Regionale Sicherheitsgemeinschaften als Bausteine für den weltweiten Frieden?

1 Einleitung

Auch 20 Jahre nach der Beendigung des Kalten Krieges befindet sich die Welt noch immer im sicherheitspolitischen Umbruch. Das prognostizierte "Ende der Geschichte" (Fukuyama 1992) blieb aus - die Hoffnung auf einen weltweiten Frieden wurde schnell enttäuscht. Der ehemals vorherrschende Ost-West-Konflikt wurde abgelöst durch regionale Konflikte und weltweite Sicherheitsprobleme, wie verschärfte Entwicklungsdefizite, Hunger- und Umweltkatastrophen, den internationalen Terrorismus, die zunehmende Proliferation von Massenvernichtungswaffen, ausbleibender Abrüstung und dem Mangel an akzeptierten Regeln und Normen zugunsten einer gemeinsamen Sicherheit. Das "Chamäleon Krieg" wandelte sich seit den 1990er Jahren rasant. Der klassische Staatenkrieg ist heute fast verschwunden. An seine Stelle sind transnationale Kriege getreten, in denen supra- und substaatliche Akteure die wesentliche Rolle spielen (Münkler 2007: 3). Zugleich verlagerte sich der Schwerpunkt der Debatte um die internationale Sicherheit von der Ost-West- auf die Nord-Süd-Achse. Spätestens seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center 2001 hat eine zunehmende Sensibilisierung für die ?neuen Bedrohungen? aus dem Süden in den Ländern des Nordens stattgefunden. Im Mittelpunkt des Diskurses stehen dabei Ausdehnungseffekte von Regionalkonflikten im Süden und damit einhergehende Staatszerfallsprozesse, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und der Terrorismus; alles Entwicklungen, die mittelbar auch die nördlichen Staaten gefährden könnten (Steinhilber 2006: 5).

Das nach dem Wegfall der Systemkonfrontation und durch die Transformation der Konfliktsymmetrie seit Beginn der 1990er Jahre entstandene sicherheitspolitische Vakuum konnte bis dato nicht nachhaltig gefüllt werden. Den Vereinten Nationen (United Nations, UN), als globale Organisation zur Sicherung des Weltfriedens, gelang es nicht, dieses Vakuum dauerhaft für sich zu nutzen und Antworten auf die Fragen der neuen Weltordnung zu finden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Problematisch erscheint jedoch insbesondere, dass sich die UN selbst in einer schweren Krise befinden. Die fortwährende Blockade einer nötigen Reform der Vereinten Nationen sowie die Marginalisierung des UN-Sicherheitsrats, vor allem bedingt durch den Alleingang der USA beim Krieg gegen den Irak 2003, behindern die Handlungsfähigkeit der Weltorganisation und sorgen dafür, dass sie den aktuellen Herausforderungen nicht gewachsen zu sein scheint. Doch auch der Unilateralismus der USA und die "Koalition der Willigen" haben die Welt keineswegs sicherer gemacht. Ihre Mission der "demokratischen Intervention" und die damit verbundene trügerische Hoffnung auf die Schaffung demokratischer und zugleich friedlicherer Staaten durch den Einsatz kriegerischer Mittel gelten als gescheitert (Merke 2006: 555-575).

Während die Staaten des Nordens weiterhin um ein nachhaltiges sicherheitspolitisches Konzept ringen, um den "neuen Bedrohungen" aus dem Süden gewachsen zu sein, fand in den südlichen Ländern seit den 1990er Jahren allmählich eine Reform der Sicherheitspolitik statt. Regionale Konflikte versucht man in Lateinamerika, Afrika und Asien heute zunehmend durch die Ausweitung regionaler Kooperationen zu lösen. Die Anfänge der Globalisierungsdebatte und das Ende der polarisierenden Blockkonfrontation gaben regionalen Sicherheitsgemeinschaften einen neuen Schub (Steinhilber 2006: 19). Der Regionalismus als sicherheitspolitisches Instrument erlebte so in den vergangenen Jahren, insbesondere auf den südlichen Kontinenten, eine deutliche Renaissance. Auch in der politikwissenschaftlichen Debatte um eine neue weltweite Sicherheitspolitik spielt die ?Renaissance der Regionen? eine erhebliche Rolle (Heise 2008). Es erscheint zunächst nur logisch, regionalen Konflikten auch mit regionalen Lösungen zu begegnen.

Im Rahmen der theoretischen Debatte um den "neuen Regionalismus" in den Internationalen Beziehungen griffen Emmanuel Adler und Michael Barnett auf ein viel zitiertes Modell des amerikanischen Politikwissenschaftlers Karl W. Deutsch zurück (Adler/Bartnett 1998a). Dieser entwickelte bereits in den 1950er Jahren ein transaktionistisches Konzept einer pluralistischen und regional begrenzten Sicherheitsgemeinschaft, der er potenziell eine Friedenswirkung zusprach (Deutsch/Burell 1957). Nach Deutsch zeichnet sich eine pluralistische Sicherheitsgemeinschaft dadurch aus, dass ihre Teilnehmer in den grundlegenden politischen Werten übereinstimmen, in ihrem Rahmen Gewalt als Mittel zwischenstaatlicher Interessendurchsetzung überwunden und das wechselseitige Verhalten berechenbar ist (Deutsch 1995). Die Folge ist eine Zivilisierung des Umgangs zwischen Staaten. Sicherheit wird in einer derartigen Gemeinschaft als kollektives Gut betrachtet, so dass die Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts jenseits der Vorstellungskraft liegt.

Es soll also im Folgenden darum gehen, die "Renaissance der Regionen" im Süden im Lichte des Deutsch?schen Konzepts näher zu bewerten. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit regionale Sicherheitsgemeinschaften in Lateinamerika, Afrika und Asien einen Beitrag zur Entschärfung des Nord-Süd-Konflikts und zur Sicherung des weltweiten Friedens leisten können. Stimmt die Logik, dass regionale Konflikte durch regionale Kooperationen nachhaltig gelöst werden können? Welche Typen von regionalen Sicherheitsbündnissen bestehen bereits und wie müssen diese in Zukunft weiterentwickelt und gestärkt werden, um einen erfolgreichen Beitrag zur Friedenssicherung leisten zu können? Können sich auch autoritäre Regime - wie Demokratien - zu verlässlichen Partnern in Sicherheitsgemeinschaften entwickeln oder ist Demokratisierung eine unbedingte Grundvoraussetzung für das dauerhafte Bestehen und die Effektivität regionaler Bündnisse?

2 Die Renaissance der Regionen

Der Regionalismus als Mittel der internationalen Politik wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch zwei Wellen geprägt (Bhagwati 1993: 22-51). Die erste Welle geht zurück auf die Anfänge der regionalen Integration in den 1950er und 1960er Jahren. Diese spielte sich vor allem in Westeuropa ab, doch auch in anderen Teilen der Welt kam es zu Gründungen von regionalen internationalen Organisationen. Die wichtigsten waren die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS, 1948), die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU, 1963), die Arabische Liga (AL, 1945) und der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN, 1967). In den 1970er Jahren geriet der Regionalismus jedoch ins Stocken, weil sich in Europa die anfänglich großen Erwartungen als unrealistisch erwiesen und Experimente etwa in Lateinamerika mit der Latin American Free Trade Area (LAFTA) erfolglos scheiterten. Ebenso stagnierten die übrigen Integrationsprozesse in Amerika, Afrika und Asien (Nabers 2005: 15). Gründe für das vorläufige Scheitern der vor allem ökonomischen Kooperationen waren zu schwache Institutionen, zu stark binnenorientierte Volkswirtschaften und die Unterentwicklung vieler Staaten im Süden (Steinhilber 2006: 19).

