Sarkozys atomare Mittelmeerunion

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union einigten sich auf dem EU-Gipfeltreffen am 13. März in Brüssel auf die Gründung einer Mittelmeerunion. Diese Union wird die bisherige Mittelmeerpolitik der EU, den sogenannten Barcelona-Prozess, ablösen, der in der Tat hinter den Erwartungen zurückblieb. Das zunächst heftig umstrittene Projekt des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy sieht eine Aufwertung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens vor. Auf den Kompromiss ließ Angela Merkel, die die Pläne zur Mittelmeerunion von Anfang an kritisch beäugte, sich aber nur ein, da entgegen der Vorstellungen Sarkozys nun alle EU-Staaten beteiligt sein werden und zur Realisierung der Union keine weiteren Mittel notwendig sind. Die neue Union wird am 13. Juli auf einem Sondergipfel in Paris besiegelt werden.

Bereits Ende Juli 2007 flog der französische Präsident zu Gesprächen mit dem libyschen Machthaber Muammar al Gaddafi nach Tripolis. Unter anderem im Gepäck: ein Atomkraftwerk. Zusätzlich wurden lukrative Geschäfte im Rüstungssektor vereinbart. Der französisch-libysche Deal ist als hoch brisant einzuschätzen. Gaddafi gilt seit langem als unberechenbarer und kühl taktierender Despot. Zwar scheint er Massenvernichtungswaffen seit einigen Jahren abgeschworen zu haben, doch die Lage im Land ist alles andere als stabil. Niemand kann vorhersagen wie sich Libyen in den nächsten Jahren entwickeln und ob es die Atomenergie dauerhaft ausschließlich friedlich nutzen wird.

Sarkozys Verkaufstour am Mittelmeer

Nicht nur in Libyen versucht Sarkozy die Atomexporte seines Landes voranzutreiben. In den vergangenen Monaten schloss der französische Präsident Nuklearkooperations-vereinbarungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Algerien ab. Mit Katar unterzeichnete er ein Memorandum für einen ähnlichen Vertrag. Ebenso führte er in Marokko und Jordanien Gespräche über die Lieferung nuklearer Technologien. Angebote über eine Nuklearpartnerschaft machte Frankreich außerdem Ägypten und Saudi-Arabien. Jedes mal bemühte sich Sarkozy darum, deutlich zu machen, dass es sich lediglich um eine Zusammenarbeit im Bereich der zivilen Nutzung von Atomenergie handle. Ihm zufolge müsse man auch den arabischen Ländern einen verantwortungsvollen Umgang mit der Atomenergie zutrauen. Wer dies in Abrede stelle, riskiere einen "Krieg der Kulturen". Die Kernenergie ist eine der wenigen Großtechnologien, bei der französische Unternehmen weltweit führend sind. Sie sind dazu in der Lage, eine geschlossene Kette von der Belieferung mit Brennstoff über die Energieerzeugung und dem Energietransport bis hin zur Wiederaufbereitung anzubieten.

Der französische Präsident scheint mit seiner Atomexportoffensive eine dreigleisige Strategie zu fahren: Zum einen hofft Sarkozy durch die Kooperation mit den Golfstaaten ein Gegengewicht zum deutschen Einfluss in Osteuropa zu schaffen, des Weiteren soll von der Lieferung der Atomtechnologie in die genannten Staaten eine abschreckende Wirkung auf den Iran ausgehen und drittens spielen wirtschaftliche Interessen die wohl größte Rolle. Neben der erwähnten Stärkung des französischen Nuklearsektors sind die weitreichenden Öl- und Gasvorkommen der Mittelmeerregion äußerst reizvoll für die Wirtschaft unseres Nachbarlandes. Die mit der Nukleartechnologie verbundenen Sicherheits- und Proliferationsrisiken werden traditionell von französischer Seite nicht thematisiert.

Risiken ignoriert

Sarkozy fädelte die Deals ohne Rücksprachen mit den europäischen Partnern ein und vertritt rücksichtslos die französischen Interessen in der Region. So lässt er unter Anderem außer Acht, dass auch deutsche Unternehmen von den Geschäften direkt betroffen sind. So ist am französisch-libyschen Nuklearabkommen auch ein Tochterunternehmen des Kerntechnikkonzerns AREVA beteiligt, an dem Siemens 34 Prozent der Anteile hält. Viel schwerer wiegen jedoch die Sicherheitsrisiken. Atomexporte in die politisch zumeist instabilen Mittelmeerstaaten bergen mittel- und langfristig ein hohes Gefahrenpotential für die Region und damit auch für Europa selbst. Nicht umsonst sind Sarkozys Atomgeschäfte auch in französischen Regierungskreisen nicht unumstritten. Niemand kann auf Dauer ein atomares Aufrüsten in der Region und die Weiterverbreitung der Atomtechnologie in andere problematische Staaten ausschließen. Die Europäische Union muss Frankreich deshalb zu einer Konsolidierung seines Kurses aufrufen. Auch innerhalb der deutsch-französischen Zusammenarbeit muss das Thema deutlich angesprochen werden. Dabei geht es nicht um eine Abwertung oder grundsätzlichen Vertrauensentzug gegenüber den Mittelmeerstaaten, sondern um deren und unsere Sicherheit. Es muss unbedingt verhindert werden, dass sich der atomare Schatten in der Region weiter ausbreitet. Die Risiken wären nicht mehr kalkulierbar. Dies kann auch nicht im Interesse Frankreichs liegen.

Dr. Rolf Mützenich, MdB, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, abrüstungs- und nahostpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Die Atom- und Mittelmeerpolitik des französischen Präsidenten
Veröffentlicht: 
In: Vorwaerts.de, Mai 2008