Der schwierige Weg zum Frieden

Am 3. Oktober stimmte die kolumbianische Bevölkerung überraschend und denkbar knapp gegen das Friedensabkommen mit den Farc-Rebellen. Gleichwohl haben der vorerst gescheiterte Friedensvertrag in Kolumbien und die Debatte darüber, ob ein Ende des syrischen Gemetzels unter Einbeziehung von Assad überhaupt noch möglich ist, die Frage nach dem Umgang mit Gewaltgruppen und Kriegsherren wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Kann Kolumbien trotz des Votums dennoch als Modell für andere Konflikte wie das bürgerkriegsgeplagte Syrien dienen?

Zunächst gilt es festzuhalten, dass es keine auf alle Länder übertragbare Blaupause gibt, sondern jeder Fall muss gesondert bewertet werden. Es gibt eine Vielzahl von Instrumenten für den Umgang mit Kriegsverbrechern und die Aufarbeitung von Kriegsgräueln. Dazu gehören nationale Gerichtsbarkeit und internationale Verfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder durch Kriegsverbrechertribunale wie in Nürnberg, Ruanda oder im ehemaligen Jugoslawien, Wahrheits- und Versöhnungskommissionen wie in Südafrika, Liberia oder Osttimor. Dabei gilt: Jedes Land muss seinen eigenen Weg finden. Eine Aussöhnung ist alles andere als gewiss. Drei Kriterien für eine erfolgreiche "Vergangenheitsbewältigung“ sind dabei unabdingbar: Der Friedens- und Versöhnungsprozess muss transparent sein. Das Prinzip der Strafverantwortung muss beibehalten werden. Und der Prozess muss glaubwürdig sein.

Die Volksabstimmung in Kolumbien ist zweifelsohne ein herber Rückschlag für den international bereits gefeierten Friedensvertrag - zumal 21 Millionen der 34 Millionen Wahlberechtigten gar nicht erst abgestimmt haben. Die Angstkampagne des ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe dürfte dazu beigetragen haben. Ein Rest Hoffnung besteht darin, dass sowohl Präsident Santos als auch die Farc offenbar bereit sind, Elemente des Friedensabkommens neu auszuhandeln. Dies bedeutet noch lange nicht, dass ein solches Abkommen auch die Zustimmung der Bevölkerung finden wird. Entscheidend dafür bleibt die Entwaffnung und Reintegration der Farc-Kämpfer unter Aufsicht der Vereinten Nationen (UN). Eine weitere Voraussetzung ist zudem die justizielle Aufarbeitung der Verbrechen, welche von der Farc, aber auch von den Sicherheitskräften und Paramilitärs des Landes begangen wurden. In dem Krieg zwischen Farc und ELN auf der einen und Regierung und ultrarechten Todesschwadronen auf der anderen Seite wurden mehr als 260 000 Menschen getötet, 45 000 Menschen gelten als vermisst, sieben Millionen Menschen wurden in die Flucht getrieben.

Das Friedensabkommen sah eine Amnestie für "politische“ Straftaten vor. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Verbrechen sollten mit Strafen zwischen fünf und acht Jahren geahndet werden, sofern die Täter geständig sind. Mit der Festlegung einer moderaten Maximalstrafe kamen die Unterhändler der Regierung der Farc entgegen. Das niedrige Strafmaß hatte bereits die Kritik von Menschenrechtsorganisationen hervorgerufen und dürfte auch ein Grund für die Ablehnung gewesen sein, zumal durch die Angehörigen der Opfer. In einem neu verhandelten Abkommen werden sich die Amnestiebedingungen für die Farc-Rebellen verändern. Derzeit ist offen, wie es in Kolumbien weitergeht und ob das Land einen Weg zum Frieden finden wird.

Davon ist Syrien weit entfernt. Straffreiheit für Assad dient nicht dem Frieden. Die "Weltgemeinschaft“ verfügt, auch angesichts der russischen Obstruktionspolitik, nicht einmal über genügend Drohpotenzial, um durchzusetzen, dass das syrische Regime Hilfslieferungen zu den eingeschlossenen Menschen nach Aleppo durchlässt. Syrische Regierungstruppen haben wie alle anderen schwerste Kriegsverbrechen begangen, für die eine Amnestie kaum vorstellbar ist und für die alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Angesichts des im Detail dokumentierten Grauens und der besonderen Verantwortlichkeit des Regimes kann am Ende das Land mit Assad keinen Frieden finden. Angesicht der Hunderttausenden vertriebenen, verfolgten, verhafteten und zu Tode gefolterten, bombardierten und ausgehungerten Menschen ist dies undenkbar. Es braucht letztlich auch russischen Druck auf Assad, damit dieser das Feld räumt.

Kolumbien und Syrien zeigen: Der Weg zu einer friedlichen Transformation von Bürgerkriegsgesellschaften ist komplex und lang. Versöhnungsprozesse können Jahrzehnte andauern. Sie finden auf nationaler Ebene statt und lassen sich nicht von außen erzwingen. Staaten, die Erfahrungen mit der Aufarbeitung von Bürgerkriegen haben, können ihre Hilfe und Unterstützung anbieten. Nur wenn die Gesellschaft bereit ist, zu vergeben und wenn die Täter bereit sind, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen, lassen sich Feindschaften überwinden. Frieden und Gerechtigkeit dürfen dabei nicht als sich gegenseitig widersprechende Prinzipien gesehen werden. Frieden ist vielmehr eine Voraussetzung für Gerechtigkeit, auch wenn nicht jede Verurteilung automatisch zu Frieden und Versöhnung beitragen wird.

Ob das Ziel der Versöhnung erreicht werden kann, hängt somit weniger von der "internationalen Gemeinschaft“, sondern in erster Linie von der Versöhnungsbereitschaft der Kolumbianer und Syrer ab. Diese lässt sich nicht per Gesetz verordnen oder von außen erzwingen. Auch wenn das Referendum verloren ist, geht es darum, einen gerechten Frieden zu gewinnen. 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Noch können Regierung und Farc-Rebellen den Bürgerkrieg in Kolumbien beenden - trotz des Referendums.
Veröffentlicht: 
Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 07.10.2016