Die zweite Welle des Regionalismus entstand gegen Ende der 1980er Jahre. Sie wurde maßgeblich durch die zunehmende ökonomische Globalisierung und eine neue sicherheitspolitische Lage beeinflusst. Der Kalte Krieg war der strukturierende Konflikt der internationalen Politik in der Nachkriegszeit. Mit seinem Ende verschoben sich die gewohnten Koordinaten des internationalen Systems deutlich, wodurch eine "neue Unübersichtlichkeit" (Habermas 2006) hervorgerufen wurde.

Zunächst bestand die Erwartung, dass die Vereinten Nationen nunmehr ihre Wirkung als globale Ordnungsmacht entfalten könnten, die ihr in der UN-Charta zugedacht und bis dato durch den Ost-West-Konflikt blockiert worden war. Die rasche und umfassende Reaktion der UN auf die Annexion Kuweits durch den Irak und das gemeinsame Auftreten der USA, Großbritanniens und Frankreichs mit Unterstützung Russlands und unter der Duldung Chinas ließen hoffen, dass es den Vereinten Nationen gelingen könnte, fortan ein globales System kollektiver Sicherheit zu schaffen. Die Mediation des Friedensprozesses in Kambodscha sowie die Hilfsaktion für Somalia nährten diese Hoffnung. Jedoch wurde rückblickend schon an diesem Punkt deutlich, dass die UN in erster Linie auf Initiative ihres Mitglieds USA handelten, das seine hegemoniale Position taktisch klug zu nutzen wusste. Außerdem scheiterte die von UN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali vorgelegte sehr ambitionierte "Agenda für den Frieden" an der fehlenden Bereitschaft der UN-Mitgliedstaaten, die für die Umsetzung der Agenda notwendigen finanziellen Mittel und militärischen Ressourcen zur Friedenssicherung bereitzustellen. Es wurde in dieser Situation deutlich, dass die Fähigkeiten der Vereinten Nationen als globale Ordnungsmacht begrenzt waren. Bis heute ist es der UN nicht gelungen, sich an die veränderte weltpolitische Lage nach dem Ende der Blockkonfrontation anzupassen.

Die UN scheinen den sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bisher noch nicht gewachsen zu sein. Zu drastisch vollzog sich der Wandel seit Beginn der 1990er Jahre. Die bipolare Konfrontationsstruktur wurde abgelöst durch stärker regional und transnational geprägte Konflikte, insbesondere in den südlichen Erdteilen. Der klassische Staatenkrieg hatte sich zum Auslaufmodell entwickelt. Der eher diffuse Nord-Süd-Konflikt, der während des Kalten Krieges im Norden lediglich als Teilaspekt des Ost-West-Konflikts betrachtet wurde, wurde nun stärker als eigenständige Konfliktformation begriffen. Es entstand in den Staaten des Nordens, vor allem unter dem Eindruck der Terroranschläge von New York, ein neues Verständnis von Sicherheit, das über traditionelle militärische Bedrohungen weit hinaus ging und neue Risiken, wie Armut, den internationalen Terrorismus oder die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, mit einbezieht. Heute dient das Konzept der umfassenden und erweiterten Sicherheit in vielen Ländern - insbesondere in Europa ? und multilateralen Bündnissen als neues Paradigma der Sicherheitspolitik (Frank 2001:15-28).

Zugleich hängen die Sicherheitsinteressen der Länder des Südens heute weniger von weltpolitischen Konflikten, sondern stärker von den Beziehungen und Auseinandersetzungen innerhalb einer Region ab. Diese "regionalen Sicherheitskomplexe" sind von interdependenten sicherheitspolitischen Prozessen geprägt (Buzan/Wæver 2003: 43-45). Hierzu gehören institutionelle Schwächen eines bzw. mehrerer Staaten oder gar Staatszerfall, Migration, Schmuggel, Naturkatastrophen, transnationale Guerillaaktivitäten, Terrorismus sowie Schattenwirtschaft. Zwar haben viele dieser Prozesse und Konflikte innerstaatliche Ursachen, jedoch greifen sie häufig auf Nachbarstaaten oder eine ganze Region über. Diese "postnationalen Konflikte" (Kühnhardt 2004) sind in der Regel sehr diffus und asymmetrisch in ihrer Gestalt. Die Grenzen zwischen den Staaten sowie den beteiligten Akteuren verschwimmen in diesen Konflikten und machen sie nur schwer beherrschbar.
In Anbetracht der Überlastung der Vereinten Nationen sowie dem schwindenden Engagement der westlichen Staaten kam es in Lateinamerika, Afrika und Asien vermehrt zu Versuchen, derartige Auseinandersetzungen über regionale Kooperationen oder Gemeinschaften zu lösen.

Neben diesem sicherheitspolitischen Wandel und der veränderten Bedrohungswahrnehmung ist es freilich auch die zunehmende ökonomische Globalisierung, die die "Proliferation regionaler Integration" (Kühnhardt 2004) deutlich gefördert hat. Auch hier sind zwei Wellen feststellbar. Die erste Welle reichte bis in die 1980er Jahre und war in erster Linie defensiver und protektionistischer Natur (Carlowitz 2003: 15). Der "neue Regionalismus" bzw. die zweite Welle regionaler Kooperation und Integration fand unter veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen statt. Unter dem Eindruck einer zunehmenden multilateralen Liberalisierung und einem voranschreitenden Globalisierungsprozess kam es allmählich zu einer stärkeren Öffnung der Regionen für die Weltwirtschaft. Dennoch sind die internationalen Handelsströme auch heute noch stark regional konzentriert.

3 Karl W. Deutsch und das Konzept der regionalen Sicherheitsgemeinschaft

Karl W. Deutsch gehört zu den bedeutendsten Politikwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts. Als einer der Hauptvertreter des Transaktionismus und der Politischen Kybernetik (Deutsch 1969), konzentrierte er sich vor allem auf die sozialpsychologischen Rahmenbedingungen von Integration, die als grundsätzlich positiv und friedensfördernd erachtet wurden. Entscheidend für das Verständnis des Deutsch'schen Ansatzes ist die Differenzierung der Begrifflichkeiten Integration und Amalgamation (Verschmelzung), denn "the former one has to do with the formation of communities, and the latter with the establishment of organizations, associations, or political institutions" (Pentland 1973: 38). Eine Gemeinschaft, die die an sie gestellte Mindestanforderung - die gemeinsame Erwartung, dass man eventuelle Konflikte friedlich beilegen kann - erfüllt, nennt Deutsch eine Sicherheitsgemeinschaft (Deutsch/Burell 1957: 5).
Grundsätzlich werden zwei Typen von (Sicherheits-)Gemeinschaften unterschieden: pluralistische und amalgamierte (verschmolzene). Eine verschmolzene Gemeinschaft ist die Verflechtung zweier zuvor unabhängiger Einheiten zu einer eigenständigen größeren Einheit, die nach der Amalgamation über eine gemeinsame Regierung verfügt. Das Gegenstück zur amalgamierten Gemeinschaft ist die pluralistische Sicherheitsgemeinschaft. Ihr Hauptziel ist die Bewahrung des Friedens unter ihren Einheiten. Die Nationalstaaten behalten in diesem Falle ihre Souveränität und es kommt nicht zur Errichtung einer gemeinsamen Regierung. Darüber hinaus ist die pluralistische Sicherheitsgemeinschaft deutlich leichter herzustellen und zu erhalten. Im Folgenden soll in erster Linie der Typus der pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft analysiert werden, da die meisten entstehenden Gemeinschaften heute pluralistischer Natur sind. Die Errichtung einer verschmolzenen Gemeinschaft ist hingegen höchst selten und schwierig und erscheint vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage unrealistisch. Für die Existenz einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft sind lediglich drei Hauptvoraussetzungen nötig:

  1. Die Vereinbarkeit der wesentlichen politischen Werte (Wertekonsens).
  2. Die Fähigkeit der Regierungen und politisch relevanten Schichten der beteiligten Nationen zu schnellen, angemessenen und gewaltlosen Reaktionen auf die Ansichten, Bedürfnisse und Maßnahmen der Partner (gewaltfreie Problemverarbeitung).
  3. Die gegenseitige Vorhersagbarkeit der relevanten Aspekte des Verhaltens in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Angelegenheiten (Erwartungsverlässlichkeit) (Deutsch/Burell 1957: 66).

