezu symbiotisches Verhältnis eingehen. Und natürlich ist der Berliner Betrieb auch ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Dabei gehört eine gewisse Grundeitelkeit durchaus zum Beruf des Politikers ? ebenso wie zu dem des Journalisten und aller anderen Berufe, die in der Öffentlichkeit stehen. Die einzelnen Ausprägungen unterscheiden sich jedoch! Zur Seriosität eines Politikers gehört es meiner Meinung nach, dass er sich in erster Linie zu den Themen zu äußert, von denen er etwas versteht und für die er zuständig ist.

Natürlich hat ein Bürger meines Wahlkreises das Recht und den Anspruch, Informationen zur Gesundheits-, Arbeitsmarkt oder Rentenpolitik zu erhalten und interessiert sich in der Regel weniger für die diplomatischen Windungen der iranischen Atomkrise oder die Zukunft des Kernwaffensperrvertrages. Als außenpolitischer Sprecher und Fachpolitiker äußere ich mich gegenüber Journalisten jedoch in erster Linie zu außen- und sicherheitspolitischen Themen. Diese wiederum sind in erster Linie Fachleute und Experten, die sich zumeist ebenfalls seit Jahren mit diesen Themen befasst haben. Kurzum: Ich plädiere im Umgang zwischen Politikern und Journalisten für ein Mindestmaß an Kenntnissen und Neugier auf Information. Nicht jeder muss zu jeder Sau, die gerade durchs Dorf getrieben wird, seinen Senf beisteuern.

Demokratie lebt von Öffentlichkeit. Wir als Politiker sind darauf angewiesen, über die Medien zu kommunizieren. Ich möchte im Folgenden ein paar Beobachtungen, Klischees und Vorurteile über den Beruf des Politikers und denen des politischen Journalisten darstellen und unter die Lupe nehmen. Zwei Berufsgruppen, die sich oft ähnlicher sind, als sie glauben.

Politik als Beruf - Klischee und Wahrheit

"Politiker müssen nach der Macht und auf Umfragen schielen, sie müssen sich öffentlich streiten und in Hinterzimmern Kompromisse auskungeln. Sie müssen ins Fernsehen, eitel sein, und sie brauchen eine gewisse Portion Arroganz wie die Luft zum Überleben. Sie dürfen nicht immer Klartext reden, und es ist gut, dass sie ihren Berufsstand zunehmend professionalisieren." (Nikolaus Blome, Faul, korrupt und machtbesessen? Berlin 2008, S. 148.)

Politiker sind eitel. Das ist zweifelsohne wahr. Ein öffentliches Amt, kann oder sollte zumindest niemand anstreben, der die Öffentlichkeit scheut, also gänzlich uneitel ist. Korrupt und unfähig sind sie im Großen und Ganzen nicht ? oder nicht mehr, als andere Berufzweige. Sie sollen Vorbilder sein, aber keine Heiligen. Sie sind Menschen mit ganz menschlichen Stärken aber auch Schwächen. Die Prominenten unter ihnen leiden darunter, dass sie unter ständiger Beobachtung stehen, die Hinterbänkler leiden darunter, dass sie keiner beachtet. Zweifelsohne hat man als Politiker nicht nur Pflichten, sondern genießt auch eine Reihe von Privilegien.

Während Politiker als Berufsstand einen erbärmlichen Ruf genießen, werden sie als Person zumeist hofiert ? die wichtigen von Industriemagnaten und Konzernchefs, die weniger wichtigen vom örtlichen Schützenverein. Wenn man unablässig für bedeutend, wichtig und einflussreich gehalten wird, besteht die Gefahr sich selbst für bedeutender und einflussreicher zu halten als man ist. Eine gewisse Bodenhaftung ist hier sicher hilfreich. Zweifelsohne braucht man als Politiker ein dickes Fell. Ein Spitzenpolitiker würde seines Lebens nicht mehr froh werden, wenn er sich jede öffentliche Anfeindung zu Herzen nähme. Politiker müssen also durchaus eine gewisse Leidensfähigkeit an den Tag legen, die proportional mit der Bedeutung des Amtes ansteigen sollte.

