Die Sicherheitsstrategie der Union - überflüssig und gefährlich!

Das Bundesverfassungsgericht hat gestern dem Antrag der FDP-Fraktion in der AWACS-Frage entsprochen. Damit wird die Legislative und der deutsche Parlamentsvorbehalt ausdrücklich gestärkt - im Gegensatz zum Tornadourteil vor einem knappen Jahr, in dem der Exekutive noch eine Art Blankoscheck für fast jedwede Nato-Strategie übertragen wurde. Damit wurde aber auch einem erheblichen Teil der ebenfalls gestern präsentierten Sicherheitsstrategie von CDU/CSU quasi höchstrichterlich eine Abfuhr erteilt. Denn mit ihrem Strategiepapier verlässt die Union nicht nur den verfassungsrechtlichen sondern auch den sicherheitspolitischen Grundkonsens.

Dabei enthält die Strategie durchaus auch positive Elemente: So hebt sie unter anderem die Rolle von Abrüstung und Rüstungskontrolle als "strategischem Instrument" deutscher und europäischer Sicherheitspolitik hervor, leitet aber keine konkreten Vorschläge ab, wie der festgefahrene Rüstungskontrollprozess wieder in Gang gebracht werden könnte. Insgesamt betrachtet ist die sicherheitspolitische Lageanalyse der Union weder neu - so findet sich nichts, was im Weißbuch 2006 oder in der europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 nicht schon besser und konsistenter formuliert worden wäre -, noch sinnvoll oder gar Ziel führend. Sie ist vielmehr gefährlich. So schlagen die Strategen der Union u.a. die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates nach dem Vorbild der USA vor, streben an, die Bundeswehr auch für Inlandseinsätze zu verwenden und fordern, den Parlamentsvorbehalt teilweise auszusetzen, um künftig deutsche Soldaten schneller in den Auslandseinsatz schicken zu können.

Dabei geht es den Außenpolitikern der Union ganz offensichtlich nicht um eine neue Bedrohungsanalyse, sondern um eine unzulässige Vermischung von innerer und äußerer Sicherheit, einer Stärkung des Kanzleramts gegenüber den übrigen Ressorts sowie einer Schwächung des Parlaments gegenüber der Exekutive. Zudem verschwimmen in der Sicherheitsstrategie von CDU und CSU die Grenzen zwischen Krieg und Frieden nun endgültig. Ebenso taucht die altbekannte Forderung von Wolfgang Schäuble und anderen wieder auf, für einen "Einsatz der Bundeswehr im Innern (...) klare Rechtsgrundlagen zu schaffen und Zuständigkeiten anzupassen". Dahinter steckt Methode und der wiederholte, unverhohlene Versuch, die historisch begründete Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit aufzuweichen.

Ein weiterer Vorschlag der Unionsaußenpolitiker sieht vor, einen "Nationalen Sicherheitsrat als politischer Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungs(!)zentrum" auszubauen. Mit anderen Worten: Der bereits bestehende, 1955 gegründete und geheim tagende, Bundessicherheitsrat soll aufgewertet und mit einem handlungsfähigen Stab ausgestattet werden. Das Gremium koordiniert schon heute die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Regierung und entscheidet über Rüstungsexporte. Ihm gehören neun Mitglieder an: die Kanzlerin, der Chef des Kanzleramts, der Außenminister sowie die Minister für Verteidigung, Inneres, Finanzen, Justiz, Wirtschaft sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es gibt unserer Überzeugung nach keinen Anlass daran zu zweifeln, dass der Bundessicherheitsrat seine Aufgaben der Koordination sicherheitsrelevanter Fragen auch in Zukunft ordnungsgemäß wird erfüllen können. Im Übrigen ist und bleibt die Notwendigkeit eines koordinierten und schnellen Regierungshandelns in erster Linie eine Frage der politischen Führung.

Ein "Nationaler Sicherheitsrat" wäre zudem mit der verfassungsrechtlich gebotenen Balance zwischen Ressortkompetenz und Kanzlerprinzip nicht vereinbar. Er ist vielmehr ein Gremium, welches wir in den Präsidialsystemen der Vereinigten Staaten, Russlands und Frankreichs vorfinden, aber eigentlich kein adäquates Instrument in einer parlamentarischen Koalitionsregierung, wo die beiden wichtigsten Ämter (der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin und der Außenminister) in der Regel unterschiedlichen Parteien angehören. Im Übrigen: Ob die Nationalen Sicherheitsräte der USA und Russlands erfolgreich und angemessen auf den 11. September oder die terroristischen Anschläge in Moskau reagiert haben, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Last but not least fordert das Unionspapier, das Parlamentsbeteiligungsgesetz sei "anzupassen", damit die Bundeswehr in multinationalen Eingreifverbänden auch dann kurzfristig einsetzbar sei, wenn "eine Entscheidung des Bundestags nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann". Dabei zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass es in der Regel durchaus genügend Vorlaufzeit gibt, damit das Parlament verfassungsgemäß über eine Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Kampfeinsätzen entscheiden kann. Für die Beibehaltung dieser bewährten Praxis spricht auch, dass deutsche Truppen nur dann tätig werden können, wenn der Einsatz auf der Grundlage internationalen Rechts stattfindet. Unabdingbare Voraussetzung für den Einsatz deutscher Streitkräfte bleibt also ein entsprechender Sicherheitsratsbeschluss der Vereinten Nationen.

Ohne Not geben sich die Abgeordneten von CDU/CSU wieder einmal der seltsamen Neigung hin, sich selbst wichtige Befugnisse zu nehmen. Offenbar herrscht in weiten Teilen der Union die tiefe Überzeugung, dass weniger Kompetenzen für das Parlament mehr Sicherheit für Deutschland bedeuten. Der Vorstoß ist - wie das AWACS-Urteil zeigt - verfassungsrechtlich mehr als fraglich und dürfte die Sympathien der Bevölkerung für Auslandseinsätze nicht gerade erhöhen. Die Regelungen des Gesetzes sind zudem ausreichend flexibel gestaltet, dass die Bundesregierung auch unter zeitkritischen Bedingungen handlungsfähig ist, etwa wenn Gefahr in Verzug ist. Wo hier der Änderungsbedarf liegen soll, lässt sich deshalb nur schwer erschließen. In einer Zeit globaler Sicherheitsrisiken ist unserer Überzeugung nach nicht weniger, sondern mehr parlamentarische Kontrolle über die Sicherheitsorgane nötig. Dies sehen im Übrigen immer mehr unserer Partner im Bündnis ebenso: Der deutsche Parlamentsvorbehalt findet immer mehr Nachahmer in anderen europäischen Parlamenten.

Auch wenn die Tradition der zivilen Außenpolitik in Deutschland der Union offenbar ein Dorn im Auge bleibt, ist sie nicht ohne Grund aus historischen Gründen so im Grundgesetz verankert worden. Es ist zudem nur schwer ersichtlich, was der "Mehrwert" einer deutschen Sicherheitsstrategie sein soll, wenn es bereits eine europäische gibt. Derzeit gibt es jedenfalls keine Partei im Bundestag, die bereit wäre, der Union bei dieser radikalen Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik verbunden mit der Selbstentmachtung des Parlaments zu folgen.

Berlin, 08.05.2008

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Zur Sicherheitsstrategie von CDU/CSU
Veröffentlicht: 
Berlin, 08.05.2008