Diese Voraussetzungen und Prozesse zur Errichtung einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft erscheinen zunächst simpel und ihre Herstellung realistisch. Wenn man jedoch bedenkt, dass sich Deutschs Untersuchung im Ursprung auf die demokratischen Staaten der Nordatlantikregion bezieht, relativiert sich diese Erkenntnis. Gemäß der Theorie des demokratischen Friedens, neigen Demokratien stärker dazu, sich an der Bildung und Erhaltung von internationalen Organisationen und Kooperationen zu beteiligen, als dies bei autoritären Regimen der Fall ist (Dembinski et al. 2007: 129). Daran anschließend gilt es, anhand der realen Beispiele regionaler Sicherheitsgemeinschaften zu eruieren, ob Deutschs Konzept unabhängig von der Staatsform der beteiligten Einheiten umsetzbar ist.

3.1 Die Weiterentwicklung des Deutsch'schen Konzepts seit den 1990er Jahren

Im Zuge der zweiten Welle des Regionalismus wurde in den Internationalen Beziehungen auch das Konzept der pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft wieder aufgegriffen und vor dem Hintergrund der neuen weltpolitischen Lage überarbeitet. Insbesondere Adler und Barnett und ihrem viel zitierten Sammelwerk "Security Communities" ist es zu verdanken, dass das Deutsch?sche Konzept in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt hat (Adler/Barnett 1998b: 29-65; Bellamy 2005: 6-11). Sie greifen Deutschs Ideen auf und bemühen sich um ihre Anpassung an die neue sicherheitspolitische Lage seit dem Ende der Blockkonfrontation um 1990. Im Wesentlichen sind es drei Modifikationen bzw. Ergänzungen, die Adler und Barnett vorschlagen.

Erstens definieren sie Sicherheitsgemeinschaft rigoroser als Deutsch. Sie verwerfen die Idee einer amalgamierten Sicherheitsgemeinschaft und sprechen stattdessen allgemein von Gemeinschaften souveräner Wesen, die eine verlässliche Aussicht auf friedlichen Wandel genießen (Adler/Barnett 1998c: 7). Zweitens haben Adler und Barnett das Konzept von Karl W. Deutsch erweitert und präzisiert, indem sie zwischen zwei Typen von (pluralistischen) Sicherheitsgemeinschaften differenzieren. Die beiden Formen, die sie im Rahmen ihrer Analyse identifizieren, sind locker (loosely-coupled) und eng gekoppelte (tightly-coupled) Sicherheitsgemeinschaften. Eine locker gekoppelte Sicherheitsgemeinschaft umfasst souveräne Staaten, die eine verlässliche Aussicht auf friedlichen Wandel aufrechterhalten und nicht mehr. Eng gekoppelte Sicherheitsgemeinschaften gehen über diese Grundbedingung hinaus und erweisen sich als anspruchsvoller. Zum einen weisen sie einen gewissen Grad an Nachbarschaftshilfe auf. Zum anderen stellen sie ein konkretes Bezugssystem für ihre Mitglieder dar, das sich als ein Mittelding zwischen souveränem Staat und einer regionalen, zentralisierten Regierung erweist. Adler und Barnett bezeichnen dieses System etwas unpräzise als ein post-souveränes System, ausgestattet mit gemeinsamen supranationalen, transnationalen und nationalen Institutionen sowie einer Art kollektivem Sicherheitskomplex (Adler/Barnett 1998b: 30).

Beide Typen durchlaufen in ihrem Entwicklungsprozess drei Stufen: Aufkeimung, Aszendierung (bzw. Aufstieg) und Reifung. In aufkeimenden Sicherheitsgemeinschaften prüfen die Staaten, wie sie ihre Aktivitäten koordinieren können, um die gemeinsame Sicherheit zu erhöhen, Transaktionskosten zu senken oder das Potenzial für weitere Interaktion in der Zukunft zu schaffen. Voraussetzung für diese Initiierungsphase ist in der Regel die Wahrnehmung einer gemeinsamen Bedrohung, vor der es sich zu schützen gilt (Adler/Barnett 1998b, 50-53). Die Phase der Aszendierung ist geprägt durch sich zunehmend verdichtende Netzwerke, neue Institutionen und Organisationen, die eine engere militärische Koordinierung und Kooperation widerspiegeln, sowie eine geringere Furcht davor, dass die jeweils anderen Mitglieder eine Bedrohung darstellen könnten. Im Verlauf dieser Phase kommt es daher auch zu einem vertieften gegenseitigen Vertrauen und zur Entfaltung einer kollektiven Identität. Die in diesem Prozess entstehenden Institutionen führen wiederum zu einer anwachsenden sozialen Interaktion, zur Verbreitung geteilter Identität und komplementärer Interessen (Adler/Barnett 1998b: 53-55). Die Phase der Aszendierung geht schließlich in die dritte Stufe - die Reifung - über. An diesem Punkt teilen die regionalen Akteure eine gemeinsame Identität und etablieren deshalb die verlässliche Aussicht auf einen friedlichen Wandel, wodurch die eigentliche Sicherheitsgemeinschaft entsteht (Adler/Barnett 1998b: 55-57).

Im folgenden Kapitel sollen nun, auf Basis der vorangegangenen Erörterung des Deutsch?schen Konzepts und seiner Erweiterung durch Adler und Barnett, die Chancen und Entwicklungen von regionalen Sicherheitsgemeinschaften in Europa, Asien, Lateinamerika und Afrika analysiert werden. Anhand des Paradigmas der Sicherheitsgemeinschaft gilt es zu untersuchen, welche Potenziale die verschiedenen Weltregionen im Hinblick auf die Bildung solcher Gemeinschaften aufweisen, inwieweit diese womöglich bereits bestehen und welche Zukunftsperspektiven sie vor dem Hintergrund aktueller weltpolitischer Herausforderungen haben.

4 Regionale Sicherheitsgemeinschaften: Entwicklungstand, Potenzial und Zukunftsperspektiven

4.1 Europa: Das Musterbeispiel?

Europa wird oftmals als Musterbeispiel für regionale Integration genannt. Doch diese Sichtweise greift, auch im Hinblick auf die Existenz einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft, zu kurz (Kühnhardt 2004: 3). Zweifelsohne ist es richtig, Europa als eine regionale Sicherheitsgemeinschaft zu bezeichnen, die eine verlässliche Aussicht auf friedlichen Wandel ermöglicht. Jedoch ist es schwer die europäische Sicherheitsgemeinschaft zu lokalisieren. Dies liegt in erster Linie an der institutionellen Triangel aus Europäischer Union, Nordatlantischer Vertragsorganisation (NATO) und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Auf welcher dieser drei Organisationen die europäische Sicherheitsgemeinschaft beruht, lässt sich nicht eindeutig klären. Sie umfassen jeweils andere geographische Regionen und unterschiedliche Mitglieder.