Die Kritik an den öffentlichen Auftritten von Politiker ist teilweise berechtigt, teilweise wohlfeil. Natürlich hat man sich an Norbert Blüm und Heiner Geißler ebenso wie an vielen sich noch im Amt befindlichen Politikern satt gesehen. Selbstverständlich wird Politik nicht bei Maybritt Illner, Frank Plasberg oder Anne Will gemacht, sondern in der Regierung und im Parlament. Trotzdem ist es meiner Meinung nach legitim und notwendig, dass man Politik und politische Haltungen und Positionen auch im Fernsehen darlegt und erklärt. Manche Kritiker der angeblich mediengesteuerten Politikklasse gehen sogar soweit, Politikerauftritte im Fernsehen generell zu verbieten. So legte Bundestagspräsident Norbert Lammert - der sich seinerseits durchaus medienbewusst als amüsanter Spaßvogel zu inszenieren pflegt - seinen Kollegen eine mehrjährige Talkshowpause ans Herz, weil "die beachtliche Präsenz von Politkern in immer mehr Talkshows keine nachhaltige Verbesserung des Ansehens der Politiker bewirkt" habe.

Politiker und Journalist - ein ambivalentes Verhältnis

"Der deutsche Journalist braucht nicht bestochen zu werden, er ist so stolz, eingeladen zu sein, ein paar Schmeicheleien ... Er ist schon zufrieden, wie eine Macht behandelt zu werden. Er übt sie nicht aus." (Kurt Tucholsky)

Da Politiker und Journalisten zu exzessiver Selbstbespiegelung neigen, wird in kaum eine Beziehung so viel hineingeheimst wie in die zwischen Medien und Politik. Die Parlamentskorrespondentin des Berliner "Tagesspiegel" Tissy Bruns spricht von einer "Misstrauensgemeinschaft". Hassliebe dürfte wohl die angemessene Definition für die schwierige Beziehung zwischen Politik und Journalismus sein. Diese beruht im Übrigen seit jeher auf Gegenseitigkeit. Bereits in den 1980er Jahren betitelte der CSU-Politiker Franz Josef Strauß Journalisten als "Ratten und Schmeißfliegen". Otto Graf Lambsdorf ärgerte sich über die "Todesschwadrone", Oskar Lafontaine über den "Schweinejournalismus", Johannes Rau über die "Wegelagerer" und Joschka Fischer bezeichnete Journalisten gar als "Fünf-Mark-Nutten", was immer er damit auch sagen wolle. Natürlich ärgern sich Politiker immer wieder über Journalisten. Deren Job ist es im Übrigen auch Politiker zu ärgern. Indem sie nachfragen, hartnäckig bohren und Ungereimtheiten aufdecken. Das ist unter anderem die Aufgabe des politischen Journalismus und nicht Hofberichterstattung.

Im Übrigen ist der Ärger der Politik über die politische Berichterstattung oft durchaus berechtigt. Journalisten tragen maßgeblich dazu bei, alle negativen Klischees über die Politiker am Laufen zu halten. Der Politiker zeitgemäßen Zuschnitts hat demnach keine Gesinnung zu verbergen, da er gar keine hat. Wenn es um Wählerstimmen geht, ist jedem zweiten Politiker jedes Mittel recht, glauben Journalisten. Politiker wiederum sind sich sicher: Jedem zweiten Journalisten ist jedes Mittel recht, wenn es um Auflage oder Quote geht.

Fakt ist: Politiker brauchen Journalisten, um ihre Ansichten und Pläne zu kommunizieren und unters Volk zu bringen. Journalisten brauchen Politiker als Informationsquelle aus erster Hand. Journalisten stehen dabei untereinander in einem harten Konkurrenzkampf um das neueste Zitat und die schnellste Geschichte. Der oft verlachte Geltungsdrang der Politiker stillt den Nachrichtenhunger der Medien. Ein Politiker, der in die Medien möchte, findet immer einen Ansprechpartner. Und die Medien finden in der Regel immer enttäuschte Abgeordnete, innerparteiliche Konkurrenten oder Altvordere, die ihren Kanzlern, Fraktions- oder Parteivorsitzenden widersprechen, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Dies gilt im Übrigen für alle Politikbereiche, sei es Arbeitsmarkt-, Sozial-, Gesundheits- oder Außenpolitik.

Allgemein sollten sich beide Seiten das Sprichwort "Schuster, bleib bei deinen Leisten" zu Herzen nehmen. Mancher Politiker fängt an, wie ein Journalist zu denken, um im Mediengesumme eines Tages besonders gut durchzuschlagen. Und mancher sendungsbewusste Journalist will gleich Politik machen, zumal er sich ohnedies für den besseren Politiker hält. Beides geht fast immer schief. Wahr ist aber auch, dass die übergroße Mehrheit in beiden Lagern Profis sind, die um ihre Grenzen wissen. Der willfährige Journalist ist genauso ein Klischee, wie der stets nur manipulierende und lügende Politiker.

