Die OSZE wiederbeleben

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts waren die Erwartungen an die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) scheinbar grenzenlos. In ihr sollten die Bündnisse des Kalten Krieges aufgehen. Bekanntermaßen ist es anders gekommen. Von Michail Gorbatschows "gemeinsamem Haus Europa" steht bis heute allenfalls der (erweiterte) Westflügel. Die meisten - wenn nicht alle mittel- und osteuropäischen Staaten sahen ihre militärische und ökonomische Sicherheit nicht in der OSZE, sondern in der Nato und der EU gewahrt. In Zeiten der Ukraine-Krise fühlen sie sich in ihrer engen Anbindung an die westlichen Sicherheitsstrukturen mehr als bestätigt.

Ausgerechnet Wladimir Putin hat durch sein völkerrechtswidriges Vorgehen auf der Krim und sein asymmetrisches Verhalten im Ostukraine-Konflikt die Organisation wachgeküsst und zum wichtigsten multilateralen Akteur dieses Konflikts werden lassen. Doch die Stärke der OSZE resultiert vor allem aus der Tatsache, dass EU und Nato im Konflikt Partei geworden sind. Nicht zuletzt die Geiselnahme von OSZE-Beobachtern durch prorussische Separatisten zeigte aber, dass die Organisation ihre Aufgaben nur eingeschränkt und unter Gefahr für Leib und Leben der Mitarbeiter wahrnehmen kann.

Vor diesem Hintergrund ist es ein wichtiges Signal, dass sich Deutschland auf dem OSZE-Außenministertreffen in Basel an diesem Donnerstag und am Freitag um den Vorsitz für 2016 bewerben will. Eine OSZE-Troika aus der neutralen Schweiz (Vorsitz 2014), dem Russland zugeneigten Serbien (Vorsitz 2015) sowie dem Nato und EU-Mitglied Deutschland bietet die ideale Voraussetzung, um die Interessen aller Parteien zu berücksichtigen. Wie wichtig Deutschland dieses Amt nimmt, zeigt die Tatsache, dass Berlin seine Bereitschaft für den OSZE-Vorsitz an Bedingungen zu echten Reformschritten geknüpft hat. Dazu gehören die Stärkung bestehender Überprüfungs-Regime und die langfristige Modernisierung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa.

Denn eines ist klar: Die Regime des Wiener Dokuments und des Vertrags über den Offenen Himmel ("Open Skies") haben in der Ukraine-Krise zwar ihren sicherheitspolitischen Wert bewiesen, sind aber auch deutlich an ihre Grenzen gestoßen. Kooperationsbereitschaft, Vertrauen und Transparenz lassen sich eben nur schwer durchsetzen, wenn daran kein Interesse besteht. Dies gilt für die russische, aber auch für die ukrainische Seite.

Ein wichtiger Schritt bei der Wiederherstellung einer europäischen Sicherheitskooperation besteht darin, die konventionelle Rüstungskontrolle und vertrauensbildende Maßnahmen zu modernisieren und krisenfester zu gestalten. Der geeignete Rahmen hierfür ist die OSZE. Wie im Kalten Krieg könnte die Organisation helfen, die Konfliktparteien durch Transparenz und vertrauensbildende Maßnahmen zusammenzubringen. Allerdings setzt das die Bereitschaft aller Akteure voraus. Hier sind leider Zweifel angebracht - sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite. Statt Gesprächen dominieren Provokationen und taktische Winkelzüge.

 Angesichts der aktuellen Entwicklungen fühlt man sich zunehmend in Muster des Kalten Krieges zurückversetzt. Russische Langstreckenbomber fliegen zwischen Nord- und Ostsee und bis zum Schwarzen Meer Manöver, schalten die Identifikationstransponder aus und halten keinen Kontakt zur zivilen Luftüberwachung. Wichtige Nato-Vertreter wiederum lassen sich provozieren und drohen unter Missachtung des Primats der Politik mit Großmanövern im Baltikum. Hier wächst die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Konfrontation zwischen Russland und Nato-Mitghedern. Die sich häufenden Zwischenfälle sollten nicht heruntergespielt, sondern zum Anlass genommen werden, die politische und militärische Kommunikation zwischen beiden Seiten zu intensivieren. Wichtig ist vor allem, dass sich die OSZE weder von der russischen noch von der ukrainischen oder "westlichen" Propaganda vereinnahmen lässt.

Eine Institution ist immer nur so stark, wie ihre Mitglieder es zulassen. Es reicht nicht aus, in Sonntagsreden die Bedeutung der OSZE zu beschwören. Vielmehr muss sie finanziell und personell in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben nachkommen zu können. Im Sommer jährt sich die Schlussakte von Helsinki zum 40. Mal. Auch nach vier Jahrzehnten bleibt die OSZE die einzige Organisation, die die nordamerikanischen Demokratien, die Staaten der EU und ihre östlichen Nachbarn bis nach Zentralasien miteinander verbindet. Die 57 Mitgliedsstaaten können nun ein angemessenes Geburtstagsgeschenk schnüren und sicherstellen, dass die Organisation relevant bleibt und in Zukunft noch relevanter wird. Hier kann und sollte an die Erfolge der Entspannungspolitik von Willy Brandt angeknüpft werden.

Die OSZE wird den Ukraine-Konflikt nicht im Alleingang lösen können. Dies müssen die Hauptakteure selbst angehen: Russland, die Ukraine, die EU-Staaten und die USA. Hierfür müssen ganz praktische Fragen geklärt werden: der künftige Status des Donbass, der vollständige Abzug russischer Truppen und eine effektive Sicherung der russisch-ukrainischen Grenze unter Beobachtung der OSZE einschließlich einer entmilitarisierten Zone. Wir brauchen weitere Schritte in Richtung Deeskalation. Wir brauchen direkten Dialog und Aufrichtigkeit der politischen Akteure. Der Aufbau einer europäischen Sicherheitsarchitektur ist ohne Russland, aber auch ohne eine demokratische, marktwirtschaftlich orientierte Ukraine nicht denkbar.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Die Organisation, die Ost und West verbindet, hat in der Ukraine-Krise ihren Wert bewiesen - und ist an ihre Grenzen gestoßen.
Veröffentlicht: 
Frankfurter Rundschau, 04.12.2014