Aufgrund dieser diffusen Konstellation und des Problems der eindeutigen Eingrenzung erscheint es sinnvoll, die europäische Sicherheitsgemeinschaft in erster Linie auf die "europäische Idee" zurückzuführen (Bellamy 2005: 65). Sie basiert auf einer gemeinsamen Geschichte, die durch den Zweiten Weltkrieg und den Ost-West-Konflikt nachhaltig geprägt wurde. Sicherheit in Europa wird, aufgrund der historischen Entwicklung und Bedeutung, oftmals zunächst mit der NATO assoziiert. Ihre Gründung 1949 in Washington ging auf einen gemeinsamen Bedrohungsfaktor, die kommunistische Welt, zurück. Zwei Jahre später wurde mit der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl der Grundstein für die Europäische Integration gelegt. 1957 folgten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG bzw. Euratom). Die Wirtschaft bildete somit den Motor der Integration in Europa.

Einer der wichtigsten Meilensteine, der eine vertiefte Integration in Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ermöglichte, war die Gründung der blockübergreifenden Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1975. Insgesamt 35 Staaten, darunter alle europäischen Länder (außer Albanien) sowie Kanada und die USA, unterzeichneten die Schlussakte von Helsinki. Diese gliederte sich in drei sogenannte Körbe. Der erste Korb konzentrierte sich auf die kooperative Sicherheit, Abrüstung, friedliche Streitbeilegung, Menschenrechte. Der zweite Korb enthielt Rahmenbedingungen für die Kooperation in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt. Der dritte Korb beinhaltete Grundsätze zur Zusammenarbeit im humanitären Bereich. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurden einige gemeinsame Werte deutlich, die Deutsch als Grundvoraussetzung für die Entstehung einer Sicherheitsgemeinschaft erachtet.

Mit dem Ende der Blockkonfrontation stand Europa vor einer völlig neuen sicherheitspolitischen Situation. Alte Konfliktlinien verschwanden, während sich neue Möglichkeiten regionaler Kooperation eröffneten. Im Osten Europas adaptierten nun ehemals kommunistische Staaten das westeuropäische Modell von Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechten. Eine mögliche Erklärung für diesen Prozess ist, dass die Teilung Europas während des Kalten Krieges keine genuin europäische Kreation war, sondern durch den Antagonismus zwischen den USA und der Sowjetunion geschaffen wurde. Der Kalte Krieg bildete gewissermaßen ein Interregnum, das die gemeinsamen Werte der europäischen Staaten maskierte. Entscheidend waren aber auch die durch Willy Brandts neue Ostpolitik initiierten Beziehungen zwischen westeuropäischen und osteuropäischen Staaten, die noch unter dem Deckmantel der Blockkonfrontation zu einer allmählichen Annäherung führten. Im Laufe der Entwicklungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zur Ausbildung einer europäischen Identität, die auf den Werten Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechte basiert. Diese Identität bedeutet jedoch keineswegs, dass die Bürger der Sicherheitsgemeinschaft ihre nationalstaatliche Identität verwerfen. Vielmehr kommt es zu einem nebeneinander von nationaler und europäischer Identität (Wæver 1998: 93).

Will man die europäische Sicherheitsgemeinschaft anhand des Deutsch?schen Paradigmas typologisieren, so gestaltet sich dies schwierig. Europa erweist sich als ein Sonderfall, der sich zwischen einer pluralistischen und einer amalgamierten Sicherheitsgemeinschaft befindet, denn in Europa ist nicht nur Sicherheit Ziel der Integration, sondern vor allem auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, so dass Europa mehr ist als eine pluralistische Sicherheitsgemeinschaft. Trotz des dichten Netzes an Institutionen, Transaktionen und Beziehungen kam es jedoch bis dato auch nicht zur Verschmelzung und ob dies in Zukunft der Fall sein wird ist fraglich. Am ehesten könnte man Europa noch als eng gekoppelte Sicherheitsgemeinschaft in Anlehnung an Adler und Barnett bezeichnen.

Europa als Musterbeispiel für eine regionale Sicherheitsgemeinschaft darzustellen, ist trotz der erzielten Erfolge nicht sinnvoll. Das Modell Europa ist über Jahrzehnte unter Rahmenbedingungen gewachsen, die in anderen Weltregionen in dieser Form nicht zu finden sind. Hinzu kommt, dass der Frieden in Europa ein demokratischer Frieden ist. Die Mitglieder der europäischen Sicherheitsgemeinschaft sind mehr oder weniger demokratisch verfasste Staaten und neigen daher per se dazu, friedlich gegenüber ihres gleichen zu agieren und sich in Gemeinschaften zu organisieren (Dembinski et al. 2007: 125-134). Diese Grundvoraussetzung fehlt jedoch in Regionen wie Asien oder Afrika.

4.2 Asien: Erste Ansätze auf dem Weg zur Sicherheitsgemeinschaft

Der asiatische Kontinent weist zahlreiche offene und unterschwellige Rivalitäten und Konflikte auf. Seit dem Ende des wirtschaftlichen Booms und der als "Asien-Krise" bekanntgewordenen Finanz- und Wirtschaftskrise Ende der 1990er Jahre traten viele ältere gewaltsame Konflikte wieder verstärkt in das Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft (Jordan/Waibel 2006: 1-13). Nicht zuletzt die Terroranschläge von Mumbai im November 2008 haben gezeigt, wie instabil der asiatische Raum ist. Stärker als in anderen Weltregionen prallen in den unterschiedlichen Subregionen Asiens die hegemonialen Interessen verschiedener größerer Staaten wie China, Russland, USA, Japan, Indien oder Indonesien aufeinander. Neben den Kernkonfliktgebieten Myanmar, Nordkorea, Thailand und Kaschmir gibt es eine große Zahl territorialer Konflikte, die sich in erster Linie auf strategisch wichtige Seefahrtsstraßen beziehen. Hinzu kommt eine Reihe von innerstaatlichen und bürgerkriegsähnlichen Konflikten wie etwa in Indonesien, Nepal, auf den Philippinen oder Sri Lanka (Schreiber 2008: 2-4).

Ursache der Konflikte sind oftmals ethnische, religiöse oder kulturelle Auseinandersetzungen. Diese sind zurückzuführen auf die größtenteils künstlichen Grenzziehungen in Asien und die dadurch entstehenden sprachlichen, religiösen und ethnischen Minderheiten in unterschiedlichen Staaten. Als Konsequenz der zahlreichen Konflikte lässt sich in den vergangenen Jahren eine zunehmende militärische Aufrüstung in der Region feststellen. Neben der konventionellen Aufrüstung ist es vor allem die hohe Dichte an Atommächten, die die Gefahr einer folgenschweren Eskalation in sich birgt.

Trotz der vielen schwelenden und offenen Konflikte gibt es insbesondere im friedlicheren Südostasien mit der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) Ansätze einer regionalen Kooperation auch in Sicherheitsfragen. Die ASEAN wurde 1967 von Thailand, Indonesien, Malaysia, den Philippinen und Singapur gegründet, um für wirtschaftlichen Aufschwung, sozialen Fortschritt und politische Stabilität zusammenzuarbeiten. Im Zuge von Erweiterungen kamen Brunei, Vietnam, Laos, Myanmar und Kambodscha hinzu, so dass sich die ASEAN heute aus zehn Mitgliedstaaten zusammensetzt. Im Gegensatz zur Europäischen Union besteht die Organisation, bis auf Thailand und den Philippinen, nicht aus liberalen Demokratien. Darüber hinaus sind die Mitglieder der ASEAN in ihrer religiösen Ausrichtung und ihrem wirtschaftlichen Potenzial höchst unterschiedlich.