Einige kritische Anmerkungen zum politischen Journalismus sind gleichwohl erlaubt: Im Gegensatz zu den Politikern haben Journalisten keine demokratische Legitimation durch die Gesamtheit der Wähler, sondern nur durch ihr Publikum, die Leser, Hörer oder Zuschauer. Werden durch - manchmal auch von Medienvertretern geforderte Entscheidungen - unbeabsichtigt negative Folgen provoziert, müssen diese im Gegensatz zu Politikern nicht dafür einstehen, sondern können sogar als Erste die Entscheidung als falsch oder unangemessen kritisieren.

Oft wird zudem mit zweierlei Maß gemessen. Es gibt eben nicht nur verantwortungslose Politik sondern auch eine unverantwortliche Berichterstattung. So spotteten die Klischees, die angesichts der Finanzkrise über den EU-Partner Griechenland im deutschen Boulevard aufkamen, jeder Beschreibung. Auffällig ist auch, dass Journalisten, die stets bereit sind, über die Privilegien der politischen Klasse zu berichten, schweigen, wenn es um ihre eigenen Vergünstigungen geht - seien es Journalistenrabatte, Billigflüge und sonstiges. Auch der wohlfeile Vorwurf, Politiker seien von der Wirklichkeit abgekoppelt, trifft für die Mehrzahl der Abgeordneten nicht zu. Der Wahlkreis fordert sein Recht und die Probleme und Erwartungen der Bürger aus dem Wahlkreis sind konkret ? sei es in einer Jugendeinrichtung, einem Altersheim, einem muslimischen Frauenhaus oder einem mittelständischen Betrieb.

Beide Berufsgruppen haben mit einem zunehmenden Beutungsverlust zu kämpfen, den Politiker in der globalisierten Welt und politische Journalisten in der digitalisierten erlitten haben. Vielen Politikern ersetzt die öffentliche Geltung verlorenes Wählervertrauen, mehr aber noch die verlorene Gestaltungsmacht. Der Politik sind die nationalen Handlungsfelder durch die europäische Integration und die Globalisierung zunehmend verloren gegangen. Sie agiert nicht mehr, sondern reagiert zunehmend. Die globale Finanz- und die Griechenlandkrise haben dies eindrücklich dokumentiert. Das Bewusstsein der eigenen Wichtigkeit steht bei beiden Berufgruppen somit oft in diametralen Gegensatz zur tatsächlichen Bedeutung. Wenn Journalisten über Hinterbänkler und machtlose Parlamentarier spotten, haben sie meist Recht. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nur eine Handvoll Hauptstadtjournalisten informellen Kontakt zur Spitzenpolitik haben. Alle übrigen müssen sich anderweitig bemühen. Deshalb hat sich in der Hauptstadt ein exklusives Verteilersystem etabliert, das einzelne Ministerien, parlamentarische Fachgruppen und Experten innerhalb der Parteien pflegen. Das Gros der Hauptstadtjournalisten ist folglich auf den Goodwill von Pressestellen, Ministerialräten, Staatssekretären und engen Mitarbeitern von Politikern angewiesen.

Dass nicht nur Medien Politik machen wollen, sondern auch Politiker auf Medien einwirken wollen, zeigte nicht nur die Debatte um die Verlängerung des Vertrags von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Politiker aus allen Parteien versuchen, über die Personalpolitik in Medienhäusern das Programm mitzugestalten, in der Hoffnung, dass ihrer Partei nahe stehende Journalisten wohlwollender über sie berichten. Das ist zweifelsohne eine ungesunde Entwicklung und unzulässige Einmischung.