Dennoch kann die ASEAN im Hinblick auf die regionale Sicherheit ähnliche Erfolge wie die NATO und die EU verzeichnen. Sie relativiert damit die Gültigkeit der Theorie des demokratischen Friedens und lässt vermuten, dass auch autoritäre Regime bzw. gemischte Dyaden von Demokratien und autoritären Regimen friedlich kooperieren können. Sie belegt, so die These von Mark Peceny et al. (2002: 15-26), dass auch nicht-demokratisch verfasste Staaten potenziell friedfertig miteinander umgehen können. Wobei auch Peceny et al. einräumen müssen, dass dieser Befund empirisch nicht ganz eindeutig ist und die Friedfertigkeit von Demokratien gegenüber anderen Demokratien weitaus robuster einzuschätzen ist. Dennoch scheint die ASEAN mit ihrer heterogenen Mitgliederstruktur für Stabilität im südasiatischen Raum sorgen zu können. Verglichen mit EU oder NATO weist die ASEAN freilich nur minimal gefestigte Regeln und Institutionen auf. Die Kooperation läuft kaum abseits der offiziellen Informationskanäle der obersten Regierungsebenen ab (Dembinski et al. 2006: 14-21). Des Weiteren sind zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Gesellschaften kaum geteilte Werte vorhanden, auch eine gemeinsame Geschichte fehlt gänzlich.

Dennoch scheint es so etwas wie einen "ASEAN way" zu geben, der die Grundlage für die regionale Kooperation bildet. Dieser asiatische Weg ist am besten nachzuvollziehen, wenn man den Ursprung und die Entwicklung der ASEAN in den vergangenen vier Jahrzehnten analysiert. Entgegen des Deutsch'schen Konzepts der pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft erfüllte die ASEAN bei ihrer Gründung nur zwei der drei fundamentalen Voraussetzungen. So bestand zwar eine gewaltfreie Problemverarbeitung zwischen den Gründungsstaaten, jedoch kein Wertekonsens und ebenfalls keine nachhaltige Erwartungsverlässlichkeit. Die Schaffung der ASEAN ging vielmehr auf die Konfrontasi-Krise zwischen dem heutigen Malaysia, Indonesien und Singapur zurück, die letztlich mit der Hilfe Thailands beendet werden konnte. Durch diese Erfahrung sahen sich die Staaten in ihrem Beschluss gestärkt, die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen nicht wieder eskalieren zu lassen. In Anbetracht externer Bedrohungsszenarien und der innenpolitischen Instabilität der Staaten war Einigkeit wichtiger denn je (Freistein 2006: 1-8).

Um diesen Herausforderungen gewachsen zu sein und um Konflikte zu vermeiden, gründeten Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand 1967 die ASEAN. Die damals verabschiedete Bangkok-Deklaration zeigte jedoch, dass man zunächst nur auf wirtschaftliche, technologische, soziale und kulturelle Kooperation setzte, um für Stabilität in der Region zu sorgen. Die Sicherheitspolitik spielte hingegen eine untergeordnete Rolle. Erst 1976 wurde die ursprüngliche Zielsetzung der ASEAN mit dem Treaty of Amity and Cooperation in Southeast Asia (TAC) um eine sicherheitspolitische Dimension erweitert. Dieser Vertrag resultierte aus den dominierenden Bedrohungsszenarien bezogen auf die Sowjetunion, mit ihrem großen Einfluss auf Zentralasien und Vietnam (Herrmann 2000: 14-16). Er setzt sich konkret aus fünf Bausteinen für die regionale sicherheitspolitische Kooperation zusammen:

  1. gegenseitiger Respekt vor der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität aller Nationen;
  2. das Recht eines jeden Staates, frei von externer Einmischung und Zwang zu existieren;
  3. Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer;
  4. friedliche Regelung von Konflikten;
  5. keine Drohung mit Gewalteinsatz.

Erst durch die Konkretisierung dieser Grundsätze wurde die Grundlage für eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung sowie eine gewisse Erwartungsverlässlichkeit geschaffen. Der "ASEAN way" umfasst neben diesen Normen auch das Konsensprinzip bei allen Entscheidungen, die stille Diplomatie und eine personenbezogene Form der Verhandlungen (Freistein 2006: 12).
Nach dem Wegfall der alten Bedrohungsfaktoren zu Beginn der 1990er Jahre und der Gründung des Asia Pacific Economic Cooperation forum (APEC) geriet die ASEAN in eine Identitätskrise. Diese konnte jedoch spätestens 1993 durch die Gründung des ASEAN Regional Forum (ARF), das bis heute das einzige sicherheitspolitische Diskussionsforum im asiatisch-pazifischen Raum darstellt, überwunden werden. Der insgesamt etwas diffuse "ASEAN way" wurde schließlich im November 2007 konkret in einer Charta fixiert. Ziel dieser Charta ist es, bis 2020 eine Gemeinschaft zu schaffen, die auf einem sicherheitspolitischen, einem wirtschaftlichen und einem sozio-kulturellen Pfeiler basiert. Verzichtet wird darin jedoch auf die Errichtung supranationaler Strukturen. Neu an der Charta ist die Erweiterung des "ASEAN way" um neue Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und die Wahrung von Menschenrechten (Bersick/Heiduk 2007).

Im Rückgriff auf das Konzept von Karl W. Deutsch und seine Erweiterung durch Adler und Barnett kann die ASEAN zumindest als eine sich allmählich entwickelnde, locker gekoppelte Sicherheitsgemeinschaft betrachtet werden. Interessant ist die Tatsache, dass die Gründung der ASEAN nicht auf einem Wertekonsens basiert, sondern vielmehr auf dem allgemeinen Ziel, die südostasiatische Region zu befrieden. Mit der Verabschiedung der ASEAN-Charta wurde ein wichtiger Grundstein gelegt, um die Organisation von einem sicherheitspolitischen Mechanismus zu einer fest institutionalisierten Sicherheitsgemeinschaft zu entwickeln. Eine Vertiefung der Integration scheint jedoch auch nach Ansicht der ASEAN nur durch eine stärkere Demokratisierung und Rechtstaatlichkeit ihrer Mitglieder gelingen zu können. Insofern wäre weiter zu untersuchen, ob das Vorhandensein einer Regionalorganisation, in der Länder unterschiedlicher Regierungsform kooperieren, den Prozess einer weitergehenden Demokratisierung erleichtern könnte.

Neben der ASEAN existiert in Zentralasien seit 2001 die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), die zurückgeht auf die "Shanghai Fünf". Zu den Mitgliedern der Organisation gehören Russland, China, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan. Ursprünglich wurde die SCO gegründet, um die Grenzsicherheit zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken und China zu verbessern. Angesichts der Ost-Erweiterung der NATO und der US-japanischen Sicherheitsallianz dient sie jedoch mittlerweile auch als Gegengewicht zur Dominanz der USA in Zentralasien. Die vertrauensbildenden Maßnahmen unter den Mitgliedstaaten, wie Vereinbarungen über Abrüstung und eine größere militärische Präsenz an den Grenzen, wurden in den vergangenen Jahren durch Übereinkommen zu nicht traditionellen sicherheitspolitischen Herausforderungen ergänzt. Die so genannten "drei Kräfte" - Terrorismus, Separatismus und religiöser Fundamentalismus - werden seither als die größten Sicherheitsrisiken angesehen.

Zwar ist es der SCO gelungen, einen Dialog zwischen China und Russland zu etablieren und die Spannungen in den Grenzregionen zu China abzubauen, jedoch behindern die innenpolitische Instabilität und die Demokratiedefizite der SCO-Mitglieder sowie die hegemoniale Konkurrenz durch die USA eine verlässliche Sicherheitskooperation (Steinhilber 2002: 28; Wacker 2002). Insgesamt kann die SCO bis dato nicht als Sicherheitsgemeinschaft identifiziert werden. Ihr fehlen gemeinsame Werte, und die gegenseitige Vorhersagbarkeit des Verhaltens der Mitglieder - bedingt durch die herausragenden Positionen Russlands und Chinas - ist ebenfalls nicht gegeben (Giessmann 2008: 19-35). Ob es der SCO künftig gelingen wird, sich in der Region als Organisation zu emanzipieren, ist daher fraglich. Insgesamt betrachtet, ist Asien noch immer ein sehr stark fragmentierter Kontinent mit zahlreichen Rivalitäten, Interessengegensätzen und Konflikten. Projekte wie die ASEAN, SCO oder die Südasiatische Vereinigung für regionale Kooperation (South Asian Association for Regional Cooperation, SAARC) können bestenfalls als Ansätze für eine subregionale Sicherheitsgemeinschaft gesehen werden.

4.3 Lateinamerika: Durch Demokratisierung zur regionalen Sicherheitsgemeinschaft

Lateinamerika gilt heute als eine der friedlichsten und am wenigsten militarisierten Weltregionen. Bereits 1967 schufen die lateinamerikanischen Staaten mit dem Vertrag von Tlatelolco zumindest offiziell die erste atomwaffenfreie Zone. Heute ist Südamerika frei von ABC-Waffen und Trägersystemen, weist die niedrigsten Militärhaushalte auf und zugleich die geringste Zahl zwischenstaatlicher Konflikte (Schreiber 2008: 7). Doch dies war nicht immer der Fall. In den 1970er und 80er Jahren galt Südamerika noch als ein stark fragmentierter Kontinent, der durch zahlreiche Kriege und Auseinandersetzungen gekennzeichnet war. Insbesondere der Konflikt um die Hegemonialmacht zwischen Argentinien und Brasilien sowie die Territorialstreitigkeiten zwischen Argentinien und Chile haben den Kontinent jahrzehntelang geprägt (Flemes 2003: 3-14). Diese Konflikte konnten jedoch im Zuge der zunehmenden Demokratisierungsprozesse in den 1990er Jahren diplomatisch bearbeitet und letztlich beigelegt werden.

Regionale Unsicherheit droht heute vor allem durch innerstaatliche Probleme. Die politischen Systeme der Andenregion und Zentralamerikas sind weiterhin fragil. Krisen der Parteiensysteme, Populismus, die Vermischung von militärischen und zivilen Aufgaben sowie Finanz- und Wirtschaftskrisen stellen eine potenzielle Bedrohung für Stabilität und Frieden der Region dar. Hinzu kommen Drogenschmuggel, transnational organisierte Kriminalität und Waffenhandel. In Kolumbien etwa schwelt seit Jahrzehnten ein Konflikt zwischen unterschiedlichen paramilitärischen Gruppen. Auch das wirtschaftlich schwache Haiti, das als ärmstes Land des Kontinents gilt, wird immer wieder von Unruhen und Bandenkriminalität heimgesucht (Steinhilber 2006: 7).

Ähnlich wie Europa verfügt Südamerika über ein relativ enges Geflecht aus Netzwerken, Beziehungen und Institutionen, die auf die Existenz einer regionalen Sicherheitsgemeinschaft hinweisen. Eckpfeiler der lateinamerikanischen Sicherheitspolitik ist die Kooperation der Staaten Argentinien, Brasilien und Chile. Seit Mitte der 1980er Jahren funktionierte die zunehmende Annäherung der Staaten in den Bereichen Wirtschaft und Militär als eine Art Zugpferd für die regionale Integration in Lateinamerika. Insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Argentinien und Brasilien führte 1991 zur Gründung des Gemeinsamen Südamerikanischen Marktes (Mercado Común del Sur, MERCOSUR). Innerhalb kurzer Zeit wurden auch sensible Bereiche wie die militärische Kooperation miteinbezogen. Heute gehören, neben Argentinien und Brasilien, auch Uruguay und Paraguay zu den Mitgliedern des Bündnisses. Venezuela hat bereits 2004 die Beitrittserklärung unterschrieben, die formelle Aufnahme steht jedoch noch aus. Darüber hinaus haben Chile, Bolivien, Peru, Kolumbien und Ecuador den Status als assoziierte Staaten des MERCOSUR.

Ebenfalls 1991 wurden im Abkommen von Mendoza zwischen Argentinien, Brasilien und Chile die Verbreitung, der Besitz und der Einsatz biologischer und chemischer Waffen verboten. Zugleich schlossen Argentinien und Brasilien ein trilaterales Abkommen mit der Internationalen Atomenergiebehörde, in dem sich die Unterzeichnerstaaten zu einer ausschließlich friedlichen Nutzung ihrer Nuklearbestände verpflichteten. Durch diesen Akt trat nun auch endlich de facto der Vertrag von Tlateloclo in Kraft (Flemes 2003: 22).

Ein weiterer Akteur im sicherheitspolitischen Integrationsprozess in Südamerika ist die OAS. Sie wurde 1948 als regionale internationale Institution in Washington gegründet. Mitglieder sind alle amerikanischen Staaten außer Kuba ? insgesamt 35. Ziele der OAS sind gemäß ihrer Charta die Stärkung des Friedens und der Sicherheit in der Hemisphäre; die Verteidigung von Souveränität, Integrität und Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten; der kollektive Beistand gegenüber Aggressionen durch extrakontinentale Kräfte; die friedliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten; die Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit sowie die Förderung und Stärkung der repräsentativen Demokratie.

In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens orientierte sich das Handeln der OAS am klassischen Sicherheitsbegriff, weshalb die friedliche Beilegung von zwischenstaatlichen Konflikten im Vordergrund stand. Seit Beginn der Demokratisierungswelle in Südamerika und dem Ende des Ost-West-Konflikts haben sich die Prioritäten der Sicherheitspolitik in den beiden Amerikas grundlegend gewandelt. Im Vordergrund standen fortan innerstaatliche Konflikte, Terrorismusbekämpfung und transnationale Kriminalität. 1991 verabschiedete die Generalversammlung der OAS bei ihrer Jahresversammlung in Nassau ein Dokument mit dem Titel "Kooperation für Sicherheit und Entwicklung in der Hemisphäre - der regionale Beitrag zur globalen Sicherheit", in dem die wesentlichen Prinzipien der interamerikanischen Sicherheitspolitik festgeschrieben wurden.

Die Terroranschläge von New York 2001 führten - vor allem auf Drängen der US-Regierung - darüber hinaus zu einer intensivierten Kooperation bei der Terrorismusbekämpfung (Kurtenbach 2004: 429-435). Über diese verteidigungs- und sicherheitspolitischen Aspekte hinaus, ist die Demokratieförderung eines der zentralen Elemente der Friedensstrategie. 2001 wurde hierzu in Lima die Amerikanische-Demokratie-Charta verabschiedet, in der sich die OAS-Mitgliedstaaten zu Demokratie und Menschenrechten bekennen. Problematisch an der OAS erscheinen jedoch die äußerst heterogene Mitgliederstruktur und die oftmals divergierenden Sicherheitsbedürfnisse, welche die Organisation zuweilen in ihrer Handlungsfähigkeit lähmen (Steinhilber 2006: 22).