Politik und Medien stehen in einem permanenten Spannungsfeld. Die Politik und ihre Akteure bzw. Akteurinnen beeinflussen die Medien und umgekehrt. Wer in der öffentlichen Diskussion Gehör finden will, muss Publizität erlangen. Und das gelingt nur dadurch, dass man in die Medien kommt. Nur Themen, die in den Medien abgehandelt werden, sind in der Mediendemokratie Themen von allgemeinem Interesse, und auch Informationen zu diesen Themen entnimmt der Bürger fast ausschließlich den Medien. Das Verhältnis zwischen den beiden Polen, Politiker und Medienvertreter, hat zu einer Reihe unterschiedlicher Interpretationen geführt. Eine Dependenzthese geht davon aus, dass die Politik ins Schlepptau der Medien geraten sei. Auf der anderen Seite findet sich eine Funktionalisierungsthese, bei der eher die Medien in Abhängigkeit von der Politik gesehen werden. Beide Schulen bezeichnen Ausschnitte der Realität und suchen sich die jeweils passenden Erklärungsfelder. Fest steht, dass beide einander brauchen und sich deshalb zwangsläufig auch instrumentalisieren. Solange beide darum wissen, muss dies kein Schaden sein.

Nicht anders als die führenden Politiker unterliegt auch das Spitzenpersonal der Medienbranche den Gesetzen der öffentlichen Selbstdarstellung. Alphajournalisten müssen sich ebenso wie Politiker inszenieren. Sie werden selbst zum Prominenten und damit zum Objekt des öffentlichen Interesses. Medien personalisieren sich zunehmend selbst über ihre Spitzenleute - ob diese nun Markwort, Aust, Jörges, Will, Plasberg oder Hahne heißen. Über die Eitelkeit dieser Protagonisten kann sich wiederum jeder sein eigenes Bild machen. Aus der Sendung "Journalisten fragen, Politiker antworten" wird heutzutage schon mal "Journalisten fragen, Journalisten antworten." Dennoch: Keine Talkshow entscheidet über Rentenreformen, Sicherheitsgesetze oder Bundeswehreinsätze, sondern der Deutsche Bundestag.

Und ein letzter aber wichtiger Kritikpunkt: Medien tragen wesentlich zur Politikverdrossenheit mit bei, die sie zugleich lautstark beklagen. Geradezu dummdreist ist dabei die Botschaft des ehemaligen Spiegel-Journalisten und heutigen Chefredakteur des Handelsblattes, Gabor Steingart, die zumindest auf einen politischen Bierdeckel passt. Sie lautet: Auch mit dem Nicht-Wählen übe der Bürger sein Wahlrecht aus, Wahlverweigerung ist legitim und angesichts der konturlosen Politik sogar angezeigt. "Die Wiederwahl von SPD, CDU und all der anderen Parteien würde derzeit nicht Erneuerung, sondern die Fortsetzung der Erstarrung in Deutschland bedeuten." (Gabor Steingart, Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers, München 2009)

Eine Lanze für den Nichtwähler zu brechen ist im Politikjournalismus schon allerhand. Dabei passen einige Dinge einfach nicht zusammen. Der Wähler und der Journalist verlangen von Politiker hochprofessionelle Arbeit, verachten aber Berufspolitiker. Die Wähler möchten, dass "ihr Abgeordneter" ihre Interessen durchsetzt, halten Machtpolitik aber für ein schmutziges Geschäft. Sie verlangen Reformen, aber keine die ihr Leben nennenswert verändern. Sie möchten die Besten im Parlament sehen, aber nicht entsprechend bezahlen. Schizophren wird es schließlich, wenn der Bürger gar nicht erst wählen geht und dann unzufrieden mit der Politik ist, die - natürlich auch ohne seine Stimme - gemacht wird, ja gemacht werden muss.

Der "Berliner Betrieb"

"Zwischen Alex und Siegessäule, Potsdamer Platz und Spreebogen hat sich eine politisch-mediale Welt etabliert, deren Akteure sich ähnlich geworden sind und sich deshalb umso misstrauischer belauern." (Tissy Bruns, Republik der Wichtigtuer, Bonn 2007, S. 9)

Vom "Raumschiff Bonn" zum "Raumschiff Berlin"? Was ist der "Berliner Betrieb"? Sind es Politiker? Medien? Es sind beide! Das veränderte Verhältnis zwischen Medien und Politik wird oft mit dem Umzug nach Berlin begründet. Während es im beschaulichen Bonn nicht nur engere Bindungen, sondern noch einen unausgesprochenen, aber von allen eingehaltenen Ehrenkodex gab, nicht über Privates zu berichten, habe sich dies im Berliner "Haifischbecken" grundlegend verändert. Der Hauptstadtjournalismus ist einer ganz neuen Konkurrenz um Aufmerksamkeit ausgesetzt und hat weniger Hemmungen als die Chronisten der Bonner Republik, die Ereignisse zu machen, die er aufzeichnet?

Die Inszenierung des Politischen in Unterhaltungsformaten tritt dabei immer mehr in den Vordergrund: "Wer sich inszeniert, wird inszeniert." Dies hat zur Folge, dass sich die vermittelten Politikinhalte verstärkt personalisieren und die Wirklichkeit auf einfache Grundkonstellationen reduziert. Man spricht hierbei auch von einer Entertainisierung der Politik oder Politainment. Einerseits stellen Medien Politik in einer spezifischen Weise dar, um den Erwartungen ihres Publikums und den Erfordernissen ihrer Formate zu entsprechen. Andererseits inszenieren sich politische Akteure in einer medientauglichen Art, um die Erwartungen der Massenmedien zu erfüllen und damit Resonanz zu finden.

Hinzu kommt, dass mittlerweile einige Tausend Journalisten beim Bundestag akkreditiert sind und der politische Trubel sehr viel intensiver beäugt wird. Mit Geheimnissen hinter dem Busch zu halten, ist schwieriger und Informationen kommen schneller als früher an die Öffentlichkeit. Die politische Kommunikation in Berlin hat sich massiv beschleunigt, Exklusivität im Zugang zu Politikern und Informationen spielt eine größere Rolle, Lobbyisten und Berater üben sich an Einflüsterung und Themensetzung und neue Techniken wie SMS und Podcasts werden einbezogen.

Die einst hochgradig dezentral angelegte Medienlandschaft befindet sich angesichts massiver Konzentrationsprozesse inzwischen in der Hand weniger, oft international tätiger Medienkonzerne. Von den genannten drei Leitmedien ?BILD, BamS und Glotze? zählen zwei zum Springer Konzern, dem größten Pressehaus Deutschlands und Europas mit ausgeprägt konservativen Neigungen. Man sollte also genau hinschauen, was der funktionalen Logik der Medien folgt und wo ganz einfach Politik in und über Medien gemacht wird.

Von Bloggern und Twittern - Politiker und die neuen Medien

"Journalisten sind nur Randfiguren der Holz verarbeitenden Industrie." (Willy Brandt)

Gerhard Schröder wird der Satz zugeschrieben: "Zum Regieren brauche ich nur BILD, BamS und Glotze". Hat er es tatsächlich gesagt? Auf jeden Fall spiegelt diese eingängige Formel die Philosophie unseres ersten Medienkanzlers wider, der sehr genau wusste, wie er durch immer neue Inszenierungen das Interesse der Medien auf sich ziehen konnte. Zweifelsohne nutzen Politiker immer gekonnter die Medien für ihre Sache. Barack Obama führte einen Großteil seines Wahlkampfes im Internet, Silvio Berlusconi trat während seiner Präsidentschaftskandidatur oft und gerne in den Sendern seiner eigenen Fernsehgesellschaft auf, Angela Merkel informiert uns wöchentlich per Video-Podcast und Thorsten Schäfer-Gümbel twittert. Andere Politiker bloggen oder beziehen Stellung auf ihren eigenen Homepages. Die rasante Verwandlung der Parteiendemokratie in eine Mediendemokratie ist eine Entwicklung, an der die Politik nicht so unschuldig ist, wie sie gern der Öffentlichkeit gegenüber in Anspruch nimmt.

Um in der neuen Medienlandschaft bestehen zu können, nutzen immer mehr meiner Kollegen die neuen Möglichkeiten von der eigenen Homepage über Facebook bis zum täglichen bloggen oder twittern. Für mich stellt sich hier die Frage, ob die Wähler wirklich in Echtzeit darüber informiert sein wollen, was ihr Abgeordneter gerade tut? Wieso beklagen sich Kollegen über mangelnde Privat- oder gar Intimsphäre und stellen zugleich ihr Privatleben, samt Familienfotos, bei Facebook aus?