Ein gänzlich neuer Integrationsprozess wurde 2008 mit der Gründung der Union Südamerikanischer Nationen (Unión de Naciones Suramericanas, UNASUR) angestoßen. Zu den Unterzeichnern der Gründungsurkunde gehören die Mitglieder der Andengemeinschaft (Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru), die Mitglieder des MERCOSUR (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela) sowie Chile, Guyana und Suriname. In der Gründungsurkunde heißt es, Ziel der Vereinbarung sei der Kampf gegen "Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, Hunger, Armut und Unsicherheit". Neben einer wirtschaftlichen Integration will die Mehrheit der Mitgliedstaaten mit der Union eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik etablieren (Maihold 2004). Ob dies gelingt, ist noch nicht absehbar.

Insgesamt scheint Südamerika tatsächlich auf dem Weg zu einer regionalen Sicherheitsgemeinschaft zu sein. Die Theorie des Demokratischen Friedens hat sich in diesem Fall bestätigt, denn erst der Demokratisierungsprozess der 1990er Jahre hat gemeinsame Werte und gegenseitige Verlässlichkeit ermöglicht. Bedingt durch das dichte Netz an Kooperationen, Institutionen und Konsultationsmechanismen besteht auch die verlässliche Aussicht auf einen friedlichen Wandel - zumindest im Hinblick auf zwischenstaatliche Konflikte. Kritisch sind hingegen die (schwelenden) Konflikte in Haiti und Kolumbien sowie die noch nicht genug gefestigten demokratischen Strukturen in der Andenregion. Dennoch kann von einer pluralistischen bzw. lockeren Sicherheitsgemeinschaft, die sich im Stadium des Aufstiegs (Aszendierung) befindet, gesprochen werden.

4.4 Afrika: Sicherheitsgemeinschaften auf dem "Kontinent der Kriege" - eine Utopie?

Afrika gilt nach wie vor als "Kontinent der Kriege". Innerstaatliche Konflikte, regionalisierte Bürgerkriege, gewaltsame Staatenzerfallsprozesse, Ressourcenkonflikte, Genozide, Sezessionskriege und Armut prägen Afrika seit Jahrzehnten. Im Jahr 2008 wurden insgesamt vier Kriege und sieben bewaffneten Konflikte ausgetragen, die meisten davon in Subsahara-Afrika (Schreiber 2008: 5-7). Die sicherheitspolitische Lage in den verschiedenen Subregionen Afrikas variiert stark. Im westlichen Afrika konnte die Ära der Militärputsche zwar überwunden werden, dennoch wird die Region weiterhin durch eine Reihe gewaltsamer Konflikte und Staatszerfallprozesse erschüttert. Sierra Leone und Liberia sind nach über zehn Jahren Krieg teilweise oder völlig zerstört. Auch Nigeria wird durch innerstaatliche Konflikte zunehmend destabilisiert.

Im Gegensatz hierzu ist Ostafrika eine Region der Ruhe. Die innenpolitische Situation in Tansania und Uganda ist weitgehend stabil. In Kenia scheint sich die Situation seit den Unruhen und Konflikten im Zuge der Präsidentschaftswahl Ende 2007 wieder stabilisiert zu haben. Risiken in der Region stellen vor allem massive Kriminalität, Waffenschmuggel, internationaler Terrorismus und der zerfallene Staat Somalia dar. In Zentralafrika bestimmt der Kongo-Konflikt seit Jahren die sicherheitspolitische Agenda der Region. Seit 1994 hat dieser Krieg bereits vier Millionen Opfer gefordert. Bis heute ist die Lage höchst instabil und durch Raubkriege um Ressourcen und Rohstoffe geprägt. Im südlichen Afrika hat sich die prekäre Situation zwar nach dem Ende der Bürgerkriege in Angola und Mosambik etwas entspannt, dennoch gilt Subsahara-Afrika weiterhin als die größte Krisenregion der Welt. Unsicherheit rührt heute vor allem aus Machtexzessen der jeweiligen Regierungen, oft begleitet durch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition. Stärker als jede andere Weltregion ist Südafrika darüber hinaus durch Armut, Unterentwicklung und Krankheiten (insbesondere HIV/AIDS) auch gesellschaftlich zerrüttet.

Trotz oder gerade wegen dieser insgesamt konfliktreichen und instabilen Rahmenbedingungen sind in Afrika Ansätze zur Bildung einer Sicherheitsgemeinschaft zu erkennen. Als wichtigste sicherheitspolitische Institution des Kontinents hat sich die Afrikanische Union (AU) etabliert. Sie ging 2001 aus der OAU hervor, die bereits 1963 von 30 afrikanischen Staaten gegründet worden war (Saxena 2004: 165-182). Mitglieder der Union sind heute alle afrikanischen Staaten außer Marokko - zurzeit 53. Mit der Schaffung der AU sollte auch eine neue Friedens- und Sicherheitsarchitektur für den Kontinent entwickelt werden. So soll die Afrikanische Union unter anderem die Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit ihrer Mitgliedstaaten verteidigen, Frieden, Sicherheit und Stabilität in Afrika fördern sowie die Menschenrechte schützen (Constitutive Act of the AU, Art. 3).

Politisch baute die AU auf den Prinzipien ihrer Vorgängerorganisation auf. Hierzu gehört die souveräne Gleichheit und Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten, Respektierung der bestehenden Grenzen, friedliche Konfliktregelung, Verbot des Einsatzes von Gewalt gegen Mitgliedstaaten und Nichteinmischung in deren innere Angelegenheiten. Allerdings hat die AU auf Basis des erweiterten Sicherheitsbegriffs der "human security" ein Interventionsgebot formuliert, das es der Union erlaubt, auf der Grundlage der AU-Versammlung der Staats- und Regierungschefs dann in einem anderen Mitgliedstaat zu intervenieren, wenn "gravierende Umstände" dies erfordern. Als derartige Umstände gelten Kriegsverbrechen, Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie die Bedrohung der legitimen Ordnung. Diese Dimension der neuen Friedens- und Sicherheitsordnung wurde 2002 im Protocoll to the Establishment of the Peace and Security Council of the African Union (PSC-Protokoll) verbindlich fixiert (Art. 4). Die institutionellen Grundpfeiler der neuen Sicherheits- und Friedenspolitik bilden der Friedens- und Sicherheitsrat (Peace and Security Council, PSC), ein Rat der Weisen, ein kontinentales Frühwarnsystem (Continental Early Warning System, CEWS), eine Afrikanische Schnelle Eingreiftruppe (African Standby Force, ASF) und ein Friedensfond. Bis 2010 soll die Neustrukturierung abgeschlossen sein.

Die aus friedens- und sicherheitspolitischer Sicht wichtigste Institution ist der Friedens- und Sicherheitsrat, der 2004 seine Arbeit aufgenommen hat. Diesem Rat gehören 15 Mitglieder an, die durch die Generalversammlung der Staatschefs der AU gewählt werden. Jede Region ist hierbei entsprechend vertreten. Der Rat verfügt über weitreichende Befugnisse. Seine Aufgaben sind die Autorisierung von Friedensmissionen und Empfehlungen an die Generalversammlung zu eventuellen militärischen Interventionen gemäß Artikel 4 der AU-Charta. Zur Durchsetzung der Beschlüsse des PSC wurde die Afrikanische Schnelle Eingreiftruppe eingerichtet, die in Afrika eingesetzt werden soll, wenn die UN zu langsam oder gar nicht reagieren. Jede der afrikanischen Regionalorganisationen stellt hierzu eine Brigade für ASF-Einsätze auf (Kinzel 2007: 2). Problematisch sind hier jedoch die unterschiedlichen Möglichkeiten und Grundvoraussetzungen der verschiedenen Regionen, sich an der ASF zu beteiligen.

Im westlichen Afrika stützt sich die ASF auf die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States, ECOWAS) mit ihren 15 Mitgliedern. Sie ist aus sicherheitspolitischer Sicht die am weitesten entwickelte afrikanische Regionalorganisation. Wie keine andere Regionalorganisation hat die ECOWAS militärisch in ihren Mitgliedstaaten interveniert und entschlossen auf Militärputsche in Niger, Gambia und der Elfenbeinküste reagiert. Kritisch sind freilich die sehr heterogene Zusammensetzung der ECOWAS und die Tatsache, dass die Region selbst ein erhebliches innerstaatliches Konfliktpotenzial birgt und in der Folge die Integration erschwert wird (Kinzel 2007: 3). In Ostafrika hingegen existiert keine regionale Organisation, die alle Staaten der Region integriert, so dass die AU hier die Inter-Gouvernmental Authority on Development (IGAD) als für die ASF zuständige Organisation bestimmt. Gleichzeitig wurde die Ostafrikanische Gemeinschaft (East African Community, EAC) angewiesen, ihre sicherheitspolitischen Maßnahmen mit denen der IGAD zu harmonisieren.

In Nordafrika sind bisher hingegen kaum Ansätze für einen Beitrag zur ASF zu beobachten. Zwar hat die AU die Arabische Maghreb-Union (AMU) als zuständige Regionalorganisation bestimmt, doch die interne Zerstrittenheit der arabischen Staaten hat die AMU bis dato derart gelähmt, dass ein effektiver Beitrag zur ASF nicht zu erwarten ist. Am besten organisiert ist der Beitrag der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (Southern African Development Community, SADC) zur ASF. Die Truppenstellung sowie die Ausrüstung wurden verbindlich festgelegt. Das eigene sicherheitspolitische Instrument der SADC, das Organ für Politik, Verteidigung und Sicherheit, konnte bisher dagegen noch nicht ausreichend in Erscheinung treten (Soest/Scheller 2006). Die zentralafrikanischen Länder spielten, ähnlich wie die nordafrikanischen, bisher keine tragende Rolle in der Sicherheitsarchitektur der AU. Zu sehr ist die Region mit dem anhaltenden Konflikt im Kongo beschäftigt.

Abschließend betrachtet zeigt Afrika mit der Afrikanischen Union einen ersten Ansatz zur Etablierung einer Sicherheitsgemeinschaft. Schwierigkeiten entstehen jedoch durch die mitunter sehr schwach entwickelten Regionalorganisationen und die oftmals unzureichende Finanzierung der Union und ihrer Suborganisationen. Entscheidend wird künftig wohl sein, wie sich die einzelnen Regionalorganisationen entwickeln und wie das Problem der Unterfinanzierung, eventuell auch durch stärkere Unterstützung von Seiten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union, gelöst werden kann.

5 Fazit: Ein wackeliges Fundament für den internationalen Frieden

Die zweite Welle der Regionalisierung hat alle Weltregionen voll erfasst. Weltweit lassen sich Bemühungen feststellen, zu einer stärkeren regionalen Integration zu finden, um die Vielzahl der neuen sicherheitspolitischen Risiken gemeinsam eindämmen zu können. Deutschs Ansatz der pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft und seine Modifikation durch Adler und Barnett haben sich als hilfreich erwiesen, um den aktuellen Entwicklungsstand regionaler Kooperation bzw. Integration zu analysieren. Deutlich geworden sind dabei vor allem die großen Unterschiede zwischen den Weltregionen. Während sich Europa bereits auf dem Weg zu einer eng gekoppelten Sicherheitsgemeinschaft befindet, sind in Asien und Afrika lediglich Ansätze für den Aufbau von Sicherheitsgemeinschaften zu erkennen.

Das europäische Modell zu nutzen, um es auf andere Regionen zu übertragen und die dortige Integration zu beschleunigen, erweist sich als unrealistisch. Zu sehr weichen die sicherheitspolitischen Interessen und Risiken sowie grundlegende Werte voneinander ab. Auch scheint Demokratie nicht unbedingt eine notwendige, sondern eher eine hinreichende Bedingung zu sein, um den Aufbau einer Sicherheitsgemeinschaft zu ermöglichen. Dies wird an den Beispielen Asien und Afrika deutlich, wo es trotz der zumeist autoritär organisierten Regime gelungen ist, zumindest sicherheitspolitische Dialoge und stärkere Kooperation in Gang zu setzen, die freilich noch weit entfernt von einer Sicherheitsgemeinschaft sind.

Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung in Lateinamerika, dass Demokratie als wichtiger Motor für die regionale Integration gesehen werden muss. Erst die Demokratisierung in den 1980er und 1990er Jahren machte dort eine vertiefte sicherheitspolitische Kooperation möglich. Durch den Demokratisierungsprozess konnten letztlich gemeinsame Werte geschaffen werden, die Deutsch für das Entstehen einer Sicherheitsgemeinschaft als grundlegend erachtet. Auch die ASEAN im südostasiatischen Raum scheint zumindest im Ansatz erkannt zu haben, dass nur demokratische Staaten zu einer vertieften Integration kommen können und hat deshalb das Prinzip einer stärkeren Demokratisierung ihrer Mitgliedstaaten in ihre Charta aufgenommen.

Die Modelle in Europa und Lateinamerika machen deutlich, dass regionalen Organisationen eine erhebliche friedensstiftende Wirkung zukommt. Sie helfen, gegenseitiges Vertrauen zu schaffen und eventuelle Konflikte auf diplomatischem Wege zu lösen. Insgesamt sind die bestehenden sicherheitspolitischen Kooperationsprojekte jedoch noch kein gefestigtes Fundament für einen weltweiten Frieden, da sie unterschiedlich stark institutionalisiert sind und jeweils andere Sicherheitsinteressen verfolgen. Inwieweit regionale Sicherheitsgemeinschaften künftig nachhaltig den Frieden sichern können, wird vor allem von den Entwicklungen in Afrika und Asien abhängen. Hier könnte die Europäische Union, die sich bereits heute um die regionale Integration weltweit bemüht, ihr Engagement als Berater ausbauen. Im Falle Afrikas wird es wohl auch nötig sein, stärkere finanzielle Unterstützung zu leisten, um die Strukturen der AU und ihrer regionalen Subsysteme ausbauen und festigen zu können.

Abschließend ist jedoch auch zu betonen, dass durch die zunehmende regionale Integration die Vereinten Nationen nicht vollkommen marginalisiert werden dürfen. Regionale Sicherheitsgemeinschaften können ihre weltweite friedensstiftende Wirkung nur dann voll entfalten, wenn die Vereinten Nationen nicht zu einer reinen Holdinggesellschaft für Regionalorganisationen verkommen. Wir brauchen weiterhin verbindliche internationale Regeln und Normen. Die UN müssen das entscheidende Bindeglied und Dialogforum für die Regionalisierung bilden, denn nur so werden sich internationale Sicherheitsprobleme dauerhaft lösen lassen.

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Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Zur Regionalisierung der Sicherheitspolitik
Veröffentlicht: 
Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik (ZfAS) 4/2009, S. 473-495.