Informationen aus dem politischen Betrieb sind oft nicht besonders attraktiv, also werden sie "weggezappt". Darum drängen Politiker zunehmend in die Unterhaltung und die Grenzen zwischen Politik und Unterhaltung verwischen immer mehr. Eine andere Strategie ist es, ausschließlich für die Medien einen Auftritt zu inszenieren, man spricht in diesem Zusammenhang von Pseudo-Ereignissen

Dabei geht es grundsätzlich um die Frage: Geht es um politische Inhalte oder inszenierte Selbstdarstellung? Natürlich ist es sinnvoll für einen Politiker eine eigene Homepage zu betreiben und selbstverständlich sollte er in der Lage sein, die Medien auch zu nutzen. Ich bin jedoch nach wie vor der Meinung, dass Homestories jeder Art in bunten Blättern in der Politik nicht zu suchen haben. Den meisten, die es versucht haben, hat es im Übrigen eher geschadet als genutzt. Für mich bleibt es dennoch unverständlich, warum bestimmte Politiker ihre eigene mediale Inszenierung mit allen Kräften und Mitteln betreiben, zu Dauergästen in Talkshows avancieren, als Kandidaten bei "Wetten dass?" auf dem Sofa sitzen oder sich sogar von "Big Brother" in den Container sperren lassen.

Die Medien wiederum machen dieses Spiel gerne mit und verschmelzen zunehmend mit dem politischen System. Sie prägen der Politik ihre Eigenlogik ein, setzen sie unter einen stetigen Inszenierungsdruck. Das birgt das Risiko einer Abstraktion von Inhalten, einer permanenten Präsentation des schönen Scheins. "Mediendemokratie" lautet ein Begriff, der für diesen Zustand erfunden wurde, oder, noch weitergehend, "Mediokratie".

Ein weiteres Problem ist die Personalisierung. Der politische Journalismus giert nach Rücktritten und Krisen und reduziert Politik oft auf persönliche Dramen. Warum hilft Merkel Opel nicht? Warum hat sie Koch vertrieben und Köhler nicht gehalten? Warum hat sie die Finanzkrise nicht im Griff? Warum haut sie nicht auf den Tisch? Der politische Journalismus personalisiert gnadenlos - und wehe die Verantwortlichen haben nicht die Gaben eines Herkules. Auf die immer komplizierteren Entscheidungssituationen der Politik reagieren die meisten Journalisten mit immer banaleren Personalisierungen, die Ereignisse in Duelle umwandelt. Die Demokratie wird dabei zunehmend als eine Abfolge von Entscheidungsduellen von wenigen und nicht als Aushandlungsprozesse von vielen wahrgenommen. Denkt Politik nach, bittet sie um Geduld, prüft und debattiert sie, dann wird sie bestenfalls karikiert, meist verachtet.

Fazit

In einer Gesellschaft, die mehr und mehr von Medien bestimmt wird, bestimmen die Medien auch die Agenda der Politiker mit. Über was nicht berichtet wird, ist nicht wichtig. Beide hoffen auf gegenseitiges Wohlwollen. Der Politiker auf eine ihm genehme Berichterstattung, der Journalist auf Informationen. Beide bilden eine gegenseitige Interessensgemeinschaft und führen bisweilen eine symbiotische Beziehung.

Politiker haben genauso ein Recht auf ein faires abgewogenes Urteil wie jeder andere Berufsstand auch. Sie benötigen keinen Vertrauensvorschuss, aber auch kein notorisches Misstrauen, weder Liebdienerei noch selbstgerechte Gegenmoral. Sie sollten nach dem, was sie tun und sagen bewertet werden und nicht nach öffentlichen Kampagnen. Und sie haben, wie andere Berufsgruppen auch das Recht Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Im Übrigen hat der Arbeitgeber - in diesem Fall der Wähler - alle vier Jahre die Gelegenheit seiner Zufriedenheit oder Unzufriedenheit unmittelbar durch Abgabe seiner Stimme Ausdruck zu geben.

Zu guter Letzt würde sich das Verhältnis zwischen Journalisten und Politikern deutlich entspannen, wenn sich beide nicht immer so schrecklich wichtig und ernst nehmen würden. Deshalb möchte ich meine Ausführungen mit der wunderbaren Anekdote schließen, die Evelyn Roll in der SZ aufschrieb: Im Zuge der Veröffentlichung eines Buchs über Herbert Wehner hatte eine "Journalistin" von RTL im Willy-Brandt-Haus angerufen und wollte mit Herbert Wehner verbunden werden. Der Referent fand's lustig: "Tut mir sehr leid, Herr Wehner ist gerade in einem wichtigen Gespräch mit Franz Josef Strauß, da kann ich jetzt nicht stören." - Sie: "Okay, dann darf ich also später noch einmal anrufen?"
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Das Verhältnis zwischen Journalismus und Politik
Veröffentlicht: 
In: Christoph Schmidt/Bernd-Peter Arnold (Hrsg.), Handbuch International Media Studies, Bonn 2011, S. 22-35.